Die NVA im DEFA-Spielfilm von den 1950er bis zu den 1970er Jahren
Stefan Kahlau
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Anhand der beiden DEFA-Spielfilme "Im Sonderauftrag" von 1959 und "Ein Katzensprung" von 1977 analysiert Stefan Kahlau, inwiefern sich die Darstellung der NVA im DEFA-Film im Verlauf der staatlichen Entwicklung der DDR und ihrer bewaffneten Organe gewandelt hat.
Seit ihrer offiziellen Gründung am 18. Januar 1956 sollte die Nationale Volksarmee (NVA) einen in der deutschen Militärgeschichte neuen Typ von Streitkräften darstellen. Bei der Propagierung einer "sozialistischen" Armee maß die DDR-Führung dem Medium Film große Bedeutung bei. Deshalb bedurften alle zentralen Filmvorhaben bezüglich der NVA der Zustimmung Admiral Waldemar Verners. Seine Person verdeutlicht zugleich die Verquickung von militärischer Rangelite und politischer Machtelite: Verner war sowohl Chef der Politischen Hauptabteilung des Ministeriums für Nationale Verteidigung als auch Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees. Von Bedeutung ist in diesem Kontext die Kulturabteilung der Politischen Hauptabteilung, deren NVA-Vertreter die Produktion von "Armeefilmen" intensiv beeinflussten. Politoffiziere der Streitkräfte saßen zudem im Ministerium für Kultur, das über die Abnahme eines Films entschied. Im Folgenden soll skizziert werden, welches NVA-Bild die Spielfilme der DEFA vermitteln. Dazu werden zwei Produktionen verglichen, die unterschiedliche Phasen der staatlichen Entwicklung der DDR und ihrer Bewaffneten Organe repräsentieren: "Im Sonderauftrag" (1959, Heinz Thiel) und "Ein Katzensprung" (1977, Claus Dobberke). Weitere thematisch relevante Werke werden ergänzend hinzugezogen. Der Vergleich erfolgt anhand dreier Aspekte: die Darstellung der Offiziere, die Inszenierung des Soldatenalltags und das in den Filmen gezeichnete Feindbild.
"Im Sonderauftrag"
In "Im Sonderauftrag" steht erstmals der NVA-Alltag im Mittelpunkt der Handlung. Diese spielt in der Gegenwart des Produktionsjahres 1958. Protagonist ist Kapitänleutnant Fischer, Kommandeur eines Minen-Leg- und -Räumschiffs (MLR) der Seestreitkräfte, das die Ostsee nach Seeminen aus dem Zweiten Weltkrieg absucht. Der Bezug zur Minenbekämpfung spiegelt reale Verhältnisse wider, denn bei diesem Teil der maritimen Kräfte handelt es sich um die "ältesten" Kampfkräfte der Volksmarine. Auch bestand in den 1950er Jahren in der Ostsee noch Minengefahr. Der "Sonderauftrag" ergibt sich für Fischer, seine jungen Offiziere und die Besatzung, als sie einen westdeutschen Kutter aufbringen müssen, der in die Hoheitsgewässer der DDR eingedrungen war. Kapitän des Kutters ist Arendt, den Fischer aus seiner Zeit bei der Wehrmacht kennt, wo jener Oberleutnant, Fischer selbst hingegen Fähnrich zur See war. Eine Rückblende ins Jahr 1943 erzählt von den Ereignissen in der Küstenbatterie im dänischen Nydal. Fischer hatte damals herausgefunden, dass der Batteriechef den Kampf einer Widerstandsgruppe um den deutschen Kommunisten Pedersen gegen die Nationalsozialisten unterstützte. Als die Küstenbatterie von der Feldgendarmerie ausgehoben und der von ihm bewunderte Batteriechef hingerichtet wurde, musste sich Fischer zwischen Pflicht und Gewissen entscheiden. Er warnte die Widerstandskämpfer, dass eine geplante Aktion aufgeflogen war. Zurück in die Gegenwart: Nachdem die Durchsuchung des Kutters und das Verhör Arendts vergeblich waren, können die Matrosen des MLR durch eine List Arendts Ziel vereiteln – das Ausspionieren eines militärischen Küstenobjekts der DDR. Zurück im Stützpunkt sucht Fischer den Flottillenchef auf, den Kapitän zur See Pedersen. Es stellt sich heraus, dass Arendt seinerzeit SS-Obersturmführer und für den Verrat am Batteriechef verantwortlich war.
