Nur ein Provisorium? – Bonner Hauptstadtarchitektur seit 1949
Julia Reuschenbach
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In der Rückschau auf die Architektur der "Bonner Republik" erweist sich gerade das Vorläufige, das immer wieder Kompromisshafte, letztlich als Stärke Bonns. Ob auch die Idee einer demokratischen Bauweise verfolgt wurde, untersucht Julia Reuschenbach in diesem Beitrag.
"Nichts ist endgültiger als ein Provisorium" – diese viel zitierte Feststellung lässt sich in fast allen Werken zur Geschichte Bonns als Bundeshauptstadt von 1949 bis 1999 wiederfinden. Der politischen Situation nach Gründung von Bundesrepublik und DDR geschuldet, diente Bonn als Platzhalter für die "eigentliche" Hauptstadt Berlin. Diese Funktion Bonns hatte nicht nur Auswirkungen auf das politische Alltagsgeschehen, sondern vor allem auf die Selbstdarstellung des Staates und seiner Hauptstadt. Ein Blick auf Bauprojekte der "Bonner Republik" eröffnet zahlreiche Facetten der Bedeutung von Architektur für einen Staat und seine Darstellung nach außen. Anhand ausgewählter Beispiele thematisiert der Beitrag das Zusammenspiel von Politik und Architektur und geht der Frage nach, ob die in Bonn errichteten Gebäude einer Art demokratischen Bauens zugehörig sind.
Die Wahl fällt auf Bonn
Hermann Wandersleb, Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, brachte Bonn am 5. Juli 1948 als Sitz des vorbereitenden Verfassungskonvents, des Parlamentarischen Rates, ins Gespräch. Bonn war, im Verhältnis zu anderen nahegelegenen Städten, recht wenig zerstört, bot mit der 1930 bis 1933 erbauten und direkt am Rhein gelegenen Pädagogischen Akademie sowie dem Museum Alexander König gute Unterbringungsmöglichkeiten und wurde als Sitz des Gremiums ausgewählt. In dessen anschließenden Debatten zur Frage nach der zukünftigen Hauptstadt bestand Einigkeit darüber, dass die "alte Hauptstadt" Berlin, bedingt durch die Teilung in vier Sektoren und aufgrund der inselartigen Lage inmitten der sowjetischen Besatzungszone, ausschied. Im Herbst 1948 bewarben sich neben Bonn und Frankfurt am Main auch Kassel und Stuttgart um die künftige Unterbringung der Bundesorgane. Die von Bonn vorgelegte Bewerbung fußte vor allem auf der Begründung, dass alle in Bonn befindlichen intakten Gebäude überwiegend in Reichshand seien und somit eine teure Anmietung, wie beispielsweise in Frankfurt, wegfalle. Daneben unterstützte die Landesregierung unter Wandersleb die Bewerbung Bonns mit 20,5 Millionen D-Mark und der Bereitstellung der Pädagogischen Akademie als Bundeshaus. Zudem schien Bonn als Übergangslösung besonders gut geeignet. Frankfurt hingegen, die prunkvolle einstige Krönungsstadt deutscher Kaiser und Standort der prächtigen Paulskirche, war symbolisch viel bedeutungsvoller. So ließ der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, verlauten: "Wenn Frankfurt Hauptstadt wird, wird es Berlin nie wieder." Bei der Abstimmung im Parlamentarischen Rat konnte sich Bonn mit 33 zu 29 Stimmen gegen Frankfurt durchsetzen. So war gerade "Vorläufigkeit" das Zauberwort der Bonner Bewerbung.
