Am 21. Juni 2015, kurze Zeit vor seinem 83. Geburtstag, verstarb nach langer, schwerer Krankheit Alexander Schalck-Golodkowski in seiner Wahlheimat in Bayern, in die es ihn in den Wirren der Friedlichen Revolution in der DDR 1989 verschlagen hatte. Damals erlebte Schalck, wie er 2000 in seinen Memoiren schrieb, "die turbulentesten Wochen" seines Lebens.
Diese begannen am 30. Oktober 1989 mit einem Auftritt im DDR-Fernsehen und endeten mit Schalcks Flucht nach West-Berlin in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember 1989.
Im Fernsehen gestellte Fragen nach der Versorgung der Politbürosiedlung in Wandlitz mit westlichen Gütern parierte Schalck noch ganz gut, auch wenn er da etwas stammelte. Sie bildeten allerdings den Auftakt für eine Serie von Nachrichten über "KoKo" (wie der Bereich Kommerzielle Koordinierung intern abgekürzt genannt wurde) und Schalck. In den Wochen nach dem Fernsehauftritt wurde in Kavelstorf bei Rostock ein Waffenlager der KoKo-Firma IMES entdeckt. Der "Friedensstaat" DDR handelte also mit Waffen. In Mühlenbeck bei Berlin suchten Anwohner die vollklimatisierten Lagerräume einer weiteren KoKo-Firma auf, der Kunst & Antiquitäten GmbH. Von hier aus wurden also Kulturgüter "verscherbelt". In Berlin-Karlshorst wurden DDR-Journalisten in die Geschäftsräume des Staatlichen Handelsobjekts Letex geführt, eigentlich eine Firma des Ministeriums für Staatssicherheit, aber dennoch zuständig für die Versorgung von Wandlitz mit Südfrüchten, Bananen, gelegentlich auch Schmuddelfilmen. Schnell wurde bekannt, dass Schalck "Offizier im besonderen Einsatz" (OibE) des verhassten Ministeriums für Staatssicherheit war und überhaupt dieses mit allerlei Spionagetechnik versorgt hatte. Schließlich konnte ein Team des DDR-Jugendfernsehens „Elf 99“ besagte Bananen im Sonderladen der Politbürosiedlung abfilmen und überdies feststellen, dass die Mitglieder der SED-Führung westliche Produkte eindeutig präferierten.
Diese Berichte sollten das Bild über KoKo nachhaltig prägen und am Ende KoKo-Chef Schalck-Golodkowski keine andere Wahl lassen, als Anfang Dezember 1989 gemeinsam mit seiner Frau nach West-Berlin zu fliehen und sich der dortigen Polizei zu stellen. Aus dem Macher vom Oktober war binnen kurzem ein Sündenbock geworden.
Wer aber war Alexander Schalck-Golodkowski wirklich? Geboren wurde er am 3. Juli 1932 in Berlin als Sohn eines Staatenlosen russischer Abstammung. Einige Jahre später wurde er von einer deutschen Familie adoptiert. Mit seinem Doppelnamen machte er leibliche und Adoptiveltern zeit seines Lebens deutlich.
Schalck-Golodkowski verlebte Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus, ohne alt genug gewesen zu sein, um in den Krieg ziehen zu müssen. Für ihn taten sich nach Kriegsende ungeahnte Perspektiven auf. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Feinmechaniker, arbeitete dann aber nur kurz in seinem erlernten Beruf. 1952 wechselte er als Sachbearbeiter in einen Ost-Berliner Außenhandelsbetrieb und wenig später in das damalige Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel der DDR (MAI). Das schickte ihn von 1954 bis 1957 zu einem Internatsstudium an die Hochschule für Außenhandel in Staaken, westlich von Berlin. Kurz zuvor, anlässlich Stalins Tod am 5. März 1953, hatte er den Antrag auf Aufnahme in die SED gestellt, nachdem er bereits 1951 Mitglied der FDJ geworden war. Nach „Kandidatenzeit“ wurde Schalck 1955 reguläres Mitglied der Staatspartei.
