In der Biografie Hermann Webers, der im August 1928 in Mannheim geboren wurde und hier im Dezember 2014 als vielfach geehrter und weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus bekannter Historiker verstarb, spiegelt sich die widersprüchliche und wechselvolle Geschichte dieser achteinhalb Jahrzehnte in vielfältiger Weise wider. Dies lässt sich für jeden Abschnitt seiner persönlichen Prägungen und seiner eng mit diesen verwobenen politischen Überzeugungen aufzeigen.
Als Arbeitersohn wuchs er in einer unruhigen Welt auf, in der die Weltwirtschaftskrise und der Untergang der Weimarer Republik auch in Mannheim das Alltagsleben erschütterten. Seine Kindheit und seine Jugend waren vom Nationalsozialismus überschattet, als er hautnah dessen Willkürherrschaft erlebte, die von grenzenloser Gewalt, gnadenloser Grausamkeit und unvorstellbaren Verbrechen geprägt war. Er war sechs Jahre alt, als die Geheime Staatspolizei seinen Vater verhaftete und für eineinhalb Jahre ins Gefängnis sperrte, weil dieser als überzeugter Kommunist sich im Widerstand gegen die NS-Diktatur engagiert hatte. Sechszehn Jahre war er alt, als er 1944 seine Ausbildung zum Lehrer und damit einen beruflichen Aufstiegsweg abbrechen musste, weil er sich weigerte, in die Waffen-SS einzutreten. Denn die ihm im Elternhaus vermittelten Werte konnte und wollte er nicht preisgeben.
Ein Jahr später, nach der Niederwerfung des Nationalsozialismus, folgte er dem politischen Vorbild seines Vaters und trat mit 17 Jahren als Jungkommunist in die KPD ein. Hermann Weber wurde zu einem überzeugten, aber nicht blind gläubigen Mitglied dieser 1945 wiedergegründeten Partei. Das Recht auf eine eigene Meinung und auf selbständiges Denken ließ er sich nämlich auch in den Jahren nach der nationalsozialistischen Unterdrückung von niemandem nehmen. Dies dokumentiert eindrucksvoll seine 2002 veröffentlichte Autobiografie, in der er facettenreich und selbstkritisch seine Laufbahn als junger kommunistischer Funktionär in den späten 1940er Jahren beleuchtet hat.
An der Parteihochschule der SED, die er zwischen 1947 und 1949 in der Sowjetischen Besatzungszone besuchte, gab man ihm den Decknamen "Hermann Wunderlich". Dieses Pseudonym war, wie man rückblickend wohl feststellen darf, eine durchaus zutreffende Charakterisierung des jungen Parteischülers und seines ausgeprägten Eigen-Sinns. "Hermann Wunderlich" war nämlich ein Kenner der Philosophie von Max Stirner, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Werk der Aufklärung als konsequenter Individualist weiterdenken wollte. "Hermann Wunderlich" war zugleich auch ein begeisterter Anhänger der dadaistischen Kunst und Literatur. Er sammelte Grafiken von Hans Arp oder Kurt Schwitters, deren unkonventionelle Lautgedichte er sein Leben lang zitieren konnte. Und schließlich war der Parteischüler "Wunderlich" ein intensiver und kritischer Leser von historischen Quellen. Nicht zufällig weckte die Lektüre der Protokolle der Moskauer Schauprozesse aus den 1930er Jahren bei ihm erste Zweifel an der stalinistischen Säuberungspolitik und ihrer ideologischen Rechtfertigung.