"Einer staatlichen Repräsentation sehr abgeneigt"
Die Unterbringung der Behörden und ihrer Bediensteten wurde weit über Bonn hinaus bis Meckenheim, Siegburg und in das Siebengebirge geplant. Der erste Vorschlag für den Ausbau Bonns sah 1949 Kosten in Höhe von 3,8 Millionen D-Mark vor. Nur ein Jahr darauf sollte sich dies bereits als Fehlkalkulation herausstellen. Schon im Sommer 1950 hatten allein 7000 Bundesbedienstete ihren Dienstsitz in und um Bonn. Die benötigten Bauten haben das Stadtbild Bonns von Beginn an nachhaltig verändert.
Mit dem Postministerium realisierte man kurz darauf das erste offizielle Neubauvorhaben. Das Gebäude an der Adenauerallee, das heute den Bundesrechnungshof beherbergt, zählt zu den wenigen frühen Neubauten Bonns und weist den typisch vorläufigen Charakter auf. Alle Bundesbauten, egal ob Erweiterungs-, Neu oder Umbau sollten nach Möglichkeit mit der Orientierung an einer späteren alternativen Zweckmäßigkeit errichtet beziehungsweise betrieben werden. Für das Postministerium hatte man daher vorgesehen, das schlichte aber durchaus repräsentative Gebäude im Falle einer Wiedervereinigung zu Sozialwohnungen umzuwandeln. Ende der 1960er Jahre wurde das Gebäude noch als monumentaler Baublock wahrgenommen. Mit der zunehmenden Bebauung im Umfeld fügt sich das Gebäude heute jedoch nahtlos ein und ist vom stelenartigen Eingangsportal bis hin zur Innenhofanlage ein stadtweit einzigartiges Zeitzeugnis des typischen Stils der 1950er Jahre.
Mit dem neungeschossigen Neubau des Auswärtigen Amtes entstand zwischen 1953 und 1955 gleich nebenan der damals größte Verwaltungskomplex der Bundesrepublik. Problematisch gestaltete sich zudem die Suche nach neuen Häusern für die zahlreichen Auslandsvertretungen. Hierbei spielte deren Architektur eine maßgebliche Rolle, wie das Auswärtige Amt noch 1966 in einer hauseigenen Broschüre notierte: "In Deutschland bevorzugt man den modernen einfachen Stil und ist einer staatlichen Repräsentation sehr abgeneigt. […] Im Ausland herrschen oft völlig andere Auffassungen; was wir schlicht nennen, wird dort als ärmlich empfunden. Und Ärmlichkeit nimmt man dem Wirtschaftswunderland Deutschland übel, weil man sie als Missachtung falsch deutet. Es ist sehr schwer, sich den örtlichen Verhältnissen anzupassen."
Schon bald erwies sich als Vorteil, dass Bonn als traditionelle Garnisonsstadt einige Kasernen beherbergte. Zahlreiche der – teilweise in der Zeit des Nationalsozialismus entstandenen – Kasernen wurden Sitz eines Ministeriums. So kamen sowohl das Finanz-, Innen- und Verteidigungsministerium als auch die Bundesministerien für Landwirtschaft sowie Arbeit und Sozialordnung in Kasernen unter. Die Nutzung der vorhandenen Kasernen entsprach der vorläufigen, provisorischen Rolle Bonns. Bereits Mitte der 1950er Jahre konzentrierten sich so die Bundesbauten städtebaulich an drei Stellen im Stadtgebiet. Während die ausländischen Botschaften und Diplomaten vorwiegend im Bonner Süden und in Bad Godesberg ansässig wurden, konzentrierten sich die Ministerialbauten im Bonner Norden. Der dritte und wichtigste Komplex lag rund um die ehemalige Pädagogische Akademie, unmittelbar am Rhein in der Bonner Gronau.
