Der Ausbau der US-Basen
Im September 1950 kamen die drei Westmächte überein, ihre Besatzungsstreitkräfte in der Bundesrepublik geografisch gemäß der "strategischen Erfordernisse des offen ausgebrochenen Kalten Krieges" neu aufzustellen. Dies führte zur "Überlassung von Militäranlagen in Rheinland-Pfalz für die Stationierung amerikanischer Streitkräfte" durch Frankreich. Die "kleinen Landstädte und Landgemeinden" wie Baumholder oder Ramstein wurden "durch umfangreiche Einrichtungen der Besatzungsmächte und durch die damit verbundene Verpflanzung einer großen Anzahl von Arbeitskräften und Besatzungsangehörigen in diese Ortschaften in eine völlig neue Lebenssphäre hineingerissen", aber "auch größere Städte, wie beispielsweise Kaiserslautern" waren betroffen. Im Kontext des Aufbaus der US-Basen mussten neben den militärischen Einrichtungen auch Wohnungen für die Soldaten und deren Familien errichtet werden. Es entstanden "little Americas". "1951 waren 75 Prozent aller Neubauten in Rheinland-Pfalz Besatzungsbauten. Allein in Baumholder verarbeiteten "bis zu 6000 Arbeiter 1951–1955 wöchentlich (!) mehr als 1 Million DM." Der Gesamtwert der Baumaßnahmen 1951–1953 überschritt insgesamt die Summe von einer Milliarde D-Mark.
1950 lag die Arbeitslosenquote noch bei 20 Prozent. Die Stationierung der Amerikaner und der damit einhergehende Bauboom führte dazu, dass sich dies ins Gegenteil verkehrte, nun auch Arbeitskräfte aus anderen Regionen gebraucht wurden und innerhalb weniger Jahre "20 Prozent der Arbeitsplätze im Kreis Birkenfeld [zu dem Baumholder gehörte] und Kaiserslautern bei der US-Armee" bestanden. Bis 1951 beschäftigten die USA 15.000 und seit Ende der 1950er Jahre 30.000 Rheinland-Pfälzer. In der westdeutschen Wochenzeitung Die Zeit wurde die Westpfalz als "der Goldgräberbezirk der Bundesrepublik, der 'goldene Westen' für alle, die zwei Hände haben, das Geld von der Straße aufzuheben", dargestellt. Das zog Arbeitskräfte aus allen Teilen Deutschlands an, hatte aber auch andere Effekte.
Das "Dirnenunwesen" in der Pfalz in der westdeutschen Presse
Binnen kürzester Zeit etablierten sich in kleinen Städten und Dörfern Möglichkeiten für Wochenend- und Freizeitvergnügen sowie Nachtleben für die meist alleinstehenden, aber sehr gut bezahlten Männer. Denn die Arbeiter und GIs verbrachten ihre Freizeit zumeist in der Region. Dabei war das Wohlstandsgefälle enorm. Während zeitgenössisch ein westdeutscher "Facharbeiter in der Region" ca. 250 D-Mark verdiente, erhielten US-Feldwebel circa 1000 und ein Leutnant circa 1400 D-Mark. Dadurch entstand in der ländlichen Westpfalz "wie aus dem Nichts […] eine regelrechte" Unterhaltungsindustrie. So hatte Kaiserslautern zwar "nur 80.000 Einwohner", aber sein "Nachtleben" reichte, so sekundierte ein wenig neidvoll die Hamburger Zeit, "für fünf Großstädte" – mit den entsprechenden Konsequenzen. Die "nachteiligen Auswirkungen" entstanden aus – selbst-entschuldigender – westdeutscher Sicht vor allem durch die "Bereitschaft eines Teils der