Die Haftarbeit gehörte zu den zentralen Säulen des DDR-Strafvollzugs. Einige Gefangene wurden für hausinterne Tätigkeiten eingesetzt. Die meisten waren aber unter häufig sehr schlechten, gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen für Betriebe in der Region tätig. Diese richteten teilweise Außenstellen in den Haftanstalten ein – die sogenannten A-Betriebe.
Die Etablierung der "A-Betriebe" im Strafvollzug
Die Arbeit in der Strafhaft sollte offiziell zuallererst der "Erziehung" dienen. Tatsächlich aber unterwarf das im SED-Staat für den Strafvollzug zuständige Innenministerium die Gefängnisproduktion seit den 1950er Jahren immer stärker ökonomischen Kriterien. Ab 1953 wurde die Haftarbeit DDR-weit in die Regie der „volkseigenen“ Industrie überführt, da nach Auffassung des Innenministeriums die "Weiterentwicklung" der Produktion unter den Bedingungen des Strafvollzugs nicht mehr möglich gewesen sei. In den Haftanstalten als Strafvollzugspersonal tätige Volkspolizisten hätten immer mehr die Rolle von Wirtschaftsfunktionären übernommen, ohne "produktionstechnisch" dafür genug geschult zu sein. Der A-Betrieb sei "sowohl politisch als auch wirtschaftlich die geeignetste Form der Gefangenenerziehung."
In der Strafvollzugsanstalt (StVA) Cottbus etablierte man zunächst den VEB Matratzen- und Polstermöbelfabrik (MAPO) als A-Betrieb. Bereits im vierten Quartal 1953 arbeitete die MAPO im Zweischichtsystem mit 136 Beschäftigten. Aufgrund der großen Überbelegung des Gefängnisses und der räumlichen Bedingungen war nach Ansicht der zuständigen Bezirksverwaltung der Deutschen Volkspolizei (BdVP) insgesamt in der StVA Cottbus kein 100-prozentiger Arbeitseinsatz möglich.
Doch erst 1964/65 kam es zu größeren Veränderungen. 1964 nahm mit dem Kamerahersteller VEB Pentacon aus Dresden ein neuer A-Betrieb die Produktion in Cottbus auf. Ende September beschäftigte dieser 31 Strafgefangene. Innenminister Friedrich Dickel schlug dem Volkswirtschaftsrat in einem Schreiben vom 13. November 1964 vor, die Zahl der Cottbuser Pentacon-Beschäftigten auf 300 zu erhöhen.
Ökonomische Rahmenbedingungen der Kameraproduktion
Die Dresdner Kameraindustrie konnte nach den Kriegsverlusten und den nachfolgenden Reparationen zunächst wieder an ihre internationale Spitzenstellung in den Vorkriegsjahren anknüpfen, verlor aber trotz einer Vielzahl innovativer Entwickler und anderer hervorragend ausgebildeter Fachkräfte insbesondere ab den 1970er Jahren immer mehr an Boden. Der langjährige Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des VEB Pentacon Gerhard Jehmlich hat diese Entwicklungen sehr deutlich beschrieben: Eine extrem hohe Fertigungstiefe, Zulieferschwierigkeiten, mangelnde Investitionen in Gebäude, Anlagen und Entwicklung – alles Dinge, die nicht die Betriebe, sondern die SED und die von ihr "angeleiteten" Planungsbehörden zu verantworten hatten – ließen den Rückstand auf die technologisch führenden Japaner immer größer werden. Zwar konnten 63 Prozent der zwischen 1964 und 1989 produzierten Kleinbild-Spiegelreflexkameras auf westlichen Märkten abgesetzt werden,
1989/90 war der technologische Rückstand auf Ostasien so groß und die Kostenstruktur so ungünstig, dass sich die Treuhandanstalt gezwungen sah, schon am 2. Oktober 1990 die Einstellung der Kameraproduktion bei Pentacon zu veranlassen – laut der späteren Treuhandchefin Birgit Breuel "die erste Entscheidung der noch jungen Treuhand zur Schließung eines Betriebs."
Der VEB Pentacon im Cottbuser Gefängnis – "normale" Arbeitsbedingungen?
In seiner 2009 erschienenen Firmengeschichte ging Gerhard Jehmlich auch kurz auf die Arbeit in Cottbus ein. Der Betrieb sei 1964 angewiesen worden, dort eine "Fertigungsstelle für niedere Lohngruppen ohne Facharbeiterausbildung" einzurichten. Man habe keinerlei Einfluss auf die Zuweisung von Gefangenen gehabt. Die Arbeiten hätten "sowohl Stanzgänge (Ausschneiden und Biegen) mit präzisen Werkzeugen als auch das Entgraten von Kamera-Druckgussstellen" umfasst. Sie seien "zeitweilig parallel und anteilig" auch im Stammbetrieb oder in Heimarbeit durchgeführt worden und hätten auf der gleichen Technologie und Arbeitsvorbereitung beruht. In den 1980er Jahren seien bis zu 40 Stanzen in Cottbus im Einsatz gewesen.