Das zu den sogenannten "weißen Villen am Rhein" zählende prunkvolle Gebäude des Palais Schaumburg, rein äußerlich dem 19. Jahrhundert verschrieben, wurde ab November 1949 von Konrad Adenauer als Bundeskanzleramt genutzt. Zuvor unterhielt Adenauer ein vorläufiges Büro in den Räumen des naturkundlichen Museums Alexander König. Das Palais liegt bis heute eingebettet in eine beeindruckende Parkanlage und wurde 1948/49 im Inneren vom Architekten Hans Schwippert grundlegend umgestaltet. Seitenweise Auseinandersetzungen zwischen Adenauer und Schwippert, bisweilen um einzelne Möbelstücke, zeugen von erheblichen Meinungsverschiedenheiten. Etliches Mobiliar, Bilder und Tafelsilber wurden letztlich kurzfristig beim Schwager Adenauers, dem Oberstadtdirektor von Köln, geliehen. Schon 1955 wurden nebenan mehrere Verwaltungsgebäude errichtet, da das Palais nicht genügend Büroräume bot. So war auch das Palais, ebenso wie das Museum König, in Einrichtung und Größe ein Provisorium.
Obwohl das Palais architektonisch repräsentativ und als Herberge des Kanzleramts durchaus als Zeichen der neu gewonnenen Selbstsicherheit der jungen Bundesrepublik gesehen werden konnte, erfüllte es für Adenauer, mit Blick auf die Repräsentation im alltäglichen Verkehr mit den Vertretern der Besatzungsmächte, gerade die notwendigen Minimalanforderungen, um langfristig auf die Souveränität der Bundesrepublik hinzuarbeiten.
Das 1963/1964 auf Ludwig Erhards Wunsch errichtete und von Sep Ruf geplante "Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers", gemeinhin unter dem Begriff Kanzlerbungalow geplant, ist ein architektonischer Gegensatz zum benachbarten Palais Schamburg. Bauherr Erhard, der mit dem Bungalow eine "weltoffene, qualitätsbewußte Baugesinnung demonstrieren" wollte, ließ eine aus zwei Quadraten bestehende Stahlkonstruktion errichten, deren Empfangsräumlichkeiten von nahezu vollständiger Verglasung umgeben und dem Bauhaus-Stil zuzuordnen sind. Trotz großen Lobes in der Fachwelt wurde der Bau in der Öffentlichkeit und auch unter den nachfolgenden Bundeskanzlern stark kritisiert. Von der Presse war das Gebäude bereits zur Schlüsselübergabe als ungemütlicher, bescheidener Zweckbau tituliert worden, und Erhards Nachfolger Kiesinger fand es schlichtweg unbehaglich. Willy Brandt zog gar nicht erst ein, da ihm der Wohntrakt zu klein war. Einzig Helmut Schmidt lobte das Gebäude, seine Formsprache und die "großartige Verbindung von Haus und Park".
Das Bundeshaus von Hans Schwippert
Ein Holzschild an der Baustelle des Bundeshauses trug 1949 die Aufschrift "Hier wird das Bundeshaus gebaut. Gesucht wird jeder, der Arbeit nicht scheut". Symbolisch findet sich in dieser etwas ungewöhnlich anmutenden Einladung, deren Verfasser leider nicht bekannt ist, eine erste Idee "demokratischer Architektur", die in der gewünschten baulichen Mitwirkung der Stadtbevölkerung zum Ausdruck kommt.
