Zu seinen frühen politischen Erinnerungen zählte der langjährige Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher, die Gründung des antifaschistischen Jugendausschusses in Halle an der Saale, dem Vorläufer der Jugendorganisation in der DDR namens Freie Deutsche Jugend (FDJ). Es handelte sich seinerzeit um eine Runde, in der auch die gleichaltrige Margot Feist saß. Man kannte sich. Sie war in Halle am 17. April 1927 geboren, er drei Wochen früher im nahen, später eingemeindeten Reideburg. Sie besuchte die Volksschule, er das Städtische Reformrealgymnasium in Halle. Ihre Eltern waren einfache Leute, Vater kommunistisch orientierter Schuhmacher, seine Eltern gehörten dagegen dem nationalkonservativen Bürgertum an, Vater war Syndikus des Landeswirtschaftsverbandes. Beide erhielten die zeitbedingte Braunfärbung. Sie gehörte während ihrer Ausbildung dem Bund Deutscher Mädels, er der Hitlerjugend, dann der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands an. Nun trafen sich die beiden 18-Jährigen in einer Landschaft der Rotfärbung beim antifaschistischen Jugendausschuss wieder. Sie nun bei der Kommunistischen Partei Deutschlands, er alsbald bei der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands. Margot war Angestellte, Hans-Dietrich arbeitete als Bauarbeiter, bis er das Abitur nachholte.
Ihre frühe Bekanntschaft ging ihnen wohl nur selten über die Lippen. Zumal sie Karriere im "Arbeiter- und Bauernstaat" im Osten machte, er in der parlamentarischen Demokratie im Westen. Zwischen beiden lag die Grenze schlechthin, namentlich die zwischen dem sowjetischen und dem amerikanischen Imperium, die nur er überwinden konnte, wenn er gelegentlich in seiner Heimatstadt auftauchte, während sie es bei der Hallenser Mundart bewenden ließ. Im Volksmund war von ihr, der First Lady der DDR als "lila Hexe" die Rede, bei ihm satirisch von "Genschman". Er machte Karriere bei der Freien Demokratischen Partei (FDP), sie in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).
I
Zunächst war es für beide jeweils eine Ochsentour. 19-jährig geschult in der FDJ, dann 1946 schon Mitglied des Sekretariats des FDJ-Kreisvorstandes in Halle. Zwei Jahre später leitete Margot die Abteilung Kultur und Erziehung im Landesvorstand Sachsen-Anhalt der FDJ, wo sie auch Sekretärin für Kultur und Erziehung war. Im gleichen Jahr brachte sie es zur Sekretärin des Zentralrates der FDJ und Vorsitzenden der Pionierorganisation Ernst Thälmann. Und dann kam der 70. Geburtstag des "Generalissimus", dem Herrscher des Sowjetimperiums, Josef W. Stalin. Sie reiste in ihrer Funktion nach Moskau – ebenso wie der Vorsitzende der FDJ, Erich Honecker. Mit ihm, dem 15 Jahre älteren und verheirateten Mann, ging die 22-Jährige eine zunächst geheim gehaltene Affäre ein. Im Dezember 1952 kam als uneheliches Kind die gemeinsame Tochter Sonja zur Welt. Der Vorgang entsprach in den Tagen des stalinschen Dogmas so gar nicht der proletarisch-ethischen Etikette. Honeckers zweite Ehefrau, Edith Baumann, vormals seine Stellvertreterin als FDJ-Vorsitzender, drückte darüber ihr Unbehagen gegenüber der Parteispitze aus. Es blieb dem 1. Sekretär der SED, Walter Ulbricht, nichts Anderes übrig, als dem Ehebrecher die Scheidung nahe zu legen, die dann erfolgte. Offenbar war Sonjas Vater nicht selbst darauf gekommen. 1953 ging der 40-jährige Erich Honecker seine dritte Ehe ein; aus der 26-jährigen Margot Feist wurde Margot Honecker. Die Phase des Honeymoons von Margot fiel in die Hochzeit des Stalinismus, ihrer eigentlichen politischen Gerbung während der SED-Diktatur, die Riefen in ihrer Denkstruktur von solch einer Tiefe hinterließen, die noch an ihrem Lebensabend zuverlässig erkennbar waren.
