Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR 1949 erhoben zwei deutsche Regierungen – die eine in Bonn, die andere in Ost-Berlin – Anspruch auf die Führung der deutschen Nation und die gesamte deutsche Bevölkerung. Hieraus erwuchs ein Gegensatz, der zunächst vor allem innen- aber auch kulturpolitisch, in der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit sowie im Bereich der Public Diplomacy, zum Tragen kam. Als die Bundesrepublik 1955 mit der Sowjetunion in diplomatische Beziehungen trat, erlangte der deutsch-deutsche Gegensatz dann aber rasch auch außenpolitische Bedeutung. Der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein, initiierte eine außenpolitische Doktrin, um einer ähnlichen Aktion von Seiten der DDR zuvorzukommen: die Hallstein-Doktrin. Sie besagte im Wesentlichen, dass die völkerrechtliche Anerkennung der DDR und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu ihr durch einen nicht-östlichen Staat von der Bundesrepublik als feindlicher Akt gewertet und mit Einschränkungen der diplomatischen Beziehungen – bis hin zu deren vollständigem Abbruch – beantwortet werden würde. Am 23. September 1955 wurde ihre Aufnahme in die westdeutsche Außenpolitik in einer Regierungserklärung offiziell bekannt gegeben.
1969 wurde die Hallstein-Doktrin, im Zuge der Neuen Ostpolitik der Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt, durch die etwas weicher formulierte Scheel-Doktrin ersetzt. Jene forderte nur noch Zurückhaltung gegenüber ostdeutschen diplomatischen Avancen, bis die deutsch-deutschen Beziehungen endgültig geklärt seien. 1973, mit Inkrafttreten des deutsch-deutschen Grundlagenvertrages
Ein Mythos entsteht
In Bonn hatte man rasch erkannt, dass die Doktrin ein ideales, da leicht zu inszenierendes, Wahlkampfinstrument sein konnte. Wurde die DDR diplomatisch nicht oder nur von „unbedeutenden“ Staaten anerkannt, konnte ein Kabinett leicht von sich behaupten, eine erfolgreiche Außenpolitik betrieben zu haben. Außerdem stellte sie ein ideales – da rein innenpolitisches – Argument gegenüber einer wachsenden Zahl ausländischer Kritiker der weltweiten diplomatischen Expansion Westdeutschlands dar. Letztere waren angesichts der globalen Ambitionen Bonns um die Position ihrer jeweiligen nationalen Exportindustrien auf den Weltmärkten besorgt.
Auch ostdeutsche Politiker profitierten von der Doktrin. Bot diese ihnen doch die Möglichkeit, Westdeutschland die Schuld für die mangelnde Präsenz der DDR in der Welt in die Schuhe zu schieben. Nicht fehlende finanzielle Mittel oder die ablehnende Haltung des jeweiligen von Ostdeutschland präferierten Staates sondern die westdeutsche Hallstein-Doktrin machte die ostdeutsche diplomatische Expansion zu einem solch schwierigen Unterfangen.
Wissenschaftler in Ost und West waren ebenfalls rasch von der überragenden Bedeutung der Hallstein-Doktrin überzeugt – und sind es bis heute. Alle übrigen Interessen rücken in ihren Arbeiten gegenüber dem auf außenpolitischer Bühne ausgetragenen deutsch-deutschen Gegensatz in den Hintergrund. Kaum eine Monografie, ein Artikel oder Aufsatz zur west- oder ostdeutschen Außenpolitik in der Zeit des Kalten Krieges, der ohne Verweis auf die Doktrin auskommt. Die Hallstein-Doktrin – ihre Verteidigung beziehungsweise Überwindung – ist quasi zum Synonym der deutschen Außenpolitiken, zu ihrem Primat, ihrem Hauptanliegen, ihrem Mythos geworden. Erst für den Zeitraum ab 1973, mit Inkrafttreten des Grundlagenvertrages, sind einige Forscher bereit, auch die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen als Anliegen deutscher Außenpolitiken gelten zu lassen. Andere sehen erst 1989/90, mit der Vereinigung Deutschlands, das Ende des Primats von Hallstein-Doktrin und deutsch-deutschem Gegensatz in den deutschen Außenpolitiken gekommen.