Mittelpunkt des Bundeshauses ist bis heute die 1930 bis 1933 von Martin Witte erbaute Pädagogische Akademie, die mit schlichten kubischen Formen, Flachdach, weiß und glatt verputzten Fassaden und Fensterbändern typische Elemente des Neuen Bauens enthält. Beim Bau des Plenarsaals wurde von Beginn an von einem Umbau und nicht von einem Neubau gesprochen. Mit Rücksicht auf die politische Situation des geteilten Deutschlands war es auch hier unerlässlich, den vorläufigen Charakter Bonns zu unterstreichen, um den Gedanken einer möglichen Wiedervereinigung nicht zu gefährden. So galt auch für das Bundeshaus, dass das Gebäude auch dann sinnvoll nutzbar sein sollte, wenn Bonn nicht oder nicht mehr Hauptstadt sein würde. Laut Schwippert hätte die Akademie beispielsweise sowohl Zwecken der Universität Bonn als auch einer getrennten Nutzung von Bauwerk und Gastronomie dienen können. Daneben musste selbstverständlich auch eine etwaige Tauglichkeit für größere bauliche Ergänzungen bei längerfristiger parlamentarischer Arbeit in Bonn bedacht werden, auch wenn diese in der Öffentlichkeit nicht diskutiert wurde. Zudem drängte die Zeit. Erste Arbeiten begannen im Februar 1949. Nach dem Richtfest am 5. Mai 1949 und der offiziellen Wahl Bonns zur Hauptstadt im Parlamentarischen Rat am 10. Mai 1949, tagte bereits am 7. September 1949 der Bundestag das erste Mal im Gebäude. An diesen Daten und Schwipperts Hinweis "das Bauwerk wird gleichzeitig gebaut und geplant in einem völlig ungewöhnlichen und durch die Umstände erzwungenen Verfahren", ist der enge Zeitplan der Umbauten erkennbar.
Die Formsprache des Gebäudes entsprach dem sachlichen und nüchternen Zeitgeist von Bauhaus und Werkbund. Schwipperts Vorschlag einer kreisrunden Sitzordnung – eines Raums für Diskussion und Gespräch ohne Hierarchien – stieß bei Adenauer auf Widerstand. Die Idee von der Gleichberechtigung aller Beteiligten, sitzend in einem Forum, dem Schwippert gar eine Art Urform attestierte, sagte Adenauer überhaupt nicht zu. Dieser setzte stattdessen eine Saalordnung mit deutlich hervortretender hierarchischer Komponente durch. "Regierungsmitglieder und Bundesratsvertreter nahmen auf einem erhöhten Podest Platz, der Bundestagspräsident in deren Mitte. Die Sitze der Abgeordneten waren paarweise angeordnet und in einer Art Bogen auf die Rednertribüne ausgerichtet. Ein in der Sitzordnung ausgedrücktes "demokratisches" Element scheiterte also in den Bonner Anfängen an einzelnen Personen, heute hingegen loben Redner, Architekten und Informationsbroschüren Schwipperts Idee, die im Nachfolgebau durch Günter Behnisch an selber Stelle Anfang der 1990er Jahre dann realisiert wurde. Eine späte, aber sicherlich wohltuende Genugtuung für den Visionär Schwippert.
Die raumhohe Verglasung mit 20 Metern Breite und acht Metern Höhe, sollte, so der Architekt selbst "den Plenarsaal zu einem Haus der Offenheit machen." Adenauer und andere konnten hingegen mit dem Baustoff Glas nicht viel anfangen. So schrieb Adenauer am 30. Juni 1949 an Schwippert: "Es gibt nichts Ungemütlicheres, fast möchte ich sagen, Unerträglicheres, als einen Aufenthalt in einem solchen Glaskasten. Die Lichtverhältnisse darin sind derartig unangenehm und störend, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß ein normaler Mensch in einem solchen Raum vernünftig denken und sprechen kann. Ich glaube Ihnen sagen zu dürfen, daß ein solcher Bau von der weitaus größten Mehrzahl der zukünftigen Abgeordneten […] grundweg abgelehnt werden wird." Adenauer meinte gar, eine solche Bauweise sei geeignet, die Chancen Bonns, auch künftig Sitz des Bundes zu bleiben, aufs schwerste zu schädigen. Bereits während der Bauphase konterte Schwippert Adenauers Kritik. 1951 erläuterte er nochmals die Idee seiner Konzeption: "Ich glaube richtig zu sehen, wenn ich sage, wir alle […] haben Sehnsucht nach dem leichten Gehäuse, nach der Helle, nach der Offenheit, nach einem Dach zwar, aber nicht nach Fluchtburg und nach dem Bunker […]".