Laut Jehmlich arbeiteten in der Außenstelle im Gefängnis bis zu 250 Häftlinge in zwei Schichten. Hinzu kamen "ca. zehn Fachkräfte des Betriebes für Arbeitsvorbereitung und Logistik sowie ebenfalls etwa zehn Mitarbeiter als direkte Fachbetreuer." Dennoch sei dem Betrieb durch Schäden an Werkzeugen, insbesondere durch den häufigen Wechsel der anzulernenden Arbeitskräfte, ein beträchtlicher Aufwand entstanden. "Auch kam es in seltenen Fällen zu bewussten Zerstörungen an Werkzeugen." Weitere Produktionsprobleme habe es infolge von Amnestien gegeben.
Uwe Bastian und Hildigund Neubert beschrieben in ihrer Studie zur Haftarbeit in der DDR die Arbeitsbedingungen in der Cottbuser Werkstatt des VEB Pentacon anhand der Auswertung von 35 Fragebögen, die sie selbst an ehemalige Häftlinge verschickt hatten. Die erste deutliche Differenz zu Jehmlich besteht in der Feststellung, dass alle Befragten ab 1972 von einem Dreischichtsystem berichteten.
Die ehemaligen Häftlinge beklagten unter anderem mangelnden Arbeitsschutz, veraltete Maschinen und unzulängliche Werkzeuge sowie Lärm. Hinzu kamen Stress durch Normdruck, schlechtes Licht und unzulängliche Belüftung. Verbrauchsmittel wie Handschuhe, Mund- und Gehörschutz seien fast völlig eingespart, das Werkzeug nur selten erneuert worden.
Acht der befragten Häftlinge erlitten einen Arbeitsunfall, vier von ihnen berichteten über mehrfache Verletzungen an Fingern und Händen, ein anderer verlor ein Fingerglied. Hinzu kamen drei Knochenbrüche. Die früheren Gefangenen brachten auch weitere Gesundheitsprobleme mit der Haftarbeit in Verbindung: hierzu gehörten beispielsweise Rückenbeschwerden oder – bedingt durch die starke Staubentwicklung in der Werkstatt – schwere Atemwegserkrankungen.
Der Widerspruch zwischen den Ausführungen Jehmlichs und den Erinnerungen vieler Häftlinge liegt auf der Hand. Sicherlich wollte der frühere Leiter der Pentacon-Forschung die Verhältnisse in der Fertigungsstelle Cottbus nicht in allzu schlechtem Licht erscheinen lassen. Andererseits waren wohl auch die Arbeitsbedingungen in Teilen des Pentacon-Stammbetriebs durchaus kritikwürdig.
Auch auf Seiten der Strafvollzugsbehörden blieben diese Umstände nicht unbeachtet. Weder die Tätigkeiten selbst noch die Arbeitsbedingungen entsprachen offiziellen Vorgaben. Die verantwortlichen Angehörigen der Volkspolizei (VP) kritisierten schon im Sommer 1966, dass sich die Arbeit bei Pentacon durch die laufenden Rationalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen immer weniger für den Strafvollzug eigne. Die Bedingungen für die Berufsqualifizierung der Masse der Strafgefangenen seien auch im neuen A-Betrieb wieder sehr ungünstig, die Produktion wirke vom Rhythmus her eintönig. Immerhin werde versucht, im ständigen Wechsel jeweils 20 Strafgefangene als Maschineneinrichter und Gütekontrolleure zu qualifizieren und die Allgemeinbildung der anderen Häftlinge durch Teilnahme an Volkshochschullehrgängen zu verbessern.
Der Umgang mit Arbeitsunfällen
Allerdings wurden keine Anstrengungen gemacht, die Situation zu ändern. Die Verwaltung Strafvollzug des Innenministeriums kritisierte 1976 die Zusammenarbeit mit den Cottbuser Arbeitseinsatzbetrieben bei der "Gewährleistung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes" sowie bei der Einhaltung hygienischer Normen als mangelhaft. Beispielhaft genannt werden "die unhygienischen Zustände in den Sanitäranlagen und Waschgelegenheiten für die Strafgefangenen" sowie "die Nichteinhaltung der Arbeitsschutzbedingungen, wie Tragen von Gehörschutzmitteln und Brillen."