Doch kann es tatsächlich sein, dass sich die Außenpolitiken von Bundesrepublik und DDR so sehr von denjenigen anderer Staaten – in denen wirtschafts- und geostrategische Interessen überwogen – unterschieden? Gab es im Bereich ihrer Außenpolitiken tatsächlich so etwas wie einen „deutschen Sonderweg“? Bereits in den 1950er Jahren hatte sich die deutsche Wirtschaft wieder gefangen und begonnen, an alte Erfolge anzuknüpfen. Westdeutschland erlebte sein berühmtes Wirtschaftswunder und auch Ostdeutschland zog ökonomisch merklich an seinen osteuropäischen Bruderstaaten vorbei. Kann es tatsächlich sein, dass all dies ohne eine die Im- und Exportbedürfnisse des jeweiligen deutschen Wirtschaftsraums unterstützende Außenpolitik stattgefunden hat? Kann es tatsächlich sein, dass die deutschen Staaten – in der Forschung oft als „Juniorpartner“ der beiden Supermächte USA und Sowjetunion bezeichnet – nicht an führender Stelle in die internationalen geostrategischen Maßnahmen des westlichen und des östlichen Lagers eingebunden waren?
Einblicke in die außenpolitischen Überlegungen Bonns
In den Akten der beiden deutschen Außenministerien stößt man immer wieder auf Material, in welchem die Aufrechterhaltung der Hallstein-Doktrin – beziehungsweise aus Sicht der DDR ihre Überwindung – einen Gegenstand bildet.
In den Dienstinstruktionen an die westdeutschen Botschafter jener Tage, in den Berichten über westdeutsche Botschafterkonferenzen, in den Monats-, Quartals- und Jahresberichten der westdeutschen Auslandsvertretungen sowie in den unzähligen Hilfsersuchen und Projektanträgen ausländischer Staaten um westdeutsche Unterstützungsleistungen bildete die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR tatsächlich einen immer wiederkehrenden Gegenstand. Dennoch stellt dies noch keinen ausreichenden Beleg für die alles überragende Bedeutung der Hallstein-Doktrin innerhalb der westdeutschen Außenpolitik dar.
Betrachtet man die westdeutschen Botschafterinstruktionen – Arbeitsanweisungen, welche Botschafter vom Außenministerium vor ihrem Amtsantritt erhielten – einmal etwas genauer, so stellt man fest, dass sich nur ein verschwindend geringer Teil der Instruktionen tatsächlich mit dem deutsch-deutschen Gegensatz und der Hallstein-Doktrin beschäftigte. Ein Blick in die Instruktionen des 1962 zum westdeutschen Botschafter in Gabun ernannten Walter Bammer zeigt beispielsweise, dass von 19 auf 40 Seiten aufgeführten Punkten lediglich drei tatsächlich die deutsche Frage und die DDR zum Gegenstand hatten.
