Kampf gegen "Professionalisierung und Kommerzialisierung" im Sport. Wie die DDR dennoch zu einem adidas-Land wurde (Teil II) | Deutschland Archiv | bpb.de
Kampf gegen "Professionalisierung und Kommerzialisierung" im Sport. Wie die DDR dennoch zu einem adidas-Land wurde (Teil II)
Peter Boeger
/ 13 Minuten zu lesen
Link kopieren
Im ersten Teil seines Beitrags schilderte Peter Boeger die Positionen der DDR-Führung gegenüber dem westdeutschen Sportartikelhersteller. In diesem abschließenden Teil geht er darauf ein, wie es adidas doch noch gelang, seine Präsenz in der DDR auszubauen.
Baden-Baden
Zum Ausgangspunkt für einen Paradigmenwechsel der DDR in Sachen Kommerzialisierung wurde 1981 die Tagung des Olympischen Kongresses in Baden-Baden. Doch zunächst deutete nichts dergleichen darauf hin. Manfred Ewald, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) der DDR und des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB), geißelte in seinem Vortrag die zunehmende Kommerzialisierung und Professionalisierung des Sports. "Mit der Verwandlung der Sportler zu lebenden Litfaßsäulen, zu laufenden und springenden Werbespots werden die Sportler in ihrer Persönlichkeit diskriminiert", glaubte Ewald. Damit nahm er ein altes Sprachbild des bundesdeutschen NOK-Präsidenten Willi Daume auf. Gesponsert werden sollten nur Sportvereine, nationale und internationale Sportverbände, nicht aber die Sportler selbst. Mit seinem Vorschlag versuchte Ewald, das Staatsmonopol im DDR-Sport in den zumeist positiv konnotierten Bereich des Amateursports zu rücken, ohne diesen direkt zu erwähnen. Letztlich war es eine Gespensterdebatte. Denn die hauptberuflichen DDR-Sportler hatten zumeist längst selbst erkannt, dass es praktisch keine Amateure im DDR-Spitzensport gab. Welche Linie Ewald und seine Sportfunktionäre tatsächlich verfolgten, wird am Beispiel der Olympia-Disziplin Boxen deutlich. Um die gefürchtete Konkurrenz auszuschalten, müsse erreicht werden, dass "den Profis der Zugang zu den Olympischen Spielen im Boxen verwehrt wird", so die interne Zielstellung des Deutschen Boxverbandes der DDR. Hier musste die DDR deren Training und technische Ausstattung unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten sowie deren hoch motivierten Kampfeswillen fürchten, der nicht zuletzt durch hohe Start- und Siegesprämien befördert wurde. Verhindert werden konnte dies freilich nur durch Einflussnahme auf Entscheidungen des AIBA-Kongresses beziehungsweise bei entsprechenden Abstimmungen.
Am Rande des XI. Olympischen Kongresses in Baden-Baden kam es am 22. und 28. September 1981 zu denkwürdigen Gesprächen. Die Genossen Manfred Ewald und sein engster Weggefährte Günther Heinze trafen auf adidas-Chef Horst Dassler. Dassler vermochte Ewalds Haltung zur Frage der Kommerzialisierung und Professionalisierung nicht verstehen, zeigte sich aber anerkennend zum philosophischen Standpunkt. Längst schon ließen sich Fußballspieler der Ungarischen Volksrepublik, Tennisspieler der ČSSR oder Fußballspieler der Sowjetunion für ihr Spiel bezahlen und gingen keiner beruflichen Tätigkeit nach, so Dassler. Die DDR werde ihre Haltung gegenüber den sozialistischen Ländern nicht durchsetzen können, da diese schon zu weit in die Kommerzialisierung verstrickt seien. Geschickt bezog sich Horst Dassler auf den Vortrag von Ewald: Im Westen seien uneigennützige Zuwendungen ohne Auflagen zur Finanzierung des Sports durch Sponsoren durchaus möglich. Damit knüpfte er an die Forderung Ewalds an, wonach die Sportler nicht individuell gesponsert werden sollten. Offensichtlich zur Beruhigung der Sportfunktionäre merkte Dassler an, er habe groß angelegte Werbekampagnen nicht nötig, da seine Produkte auf dem Markt eingeführt seien. Irritierend die Reaktion von Ewald. Als habe er nur auf eine derartige Argumentation gewartet, notierte er sich daraufhin: "Möglichkeiten: […] Abschluß von Verträgen zwischen dem DTSB und kapitalistischen Firmen hinsichtlich