Ursprünglich war "Im Sonderauftrag" als "traditionelles" antifaschistisches Projekt ohne Bezug zur NVA konzipiert. Die ersten Filmentwürfe von Hans Oliva-Hagen, dem Vater von Sängerin Nina Hagen, handeln von einer deutschen U-Boot-Flottille im Zweiten Weltkrieg. Wesentliche Charaktere kommen bereits vor, aber der Plot verläuft geradlinig und konzentriert sich auf Ereignisse einer einzigen Nacht. Die Einführung der Rahmenhandlung auf dem MLR hängt mit der Schaffung der Streitkräfte ein Jahr zuvor zusammen, für die geworben werden sollte. Dementsprechend wurde der "sozialistische" NVA-Offizier mit DEFA-Star Hans-Peter Minetti besetzt, der durch seine Rolle als Fiete Jansen in den Thälmann-Filmen bekannt war. Minetti stand früh fest, denn für diesen Part gab es keine Probeaufnahmen. Wie Produktionsdokumente belegen, verliefen die Dreharbeiten, die am 16. März 1958 begannen und auf Rügen und in Rostock stattfanden, reibungslos. Dies gilt insbesondere für die enge Zusammenarbeit zwischen der DEFA und der NVA.
"Ein Katzensprung"
"Ein Katzensprung" spielt in einer Motorisierten Schützenkompanie (MSK). Im Mittelpunkt steht der junge energische Leutnant Riedel, dessen Zug (also Teileinheit der Ausbildungskompanie) im Ausbildungswettbewerb auf Platz eins steht. Dieses Ergebnis verdankt Riedel nicht zuletzt dem Gefreiten Weißenbach, der als Stubenältester im Zug für Disziplin sorgt. Zum Konflikt kommt es, als Weißenbach in der Schwimmübung bessere Leistungen erzielen will; er bringt einem Wehrdienstleistenden Schwimmen bei, wobei dieser fast ertrinkt. Für Weißenbach gilt: Wenn "der Erfolg da ist, fragt hinterher kein Mensch mehr, wie er zustande gekommen ist und was er gekostet hat". Eine solche Herangehensweise und aus ihr resultierende Methoden lehnt Riedel strikt ab. Er enthebt Weißenbach leitender Positionen und ersetzt ihn durch einen weniger versierten Soldaten. Bei den folgenden Manöverübungen versagt Riedels Zug mehrfach, was ihn wiederum in Konflikt mit seinem Vorgesetzten Hauptmann Kaiser geraten lässt. Dieser räumt der Gefechtsbereitschaft absoluten Vorrang ein, die Riedel seiner Ansicht nach gefährdet, weil er durch seinen Entschluss die Gesamtleistung des Zugs geschwächt hat. Kaiser setzt Weißenbach wieder ein. Seinen Ärger darüber lässt Riedel ihn unverhohlen spüren.