Auch eine nähere Untersuchung westdeutscher Botschafterkonferenzen relativiert die These von der überragenden Bedeutung der Hallstein-Doktrin mehr, als dass sie diese stützen würde. Auf Botschafterkonferenzen trafen Führungskräfte aus dem Außenministerium und ausgewählte höhere Diplomaten zusammen, diskutierten die allgemeine politische Weltlage, ihr außenpolitisches Instrumentarium und referierten über Entwicklungen in einzelnen Staaten. Einige der Konferenzen waren global, andere regional beziehungsweise kontinental ausgerichtet. 1956, kurz nach dem Inkrafttreten der Hallstein-Doktrin, tagte in Istanbul nun die erste westdeutsche Botschafterkonferenz für den Nahen und Mittleren Osten. Auf dieser erklärte Staatssekretär Hallstein persönlich den teilnehmenden Diplomaten den Sinn und Zweck der nach ihm benannten Doktrin. Als er seine Doktrin nun in die konkreten außenpolitischen Aufgaben des Auswärtigen Amtes im Nahen und Mittleren Osten einzuordnen suchte, zeigte sich jedoch schon in der von ihm gewählten Reihenfolge, welch geringe Bedeutung er dieser tatsächlich beimaß:
„Was wollen wir mit unserer Politik für Ziele in diesem Raum verfolgen? […] Wir wollen auf wirtschaftlichem Gebiet die grossen Chancen, die dieser Raum bietet, wahrnehmen. Wir wollen ferner unserer kulturellen Aufgabe gerecht werden. […] Im militärischen Bereich sind unsere Bedürfnisse so evident, dass ich darüber kaum einen Satz verlieren möchte. Eine Motorbootfahrt auf dem Bosporus zeigt besser als alles andere, um welche militärisch-strategischen Positionen es in diesem Raume geht, in dem auch wir verteidigt werden. Wir haben ein Bedürfnis und ein Recht, in diesem Raum auch politisch in eigenem Namen aufzutreten. Zwei Probleme beschäftigen uns besonders: das Problem der Anerkennung des Pankower Regimes und das Problem Israel.“
Bereits 1956 – und selbst in den Augen Staatssekretär Hallsteins – stand die Hallstein-Doktrin also am Ende einer langen Liste nationaler Interessen der Bundesrepublik. Auch in seinen Überlegungen hatte die Befriedigung nationaler ökonomischer und internationaler geostrategischer Interessen Vorrang.
Auch die Viertel-, Halb- und Jahresberichte westdeutscher Auslandsvertretungen lassen bei näherer Betrachtung Zweifel an der These von der überragenden Bedeutung der Hallstein-Doktrin aufkommen. Nur selten wurden der DDR in den mehrere dutzend Seiten umfassenden Berichten mehr als einige Zeilen gewidmet. So liest man zwar im politischen Jahresbericht der westdeutschen Botschaft in der Republik Kongo für das Jahr 1966:
„Die Anstrengungen der SBZ, den Kongo wenigstens zur Aufnahme halb-offizieller Beziehungen zu veranlassen, die häufigen Besuche von Delegationen aller Art, die ständigen Appelle an die gleiche Ideologie und das 'internationale sozialistische Gewissen', die beabsichtigte Entsendung einer größeren Anzahl von 'Friedenskämpfern' und eventuelle Wirtschaftshilfe dürften auf die Dauer ihre Wirkung nicht verfehlen. Es wird nicht nur einer stets wachsamen diplomatischen Tätigkeit überlassen bleiben können, die derzeitigen erfreulich guten Beziehungen [zur Bundesrepublik] aufrecht zu erhalten, sondern dazu wird es auch einer zusätzlichen materiellen Hilfe bedürfen.“
Doch lohnt es auch hier, den Bericht einmal näher in Augenschein zu nehmen. 19 Seiten umfasst er. Die DDR fand jedoch lediglich auf einer halben Seite Erwähnung – und dies auch noch unter der Überschrift „Beziehungen [des Gastlandes] zur Bundesrepublik“.
Spielräume deutschlandpolitischer Einflussnahme
Auch ein Blick auf an Westdeutschland gerichtete Projektanträge und Hilfsersuchen fällt bei genauerer Betrachtung ernüchternd aus. Jedes Jahr wurden den Ministerien und Institutionen der Bundesrepublik von jedem Staat, in dem Westdeutschland diplomatisch vertreten war, hunderte von Projektvorschlägen unterbreitet – stets gespickt mit Andeutungen über eine mögliche Anerkennung der DDR im Fall einer Ablehnung des Ersuchens. So scheuten sich die westdeutsche Botschaft in der Republik Kongo und der kongolesische Industrie- und Handelsminister 1964 beispielsweise nicht, die Gefahr der Inanspruchnahme einer „sbz-wirtschaftshilfe“ – und eine damit verbundene Annäherung von DDR und Kongo – an die Wand zu malen, um die Bewilligung eines in der Schwebe befindlichen Hermes-Förderantrags zu beschleunigen.