der Verwendung von deren Sportbekleidung und Ausrüstungsgegenständen mit Marken- bzw. Firmenzeichen durch Sportler der DDR, wofür diese Firmen an den DTSB zu vereinbarende Summen zu zahlen haben." Einen Monat nach Baden-Baden legte Heinze ein Positionspapier zur "Werbung am Mann" vor und gelangte zu einem erstaunlichen Ergebnis. Der DTSB sollte Markenzeichen auf importierter Sportkleidung akzeptieren und die sich daraus ergebenen ökonomischen Vorteile nutzen. Im Übrigen seien Markenzeichen gar keine Werbung. Heinze definierte: "Zur ‚Werbung am Mann‘ rechnet nicht [letztes Wort im Original unterstrichen], das Tragen anerkannter Warenzeichen der Herstellerfirma auf der Sportbekleidung und –ausrüstung […] – z.B. Germina-Warenzeichen [DDR-Produkt] auf der Skiunterseite, Adidas-Warenzeichen an Sportbekleidung, Aufschrift der Herstellerfirma an Boxhandschuhen usw. Hier kann man davon ausgehen, daß es sich um eine bereits weltweit praktizierte und anerkannte Praxis handelt – auch bei den Olympischen Spielen (siehe Moskau, einschl. Jury und Kampfrichter / Arena) - , die mit der bisherigen Regel 26 der Olympischen Charta zu vereinbaren ist." Doch so gänzlich wollte sich der DTSB nicht in die Hände des Sportartikelherstellers begeben. Das Warenzeichen mit den drei Blättern und die drei Streifen würden akzeptiert, nicht aber der Schriftzug. Daneben fürchtete Heinze im politisch-ideologischen Bereich Ungemach. Unter den Sportlern könnte der Eindruck entstehen, es würden bewährte marxistisch-leninistische Prinzipien aufgegeben und die Bevölkerung könnte die Importe als Devisenverschwendung missdeuten. Eine Lösung für diese Probleme bot er nicht an.
Im November 1981 verfassten Manfred Ewald, Thomas Köhler, ehemaliger Leistungssportler im Rennschlitten und Mitglied der DTSB-Präsidiums, und Günther Heinze auf der Grundlage des Gespräches in Baden-Baden ein Strategiepapier und legten es dem ZK-Sekretär Verner vor. Die Genossen beklagten zunächst, dass der Kongress keine Empfehlungen zu Fragen des "notwendigen Kampfes gegen den kommerziellen Mißbrauch des Sports und der schnell voranschreitenden Professionalisierung" aussprach, obwohl von Rednern gefordert. Und: Es sei festzustellen, dass die DDR in dieser Frage selbst unter Freunden keine Verbündeten mehr fände und sogar in Isolierung zu geraten drohe. Das Trio hielt an den bisherigen sportpolitischen Positionen der DDR grundsätzlich fest, schlug aber gegenüber Verner eine Öffnung des DDR-Sports für Werbeverträge vor, um die wachsenden Devisenausgaben bedienen zu können. So fanden die Argumente von Horst Dassler Eingang in die Sportpolitik der DDR.
Der Vertrag
Am 26. Mai 1982 traf in der adidas-Zentrale im bundesdeutschen Herzogenaurach Franz Rydz, Vizepräsident des DTSB der DDR, ein. Rydz war kein Unbekannter im Hause adidas. Als Rydz am nächsten Tag wieder abfuhr, hatte er vom adidas-Geschäftsführer Alfred Bente das Angebot für einen Werbevertrag in der Tasche. Noch im gleichen Jahr unterzeichneten adidas und der DTSB den Vertrag. Die Sportfunktionäre verpflichteten sich, dass alle Sportler von 14 einzeln aufgeführten Sportverbänden der DDR "bei allen offiziellen internationalen Wettkämpfen einschließlich der Olympischen Spiele, Welt- und Europameisterschaften, Spiel und Wettkämpfe um Welt- und Europapokale und internationale Begegnungen ausschließlich Sportartikel tragen und benutzen, die von adidas […] geliefert werden". Die Firma adidas sicherte sich das Recht, mit Sportlern der A-Mannschaften der DDR zu werben. Ein seltsam anmutender Nachsatz im Vertrag sollte offensichtlich Vorbehalte der DDR-Sportfunktionäre zerstreuen: durch die Werbung dürfe der Status des Amateursportlers nicht verletzt werden. In diesem Punkt war die DDR empfindlich. Einer Werbekampagne seitens adidas bedurfte es allerdings kaum. In jeder Fernsehübertragung, auf jedem Pressefoto mit Sportlern waren die Markenzeichen des Herstellers auf Schuhen und Kleidung unübersehbar.