"Ein Katzensprung" basiert auf dem gleichnamigen Erzählband von Autor und NVA-Oberstleutnant Walter Flegel. Regisseur Dobberke, selbst mehrere Jahre Angehöriger einer MSK, war von der "Ansiedlung der Konflikte im Milieu der Nationalen Volksarmee" fasziniert; die Verfilmung des Stoffes hielt er zudem für notwendig, denn es gab "keinen Bereich in der Wirklichkeit […], von dem so viele Menschen berührt" wurden. Für den Film sollte der Grundkonflikt der Erzählungen verschärft werden. Ausgangspunkt war das Phänomen, dass neue Wehrpflichtige durch Wehrpflichtige, die das dritte und letzte Diensthalbjahr des 18 Monate dauernden Wehrdienstes erreicht hatten und die als "Entlassungskandidaten" (EK) an der Spitze einer inoffiziellen Hierarchie standen, drangsaliert wurden. Obwohl es infolge dieser "EK-Bewegung" bei jüngeren Soldaten und Unteroffizieren sogar zu Nervenzusammenbrüchen und Suizidversuchen kam, wurde sie von Offizieren nicht selten zur Selbstorganisation der Truppe genutzt. Ihre Darstellung passte nach Ansicht der NVA-Führung freilich nicht in einen "publikumswirksamen Film über die NVA". Im fertigen Film fehlen entsprechende Bezüge weitgehend. Dies veranschaulicht die konträren mit der Produktion verbundenen Intentionen von DEFA und NVA-Führung. Entsprechend konfliktreich verlief die Zusammenarbeit. Die für Kultur zuständigen NVA-Vertreter, von deren Wohlwollen die Zustimmung zu materieller Unterstützung abhing, nahmen auf den gesamten Produktionsprozess Einfluss. Es gab nicht nur regelmäßige Gespräche in der Politischen Hauptverwaltung in Strausberg über die Stoffentwicklung, auch die Dreharbeiten wurden beaufsichtigt. Selbst Details wie "vergammelt" aussehende Doppelstockbetten wurden beanstandet. Obwohl "Ein Katzensprung" eine "weichgespülte" Version ursprünglich geplanter Konfliktdarstellung blieb, wurde der Film in der DDR ein großer Erfolg. Dazu trug nicht zuletzt das überzeugende Spiel des damals noch unbekannten Walter Plathe als Riedel bei.
Darstellung der Offiziere
"Im Sonderauftrag" zeichnet ein idealisiertes Offiziersbild. Als Vorbild für die Jugend entspricht die Hauptfigur dem geforderten "neuen" Offizierstypus, denn Fischer vereint in sich lediglich positive Charakterzüge. Sowohl jüngere Offiziere als auch Matrosen sehen in ihm eine Vaterfigur. Beim Verhindern des westdeutschen Spionageversuchs stellt er seine Fähigkeit zum selbständigen Denken, die Eigenschaft der gewünschten "sozialistischen Soldatenpersönlichkeit", unter Beweis. Aufgrund der intendierten Vorbildwirkung wirkt die Figur jedoch eindimensional.
"Ein Katzensprung" distanziert sich vom idealtypischen Offiziersbild, Riedel ist kein unfehlbarer Vorbildcharakter. Seine Hitzköpfigkeit bricht sich Bahn, wenn grundlegende Auffassungen angetastet werden – selbst Vorgesetzten gegenüber. Auch in militärfachlicher Hinsicht entsteht im Gegensatz zu "Im Sonderauftrag" ein realistisches Bild: Wie Riedels Entschluss, Weißenbach zu ersetzen, zeigt, treffen Offiziere in "Ein Katzensprung" Fehlentscheidungen.
Ein NVA-Offizier sollte "überzeugter Sozialist" sein. Dies ist sowohl in "Im Sonderauftrag" als auch "Ein Katzensprung" der Fall, jedoch in unterschiedlicher Qualität. Die sozialistische Haltung der Figur Fischer resultiert aus seiner antifaschistischen Haltung während des Krieges. Hier wird der antifaschistische Widerstand instrumentalisiert. Eine antifaschistische Haltung wird mit einer pro-sozialistischen Haltung gleichgesetzt. Die Staatsgründung der DDR wird damit als Vermächtnis des Widerstands gegen den Nationalsozialismus legitimiert. "Im Sonderauftrag" diente so der "national-historischen Legitimierung der NVA als der 'einzig rechtmäßige[n] Armee in Deutschland'". Riedel wird in "Ein Katzensprung" zutreffend als sozialistischer Offizier gezeichnet, denn seit Mitte der 1960er Jahre war das Gros der Offiziere aus Überzeugung in der Partei. Insofern entspricht Riedel trotz Abweichens vom idealisierten Schema dem geforderten Offiziersbild, nach dem in der Person des sozialistischen Offiziers gute militärische Kenntnisse und Fertigkeiten mit sozialistischem Bewusstsein und Klassenverbundenheit verschmelzen sollten. Doch obwohl er im Sinne "sozialistischer Leitlinien" Befehle hinterfragt, gerät er zwangsläufig mit dem militärischen Prinzip der Armee von Befehl und Gehorsam in Konflikt. Aus Sicht Riedels hebelt Weißenbach "sozialistische Normen" aus. Da er dagegen opponiert, stellt Riedel das Idealbild des "sozialistischen Offiziers" dar. Gerade dadurch entsprach er jedoch nicht den Vorstellungen der NVA-Führung, die kritisierte, dass er über Befehle diskutiere. Dies belegt die Diskrepanz zwischen dem geforderten Militärleitlinien und gängiger Armeepraxis.