Besatzungsangehörigen und ihrer Arbeitskräfte, für ihren persönlichen Lebensgenuss außerordentlich hohe Mittel aufzuwenden und mit diesen Mitteln Bedürfnisse zu befriedigen, die eine schwere Schädigung der Moral der Bevölkerung zur Folge" hatten. So wurde "die Bevölkerung einer kleinen Stadt mit 2000 Einwohnern", aufgrund der Zahlenangaben muss es sich um Baumholder handeln, "etwa um das Zehnfache der Einwohnerzahl durch Besatzungsangehörige und Arbeitskräfte vermehrt", mit Auswüchsen, die aufhorchen ließen: "343 einheimische Frauen" waren nun "bei den Besatzungsmächten beschäftigt" und ließen, weil Kindergärten fehlten, "131 Kinder unter 14 Jahren unbetreut zurück." Gleichzeitig gab es in diesem Ort "30 registrierte Dirnen." "Anfang des Jahres 1952 wurden [dann] aber 300 gezählt, die sich [...] zum größten Teil auf die kleinen Dörfer der Umgebung zurückgezogen" hatten. Doch "viel gefährlicher" war das "Grassieren" der so genannten "heimlichen Prostitution", bei der sich "eine beträchtliche Anzahl fremder Frauen [...] hier wie auch in anderen Orten unter bereitwilliger Zahlung hoher Preise für möblierte Zimmer" niederließ und "vielfach unter den Augen" der Bevölkerung "ihr Unwesen" trieb. Die im Volksmund als "Amizonen", "Veronika dankeschön" oder "Frolleins" bezeichneten Frauen kamen "aus ganz Deutschland und sogar aus weiten Teilen Europas" in die Pfalz. In einem anderen "Dorf mit 750 Einwohnern" war "eine Bar eingerichtet worden, in der bei Razzien mehrfach 14- bis 17-jährige Mädchen festgestellt worden sind." Und in "einer mittleren Stadt betrug die Zahl der unehelich geborenen Kinder" in nur einem Monat 22. Diese Zahlenangaben dienten im Bundestag zur Illustration der Zustände und brachten der Region bis Mitte der 1960er Jahre den Ruf ein, "Sittliches Notstandsgebiet Nr. 1" zu sein.
Insgesamt gab es in Baumholder, das 1939 noch elf Lokale zählte, bis 1959 dann 48 Bars, die den Besitzern der bisher teilweise als Scheune oder Garage genutzten Räume "ungeheuerliche 1500 bis 2000 DM" Miete im Monat einbrachten. Während man im Bundestag bewusst darauf verzichtete, "diese in einzelnen Vorkommnissen weit eindrucksvoller zur Darstellung zu bringenden Zustände" zu thematisieren, tat man genau dies in der westdeutschen Presse und in weiteren Medien. Gemäß der Maxime "Sex sells" fokussierte die Berichterstattung bewusst oft sehr eindrücklich und hingebungsvoll auf anzügliche oder anstößige Details, zu deren Repertoire auch konsequent die rassistisch konnotierte Thematisierung der Kontakte von schwarzen GIs und weißen Frauen gehörte. Dabei wurden vor allem von den Boulevardmedien immer neue und atemberaubendere Zahlen und Skandale präsentiert, die zwar oft nicht verifiziert werden konnten, jedoch anschließend zum Teil sowohl in öffentlichen Debatten, den Unterlagen der städtischen Behörden und mitunter auch von Schriften der Polizei auftauchten und dort problematischer Weise als "Argumente" verwendet wurden. Wie hoch genau die Zahlen tatsächlich waren, lässt sich letztlich nicht ermitteln.