Seine politische Zuverlässigkeit stellte er überdies 1958 bei der „Entlarvung parteifeindlicher Elemente“ im MAI unter Beweis. Nicht von ungefähr bekam seine Karriere in der DDR dadurch weiteren Schub. Nach Etappen in Leitungspositionen im MAI und bei der Ständigen Kommission Bauwesen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe wurde Schalck 1962 (da war er gerade einmal 30 Jahre alt) 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Außenhandel und stand damit allen SED-Mitgliedern im gesamten DDR-Außenhandel vor. Er war bereits da ein mächtiger Mann, dessen Wort Gewicht hatte: Ende Dezember 1965 schlug er der SED-Spitze vor, bereits bestehende und einige noch zu gründende besondere Außenhandelsfirmen unter eine gemeinsame Leitung zu stellen, die fortan "außerhalb des Plans" zusätzliche Devisen für die DDR erwirtschaften sollten.
Am 1. April 1966 nahm KoKo seine Tätigkeit auf, für wenige Monate noch unter anderer Leitung und unter der Bezeichnung "Bereich Kommerzielle Beziehungen". Im Dezember 1966 kam es zum Namenswechsel und zur Berufung Schalcks zum Leiter, was er bis zu seiner Flucht Anfang Dezember 1989 bleiben sollte. Hier wurde er zum "kommunistischen Kapitalisten". Mit Mitte 30.
Unter seiner Führung erwirtschaftete KoKo mindestens 28 Milliarden Valutamark (VM) Gewinn.
Der weit überwiegende Teil der KoKo-Geschäfte lief dagegen völlig legal ab und entsprach internationalen Gepflogenheiten. Was KoKo vom geplanten Außenhandel der DDR indes unterschied, war die privilegierte Rechtsstellung, die Schalck und seine Mitarbeiter weidlich auszunutzen wussten. Als Devisenausländer mussten die KoKo-Firmen Einnahmen in Devisen nicht sofort abführen oder welche für Importgeschäfte beantragen. Sie konnten realwirtschaftliche (Liefer- und Bezugs-)Geschäfte mit finanzwirtschaftlichen (Währungsspekulation oder Festgeldanlagen) kombinieren. KoKo war Monopolist bei Sonderimporten und -exporten aus der DDR-Volkswirtschaft. Viele westliche Firmen unterstanden der Zwangsvertretung gegenüber den DDR-Betrieben durch die KoKo-Firma Transinter. Die 1962 gegründete "Intershop GmbH" und ihre Nachfolgerin, die "Forum Handelsgesellschaft", fungierten als Großhändler für die Belieferung der Devisenläden in der DDR. Intrac, die „Berliner Import- und Exportgesellschaft“ (BIEG) und andere KoKo-Firmen konnten anders als die spezialisierten (und damit auch fragmentierten) Betriebe des planwirtschaftlich geführten Außenhandels verschiedene Geschäftszweige miteinander kombinieren. Intrac handelte mit Rohstoffen, chemischen Erzeugnissen (allen voran Mineralölerzeugnissen), betrieb Agrarhandel, beteiligte sich auch an Banken. Sie nahm Müll aus West-Berlin, Hamburg und weiteren Bundesländern und westeuropäischen Staaten ab. BIEG verkaufte Hausschuhe, handelte mit Blutplasma und erbrachte Dienstleistungen bei der Durchführung von Arzneimitteltests in der DDR für westliche Pharmaunternehmen. Finanzgeschäfte waren auch ihr Metier.
Das alles brachte KoKo und der DDR Milliarden an Devisengewinnen ein. Besonders vorteilhaft für sie war die Existenz von West-Berlin als "Insel", die vollständig von DDR-Gebiet umgeben war. Die als "Agentenzentrale amerikanischer Geheimdienste" von den einen geziehene und als "Vorposten der Freiheit" von den anderen gepriesene Teilstadt lebte in einer symbiotischen Beziehung mit der DDR, und KoKo verdiente immer mit: 1970 deckte die DDR die Hälfte des West-Berliner Bedarfs an Benzin, Diesel und anderen Kraftstoffen. Anderthalb Jahrzehnte später waren es 60 beziehungsweise 70 Prozent Marktanteil, die sich Intrac und der "Volkseigene Außenhandelsbetrieb Chemie" je zur Hälfte teilten. Baustoffe, Fleischerzeugnisse, Milch, Obst und Gemüse wurden geliefert, und zu fragen ist, was aus West-Berlin und der DDR geworden wäre, wenn es die vermeintlich so unangenehme Konstellation nicht gegeben hätte. Immerhin war Schalck 1988 noch am letzten "Gebietstausch" mit West-Berlin beteiligt, bei dem – verfassungswidrig – die DDR netto Land veräußerte. Es handelte sich unter anderem um das sogenannte Lenné-Dreieck zwischen dem Großem Tiergarten und dem Potsdamer Platz.