Doch so ganz einig war sich die SED-Führungsspitze indes nicht. Rudolf Hellmann (1926-2005), ZK-Abteilungsleiter Sport und zeitweilig aussichtsreicher Nachfolgekandidat für den NOK Posten Manfred Ewalds, warnte ZK-Sekretär Paul Verner, vor Unterzeichnung des Vertrags. Danach dürfe "kein Sportler mehr unsere Einlaufschuhe Zeha oder Germinaprodukte tragen". Tatsächlich hatte adidas in den Globalvertrag einen Passus eingefügt, nach dem die DDR-Sportler bei praktisch allen relevanten Wettkämpfen ausschließlich adidas-Produkte tragen mussten. Jährlich 300.000 D-Mark sollten beim Kauf der adidas-Bekleidung verrechnet werden, der DTSB weiterhin 600.000 D-Mark bar kassieren. Bei ihrem Treffen in der Zentrale des Sportartikelherstellers vereinbarten der sozialistische Sportfunktionär und die kapitalistische Geschäftsleitung mündlich strengstes Stillschweigen. IM "Möwe" mit direktem Zugang zur adidas-Leitung und offenbar auch zum konkurrierenden Familienunternehmen Puma hatte aber weitergehende Vorstellungen, wie die DDR zu mehr Geld gelangen könnte. Leitende Mitarbeiter von Puma zeigten Unverständnis darüber, dass sich die DDR auf adidas festlege. "‘Puma‘ wäre sofort bereit, gleiche bzw. günstigere Bedingungen als ‚adidas‘ der DDR zu bieten." Warum die DDR auf diese Offerte nicht ansprang, ist nicht bekannt. 1983 erbat Paul Verner, Mitglied des Staatsrats und Vorsitzender des Volkskammer-Ausschusses für Nationale Sicherheit, beim Generalsekretär Erich Honecker die Zustimmung zu einem neuen Vertrag mit adidas über jährlich 1,8 Millionen D-Mark. Honecker zeichnete wie üblich mit "Einverstanden" ab. 1989 wurde der adidas-Vertrag mit einer Gesamtsumme in Höhe von 2,8 Millionen D-Mark einschließlich Materiallieferungen für vier Jahre verlängert.
Gleichwohl bedurfte es in der DDR einer öffentlich verwendbaren Argumentation, warum die A-Mannschaften der DDR nunmehr westliche Sportkleidung trugen. Ohne jegliche politisch-ideologischen Argumentation wurden vom Büro Verner zumeist technisch-organisatorische Aspekte zusammengetragen, etwa Qualitätsfragen der Westprodukte oder Fragen der Forschungs- und Produktionskapazitäten, die in der DDR zu schonen seien. Im Übrigen "haben wir bereits in der Vergangenheit für unsere Nationalmannschaftskader in einigen Sportarten Wettkampfbekleidung und -ausrüstungen von der Firma ‚adidas‘ ohne Firmenschild bezogen. […] Solche Verträge mit Sportartikelfirmen sind bereits alle Länder, darunter auch die sozialistischen Länder, seit Jahren eingegangen." Mittlerweile zeigte die DDR seltsame Parallelwelten: Während der DTSB mit Rückendeckung von Erich Honecker den adidas-Deal längst eingefädelt hatte und die SED sukzessive West-Werbung im Sportbereich zuließ, erfuhr die Bevölkerung nichts Offizielles und stellte verwundert Fragen. Die Partei- und Staatsführung musste daraufhin nachsteuern und verwies – nach jahrelanger Verzögerung – in ihren Begründungen auf gleichartige Entwicklungen in den sozialistischen Bruderstaaten (1988). Während Ostberlin weitere Werbeverträge mit dem Westen vorbereitete, trafen sich die Stasi-Minister Mielke und Tschebrikow und beschlossen einen Plan zur Aufklärung und Bekämpfung von ISL, adidas und NOC (1986). Während die A-Mannschaften der DDR bereits seit Jahren in Westkluft aufliefen, wetterte ZK-Abteilungsleiter Sport Rudolf Hellmann vor Parteigenossen gegen die imperialistischen und profitgierigen Sportartikelhersteller Puma und adidas (1987).