Der Skandal in der Ost-Presse
Obwohl der Skandal im Boulevard der Bundesrepublik großgeschrieben wurde und die DDR-Presse die Informationen nachweislich auch hieraus bezog, benannte sie lediglich an zwei Stellen die Boulevardpresse West als Referenz. Stattdessen gab man im Osten überwiegend seriöse Tageszeitungen als Quellen an. Je weiter diese in ihrer Ausrichtung politisch von der offiziellen DDR-Position entfernt standen, desto besser. Die Debatten des Bundestages, aus denen man beispielsweise die oben genannten Informationen veröffentlichte, wurden als Quelle gar nicht genannt. In 31 Prozent der Berichte in der DDR finden sich Informationen von "Gewährsleuten", die quasi in "O-Tönen" die Situation West darstellten. Diese kamen umso mehr zu Wort, je brisanter die politische Lage eingeschätzt wurde. Außerdem konnten so sprachlich-inhaltlich drastische Aussagen oder Falschmeldungen als Zitat kaschiert publiziert werden, wie zum Beispiel, wenn man einen Arbeiter über die Situation in Baumholder sagen ließ: "Das hier ist die Hölle". An anderer Stelle wird ein Bürgermeister zur Stationierung der US-Truppen mit den Worten: "Das weisch ich genau, du. Die Russ woll ka Krieg. Aber der Ami braucht ihn", vermutlich zur Steigerung der Authentizität in einem Fantasiedialekt "zitiert". Im Osten hatten zwar nur 15 Prozent der Berichte, die das "Dirnenunwesen" thematisierten, dies auch explizit zur Überschrift, doch erfüllte die DDR-Berichterstattung auch mit "Baumholder – die Schande Adenauers" mehrere gewünschte Vorgaben. Zunächst orientierte sie "sich an Leserwünschen". Die Darstellung des "Dirnenunwesens" in den Medien der DDR sollte aber auch eine politische Vorgabe erfüllen und zeigte viele typische wiederkehrende Motive. Es waren vielfach alte und bekannte, aber auch neue Feindbilder sowie Stereotypen. Ziel ihrer Verwendung war, "die vier langfristigen Bewusstseinsinhalte DDR-Bewußtsein, sozialistischer Internationalismus, Weltbild und Feindbild wirksam ausbilden zu helfen".
Prostitution: Voyeurismus, Vorurteile, Kinderschändung und Sexismus
Wie oben beschrieben stieg mit dem Eintreffen einer größeren Anzahl GIs bald auch die Zahl der weiblichen Prostituierten in der Region. Die Ost-Berliner Berliner Zeitung berichtete genüsslich von einer "Invasion von 'Veronikas'". Gemäß einer heteronormativ-machistischen Berichterstattung findet sich in der Berichterstattung der DDR nur ein einziger Hinweis, der auf männliche Prostitution im heterosexuellen Milieu hinweist. Die im Bundestag vorgestellten Zahlen lassen jedoch den Schluss zu, dass sich auch männliche Jugendliche prostituiert haben. Analog zur machistischen Sicht auf Sexualität wurden in der DDR fast immer Frauen, die als Personen mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern, sogenannten HwG-Personen, geschlechtskrank wurden, angeklagt, aber fast nie Männer. Diese Ungleichbehandlung führte sogar zu Protesten der behandelnden Ärzte. Sehr viel intensiver berichtete man – ganz traditionell und aufgrund des zahlenmäßigen deutsch-amerikanischen Geschlechterverhältnisses – über die Prostitution von Frauen. So las man also auch in der DDR über Baumholder, dass es dort neben "300 registrierte[n] Dirnen" noch jene gab, die sich im Wald "Zelte aufschlagen und sich dort mit Kanonenofen und Gummiluftmatratze installieren". Im wahlweise wegen der Währung oder der Hautfarbe der GIs "Dollarwäldchen" beziehungsweise "Schwarzwald" spielten sich in Baumholder, wie man sagte, "allnächtlich die ekelhaftesten Exzesse ab". Allein die "Registrierten" sollten nach Aussage des Neuen Deutschland zwölf Prozent der Bevölkerung darstellen. In Kaiserslautern gab es 1954, folgte man der Ost-Presse, "fünf- bis sechstausend" Prostituierte, "je nachdem, ob es Anfang oder Ende des Monats" war. Wie postuliert wurde, verdienten die Prostituierten zwar viel Geld, doch sei auch die Zahl der Geschlechtskrankheiten "steil" angestiegen. „Nach einer amtlichen Statistik gibt es im Gebiet von Kaiserslautern heute zwölfmal so viele syphilitische Frauen und Mädchen als 1950“, behauptete 1952 die Berliner Zeitung.
