DA: In Berlin gibt es seit 1844 einen traditionsreichen und beliebten Zoo. Welche Motivation gab es für die Gründung eines Tierparks 1955 in Ost-Berlin?
Jan Mohnhaupt: Nach den Aufständen im Juni 1953 musste die DDR-Führung einsehen, dass sie nicht immer nur das Plansoll erhöhen konnte, sondern den Menschen auch etwas bieten musste. Und ein eigener Zoo fehlte in der Hauptstadt der DDR bis dahin noch. Außerdem wollte der Magistrat nicht mehr, dass die Ost-Berliner in den britischen Sektor reisten, um dort den alten Zoo zu besuchen und Westkontakte zu pflegen.
DA: Wurde der neue Tierpark in Ost-Berlin zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für den ältesten Zoo Deutschlands im westlichen Stadtteil?
Jan Mohnhaupt: Bereits im ersten Jahr nach der Tierparkeröffnung verzeichnete der Zoo im Westen 85.000 Besucher weniger. 1958 hatte der Tierpark ihn dann in der Gunst der Berliner überflügelt. Der Tierpark warb sogar auf Plakaten am Bahnhof Zoo um Besucher, da die Stationen im Westen der DDR-Reichsbahn unterstanden. Beide Direktoren versuchten zudem, mit der Existenz der jeweils anderen Einrichtung Politik zu machen. So forderte etwa Tierpark-Direktor Heinrich Dathe in einem Brief an Walter Ulbricht 1600 Tonnen Zement Nachschub für neue Tierhäuser, „damit wir gegenüber dem Zoo in Westberlin nicht ins Hintertreffen geraten.“ Zoodirektor Heinz-Georg Klös wiederum sah im Tierpark „eine Gefahr“ und schlug deshalb vor, sich auf die Haltung von Affen zu spezialisieren. Denn diese seien nur mit Devisen zu bekommen und benötigten Gitterkäfige – und Westgeld sowie Eisen waren im Osten Mangelware.
DA: Welche Rolle spielten dabei Ihrer Meinung nach die beiden Direktoren bei dieser Konkurrenz? War es persönliche Ambition, tiergärtnerischer Wettstreit, ideologische Konkurrenz oder wurden die beiden Ihrerseits von der Politik ausgenutzt?
Jan Mohnhaupt: Weder Dathe noch Klös waren Kalte Krieger. Aber beide wussten genau, wie sie die jeweiligen Machthaber vor ihren Karren spannen konnten. Ihnen ging es in erster Linie um den Erfolg des eigenen Zoos. Hinzu kam, dass beide sich nicht besonders leiden konnten, was ihren Wettstreit noch weiter anfachte.
DA: Gab es nennenswerte Unterschiede oder Besonderheiten im „Zoovergleich der Systeme“?
Jan Mohnhaupt: Hinsichtlich ihrer Gestaltung unterschieden sich ost- und westdeutsche Zoos kaum. Die DDR war allerdings im Bereich der Tierpfleger-Ausbildung fortschrittlicher. Sie war das erste Land weltweit, das den Beruf des Tierpflegers zu einem offiziellen Lehrberuf erklärte. Die ersten Lehrbücher kamen aus der DDR und wurden jahrzehntelang im Westen benutzt. Außerdem war im Osten der Bildungsauftrag der Zoos und Tierparks noch ausgeprägter als in der Bundesrepublik, wo Zoos mehr als Freizeiteinrichtung dienten.
DA: Nach dem Mauerbau im August 1961 konnten Ost-Berliner den West-Zoo nun nicht mehr besuchen und auch West-Berliner konnten erst nach dem Transitabkommen wieder regelmäßig nach Ost-Berlin und in den Tierpark Friedrichsfelde fahren. Inwiefern spielte die von Ihnen beschriebene Konkurrenz nach dem Mauerbau überhaupt noch eine Rolle?
Jan Mohnhaupt: Nach dem Mauerbau waren beide Direktoren Platzhirsche mit abgesteckten Revieren. Von da an ging es um die Gunst der Politiker, um persönliches Prestige und Symbolik – wer hat mehr Elefanten, die selteneren Arten oder die größeren Zuchterfolge. Damals hieß es über die Konkurrenz zwischen Dathe und Klös: „Wenn der Eine einen Zwergesel kauft, kauft der Andere einen Riesenesel.“
DA: Welche Rolle spielte die Staatssicherheit und die zuständige Kulturabteilung für den Tierpark im Magistrat oder im Zentralkomitee der SED?