In diesem Fall verschwieg Hellmann wider besseren Wissens, dass adidas wiederum eine ergiebige Profitquelle für den DDR-Sport war. Am Ende des mehrstündigen Vortrags vor Mitarbeitern für Sportfragen bei den Bezirksleitungen der SED, des DTSB und Parteisekretären, fasste Hellmann zusammen: "Das beste Argument waren, sind und bleiben höchste Leistungen unserer Sportler und die der anderen sozialistischen Länder, mit denen die Überlegenheit unserer Gesellschaftsordnung weltweit dokumentiert wird, und um das Erreichen und Sichern dieser Leistungen geht es in erster Linie." Die um jeden Preis herbeigeführten Sporterfolge sollten der DDR zur Weltgeltung verhelfen. Ewald hatte es vormals – mit Blick auf die Olympiade in Moskau – noch kürzer gefasst: Nur Medaillen zählen.
Die Stasi beobachtete die Diskussion um Fragen der Kommerzialisierung und Professionalisierung mit Argwohn. In einer Information der MfS-Bezirksverwaltung Schwerin an die Partei fasste der Geheimdienst die Tendenzen in der Art eines Stimmungsberichtes zusammen, bezog sich auf sachkundige Trainer und Sportfunktionäre. Leistungssportler im Sportclub "Traktor" Schwerin, eine der Medaillenschmieden des DDR-Sports, hätten detaillierte Kenntnisse über Startgelder und Siegprämien in anderen Ländern. Das MfS merkte an: "Meinungen gehen auch in die Richtung, daß sich mit einer höheren finanziellen Stimulierung die Leistungen unserer Amateure auf Grund dieser zusätzlichen Motivation noch verbessern würden." Weiterhin gäbe es Befürchtungen, dass die Vorbereitungen nach der Nichtteilnahme der DDR an der Olympiade 1984 erneut vergeblich sein könnten. Für die eigene operative Ausrichtung leitete das MfS erhöhte Sicherheitsrisiken bei Aufenthalten der Leistungssportler im nichtsozialistischen Ausland ab, insbesondere bei der Geheimhaltung von Staatsgeheimnissen im DDR-Sportwesen.
In Anbetracht leerer Staatskassen zählten insbesondere Devisen, um Sportlern wie auch unterstützenden Fans die Reisen finanzieren zu können. DDR-Finanzminister Ernst Höfner (1929-2009) schlug Politbüromitglied Günter Mittag 1988 vor: "Die erforderlichen Valutamittel werden durch den Abschluss zusätzlicher Werbeverträge mit kapitalistischen Sportartikelfirmen finanziert. Die Höhe der Mittel, die daraus für Reisen zur Verfügung gestellt werden, wird jeweils jährlich nach Abstimmung zwischen dem Minister für Außenhandel, dem Präsidenten des DTSB und dem Minister der Finanzen festgelegt". Die nationale Vermarktung westlicher Werbung im Wege der Bandenwerbung als auch die der Startnummern steuerte der DDR-Außenhandelsbetrieb Interwerbung. Allein 1987 wurden so 960.000 Valuta-Mark erwirtschaftet. Im Juli 1988 erklären Neues Deutschland und das Organ des DTSB, Deutsches Sportecho, ihren Lesern, was schon zu Nachfragen irritierter Bürger führte: Warum werde bei Sportveranstaltungen der DDR für westliche Produkte geworben, die hier nicht einmal zu erhalten sind? Dabei ging die Werbung längst über Sport-und Freizeitkleidung hinaus. Bandenwerbung machte auf italienische Süßwaren und Wermut, amerikanische Computer oder Fotoprodukte eines internationalen Konzerns aufmerksam. "Wir unterscheiden deutlich zwischen den nützlichen Seiten der Kommerzialisierung einerseits und dem kommerziellen Mißbrauch des Sports andererseits", zitierten sich die DDR-Medien gegenseitig und fassten beruhigend zusammen: "Den Gewinn hat unser Land." Auch materielle Vorteile für erfolgreiche DDR-Sportler waren nun offiziell nicht mehr tabu. NOK-Vize Rudolf Hellmann hielt sie plötzlich für statthaft. Sie "füllen im modernen Profisport, der Olympia langsam aber sicher erobern wird, eine speziell in der DDR entstandene Lücke".