Im Inneren stattete Schwippert bewusst alle mit den gleichen Möbeln aus: Präsident, Minister und Sekretärin fanden in ihren Räumen identische Schreibtische vor. Frei von repräsentativen Leihgaben, wie man sie im Palais Schaumburg antreffen konnte, hin zu einer nichts verbergenden Arbeitsmöglichkeit, die Gedankenfreiheit und Offenheit garantieren sollte. Auch hier standen sich von Beginn an zwei Seiten gegenüber: Auf der einen die Abgeordneten, von denen viele bereits kurz nach Fertigstellung über ihre Büroräume, über Enge, Kargheit und das vermeintlich fast sterile Ambiente des Hauses klagten. Auf der anderen Seite die Fachpresse, etwa die Zeitschrift "Bauen und Wohnen": "Nirgends kommt das Gefühl von muffiger Kanzlei oder von konventionellen Repräsentationsräumen auf. Im Vorzimmer der Sekretärin stehen die gleichen Möbel wie im Arbeitsraum des Präsidenten, auch dies ein wohltuend zu vermerkendes Faktum im demokratischen Sinn." Heute wird Schwipperts Konzeption als richtungsweisend für die Parlamentsarchitektur bezeichnet. Teile des Zeitgeists der 1950er Jahre konnten allerdings entscheidende Ideen Schwipperts noch nicht mittragen. Allein in Fachkreisen wurde der Bau unmittelbar nach Fertigstellung hoch gelobt.
Aufgabe oder Ausweitung des Provisoriums?
Obwohl die Raumnot im Bundesviertel bereits Anfang der 1950er Jahre offenkundig geworden war, erließ man 1956 einen Baustopp, der die Mutmaßungen der Öffentlichkeit ("Schluß mit dem Bau von Büropalästen! […] Bonn baut weiter gegen Berlin.") bezüglich der Anerkennung der deutschen Teilung entschärften sollte.
Der Baubeginn am Abgeordnetenhochhaus "Langer Eugen" 1966 stellte daher einen ersten entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Aufgabe des "Bonner Provisoriums" und zugleich das Ende des zuvor ausgerufenen Baustopps dar. Trotz der Idee "das neue Hochhaus solle das höchste Bauwerk der Metropole Bonn-Godesberg werden, so daß das Landschaftsbild von dem Parlament geprägt werde", war das von Egon Eiermann geplante Gebäude Gegenstand vieler Diskussionen. Im Inneren führte die Idee, das Restaurant und zahlreiche Konferenzräume in den oberen Stockwerken zu platzieren, zu schier unüberblickbaren Schlangen vor den Aufzügen. Als der Bundestag ausgerechnet kurz nach dem Einzug 1969 beschloss, jedem Abgeordneten einen Mitarbeiter und eine Sekretärin zu finanzieren, war die gerade überwundene Raumnot sofort wieder vorhanden. Und somit war auch der "Lange Eugen" letztlich ein Provisorium. Regionale und überregionale Zeitungen begannen nun auch diesen Aspekt der Vorläufigkeit Bonns anzugreifen. "Ist unsere Bundeshauptstadt noch immer Provisorium?" titelte die Bonner Rundschau. Schließlich bewirkte diese Art von Öffentlichkeit einen erneuten Baustopp in der Bundesstadt. Durch diesen wurden unter anderem fünf der ursprünglich sieben geplanten "Kreuzbauten" für Ministerien am Bonner Hochkreuz verhindert. Im Laufe der Zeit wurde aus dem "Langen Eugen" jedoch, was Bonn bis dahin nicht geboten hatte. Wie ein Wahrzeichen zierte er abendlich die Fernsehbilder aus Bonn.