Der von Fischer verkörperte verständnisvolle, klassenbewusste Kommandeurstypus dominiert die filmische Darstellung bis zum Ende der 1960er Jahre. Eine Ausnahme bildet "Lots Weib" (Egon Günther, 1965). Der Film ist zwar nicht unmittelbar im Bereich der NVA angesiedelt, aber eine der Hauptfiguren ist Offizier der Volksmarine. Mit ihr findet sich das erste Negativbeispiel eines NVA-Offiziers: Kapitänleutnant Lot ist selbstsüchtig, scheinheilig und kulturell engstirnig. Hinsichtlich der Qualifikation ist zu erfahren, dass Fischer militärfachliche Kenntnisse auf einem Minensucher der Wehrmacht erwarb. Später erfüllt er professionell seine Aufgabe als Kapitänleutnant des MLR. "Im Sonderauftrag" reflektiert insofern tatsächliche Entwicklungen, als sich die NVA-Führungsschicht in den 1950er Jahren nicht zuletzt aus Soldaten und Unteroffizieren der Wehrmacht zusammensetzte. Auf deren militärfachliche Erfahrung war beim Aufbau der Streitkräfte nicht zu verzichten.
Riedel ist in "Ein Katzensprung" Absolvent einer Offizierschule und repräsentiert die ab den 1970er Jahren erreichte neue Qualität des Ausbaus des Offizierkorps. Denn ab 1971 bildete das Studium an Offizierhochschulen die Grundlage der Offizierausbildung. Das Abitur wurde zur Voraussetzung für den Offizierberuf. Die Betrachtung weiterer Offiziersfiguren bestätigt, dass sämtliche DEFA-Produktionen reale Entwicklungstendenzen wiedergeben. In den Filmen der 1960er Jahre sind die höheren Offiziere ehemalige Arbeiter; ab den 1970er Jahren begegneten dem Zuschauer hochspezialisierte Militärs wie in dem vom Alltag einer Jagdfliegerstaffel handelnden "Anflug Alpha 1" (1971, János Veiczi).
Die Routine auf dem MLR wird in "Im Sonderauftrag" als anstrengend dargestellt: Die Matrosen müssen das Bordgeschütz in brennender Sonne reinigen, ein Arbeitstag hat zwölf Stunden. Die Freizeitgestaltung dagegen vermittelt das idealisierte Militärleitbild, nach dem in der NVA kein "Kommißgeist" mehr herrsche. Von der bedrückenden Atmosphäre in der Wehrmacht, wie sie die Rückblende präsentiert, unterscheidet sich der Alltag in der NVA dadurch, dass er trotz schwerer Routinearbeit den Matrosen Raum für kulturelle Beschäftigung bietet. Diese schreiben sogar ein Lied über ihre Einheit.
Auch "Ein Katzensprung" demonstriert die Härte des Ausbildungsalltags. Einzelne Bestandteile wie ein simulierter Gasangriff werden detailliert geschildert. Die Freizeitgestaltung wird im Gegensatz zu "Im Sonderauftrag" allerdings kritisch dargestellt, denn mehrere Szenen spielen in einem Lokal nahe der Kaserne. Deutlicher als der Film zeigen die Produktionsakten, dass damit auf mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten hingewiesen wird, dem die Soldaten mit exzessivem Alkoholkonsum begegnen. In der Tat gelang es der NVA-Führung bis zum Ende der DDR nicht, diesem Missstand erfolgreich entgegenzuwirken. Anders als in "Im Sonderauftrag", ist in "Ein Katzensprung" für die Soldaten kein Platz für künstlerische Betätigung. Dies bekommt ein Wehrdienstleistender, der Violinist ist, in Form spöttischer Bemerkungen mehrfach zu spüren.