Noch 1964 berichtete die Berliner Zeitung, dass sich in den Besatzungsstädten "Nachtbar an Nachtbar" reihte und selbst "aus Scheunen, Ställen und Kellerräumen" Bars wurden. Von deren "Serviererinnen" landeten vorgeblich "über 90 Prozent [...] wegen Unzucht in einer Gefängniszelle". Damit aber nicht genug. Um das angestrebte Ziel der Abbildung der westlichen Dekadenz zu unterstreichen, wurde die Darstellung der Prostitution um zwei weitere Bereiche ergänzt und damit verschärft. Einer war die Kinderprostitution. Das Neue Deutschland berichtete 1950 darüber, dass "um die Truppenübungsplätze [...] ganze Heerscharen oft minderjähriger Mädchen ihre Lager" aufschlugen. Für Kaiserslautern wurde die Kinderprostitution zwölf- und 13-jähriger Mädchen 1954 in der Berliner Zeitung als "Alltag" geschildert. Hier seien, laut Information des Neuen Deutschland, bei einer einzigen Razzia "22 Buben und Mädchen unter vierzehn Jahren" festgenommen worden.
In diesem Zusammenhang wurde weiter behauptet, dass "46 Amerikaner wegen sexueller Vergehen an deutschen Jungen bestraft" worden seien. Damit wurde der Anteil homosexuell-pädophiler Soldaten übersteigert und gleichzeitig die Zahl der betroffenen Jungen verschwiegen. Hatten sich mehrere Soldaten an einem Jungen vergangen? Waren Vergehen an Mädchen weniger schlimm? In Bad Kreuznach sei ein "amerikanischer Soldat mit drei zwölfjährigen Jungen auf einem [...] Grundstück" verschwunden und habe dort, so berichtete das Neue Deutschland, "mit ihnen unsittliche Handlungen begangen". Homosexualität zwischen Männern war laut Paragraf 175 in der Bundesrepublik und der DDR strafbar. Die Berichte verknüpfen – zeittypisch– Pädophilie und Homosexualität und rekurrierten auf homophobe Stereotypen. Bereits vor der NS-Zeit gehörte zur Kennzeichnung von Schwulen die von ihnen angeblich ausgehende "Gefahr der 'Verführung' Jugendlicher", die "die Möglichkeit zur 'seuchenartigen' Ausbreitung" in sich barg sowie "die Gefährdung der 'öffentlichen Sittlichkeit'".
Kuppelei: Bereicherung der Bevölkerung
Ein weiteres in den DDR-Medien vorkommendes Bild, war das der Kuppelei und damit des Profits der lokalen Bevölkerung aus dem sittenwidrigen Handeln. Den Prostituierten wurden, so die Berliner Zeitung, einzelne Zimmer, teilweise ganze Wohnungen oder gar die selbst bewohnten Räume vermietet. In welcher Dimension sich die Bevölkerung bereicherte, zeigte laut Berliner Zeitung eine Razzia in Kaiserslautern, bei der "15 Häuser durchsucht" und dabei "12 Fälle von Kuppelei" aufgedeckt worden seien. Hier hätten zuvor monatlich 150 bis 200 DM "für ein möbliertes Zimmer" bezahlt werden müssen. Die Medien bemühten sich, die angebliche Gier der Bevölkerung und die verderbliche Macht des Geldes zu zeigen. Dass das durchschnittliche Einkommen von "Werktätigen" in der DDR 1953 bei 378 Mark lag, der offizielle Kurs der Ost- zur Westmark etwa bei 1:4 stand, man aber teilweise bis 1:12 tauschen konnte, musste die negative Wahrnehmung der Pfälzer in den Augen der ostdeutschen Bevölkerung bedeutsam verstärken.