II
Es folgte der beinahe schier unaufhaltsame Aufstieg von Margot und Erich Honecker. Aber ebenso beinahe wäre der schiefgegangen. Die Karriere ihres Mannes geriet im Vorfeld des 17. Juni 1953 in schwere Turbulenzen, als der während eines Führungskonfliktes in der SED-Spitze zunächst auf das falsche Pferd gesetzt zu haben schien – auf Walter Ulbricht. Doch diesen rettete der Arbeiteraufstand und auf wundersame Weise vermochte sich Erich Honecker im Politbüro als der Getreue schlechthin zu profilieren. Nur fehlte es noch beiden am entscheidenden ideologischen Ritterschlag, der üblicherweise nur an der Parteihochschule in Moskau zu erhalten war. Margot erarbeitete ihn sich 1953/54, Erich 1955/56 – die Ehe hatte folglich zeitweise wenig räumliche Nähe. Während sie anschließend im Ministerium für Volksbildung Abteilungsleiterin wurde, Erich eben Kandidat des Politbüros war, hatte es Hans-Dietrich Genscher 1954 gerade erst einmal zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der Jungdemokraten in Bremen gebracht.
Der eigentliche berufliche Schub setzte für Margot dann ein, als ihr Mann auch die ideologische Feuertaufe erfolgreich absolviert hatte. Die bestand darin, abermals erfundene Parteifeinde wie Karl Schirdewan oder Ernst Wollweber gebrandmarkt zu haben. Belohnt für die Nibelungentreue zu Walter Ulbricht stieg er nun als Mitglied des Politbüros zum zweitwichtigsten Mann der SED auf. In seinen Händen konzentrierte sich die Sicherheitskommission und – "Kader entscheiden alles" – die Kaderabteilung. Im Handgepäck dieser Karriere brachte es Margot im gleichen Jahr zur Stellvertreterin des Ministers für Volksbildung. Die Beziehung der Honeckers rechnete sich; sie hatten der Partei alles zu verdanken.
Hans-Dietrich Genscher hatte aufgeholt, war ab 1959 Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Als er dann Bundesgeschäftsführer der FDP wurde, hieß Margot Honecker bereits Ministerin für Volksbildung, eine Funktion, die sie über ein Vierteljahrhundert innehaben sollte und in der sie den Unterricht von über 300.000 Lehrern bestimmte. Doch auch Genscher wurde dann zunächst Innenminister und von 1974 bis 1992 18 Jahre lang Außenminister der Bundesrepublik Deutschland – mithin, wenn auch ein Jahrzehnt später und über eine kürzere Zeit Minister als Margot, dafür aber mit parlamentarischer Legitimation.
III
Was dem Außenminister Genscher der gelbe Pullover, waren der Volksbildungsministerin die lila schimmernden Haare, eine Art früher Frauenpunk – womit sie, wenn auch nur in diesem Punkt, ihrer Zeit voraus war. Ansonsten kristallisierte sich nun in der Bildungspolitik der ideologische Kanon aus, den sie implementiert bekommen hat. Wie anders lag da der Fall noch bei Else Zaisser, eine ihrer Vorgängerinnen als Volksbildungsministerin, die durch die innovative Schulbewegung nach dem Ersten Weltkrieg geprägt war. Der ohnehin enge politische Spielraum, den die Sowjetunion dem kleinen Bruder an der Elbe gönnte, erhielt durch sie ein besonders orthodoxes Gepräge. Es gelang wohl nur Margot Honecker, die an sich stets steuernde Abteilung (in diesem Fall für Volksbildung) des Zentralkomitees der SED gelassen zu ignorieren, begünstigt sicherlich dadurch, dass ihr Mann es durch eine sowjetischerseits geduldete Intrige gelang, im Mai 1971 zum ersten Mann im Staate DDR zu werden.