Eine Ausnahme ist in diesem Kontext der in den Grenztruppen spielende Film "Julia lebt" (1963, Frank Vogel). Zum einen wirkt der Alltag dadurch sehr beklemmend, dass kein Freiraum für persönliche Gefühle im Sinne einer Privatsphäre existiert. Denn durch die Tätigkeit des FDJ-Gruppenleiters wird die Freizeit nicht nur gänzlich politisiert und ideologisch durchdrungen, sie erscheint zudem als Akt der Willkür und Machtdemonstration. Zum anderen stirbt der Protagonist, Grenzsoldat Rist, während des Dienstes durch einen Schuss des westlichen "Gegners". Da ein reales Ereignis zugrunde lag, das sich ideologischer Nutzung entzog, stieß diese Darstellung von Seiten der NVA auf Kritik. Nach Angabe von Autor Manfred Freitag beruhte dieser Filmschluss auf der Ermordung des Grenzsoldaten Peter Göring am 23. Mai 1962. Seitens der NVA wurde zum einen kritisiert, dass Filme dazu neigten "die Armee als dramaturgischen 'deus ex machina' zu mißbrauchen, das heißt, sie immer dann einzuführen, wenn man einen frappierenden Schluß nötig hat". Zum anderen erregte Anstoß, dass "hier nichts weniger als der tragische Tod eines Grenzsoldaten diese Funktion ausüben muß."
Ein realistisches Bild der militärischen Ausbildung zu vermitteln, strebte auch "Hart am Wind" (1970, Heinz Thiel) an. Sie wirkt durch die ausführliche Inszenierung etwa eines "Härtetests", den die Wehrdienstleistenden zu absolvieren haben und der unter anderem aus Schwimmübung, Geländelauf und Eilmarsch besteht, authentisch. Für die gezeigten Gefechtsübungen wurden kurze Stücke aus Lehr- und Ausbildungsfilmen des Armeefilmstudios der NVA verwendet. Auf die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung weist eine Szene im "Klub" hin. Eine langsame Kamerafahrt eröffnet den Blick auf Bücherregal, Fernseher und Musikinstrumente. Solche Alltagsdarstellungen zeugen vom Interesse der Partei- und Armeeführung an einem idealisierten NVA-Bild. Während "Im Sonderauftrag" Patriotismus und Klassenverbundenheit der Soldaten demonstrieren sollte, werden in "Hart am Wind" Ausbildungsbestandteile wie der "Härtetest" mit der einsetzenden positiven Wende in der Entwicklung des jungen Brigadeleiters Peter Drews verknüpft. Dieser ist zwar sozialistischer Leistungsträger, manövriert sich aber durch egozentrisches Verhalten ins soziale Abseits. In beiden Fällen wurde das Ideal "sinnvoller Freizeitbeschäftigung" propagiert, ein Angebot geistig anspruchsvoller Tätigkeiten, das die Soldaten in der Realität ideologischer Überfrachtung wegen selten nutzten.
Das Verhältnis zu den Offizieren prägte wie in jeder Armee den Alltag der Soldaten. Laut Militärleitbild war die NVA durch die Aufhebung von Klassengegensätzen zwischen Offizieren und Soldaten gekennzeichnet. Sie bildeten vielmehr eine "politisch-moralische und militärische Einheit". Dies wurde in "Im Sonderauftrag" filmisch umgesetzt. Das Verhältnis zwischen Offizieren und Soldaten ist von gegenseitiger Achtung geprägt. Die Offiziere loben die Matrosen lediglich, fachliche Kritik äußern sie nicht. Gemeinsam wird der Spionageakt verhindert: Fischer befiehlt zwar die Besetzung des Kutters, überlässt aber der jungen Mannschaft die Ausführung.
In "Ein Katzensprung" dagegen offenbart der Umgang der Offiziere mit den Soldaten einen Bruch zwischen älterer und jüngerer Offiziersgeneration. Der einen neuen Offizierstyp verkörpernde Riedel verbringt seine Freizeit mit seinen Soldaten, ältere Offiziere wie Kaiser nicht. Das Fehlen einer "politisch-moralischen und militärischen Einheit" wird in einem Filmtreatment deutlicher: Ein älterer Offizier kritisiert, dass Riedel sich äußerlich nicht von seinen Soldaten unterscheide. Zudem wird ein für ältere Offiziere charakteristischer unpersönlicher Ton, der die Soldaten auf Distanz hielt, thematisiert.