US-Kolonialismus
Neben den Übertreibungen der Prostitution unter amerikanischer Besatzung wurden in den Medien der DDR auch die Folgen der Präsenz amerikanischer Truppen in der Bundesrepublik überzogen dargestellt. Die Präsenz der Amerikaner wurde als "ein System kolonialer Unterdrückung" charakterisiert. Die Landenteignungen im Kontext des Baus der US-Basen dienten hier als "Beweis". Daneben wurde die US-Wohnsiedlung Vogelweh in Kaiserslautern, als größte ihrer Art, herangezogen, um den US-Kolonialismus zu illustrieren: Sie bestand, wie man behauptete, aus "Flugplätzen, Kasernen [...], Depots, Arsenalen, Truppen-Übungsplätzen, Bordellen, einem Krankenhaus für Geschlechtskranke, einem Lazarett für Irre, einer Coca-Cola Fabrik und anderen Segnungen der amerikanischen Zivilisation", deren "Pesthauch" sich auf die angrenzenden Stadtteile Kaiserslauterns übertrug. Dass die Amerikaner am Ende einer neuen Eisenbahnstrecke drei goldene Nägel in die letzte Schwelle eingeschlagen hatten, galt als Parallele zur Eroberung des amerikanischen Kontinents mit dem Bau der interkontinentalen Eisenbahnlinien und damit als Beweis ihrer Kolonialisierung. Diese führte beim Bau der "zweite[n] Amerikastadt in der Pfalz" zu "Stacheldraht um deutsche Dörfer". Den Vertrag, "durch den Adenauer das deutsche Land zur Kolonie degradieren möchte", weil er den USA für 99 Jahre in Baumholder Land verpachtete, verglich man mit dem Vertrag, den das Deutsche Kaiserreich 1898 mit China geschlossen hatte. Doch werde Adenauers Vertrag "in noch kürzerer Zeit auf dem Müllhaufen der Geschichte landen". Die Vermischung von Beispielen aus Geschichte und Gegenwart war "eine gängige Methode zum Untermauern der Argumentation". Aussagen wie die, dass in Kaiserslautern "Richtungsschilder in englischer Sprache […] den Weg" wiesen oder "Wir sind in einer deutschen Stadt", zeigten in der Berliner Zeitung eine eigene nationalistische Einstellung, ebenso beschrieben sie den vermeintlichen US-Kolonialismus.
Ausbeutung durch die Amerikaner
In der Logik der "Kolonisierung" musste zwangsläufig eine Ausbeutung folgen. Das Wohlstandsgefälle zwischen Amerikanern und Deutschen war groß. 1951 betrug der Wechselkurs von US-Dollar zu D-Mark 1 zu 4,20. Dieses reale Sozialgefälle diente den DDR-Medien zur Produktion von Neidbildern. Während 1952/53 in Rheinland-Pfalz angeblich 522 Millionen D-Mark aus westdeutschen Steuergeldern für "Bauten der amerikanischen Armee" ausgegeben und für die Amerikaner "1680" Wohnungen allein "in 'Whisky Town' bei Kaiserslautern" errichtet wurden, finanzierte man, wie das Neue Deutschland behauptete, im gesamten Kreis Kaiserslautern "für die mehr als 2000 Wohnungssuchenden [...] nur 200 Wohnungen". Trotz dieser "riesigen Besatzungsbauten" seien "noch 25.000 Wohnhäuser" durch die Amerikaner "beschlagnahmt". Während die Deutschen teilweise noch in Ruinen wohnten, würden für die Amerikaner Häuser gebaut, die auch "nach Ansicht" der West-Deutschen "um einiges zu luxuriös ausgefallen" waren. Am Bau der Ost-West-Straßenachse in Kaiserslautern, die für die Transporte der Amerikaner durch die Stadt vergrößert wurde, wurde die Verwendung der Besatzungskosten beispielhaft illustriert:
"Wissen Sie, wieviel 5.600.000 WM [Westmark] wert sind? Rechnen Sie es in […] Ihren Lohn oder Ihr Gehalt um! Über 1.500 Jahre könnte eine Familie, der monatlich 300 DM [Mark der DDR] zur Verfügung stehen, von einem solchen Betrag leben. Diese 5,6 Mill. WM werden deutschen Familien nie mehr für Brot und Kleidung, für Wäsche und Milch zur Verfügung stehen".