Schluss
Mit ihrer vordergründigen Wertediskussion um die Kommerzialisierung des Sports fand die SED im sozialistischen Lager zuletzt kaum noch Gehör. Andererseits standen sich scheinbar unvereinbar die Gegensätze von marktwirtschaftlicher Gewinnmaximierung bundesdeutscher Sportartikelhersteller und die sozialistische Chimäre des "Staatsamateurs" gegenüber. Dennoch kam es zu einer deutsch-deutschen Verflechtung. Ein Globalvertrag mit dem Klassenfeind führte dazu, dass die DDR zu einem adidas-Land wurde. Hauptakteure waren Horst Dassler, der "Erfinder der modernen Sportkorruption" und Manfred Ewald, altgedienter Gewährsmann der Ostberliner Machthaber für sportliche Spitzenleistungen und weltweiter Anerkennung der DDR. Der Eine setzte seine sportpolitische Gruppe zur Profitmaximierung ein, der Andere setzte als sozialistischer Sportfunktionär rücksichtslos und mit allen Mitteln die sportlichen Erfolge der Staatsamateure zum Ruhme der SED durch. Letztlich unterzog Ewald das Angebot von Horst Dassler einer Kosten-Nutzen-Analyse und erblickte einen interessanten Doppeleffekt in gleich zwei ausgeprägten Mangelbereichen: Devisen und Sportkleidung. Dassler darf als Strategie unterstellt werden, dass er langfristig den Sport- und Freizeitmarkt der DDR für sich gewinnen wollte. Gleichzeitig spitzte sich in der DDR die Versorgungslage bei Sportschuhen geradezu dramatisch zu. Das DDR-Ministerium für Handel und Versorgung konstatierte, dass 1982 der Bedarf an Sportschuhen nur zu einem Drittel gedeckt werden konnte und sich für 1983 ein weiterer Produktionsrückgang abzeichne. In dieser Situation versprach die Gestattungsproduktion, das heißt die Produktion eines Schuhmodells von adidas mit produktionstechnischer Unterstützung des bundesdeutschen Schuhherstellers Salamander, Abhilfe. Bei solchen Arrangements nutzten westdeutsche Unternehmen das niedrige Lohnniveau in der DDR. Der Großteil der Waren wurde in den Westen geliefert, ein kleinerer Teil konnte in den "Exquisit-Läden" von DDR-Bürgern gekauft werden. Im Februar 1983 fassten das Politbüro und der Ministerrat einen "Exquisit-Beschluss". Mit importierten bundesdeutschen Maschinen und Materialien sollte der erhöhte Sportschuhbedarf in der Bevölkerung bedient werden. Das MfS begleitete das Sondervorhaben "Sportschuhe" im Kombinat Schuhe Weißenfels mit einem IM in Schlüsselposition. 1985 schloss adidas mit dem DDR-Unternehmen "Exquisit" einen Vertrag über die Lieferung von Freizeitkleidung und Turnschuhen im Wertumfang von einer Million D-Mark jährlich ab, 1987 vereinbarte die DDR mit adidas eine Gestattungsproduktion für sportliche Freizeitbekleidung, die ausschließlich für die Versorgung der Bevölkerung bereitgestellt werden sollte. Mit Verkaufspreisen von bis zu 200 DDR-Mark waren Sportschuhe aus Gestattungsproduktion gemessen am üblichen dreistelligen Monatseinkommen der Bürger dennoch kaum erschwinglich. An original westliche Sportartikel zu gelangen, blieb zumeist eine unerfüllte Sehnsucht.
Der gescholtene Sportfreund Hermann Sack in Neuhaus an der Elbe dürfte sich in den 1980er Jahren verwundert die Augen gerieben haben bei so viel "adidas" im Frontstaat DDR. Bei der Abstimmung im BSG-Vorstand Traktor Neuhaus und DTSB über seinen Ausschluss konnten sich die Hardliner jedenfalls nicht durchsetzen, denn Sack hatte durchaus Befürworter. Am Ende stimmte eine hauchdünne Mehrheit für seinen Verbleib.
Zitierweise: Peter Boeger, Kampf gegen "Professionalisierung und Kommerzialisierung" im Sport. Wie die DDR dennoch zu einem adidas-Land wurde (Teil II), in: Deutschland Archiv 10.8.2015, Link: http://www.bpb.de/210501
Dr. M.A.; Geb. 1956; Leiter der Forschungsgruppe Regionalgeschichte beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen; Vorsitzender der Aufarbeitungsinitiative Checkpoint Bravo e.V. (Grenzmuseum) im Land Brandenburg.
Ihre Meinung ist uns wichtig!
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.