Doch so sehr westdeutsche Botschaften und Konsulate, so sehr afrikanische Politiker und Kabinette auch mahnten und warnten, nur ein Bruchteil solcher und ähnlicher Vorschläge wurde zu Anträgen ausgearbeitet und von diesen dann wiederum am Ende nur ein verschwindend geringer Teil auch tatsächlich bewilligt. Da die Mehrzahl der Projektanträge – unter anderem – mit der Hallstein-Doktrin begründet wurde, die Mehrzahl der Anträge – aufgrund der begrenzten finanziellen Mittel – aber abgelehnt wurde, eignet sich die Doktrin deshalb kaum, um als zentrales Auswahlkriterium bei der Bewilligung von Projektgeldern angeführt zu werden. Würde die Forschung dagegen bei ihrer Darlegung und Analyse der Auswahlverfahren einmal die Befriedigung ökonomischer und geostrategischer Interessen mit einbeziehen, würde sich ihr die Systematik, die hinter den Auswahlverfahren steckte, rasch und überzeugend erschließen.
Gab es also überhaupt einen Bereich der westdeutschen Außenpolitik, in dem die Hallstein-Doktrin und der deutsch-deutsche Gegensatz eine größere Rolle spielten? Den gab es durchaus: den der Public Diplomacy. Tatsächlich lassen sich in den Botschaftsberichten immer wieder Dokumente finden, die belegen, dass Arbeitszeit und Geld investiert wurden, um ausländischen Medien den jeweiligen „richtigen“ deutschen Standpunkt zu den beiden deutschen Staaten und der deutschen Frage nahezubringen.
Im Fall der Bundesrepublik erfolgte das Schalten von Presseartikeln, von Radio- und Fernsehbeiträgen über ein breit aufgestelltes System von Unterstützungsleistungen, das den Medienapparat des Zielstaates auf allen Ebenen bespielte. Größere Zuschüsse wurden an die staatlichen Öffentlichkeitsapparate, ihre Druckereien, Radiosender und Fernsehanstalten sowie ihre Ministerien vergeben. Des Weiteren stand jeder diplomatischen Vertretung eine jährliche Summe für ihre Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. Der größere Teil dieser Gelder war für das Schalten von Auslandsinformationen in den jeweiligen Medien bestimmt, der kleinere Teil als sogenanntes „Kontaktgeld“ gedacht, um die Beziehungen zu Herausgebern, Redakteuren und Journalisten zu verbessern. So erhielten beispielsweise 1962 die westdeutschen Botschaften in der Zentralafrikanischen Republik, der Kongolesischen Republik, der Republik Tschad und der Gabunischen Republik insgesamt 20.000 D-Mark für ihre Öffentlichkeitsarbeit, von denen 25 Prozent, also 5000 D-Mark, zur Pflege von Kontakten mit Medienvertretern vorgesehen waren.
Inkonsequente Abschreckungsmaßnahmen
Wie reagierte die westdeutsche Diplomatie nun aber, wenn ein Staat Gefahr lief, die DDR anzuerkennen? Im Fall des zentralafrikanischen Raumes „schränkte“ das Auswärtige Amt zwischen 1955 und 1975 seine diplomatischen Beziehungen, aufgrund der Aufnahme eben solcher Beziehungen des jeweiligen Staates zur DDR, drei Mal „ein“: zur Volksrepublik Kongo zwischen 1970 und 1973
Und Ost-Berlin?
