Referierende:
Kire Babanoski, Faculty of Security Sciences, MIT University – Skopje, Mazedonien
Katharina Blumberg-Stankiewicz und Elisabeth Kirndörfer, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, Deutschland
Iva Kopraleva, Rafaela Tripalo, Sofia Platform, Bulgaria / Stiftung Wissen am Werk, Kroatien
Kristina Malbašić,unabhängige Wissenschaftlerin, Zagreb, Kroatien
Moderation:
Pavel Kolář, Department of History and Civilization, European University Institute (EUI), Florence, Italy
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde durch Pavel Kolář (Department of History and Civilization, European University Institute (EUI), Florenz, Italien) hielt Kire Babanoski (Faculty of Security Sciences, MIT University – Skopje, Mazedonien) den ersten Vortrag im zweiten Panel. Unter dem Titel Interner Link: "Macedonia's Lost Generation between Transitional Crises and new Perspectives" behandelte er eine in Westeuropa weitgehend unbeachtete Folge der demokratischen Wende in Mazedonien. Das Problem für diese Generation ist der immense Mangel an Perspektiven im Heimatland, welcher große Teile der produktivsten Jahrgänge dazu zwingt, das Land zu verlassen. Jahrelange Arbeitslosigkeit hat für diese Menschen lebenslange Konsequenzen. Bleiben sie im Land, sind die “scarring effects” der Arbeitslosigkeit ein vermindertes Einkommen, später Karrierebeginn und späte Familiengründungen. Die Alternative ist eine wirtschaftlich erzwungene Emigration, die für das ganze Land durch den “brain drain” ein massives Wachstumshindernis bedeutet. Öffentliche Proteste in den vergangenen Jahren haben nun zum ersten Mal dazu geführt, dass Verantwortliche die Emigration der produktiven Jahrgänge als wichtiges Problem anerkannt haben.
Katharina Blumberg-Stankiewicz und Elisabeth Kirndörfer (© © Barbara Klaus)
Katharina Blumberg-Stankiewicz und Elisabeth Kirndörfer (© © Barbara Klaus)
Katharina Blumberg-Stankiewicz und Elisabeth Kirndörfer von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder betrachteten in ihrem Vortrag Interner Link: "Dem Nachhall auf der Spur: Post-1989 und Postmigration zusammengedacht" zwei Generationen der Transformation: Kinder der Migration und Wendekinder. Sie stellten die Frage in den Raum, was es bedeutet, im "Danach" aufzuwachsen und welche Spuren die – wie auch immer geartete – biografische Verknüpfung mit Transitions-, Migrations- und Transformationsprozessen hinterlässt. Konkret untersuchten sie zum einen Kulturschaffende, die im Kindesalter in den 1980er Jahren aus Polen nach Deutschland migriert waren und heute in Berlin leben und zum anderen Rückkehrer/-innen der Umbruchsgeneration, das heißt junge Menschen, die in den 1980er Jahren in Schwedt/Oder geboren, in den späten 1990er Jahren in den Westen ausgewandert sind und heute wieder an ihrem Herkunftsort leben. Diese unterschiedlichen Lebensgeschichten, so stellen sie fest, zeigen dennoch eine vergleichbare biografische Zäsur, eine Umbruchserfahrung, die etwas Uneindeutiges enthält und vielleicht gerade dadurch das Potenzial für eine kritische Analyse der Gegenwart in sich birgt. Daraus kann die Inspiration für neue biografische und gesellschaftliche Entwürfe hervorgehen.