Dass dieser Umstand nicht dem von der Partei- und Armeeführung geforderten Leitbild entsprach, verdeutlicht "Schritt für Schritt" (1960, János Veiczi), in dem höhere Offiziere und Soldaten ihre Freizeit gemeinsam im "Haus der Volksarmee" verbringen. Diesbezüglich offenbart die Filmproduktion eine Kluft zwischen gefordertem Ideal und Armeerealität.
Feindbild
"Im Sonderauftrag" stellt die Bedrohung der DDR durch einen "äußeren" Feind dar. Dies entsprach dem von Bedrohungsängsten geprägten sicherheits- und militärpolitischen Denken der DDR-Führung. Er veranschaulicht auch, wer die DDR bedroht, denn Arendt als westdeutscher Agent ist ein Handlanger der als imperialistisch wahrgenommenen Bundesrepublik. Der Spionageversuch symbolisiert die Annahme, diese werde die offene deutsche Frage mit militärischen Mitteln zu lösen versuchen. Damit vermittelt "Im Sonderauftrag" zugleich die ideologische Konzeption der Existenz zweier Lager: dem von Arendt verkörperten imperialistischen westdeutschen Feind steht die sozialistische und folglich friedfertige DDR gegenüber, die sich verteidigt. Diese schematische Freund-Feind-Konstellation soll vermeintliche Traditionen in der staatspolitischen Entwicklung beider deutscher Staaten offenlegen. Das Fortbestehen "negativer" Traditionen in der Bundesrepublik symbolisiert der ehemalige SS-Obersturmführer und jetzige Kutterkapitän Arendt, der die direkte Linie vom nationalsozialistischen Deutschland zur gegenwärtigen und fortwährend faschistischen Bundesrepublik versinnbildlicht. Die Staatsgründung der DDR hingegen erscheint als Weiterführung "positiver" Traditionen: Sie resultiert aus dem antifaschistischen Kampf. So werden DDR und NVA historisch legitimiert, denn nur in der DDR sei der Imperialismus überwunden worden. Somit sei die NVA "die Erbin der besten Traditionen des militärischen Kampfes der deutschen Arbeiterklasse und des deutschen Volkes". Gleichzeitig wird historische Legitimation mit gegenwartsbezogener verknüpft: Die in der Bundesrepublik sich erneut sammelnden aggressiven faschistischen Mächte bedrohen die nun in der "demokratischen" DDR vereinten antifaschistischen Kräfte. Zugleich ergeben sich Aussagen über das Wesen der NVA: Sie ist friedfertig, erst der Übergriff zwang sie, ihr Land zu verteidigen. Ihre Überlegenheit zeigt sich darin, dass sie den Feind zu stellen vermag.
Das Feindbild in "Ein Katzensprung" weicht von der Ideologie des Klassenkampfs ab, der Sozialismus ist hier nicht von einem "äußeren" Feind bedroht. Dessen stetige Präsenz wird nur durch den Verweis Kaisers auf die notwendige Gefechtsbereitschaft angedeutet. Die Konfrontation mit dem "Feind" ist vielmehr ein innergesellschaftlicher Konflikt, den Weißenbach mit seinen sozialistischen Normen zuwiderlaufenden Ausbildungsmethoden verursacht. Vertreter dieser Normen ist Riedel, der Weißenbach zu verstehen gibt, moralisch nicht dem "sozialistischen Soldaten" zu entsprechen. Im Gegensatz zu Kaiser, der bis zu Weißenbachs Entlassung dessen Fähigkeiten zu nutzen gedenkt, bezieht Riedel im Sinne der Persönlichkeitsformung die Zeit nach dem Wehrdienst in die Ausbildung ein. Insofern steht in "Ein Katzensprung" die erzieherische Funktion der NVA im Mittelpunkt. Obwohl die Filmemacher vorrangig Fehlentwicklungen innerhalb der NVA wie die EK-Bewegung anprangern wollten, entspricht der Film aufgrund der Abschwächung solcher Aspekte dem "sozialistischen Militärleitbild". Denn die "sozialistische Wehrerziehung" durch die Armee zielte auf die "allseitige Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit" ab. Aus Sicht der NVA-Führung sollten Wehrdienstleistende ihre Militärdienstzeit als persönlichen Gewinn