Dass das Geld durchaus auch wieder der deutschen Bevölkerung zugutekam und sich dadurch das Leben vieler Menschen im Westen – anders als zeitgenössisch in der DDR – wirtschaftlich deutlich verbesserte, wurde nicht berichtet. Stattdessen zitierte das Neue Deutschland pointiert einen Arbeiter des Pfaff-Nähmaschinenwerks, der die gewünschte Sicht auf die Dinge aussprach: "So wie die Besatzer leben, kann man nur leben, wenn man ein Volk unterdrückt und für sich arbeiten läßt." Die Kennzeichnung "des Kapitalisten" in Gestalt "des Amerikaners", der "über die nötigen Mittel verfügte, um […] sich an den eigenen ausgenutzten Verbündeten" zu bereichern, gehörte ebenfalls zu den typischen DDR-Propagandabildern.
Alte Ismen in alter Verwendung: Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus
Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus durchzogen die Darstellungen der Situation in der Pfalz in den DDR-Medien in nahezu allen Bereichen. Nicht nur das, bei der Darstellung von Kriminalität zeigte sich im Neuen Deutschland offener Rassismus, wenn zwischen "weißen" und "farbigen" Soldaten unterschieden wurde. In den Berichten von Überfällen und Vergewaltigungen wurden im Neuen Deutschland und der Berliner Zeitung ganz unverbrämt die "US-Neger" als Täter vorgestellt, bei denen "männlicher Schutz" deutscher Männer für ihre Frauen versagte. Solche rassistischen Bilder, die afroamerikanische GIs "als brutale und Syphilis-verseuchte Vergewaltiger", die die "Entwürdigung der deutschen Frau im Sinne hätten", darstellten, waren ein Überbleibsel aus der NS-Zeit.
Wenn es Nacht wurde, hörte man, laut Auskunft der Berliner Zeitung, in Kaiserslautern "die fremden, kehligen amerikanischen Laute". Betrat man die Bars, so schallte einem dort "widerliche Jazzmusik" entgegen. In einer Bar fanden DDR-Journalisten beispielsweise "zwei schöne großgewachsene Burschen mit einer Haut, die glänzt, als seien sie gerade vorher beim Schuhputzer [...] gewesen [...] mit schlanken Hüften und leichten federnden Schritten, die an Urwald gemahnen".
Diese Berichte sind auch deshalb bemerkenswert, weil sie "Rasse" ausführlich thematisieren, obwohl der Anteil farbiger Soldaten nur bei circa zwölf Prozent lag. Die Bars würden "von Fremden" betrieben, angeblich steckte "der Kaiserslauterner Wertheim" dahinter. Die DDR verwendete oft antisemitische Bilder, um "den Kapitalisten" darzustellen. Diese gab es bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts, um dann im Nationalsozialismus ihren direkten Vorläufer zu haben. Diese Darstellung in der DDR-Presse ist insofern bemerkenswert, als sie eine in Kaiserslautern erst zwei Jahre später zur vollen Entfaltung kommende antisemitische Diskussion in der Öffentlichkeit und in der Presse abbildet. Im Gefolge der US-Armee kamen mit den Displaced Persons auch osteuropäische Juden in die Pfalz. Einige betrieben auch Bars für die Amerikaner. In der Steinstraße in Kaiserslautern wurden 15 der 22 Etablissements von Juden geführt. Die darüber berichtende westdeutsche Presse achtete darauf, keine explizit antisemitische Terminologie zu benutzen. Sie schloss dennoch an alte antisemitische Stereotype in der Darstellung der Betreiber an, die von den Lesern leicht dechiffriert werden konnten. Was die westdeutsche Presse im Kontext des Barbetriebs in Kaiserslautern jedoch nicht thematisierte, war, dass eine Mehrheit der Bars ansässigen Geschäftsleuten gehörte, die von dem überhöhten Mietzins profitierten, den die jüdischen Barbetreiber ihnen zu zahlen hatten. Der Artikel im Neuen Deutschland ist ein Hinweis darauf, dass es dieses Thema bereits Jahre vor der sogenannten Steinstraßen-Affäre der Kaiserslauterer Stadtöffentlichkeit gegeben hatte, aber möglicherweise das Besatzungsstatut eine Debatte darüber erst später zuließ.