Die im Hauptstaatsarchiv Dresden überlieferten Unterlagen des durch die Treuhandanstalt abgewickelten VEB Pentacon sind unvollständig, legen aber nahe, dass Pentacon Arbeitsunfälle im Stammbetrieb und in der Fertigungsstelle Cottbus nicht unterschiedlich behandelte.
"Der Beschäftigte war als Einrichter und Maschinenarbeiter eingesetzt. Er hatte den Auftrag, die Presse […] einzurichten und danach Schnittteile zu lochen. [...] Nach den Angaben des Unfallbetroffenen wollte er nach 150 Teilen das Werkzeug mit der Hand reinigen, dabei soll die Presse nachgeschlagen haben und er zertrümmerte sich den Mittelhandknochen der rechten Hand, der 3. und 4. Finger mussten amputiert werden. Die Untersuchungen ergaben, dass die Presse technisch in Ordnung war und ein Nachschlagen ausgeschlossen wird."
Stattdessen ging die Kommission davon aus, dass der Beschäftigte mit einer Hand den vom Arbeitsplatz aus erreichbaren Wahlschalter betätigte und sich mit der anderen Hand im Werkzeug festhielt, um das Gleichgewicht zu halten. Als Konsequenz aus dem Unfall wurde angeordnet, die Abstände der Schaltschränke von den Maschinen so zu verändern, dass Schalthandlungen vom Arbeitsplatz aus nicht mehr möglich seien; die Schaltschränke sollten ständig unter Verschluss gehalten werden. Gegen den zuständigen Leiter wurde wegen Verstoßes gegen Arbeitsschutzbestimmungen ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
In derselben Akte befinden sich weitere Berichte über Stanzunfälle in anderen Pentacon-Produktionsstätten, einmal war auch ein zur Arbeit bei Pentacon abgeordneter Volkspolizei-Angehöriger im Grundwehrdienst betroffen.
Laut einer von der Pentacon-Zentrale am 8. Januar 1990 erstellten Analyse des Jahres 1989 zum Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz gab es 1988 im Bereich F 9 (der „Fertigungsstätte Cottbus“) fünf gemeldete Arbeitsunfälle, 1989 nur noch drei. Aus den Unfällen resultierten 1988 46 und 1989 26 Arbeitsausfalltage. Die sogenannte „Ereignisquote“ (eine nicht genauer definierte Kennziffer) lag in Cottbus etwa in ähnlicher Höhe wie im Gesamtbetrieb.
Die Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS)
Das MfS – dessen für die StVE zuständigen Mitarbeiter in einem "konspirativen Objekt" im Gefängnis residierten, überwachte auch die Haftarbeit sehr intensiv. Hierzu nutzte man nicht zuletzt Inoffizielle Mitarbeiter unter den Gefangenen, dem Strafvollzugspersonal und den Angehörigen der Arbeitseinsatzbetriebe.
Im Arbeitsalltag hatten die Zivilbeschäftigten gewisse Spielräume im Umgang mit den Häftlingen, die sie nach Aussagen von Betroffenen durchaus unterschiedlich nutzten. In der Überlieferung der Auswertungs- und Kontrollgruppe des MfS findet sich zum Beispiel ein Bericht über einen Pentacon-Mitarbeiter, der einem Gefangenen und dessen Frau beim Einschmuggeln von Briefen, Informationen, Alkohol, Kaffee und Zigaretten half. Dafür erhielt er kleinere Geschenke und das Versprechen des Häftlings, nach der eigenen Ausreise in die Bundesrepublik dem Beschäftigen bei dessen Übersiedlung mittels "Schleusung" zu helfen. Dem Pentacon-Mitarbeiter wurde das Zutrittsrecht zur StVE entzogen, außerdem sollte ein Ordnungsstrafverfahren eingeleitet werden.
Den Häftlingen war schon während ihres Gefängnisaufenthalts bekannt, dass die Dresdner Fotoapparate mit gutem Erfolg auf westlichen Märkten verkauft wurden. Viele Gefangene glaubten und glauben, dass die Kameras nur aufgrund der Häftlingsarbeit zu günstigen Preisen angeboten werden konnten.
Wie rentabel war die Cottbuser Produktion?
Innensicht der Pentacon-Halle heute (© Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus)
Innensicht der Pentacon-Halle heute (© Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus)
Die Häftlingsarbeit generell hatte zweifellos hohe Bedeutung für die DDR-Ökonomie. Ohne den Einsatz von Gefangenen, (Bau-)Soldaten und Bereitschaftspolizisten wären viele besonders schmutzige und zum Teil lebensgefährliche Arbeitsplätze in der maroden Volkswirtschaft vor allem in den 1980er Jahren kaum noch zu besetzen gewesen.