Wie die westdeutschen werden auch die ostdeutschen Auslandsaktivitäten in der Forschung für gewöhnlich der Deutschlandpolitik zugerechnet. Allerdings zielen sie hier auf die Durchbrechung der Hallstein-Doktrin und die völkerrechtliche Anerkennung der DDR als souveränem Staat sowie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf Botschafterebene mit Staaten der Ersten, vor allem aber der Dritten Welt ab. Auch hierfür lassen sich wieder zahlreiche Aktenbelege anführen. Auch hier bildete die Hallstein-Doktrin – in der ostdeutschen Terminologie als „Alleinvertretungsanmaßung“ bezeichnet – auf Botschafterkonferenzen einen Gegenstand. Doch war es auch hier nicht die erste Position, die ihr bei der Auflistung der außenpolitischen Aufgabenstellung eingeräumt wurde. Als beispielsweise Außenminister Lothar Bolz auf der globalen Botschafterkonferenz von 1957 in seinem Referat die Schwerpunkte der ostdeutschen Außenpolitik zusammenfasste, zählte er auf:
„1. sozialistisches Lager, 2. Friedenszone, 3. Kampf gegen das westdeutsche Monopolkapital in der internationalen Politik, insbesondere gegen seine Ausschließlichkeitsanmaßung auf dem Gebiet der internationalen Politik.“
Drei Jahre später, auf der globalen Botschafterkonferenz von 1960, hatte Bolz den Kampf um diplomatische Anerkennung dann sogar schon auf den letzten von mittlerweile sechs Plätzen verbannt.
„[Den] größte[n] Schlag, den wir politisch führen, führen wir nicht mehr heute mit irgendwelchen völkerrechtlichen Konstruktionen und den [sic!] Anspruch auf Souveränität“, sondern den „führen wir vom realen politischen Standpunkt, daß der deutsche Militarismus beseitigt werden muß.“
Die Beseitigung des westdeutschen Militarismus sollte durch die Stärkung und Durchsetzung der sogenannten Arbeiter- und Bauernmacht in Ost- und Westdeutschland bewerkstelligt werden. Grotewohls Ausführungen zeigen, dass das Konzept der ostdeutschen Außenpolitik sich mehr oder weniger an geostrategischen Interessen, an der Stärkung des proletarischen Internationalismus und des sozialistischen Lagers sowie an der Aufrechterhaltung der friedlichen Koexistenz orientierte, nicht aber an einer vom westdeutschen Bruderstaat ausgerufenen Doktrin.
Auch den ostdeutschen Wirtschafts- und Handelsinteressen wurde auf der Konferenz von 1957 ein nicht unerheblicher Platz innerhalb der ostdeutschen Außenpolitik eingeräumt. So referierte Gerhard Weiss, Stellvertreter des Ministers für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, dass es Aufgabe des ostdeutschen Außenministeriums sei, die Handelspolitik der DDR zu unterstützen. Weiss ging sogar noch weiter und erklärte, dass letztlich auch die von Grotewohl angeschnittenen Punkte zur Außen- und Deutschlandpolitik „merh [sic!] oder weniger mit dem Außenhandel verbunden“ seien.
Grenzen der Solidarität
Auch ein Blick auf die ostdeutschen Auslandsaktivitäten – die Unterstützungs- und Solidaritätsmaßnahmen für Befreiungs- und Oppositionsbewegungen sowie für befreundete Regime und Parteien – lässt bei genauerer Betrachtung auf ökonomische und geostrategische, nicht aber auf deutschlandpolitische Motive schließen. In der Forschung sind es dennoch meist gerade diese Maßnahmen, die als Beleg für das finanzielle, materielle und personelle Engagement der DDR zur Überwindung der Hallstein-Doktrin herangezogen werden. Dabei lassen sich diese Leistungen der DDR meist auch ganz anders deuten. Häufig wurden sogenannte Geschenke der Solidarität als langfristige Investitionen betrachtet, mit deren Rückerstattung, bei erfolgreicher Stabilisierung des jeweiligen Regimes, fest gerechnet wurde. Nicht selten wurde die Unterstützung sogar direkt in Rechnung gestellt und eine sofortige Zahlung angemahnt. Als das ostdeutsche Außenministerium beispielsweise Anfang 1961 einen Plan zur Unterstützung der von kongolesischen Rebellen in der Demokratischen Republik Kongo ausgerufenen Freien Republik Kongo erarbeitete, der die Lieferung ostdeutscher Uniformen vorsah, sollten diese nicht etwa kostenlos, als selbstlose Spende, geliefert, sondern – nach dem erhofften Sieg der Freien Republik – nachträglich von deren Regierung kommerziell erworben werden.