Schlussbetrachtung
Die Berichterstattung im Osten über das "Dirnenunwesen" verlief zeitlich anlog zum Westen. Man übernahm beispielsweise auch den Titel "Die goldene Pest", aus dem westdeutschen Kino, aber dennoch finden sich bedeutsame Unterschiede. Im Westen war die Prostitution der Aufmacher und das zentrale Thema. Im Osten wurde sie zwar regelmäßig als Begleiterscheinung der Präsenz der US-Armee beschrieben, der eigentliche Skandal waren jedoch die Amerikaner selbst und die von ihnen angeblich ausgehenden Gefahren. Zwar übernahmen die DDR-Medien inhaltlich viele Teile und Informationen des Dirnenskandals im Westen, doch co-inszenierte man diese in der Propaganda-Erzählung über den Westen. Dabei wurden altbekannte Propagandabilder über "die Amerikaner und ihre angebliche 'Kultur'", "die GIs", "die Neger", "die Homosexuellen", "die Juden" sowie heteronormativ-machistische und nationalistische Stereotype tradiert. Neue Feindbilder wie die des "Militarismus", "Kapitalismus" und "Kolonialismus" schlossen sich an. Die Zuschreibungen, die man hierzu in den Texten findet, entsprechen überwiegend jenen, die auch aus der historischen Feindbildforschung bekannt sind. Die in der Bevölkerung vorhandenen Meinungen über den "goldenen Westen" wurden um die von der SED gewünschten Propaganda-Bilder des dekadenten Westens erweitert. Gleichzeitig wurden – unausgesprochene – Themen in der DDR mit angesprochen, indem sie auf die Situation in der Bundesrepublik übertragen wurden, um "innere Spannungen" zu kaschieren beziehungsweise den Zusammenhalt zu fördern. Dieses Vorgehen war geschickt, denn einmal verankerte Leitbilder werden "selbst dann nicht völlig aufgegeben, wenn die politischen Verhältnisse sich plötzlich ändern." Gleichzeitig tragen sie "zum inneren Zusammenhalt und zur Gefolgschaft bei." Solchermaßen entwarf die Berichterstattung über die Pfalz ein Gegenbild zum sozialistischen Leben in der DDR. Die "Nutzung öffentlicher Empörung" über das "Dirnenunwesen" und die Anwesenheit der Amerikaner diente der SED propagandistisch zum Machterhalt. Solche medial gestalteten Skandale "spielten [...] in der Phase der kommunistischen Machtetablierung und […] Umgestaltung der ostdeutschen Gesellschaft eine tragende Rolle".
Wenn die Historikerin Maria Höhn für den Prostitutionsskandal gezeigt hat, dass und wie dieser im Westen zum Abbau von Feindbildern und zur Amerikanisierung, Westernisierung und Modernisierung beitrug, so hatten die DDR-Berichte für die ostdeutsche Bevölkerung den gegenteiligen Effekt. Hier wurden vorhandene Feindbilder tradiert und um neue ergänzt mit dem Ziel, eine Abgrenzung vom Westen und eine Integration in den Osten zu erreichen.
Zitierweise: Christian Könne, "Flugplatz, Mord und Prostitution". Wie die DDR-Medien die Amerikaner in der Pfalz inszenierten, in: Deutschland Archiv, 12.7.2016, Link: www.bpb.de/230594