Trotz der bedeutenden Exportzahlen des Kameraherstellers wurde Pentacon im Herbst 1976 nur in die volkswirtschaftlich weniger bedeutsame Kategorie II der Arbeitseinsatzbetriebe des Strafvollzugs (AEB) eingeordnet. Laut einem vom SED-Politbüro am 26. Oktober 1976 bestätigten Beschlussentwurf zum Arbeitseinsatz von Strafgefangenen in der Volkswirtschaft sollte der Innenminister die Belegung der StVE so steuern, dass bei rückläufiger Anzahl der Gefangenen (vor allem infolge von Amnestien) „die Einsatzgrößen für die Betriebe der Kategorie I zu Lasten der Kategorie II gesichert werden."
Welche Bedeutung hatte nun die "Fertigungsstätte Cottbus" für den Gesamtbetrieb VEB Pentacon? Unter anderem überlieferte Geschäftsberichte, Rechenschaftslegungen zeigen, dass die Gefängnisproduktion seitens der Dresdner Firmenzentrale grundsätzlich vor allem als Klotz am Bein angesehen wurde, der viele Probleme und immer wieder auch Zusatzkosten produzierte – gleichwohl war ein eigenverantworteter Rückzug vom Standort unter den Bedingungen der Planwirtschaft natürlich unmöglich. Die wichtigste Schwierigkeit, mit der die Verantwortlichen konfrontiert waren, bestand in den erheblichen Schwankungen des Arbeitskräfteangebots, insbesondere im Kontext von Amnestien. Hinzu kam häufig mangelnde Leistung der ungeübten und widerwilligen Gefangenen, die verständlicherweise oft bewusst langsam und ungenau arbeiteten oder die Arbeit sogar zu sabotieren versuchten, was natürlich mit hohen Strafen bedroht war.
Der Direktor des Kombinats VEB Pentacon sah im Dezember 1972 für das Folgejahr massive Probleme voraus:
"Auf der Grundlage der durchgeführten Amnestie wird die für 1973 vorhandene Arbeitskräftebilanz von 400 Arbeitskräften – davon 265 Produktionsgrundarbeiter – der StVA Cottbus nicht in vollem Umfang wirksam. Die dadurch auftretende Fehlkapazität beträgt für das Jahr 1973 ca. 250.000 Stunden. Eine exakte Aussage darüber ist nicht möglich, da diese abhängig ist von der Zuführung neu inhaftierter Strafgefangener in die StVA."
Der Kombinatsdirektor schlug vor, durch die "Territorialorgane" Dresden (360), Görlitz (30), Berlin (10) und Cottbus (40) Arbeitskräfte zu gewinnen. Außerdem sollten insbesondere im Bereich Vorfertigung durch andere Betriebe des Ministeriums Elektrotechnik beziehungsweise Elektronik-Kooperationsleistungen im Umfang von bis zu 250.000 Stunden erbracht werden.
Mitte 1989 beantragte Pentacon bei der Kombinatsleitung in Jena – der VEB Pentacon gehörte seit 1985 zum Kombinat VEB Carl Zeiss – die Finanzierung zusätzlicher Aufwendungen für den Westexport. Begründet wurde dies mit "erhöhten außerplanmäßigen Aufwendungen", da in Cottbus "durch ständigen Personalwechsel eine unterdurchschnittliche Leistungskurve sowie erhöhter Anfall von Ausschuss- und Nacharbeitskosten" zu verzeichnen seien.
Resümee
Die Pentacon GmbH Kamera- und Kinowerke, "Fertigungsstelle Cottbus", kündigten der Strafvollzugseinrichtung Cottbus am 13. September 1990 zum Jahresende den Nutzungsvertrag.
Während etwa in der Chemieindustrie und der Energiewirtschaft die Tätigkeit von Häftlingen wegen der flexiblen Einsatzmöglichkeiten – auch unter freien Arbeitern nicht zumutbaren Bedingungen – aus Sicht der Planungsbehörden unverzichtbar war und diese sowohl betriebs-, als auch volkswirtschaftlich einen positiven Saldo produzierte,
Zwar zahlte der Betrieb (abzüglich gewisser Sozialleistungen) den Tariflohn für Hilfsarbeiter, die Gefangenen erhielten aber nur einen Bruchteil davon. Die Differenz wurde vom Innenministerium zur Reduzierung der Kosten des Strafvollzugs genutzt.
Zitierweise: Steffen Alisch, Zwangsarbeit im Fokus. Die Haftarbeit im Volkseigenen Betrieb (VEB) Pentacon Dresden, "Fertigungsstelle Cottbus" – eine Fallstudie, in: Deutschland Archiv, 16.6.2017, Link: www.bpb.de/249692