Anerkennungsbemühungen abseits von Deutschlandpolitik
Wie sah es nun aber mit den Anerkennungsbemühungen der DDR aus? Tatsächlich bestanden im ostdeutschen Außenministerium häufig Vorbehalte gegenüber der Errichtung einer diplomatischen Vertretung. Nicht selten musste die DDR von der Sowjetunion geradezu gedrängt werden, in diesem oder jenem Staat eine Vertretung zu errichten und Ressourcen zu investieren. Und nicht selten mussten Führungskader der SED eingeschaltet werden, da der ostdeutsche Staatsapparat die Bitten bewusst verschleppte. Ein gutes Beispiel hierfür bildet die Republik Äquatorialguinea, in welcher die Sowjetunion sich eine Satellitenbeobachtungsstation und einen Hafen zu errichten suchte. Die Erfüllung der Bitte Äquatorialguineas um Errichtung einer ostdeutschen Botschaft sollte dem sowjetischen Ersuchen mehr Gewicht verleihen. Im ostdeutschen Außenministerium und im Ministerrat der DDR bestand hieran jedoch nur geringes Interesse. Der Büroleiter des Ministerrats der DDR, Staatssekretär Rudi Rost, bat zu prüfen, ob nicht zumindest eine Doppelakkreditierung über den ostdeutschen Botschafter in der Zentralafrikanischen Republik möglich sei. Devisen sollten gespart werden. An der in seinen Augen bestehenden Notwendigkeit, die ökonomischen Interessen der DDR nicht hinter der Möglichkeit, im Ausland ostdeutsche Botschaften zu errichten, zurücktreten zu lassen, ließ er keinen Zweifel:
„Es geht darum, daß wir keinesfalls in der Lage sind, in allen Ländern Afrikas, die mit uns diplomatische Beziehungen aufnehmen, eine eigene Botschaft zu errichten und daß angesichts der Situation im Valuta-Plan keine Entscheidungen getroffen werden dürfen, die unsere Zahlungsbilanz in freien Devisen erneut belasten.“
Deutlich leichter tat sich Ost-Berlin dagegen mit der Einrichtung von Botschaften im Fall rohstoffreicher Staaten, wie der Demokratischen Republik Kongo im Jahr 1973 und der Volksrepublik Angola im Jahr 1975. Dies war kein Zufall. In beiden Staaten hatte die DDR für sich nationale ökonomische und internationale geostrategische Interessen ausgemacht. In Ost-Berlin wusste man sehr wohl um die Beschränktheit der eigenen Mittel. Und so konzentrierte man sich weitgehend auf ökonomisch relevante Schwerpunktstaaten – ließ in einigen Fällen aber auch die geostrategischen Interessen des sozialistischen Lagers gelten. Nur dort war man tatsächlich an der Errichtung von Vertretungen und dem Einsatz von Ressourcen interessiert. Mit dem Bild eines global geführten deutsch-deutschen Kampfes um Anerkennung – bei dem ja letztlich jeder Durchbruch einen Sieg bedeutet hätte – lässt sich diese Taktik nur schwer in Einklang bringen. Auch für die DDR war Außenpolitik letztlich eben doch mehr als nur Deutschlandpolitik.
Abschied von einem Mythos
Die Annahme, dass der deutsch-deutsche Gegensatz und die Hallstein-Doktrin innerhalb der deutschen Außenpolitiken eine dominante Rolle gespielt hätten, kann aus den genannten Gründen – weitere ließen sich anführen
Zitierweise: Torben Gülstorff, Die Hallstein-Doktrin - Abschied von einem Mythos, in: Deutschland Archiv, 9.8.2017, Link: www.bpb.de/253953