Das Meisterstück Alexander Schalck-Golodkowskis in seiner Tätigkeit für die DDR war indes die Bewältigung der Kreditkrise, in die das Land Ende 1981 geraten war und die bis 1984 andauerte. Er fädelte 1983 und 1984 gemeinsam mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zwei Milliardenkredite westdeutscher Großbanken an die DDR ein. Von ihnen wird gesagt, sie hätten die Zahlungsunfähigkeit der DDR abgewendet, dabei war den Verantwortlichen in der DDR bereits Anfang 1982 klar, dass das Land den kommenden Sommer nicht überstehen würde.
Es überstand ihn, obwohl die DDR von Ende 1981 bis Juni 1983 keine Kredite westlicher Banken mehr erhielt. Es wendete die Zahlungsunfähigkeit ab, weil unter anderem unter Schalcks Führung 1982 eine Exportoffensive auf Kosten der Versorgung der DDR-Volkswirtschaft und ihrer Bevölkerung startete, und weil Schalck mit Hilfe verwegener Finanz- und Warenoperationen in Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Außenhandelsministerium in dieser Zeit Liquidität in Höhe von 8,3 Milliarden VM produzieren konnte.
Hierzu kaufte die DDR in der UdSSR Rohöl, in Frankreich Weizen und in der Bundesrepublik Schweinehälften – jeweils mit längerer Zahlungsfrist von 90 bis 360 Tagen – und verkaufte dieselbe Ware – jeweils mit kurzer Zahlungsfrist von 30 Tagen – weiter. In der Kombination von Öl- mit Agrargeschäften vermochte es KoKo, für bis zu 450 Tagen über Deviseneinnahmen frei verfügen zu können, die erst danach für das endgültige Bezahlen der eigenen Bezüge genutzt werden mussten. Damit blieb die DDR fortgesetzt zahlungsfähig, bis zu dem Zeitpunkt, als sich ihr mit den beiden „Strauß-Krediten“ wieder die Türen westlicher Banken öffneten.
Die Kreditkrise vom Beginn der 1980er Jahre leitete die Agonie der DDR ein und mündete im Zusammenbruch der SED-Herrschaft im Herbst 1989. Kurz zuvor hatte Schalck mit Planungen für das Meistern einer erneuten Zahlungskrise begonnen, in die die DDR zu Beginn der 1990er Jahre geraten wäre. Ob Schalck auch diese gemeistert hätte, wissen wir nicht, doch deuten die Planungen an, dass der politische Zusammenbruch von 1989 den wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR nur um wenige Jahre zuvorgekommen ist.
Alexander Schalck-Golodkowski erlebte diese Zeit im bayerischen „Exil“. Nach seiner Flucht wurde er von der Modrow-Regierung zur Fahndung ausgeschrieben. KoKo und ihre Unternehmen wurden in die Abwicklung geschickt, sofern sie nicht durch langfristige Verträge weiter gebunden waren.
Im vereinigten Deutschland musste sich Schalck mehreren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen stellen. Es liefen Dutzende von Ermittlungsverfahren gegen ihn, und zwei davon führten auch zu Verurteilungen zu Bewährungsstrafen. Eine schwere Krebserkrankung machte ihn schließlich verhandlungsunfähig. 2003 erlitt Schalck einen Herzstillstand und war in den letzten Jahren seines Lebens auf Pflege angewiesen.
In Bayern war Schalck noch einmal unternehmerisch tätig geworden. Seine Frau und er gründeten eine Firma, die Unternehmen in ihrem osteuropäischen Geschäft beraten sollte. Nicht wenige seiner früheren Geschäftspartner werden sicherlich nicht vergessen haben, welch gute Geschäfte sie über Schalck mit der DDR gemacht hatten. Sie werden Schalck ihre Fürsorge nicht verweigert haben.
Zitierweise: Matthias Judt, Ein kommunistischer Kapitalist. Zum Tode von Alexander Schalck-Golodkowski, in: Deutschland Archiv, 2.7.2015, Link: www.bpb.de/209006