Jan Mohnhaupt: Die Kulturabteilung war Dathes erster Ansprechpartner, wenn es darum ging, neue Gehege einzuweihen oder Zuschüsse zu bekommen. Allerdings hielt Dathe sich nicht immer an dieses Prozedere und bat im Alleingang beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder bei der Nationalen Volksarmee (NVA) um Spenden. Das sorgte dann stets für Missstimmung, woraufhin Dathe von der Kulturabteilung wiederum ermahnt wurde. Vonseiten der Stasi wurde mehrfach versucht, Informationen von Dathe oder seinem näheren Umfeld zu bekommen.
DA: Gibt es denn Hinweise darauf, dass die Führungsebene des Tierparks aktiv mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet hat? Waren unter den Mitarbeitern besonders viele Inoffizielle Mitarbeiter (IMs)?
Jan Mohnhaupt: Besonders viele waren es nicht, aber es gab im engeren Mitarbeiterstab von Dathe einige IMs. Aufgrund seiner besonderen Stellung in der DDR als Chef des wichtigsten Zoos war er selbst jedoch beinah unantastbar und stand deshalb etwas über den Dingen. Vielleicht erklärt das auch, warum er bis zum Schluss glaubte, nie bespitzelt worden zu sein. Die Akten verraten jedenfalls etwas anderes.
DA: Beide Zoos waren Zuschussbetriebe und brauchten für diese Käufe Geld. Ihren Recherchen nach erhielt der West-Berliner Zoo seinerseits Unterstützung durch die Berliner und Bonner Politik-Prominenz. Welche Politiker haben sich hier besonders hervorgetan? Gab es Parteipräferenzen seitens des Zoos?
Jan Mohnhaupt: Die wichtigste Partei für Klös war die eigene, die Zoo-Partei, die rund zwei Millionen „Wähler“ stets sicher hatte. Daher mussten sich West-Berliner Politiker mit ihm beziehungsweise dem Zoo gut stellen. Abgesehen davon hat Klös sowohl mit SPD- als auch mit CDU-Politikern erfolgreich zusammengearbeitet. Mit Willy Brandt und Helmut Schmidt genauso wie mit Richard von Weizsäcker.
DA: Was versprachen sich diese westdeutschen Politiker von einer Unterstützung des Zoos der eingekreisten Stadt Berlin, die nicht Hauptstadt war?
Jan Mohnhaupt: Für sie war es ein symbolisches Zeichen, dass sie zu West-Berlin stehen, der sogenannten „Insel im roten Meer“. Dass Helmut Schmidt 1980 zwei Pandas, die er als Staatsgeschenke der Volksrepublik China erhalten hatte, in den Berliner Zoo gab, war so ein Zeichen der Solidarität. Was den sowjetischen Botschafter in Bonn, Wladimir Semjonow, ja auch sofort dagegen protestieren ließ – erfolglos natürlich.
DA: Nach dem Ende des Kalten Krieges gab es im Ostteil der Stadt große Angst, dass der Tierpark zugunsten der West-Berliner Konkurrenz abgebaut werden sollte. Heute gibt es in Berlin drei zoologische Einrichtungen mit dem Zoo, dem Aquarium und dem Tierpark. Gab es je eine reale Gefahr für den Ost-Berliner Tierpark?
Jan Mohnhaupt: Sie bestand zumindest theoretisch. Die Angst der Ost-Berliner war allerdings real und auch begründet, denn es hatte bereits zahlreiche Abwicklungen ostdeutscher Betriebe gegeben.
DA: Der Kalte Krieg hat in den Berliner Zoos seine Spuren hinterlassen. Nach Jahrzehnten der Trennung besuchen Ost-Berliner heute noch immer lieber den Tierpark als den Zoo in West-Berlin und umgekehrt. Was denken Sie, woran das liegt?
Jan Mohnhaupt: An der noch immer stark ausgeprägten Identifikation mit den beiden Einrichtungen. Das hat aber nicht nur ideologische Gründe. Jahrzehntelang gepflegte Traditionen legt man nicht so einfach ab. Außerdem ist Berlin groß und die Menschen neigen zur Bequemlichkeit, sodass die wenigsten durch die halbe Stadt fahren würden, nur um mal in den jeweils anderen Zoo zu gehen.
Das Interview führte Clemens Maier-Wolthausen.
Zitierweise:„…damit wir gegenüber dem Zoo in Westberlin nicht ins Hintertreffen geraten“. Interview mit Jan Mohnhaupt zu „Der Zoo der Anderen“, in: Deutschland Archiv, 22.3.2017, Link: www.bpb.de/245068