Willy Brandt, seit 1969 Bundeskanzler, bekannte sich 1973 als erster Bundeskanzler zu "Bonn als Bundeshauptstadt". Zahlreiche Bauten wurden zwar von Experten gelobt, öffentlich dennoch außerordentlich kritisiert, sodass noch 1986 Johannes Gross die Bundeshauptstadt Bonn ein "capitales minimum" nannte. In der Rückschau auf Architektur der "Bonner Republik" erweist sich aber gerade das Vorläufige, das immer wieder Kompromisshafte, letztlich als Stärke Bonns. Dabei ragt das Bonner Bundeshaus unter den zahlreichen Neu- und Umbauten besonders hervor.
Dafür war aber ein Preis zu zahlen. Hin- und hergerissen zwischen funktioneller und vernünftiger Arbeitsmöglichkeit und der Rücksicht auf die politische Situation des Landes, wurde insbesondere die Finanzierung der "Bundeshauptstadt Bonn" zur Bewährungsprobe. Jahrzehntelang fielen horrende Mietsummen zur Wahrung des provisorischen Charakters der Bundeshauptstadt Bonn durch den Bund als Bauherrn an. Gerade in Zeiten der Baustoppverordnungen wurden zahlreiche Gebäude und Räume im Stadtgebiet angemietet und teils bis zum Regierungsumzug 1999 unterhalten. Hinzu trat die geforderte Nutzungsflexibilität der Gebäude, die zahlreiche Bauvorhaben verlängerte und für unnötige Kostenexplosionen sorgte. Am Ende scheint bezeichnend, dass der über Jahrzehnte geplante Neubau des Plenarsaals 1989 durch den Fall der Mauer über Nacht zum Denkmal wurde und im Wasserwerk, dem provisorischen Ausweichquartier des Bundestags während der Bauarbeiten, die Entscheidung für den Umzug nach Berlin getroffen wurde.
Demokratisches Bauen?
Wie erbaut man ein Parlamentsgebäude, wenn es keine bestehende Tradition demokratischer Bauweise gibt? Kann ein Bauwerk überhaupt demokratisch sein? "Parlament und Demokratie sind wesensgemäß durch Öffentlichkeit ausgezeichnet. […] Öffentlichkeit erfordert eine […] Durchsichtigkeit des parlamentarischen Geschehens. […] Diese korrespondiert notwendig […] mit einer Transparenz der gesamten Baulichkeit", formulierte Adolf Arndt 1961 in einem Vortrag "Demokratie als Bauherr". Die angesprochene Transparenz war essenzieller Bestandteil der Pläne Schwipperts zur Gestaltung des Bonner Bundeshauses. Der gewünschte Einblick in Entscheidungsprozesse sollte durch Transparenz, Helligkeit und die Verwendung von Glas erreicht werden. Mehr als 30 Jahre später hingegen urteilte die Fachzeitschrift "Bauwelt" 1992: "Demokratisches Bauen gibt es das? […] Es gibt keine abgeschotteten, dem Auge des Bürgers verborgenen Bereiche. […] Doch die Bereiche, in denen wirklich Politik gemacht wird […] werden ihm weiterhin vorenthalten: die Ausschüsse, die Fraktionssitzungen. Politik wird nicht dadurch transparenter, daß man sie im Glashaus präsentiert." Anders jedoch als im Erscheinungsjahr des Artikels bedurfte es 1949 einer Neuordnung der Architektur bereits auf niedriger Ebene. Der Journalist und Jurist Heinrich Wefing fragt mit Recht: "wen es wohl gewundert haben könne, dass die Deutschen, 1945 verstört und betäubt aus lichtlosen Bunkern gekrochen, nun diese helle Weite, gläserne Moderne suchten, gar liebten? Kann Architektur in diesem Sinne auch ein Weg der Selbstreinigung sein?" Der Baustoff Glas bot nicht nur symbolisch, sondern auch äußerlich die Möglichkeit einer Abgrenzung zur Monumentalarchitektur der NS-Zeit. "Wer […] transparent baut, so die Faustformel auch und vor allem nach 1945, baut demokratisch." Wie die Bilder von Erna Wagner-Hehmke eindrucksvoll zeigen, diente gerade der einfache, direkte Blick in den Sitzungssaal der Einbeziehung der Öffentlichkeit in die politischen Geschehnisse. Zugleich erscheint das Architekturverständnis zwiegespalten. Während Architekten und Fachleute den nüchternen, sachlichen Stil zahlreicher Bonner Bauten lobten, taten sich die erfahreneren und anders sozialisierten Politiker wie Adenauer schwer mit diesen Vorstellungen.