für sich und die Gesellschaft begreifen und nicht nur darauf spekulieren, "mit dem Hintern an die Wand" zu kommen. Genau das kritisiert Riedel, dessen Berufsauffassung den Anspruch militärischer Erziehung zusammenfasst, an Weißenbach. Er sei einer von denen, die immer nur haben wollen und versuchen, "mit dem Arsch an die Wand [zu] kommen" und sich nicht anstrengen zu müssen. Die anderthalb Jahre wären für sie ein notwendiges Übel, "was sie ohne größeren Schaden an Seele und Geist überstehen wollen". In beiden Fällen wird egoistisches Denken bemängelt. Diese Aussagen reflektieren die Erwartungen an die NVA als gesellschaftliche Erziehungsinstitution. Zugleich weisen sie darauf hin, dass "die praktizierte Wehrerziehung nur bedingt zu den gewünschten Resultaten geführt" hatte. Eine lustige Variante dessen drehte Wolfgang Luderer 1965 mit "Der Reserveheld". Rolf Herricht spielt den zur Reserve einberufenen Schauspieler Ralf Horricht, dessen erklärte Absicht darin besteht, seine Vorgesetzten durch Ungehorsam zur Weißglut zu bringen. Nach und nach entwickelt er sich durch die in der NVA herrschende Kameradschaft zur verantwortungsbewussten Persönlichkeit.
Schlussbemerkungen
Die filmische Darstellung der NVA wurde zum einen von der Partei- und Armeeführung geprägt. Aufgrund ideologischer Prämissen war sie an einem Idealbild interessiert. Allerdings scheint ihr politisches Interesse an DEFA-Filmen im Lauf der Zeit abgenommen zu haben, wie ein Blick auf die Produktion von "Im Sonderauftrag" und "Ein Katzensprung" nahelegt. Die konsolidierte Politisierung der NVA und ihre "Durchherrschung" durch den SED-Apparat dürfte eine direkte Einflussnahme auf die Filmproduktion zunehmend überflüssig gemacht haben. Zum anderen formte die DEFA das Armeebild. Hier existierten zwei "Strömungen". Eine ging von "Wehrpropagandisten" wie Heinz Thiel und János Veiczi aus, die sich streng an vorgegebenen ideologischen Leitlinien orientierten. Zur zweiten Strömung zählen Regisseure wie Frank Vogel und Egon Günther. Sie äußerten massive Kritik an der Armee und ihren Vertretern. Dobberke ist keiner dieser Strömungen zuzuordnen. Sein Ziel bestand in der kritischen Auseinandersetzung mit der Armee. Das Ergebnis stellt letztlich einen Kompromiss dar. Da Kritik anklingt, entstand mit "Ein Katzensprung" im Gegensatz zu "Im Sonderauftrag" kein "Werbefilm" für die NVA. Aber angerissene Problembereiche wie die EK-Bewegung sind kaum noch wahrnehmbar. Durch die Abschwächung dieser Punkte bewegt sich "Ein Katzensprung" grundsätzlich innerhalb des von der NVA-Führung geforderten "positiven" Armeebilds.
Es ergibt sich also insgesamt für die NVA-Darstellung ein heterogenes Bild. Ein stringentes Fortlaufen, etwa vom reinen "Propagandastreifen" hin zum kritischen "NVA-Film", gab es nicht. Eher ist ein "Auf und Ab" feststellbar, wobei sich propagandistische und kritische Darstellungen entweder abwechselten oder wie im Falle von "Ein Katzensprung" vermischten. Dabei gaben die Filme stets tatsächliche Entwicklungsetappen der DDR-Streitkräfte wieder, wie vor allem anhand der militärfachlichen Qualifikation des Offizierkorps, das in den 1970er Jahren einen hohen Professionalisierungsgrad erreicht hatte, sichtbar wird.
Zitierweise: Stefan Kahlau, Die NVA im DEFA-Spielfilm von den 1950er bis zu den 1970er Jahren. in: Deutschland Archiv, 21.8.2015, Link: www.bpb.de/210953
Geb. 1980; 2005–2013 Studium der Geschichte und der Politikwissenschaft in Potsdam; seit 2005 freiberuflicher Musiker, seit 2010 freier Journalist, seit 2015 Chefredakteur einer monatlich erscheinenden Zeitschrift für Kultur und Lifestyle.
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