Mit ihrem Namen ist im Rückblick der geschlossene Jugendwerkhof in Torgau verbunden, der einer Strafvollzugsanstalt ähnelte, in der Jugendliche diszipliniert wurden. Gleichfalls mit ihrer Person verknüpft ist der Wehrunterricht für Schüler, wozu auch Waffenausbildung gehörte. Mithin war die First Lady nicht allein die Frau "an seiner Seite", sondern selbst an entscheidender Position für die Formung des Menschenbildes in der DDR. Ihr Ehemann selbst hielt zwar als Generalsekretär der SED und als Staatsratsvorsitzender alle Zügel in der Hand, nur war deren Länge vom Wohlgefallen aus der Sowjetunion bestimmt. Außenpolitisch definierte diese die Koordinaten, auch das Wirklichkeitwerden seiner Ambitionen, im westlichen Ausland seine Aufwartung zu machen, war genehmigungspflichtig. Im Inneren führte die Wirtschafts- und Sozialpolitik zunächst zum Schein des Wohlergehens, tatsächlich aber dann zu einem Desaster, das nur mit Finanzspritzen aus dem Westen aufzuhalten war. Die geringen ideologischen Lockerungsübungen – etwa durch das Lutherjahr 1983 – waren so übersichtlich, dass sie kaum bemerkt wurden.
IV
Ausgerechnet in der Sowjetunion tauchte mit Michail Gorbatschow ein Präsident auf, der das Imperium umbauen und modernisieren wollte. Sogar Momente von Pressefreiheit gab es. Auf diesen Kurs – Perestroika und Glasnost genannt – lenkte die Parteispitze unter dem Ehepaar Honecker nicht ein. Die Gesellschaft folgte den Honeckers nicht. Als am 7. Oktober 1989 auf der Tribüne Gorbatschow neben dem sichtlich gealterten Gatten von Margot stand, galt der Jubel der bestellten Demonstranten dem Sowjetführer, nicht dem ostdeutschen Generalsekretär. Der verzögerte Sturz Erich Honeckers während der Herbstrevolution, der Rücktritt der Regierung und des Zentralkomitees der SED bedeutete dann das politische Aus – für beide. Am 3. Dezember 1989 wurde ihr Mann aus der Partei ausgeschlossen, sie trat am 4. Februar 1990 aus. Nach seiner kurzzeitigen Verhaftung im Januar 1990 lebte das Ehepaar für zweieinhalb Monate in einem Pfarrhaus. Die Stimmung gegen die beiden war nicht gut. Im April fanden sie sich in der Obhut des sowjetischen Militärs, als der Staat, den sie zu gestalten suchten, der Bundesrepublik beigetreten war. Während die Honeckers in der Botschaft Chiles in Moskau für ein Dreivierteljahr Zuflucht fanden, er dann in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit saß, reiste sie 1992 nach Chile, wohin ihr Mann im Januar 1993 folgte. Eben in jenes Land, für dessen Bürger die DDR lange Zeit eine Heimstatt war.
V
Margots Mann starb im Mai 1994. Sie überlebte ihn über zwei Jahrzehnte, wie es scheint, ohne einen Abstrich an ihrem Weltbild vorzunehmen. Ein Beispiel: Das Menetekel des Sozialismus in den Farben der DDR schlechthin, die Mauer – vulgärideologisch der "antifaschistische Schutzwall" –, versuchte manch einer zu überwinden und zahlte dafür mit dem Leben. Margot Honecker: "Die brauchten ja nicht über die Mauer zu klettern, um diese Dummheit mit dem Leben zu bezahlen". Die Mauer wurde dennoch überwunden, noch ehe sie fiel.
Dazu trug Hans-Dietrich Genscher bei, als er am 30. September 1989 in der Prager Botschaft auf dem Balkon stand und verkündete, nahezu unhörbar unter dem lauten Beifall der 4000 wartenden DDR-Bürger, dass ihre Ausreise in den Westen genehmigt sei. Da hatte die Demokratie, die Genscher repräsentierte, die SED-Diktatur überholt. Hans-Dietrich starb vor ihr, am 31. März 2016 im vereinten Deutschland, sie fünf Wochen später am 6. Mai in einem Vorort von Santiago de Chile. Sie überlebte ihn zwar, dafür ist untergegangen, wofür sie einst stand: Die SED-Diktatur namens Deutsche Demokratische Republik.
Zitierweise: Helmut Müller-Enbergs, Margot Honecker – Die Frau an seiner Seite, in: Deutschland Archiv, 24.5.2016, Link: www.bpb.de/228204