So lassen sich Leitideen demokratischen Bauens durchaus identifizieren. Der Stil soll nicht übertrieben, aber auch nicht ärmlich sein. Er soll ohne Pathos und Imponiergehabe daherkommen, ohne jedoch unverbindlich sein). Freiheit, Zugänglichkeit, Menschlichkeit und Offenheit können als charakterisierende Stichworte verwendet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder neoklassizistische Säulen per se eine Diktatur, noch Glasbauten ausschließlich eine Demokratie beherbergen können. Abgeleitet vom Begriff "Demokratie", dem Willen und der Herrschaft des Volkes, "müssen die Bauten ausstrahlen, dass sie für und nicht gegen den Bürger errichtet sind, sie in seinem Dienst stehen und in ihnen die Interessen der Bürger vertreten werden." Mit dem Bau des Bonner Plenarsaals gelang Schwippert die Ablehnung einer verschlossenen, schweren und auf Ewigkeit bedachten Architektur. "[Man] hatte von Anfang an auf ein Darstellungsmittel verzichten wollen, das üblicherweise die sichtbaren Signale neuer Staaten setzt, auf die Architektur. Nach den baulichen Entgleisungen des Dritten Reiches sollte nun […] unter allen Umständen der Wille zu Entsagung und Neubeginn demonstriert werden." Dass man bereits während der Bonner Hauptstadtzeiten Brückenschläge zwischen Demokratie und Architektur versuchte, zeigt nicht nur der Vortrag Adolf Arndts, sondern auch ein 1979 auf Anregung Helmut Schmidts veranstaltetes vielbeachtetes Expertenkolloquium mit dem Titel "Bauen für die Demokratie".
Es bleibt abschließend auf die Symbolik dieser Gründerjahre zu verweisen. Wie Schwippert für den Plenarsaal formulierte: "Ich habe gewünscht, daß das deutsche Land der parlamentarischen Arbeit zuschaut", gelang mit geringen finanziellen Mitteln und der nötigen Bescheidenheit eine erfolgreiche Selbstdarstellung der jungen Bundesrepublik. Wie Schwippert selbst sagte, verlangten damals nur wenige Stimmen nach mehr Feierlichkeit für die Volksvertretung. "Wir werden sie erbauen, wenn die Politik einmal wieder erhabene Erfolge haben wird. Einstweilen halte ich es für recht, daß dieser Anfang ein helles Haus habe und ein einfaches, ein Haus von heute, und daß das zur Welt hin offen ist." Dass indes viele der mit dem Regierungsumzug in Berlin entstandenen Bauten eine andere Sprache sprechen, als man es aus Bonn gewohnt war, steht auf einem anderen Blatt Papier.
Zitierweise: Julia Reuschenbach, Nur ein Provisorium? – Bonner Hauptstadtarchitektur seit 1949, in: Deutschland Archiv, 18.1.2016, Link: www.bpb.de/218089
Julia Reuschenbach
M.A.; Studium der Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Neuesten Geschichte an der Universität Bonn sowie der Freien Universität Berlin; seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie (Abteilung Theorie-, Ideen- und Zeitgeschichte) sowie am Institut für Geschichtswissenschaft (Abteilung Didaktik der Geschichte) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zugleich seit 2015 Promotionsvorhaben zur Geschichtspolitik deutscher Parteien.
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