Iva Kopraleva und Rafaela Tripalo (© © Barbara Klaus)
Iva Kopraleva und Rafaela Tripalo (© © Barbara Klaus)
Iva Kopraleva, Rafaela Tripalo (Sofia Platform, Bulgaria/Stiftung Wissen am Werk, Kroatien) stellten in ihrem Vortrag Interner Link: "The good, the bad and the Eastern European – refugees and the Communist past" ihre zusammen mit Louisa Slavkova erarbeiteten und als "Work in Progress" bezeichneten vorläufigen Ergebnisse zu Haltungen gegenüber Flüchtlingen in Bulgarien und Kroatien vor. Ausgehend von Meinungsumfragen, die einer Mehrheit der Bulgaren gar feindliche Haltungen gegenüber Flüchtlingen bescheinigten und in denen in Kroatien weniger starke Vorbehalte gegenüber flüchtenden Menschen gemessen wurden, suchten sie nach möglichen Gründen für die Unterschiede. Dabei gingen sie zunächst davon aus, dass beide Länder ähnliche Ausgangsvoraussetzungen nach der Transformation zur Marktwirtschaft und zum demokratischen Regierungssystem aufwiesen. Umso verwunderlicher seien daher die in den Meinungsumfragen erscheinenden Unterschiede. Mit Befragungen von repräsentativen Entscheidungsträgern in beiden Ländern wagten sie eine erste Analyse der Gründe. Vorläufige Arbeitstheorien sind hierbei vor allem die unterschiedlichen Erfahrungen mit Flüchtlingen zuvor. Anders als Bulgarien hatte Kroatien durch die Kriege Mitte der 1990er Jahre bereits Flucht, Vertreibung und Verlust von Heimat vieler Menschen erfahren. Daraus könnte sich, so die beiden Autorinnen, eine mildere Haltung gegenüber geflüchteten Menschen entwickelt haben. Auch sei Bulgarien im Verhältnis zu den Ländern des ehemaligen Jugoslawien ein weitaus "geschlossener" Raum gewesen. Als weiteren möglichen Faktor für die Differenzen identifizierten sie unterschiedlich hohe Vertrauenspotenziale in die jeweiligen Regierungen und staatlichen Einrichtungen. Diese scheinen in Kroatien höher zu sein, was das Vertrauen in die Fähigkeiten des Staates stärkt, die “Flüchtlingskrise” bewältigen zu können. An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, in der die bislang noch vorläufigen Ergebnisse teilweise infrage gestellt wurden. So wurde unter anderem kritisch angemerkt, dass die beiden Staaten mitnichten ein so homogenes Bevölkerungsbild bieten, wie von den Vortragenden dargestellt worden sei.
Kristina Malbašić (© © Barbara Klaus)
Kristina Malbašić (© © Barbara Klaus)
Kristina Malbašić (unabhängige Wissenschaftlerin, Zagreb) schloss das Panel mit ihrem Vortrag Interner Link: "In 1991 – In 1992 – Bosnian war refugees, today – modern migrants". Sie analysierte die Erfahrungen von vier jungen bosnischen Kroaten, die alle 1991 geboren sind und während des Krieges im Alter von ein paar Monaten mit ihren Familien in andere Regionen oder aus Bosnien flüchten mussten. Malbašić, selbst Jahrgang 1991, führte dafür 2015 Interviews und beleuchtete aus der kulturanthropologischen Perspektive die folgenden Themen: Einfluss des Krieges, Kriegserinnerungen, Leben nach dem Krieg mit anderen Migranten und die Frage nach Identität und Heimat sowie nach in Zukunft geplanter Migration. Dabei konnte sie in allen Interviews feststellen, dass der Krieg zwar ein Teil der Kindheitserinnerung ist, dass aber die Migrationserfahrungen sehr viel prägender waren und auch der Wunsch, zukünftig das Land zu verlassen, recht groß ist. Keiner der Interviewten möchte zurück nach Bosnien und Herzegowina. Zwar ist schwer vorherzusagen, so Malbašić, ob man von einer "Lost Generation" sprechen kann, aber die Befragten zeigten hinsichtlich ihrer Identitätsbildung und ihrem Zugehörigkeitsgefühl eine größere Bereitschaft für Veränderungen als die vorherige und nachfolgende Generation.