Fortan ließ ihn dieses Thema nicht mehr los. Die Erforschung der kommunistischen Terrorgeschichte wurde für Hermann Weber zu einer wissenschaftlichen Herausforderung, die ihn immer wieder aufs Neue beschäftigt hat. Als akribischer Geistesarbeiter folgte er hierbei der methodischen Devise, man könne die Wahrheit vielleicht finden, wenn man die verschiedenen Formen ihrer Verformung und Verfälschung sorgfältig miteinander vergleiche. Damit wurde er - im Wortsinn - zu einem "radikalen" Forscher, der die programmatischen Wurzeln und die parteipolitische Entwicklung des Kommunismus systematisch sezierte. Immer wieder fragte er, wie aus einer ideengeschichtlich im Humanismus und in der klassischen Philosophie verankerten politischen Theorie sich unter der Herrschaft Stalins in der Sowjetunion eine totalitäre Weltanschauung entwickeln konnte, die mörderisch und menschenverachtend war.
Hermann Webers Bruch mit der KPD in der Ära des Stalinismus erfolgte aus der Erkenntnis, dass er die Widersprüche zwischen Worten und Taten in der Theorie und Politik des Kommunismus nicht mehr länger rechtfertigen und ertragen konnte. Keineswegs zufällig kam es zum ersten offenen Konflikt mit der Generallinie Moskaus, als er als Chefredakteur der westdeutschen Jugendzeitung der KPD ein Grußtelegramm Stalins 1952 nicht als Aufmacher in seiner Zeitung platzierte. Daraufhin ließ ihn Erich Honecker, der zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender der "Freien Deutschen Jugend" in der DDR war, von seinem Posten absetzen.
Für Hermann Weber begann nun der Trennungsprozess von einer Lebenswelt, in der er aufgewachsen war und die ihn persönlich und politisch geprägt hatte. Er verlor in diesem durchaus auch schmerzhaften Prozess fast alle seine persönlichen Freunde in der KPD. Für sie war er fortan nicht nur ein politischer Dissident, sondern zugleich auch ein privater Gegner, mit dem sie nichts mehr zu tun haben wollten und den sie mit absurden Verdächtigungen brandmarkten. Wie sehr ein junger Mensch, dem Selbstzweifel und Selbstkritik nicht fremd waren, von diesen maßlosen und schrillen Anschuldigungen getroffen wurde, lässt sich aus der historischen Distanz nur schwer einschätzen. Hermann Weber traf nun der totalitäre Bannfluch einer Bewegung, für die er jahrelang mit ganzer Kraft gearbeitet hatte.
Gleichzeitig wurde er in der Bundesrepublik auch noch zum Opfer der Kommunistenverfolgung, die in den frühen 1950er Jahren ihren hektischen Höhepunkt erreichte. Während er und seine Frau, die er auf der Parteihochschule kennengelernt hatte, sich vom Stalinismus lösten, gerieten beide nämlich in das Visier des für den Staatsschutz zuständigen Generalbundesanwaltes in Karlsruhe. Dieser ließ das Ehepaar 1953 monatelang als kommunistische "Rädelsführer" einsperren, ohne eine Anklage zu erheben und ohne den in Essen und Heidelberg getrennt inhaftierten Eheleuten eine Kontaktmöglichkeit zu gewähren. Nicht einmal ein Blumenstrauß, den Gerda Weber ihrem Mann schickte, wurde diesem übergeben.
Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wetteiferten also die miteinander verfeindeten Lager in Ost und West in einem aus heutiger Sicht kaum mehr vorstellbarem Eifer darum, den 25-jährigen Hermann Weber und seine Frau zu ihren Hauptfeinden zu stilisieren. Hermann Weber selbst schrieb, als er auf diese Jahre zurückblickte, dass er sich damals darüber amüsiert habe, welche Gefährlichkeit ihn von den beiden Konkurrenten des Kalten Krieges in den frühen 1950er Jahren zugeschrieben worden sei. Aber er und seine Frau standen damals politisch und persönlich buchstäblich zwischen den Fronten von West und Ost, weil sie es gewagt hatten, selbstständig zu denken und nonkonformistisch zu handeln, weil sie sich geweigert hatten, als fügsame und gehorsame kommunistische Parteisoldaten kopflos zu gehorchen.
Zwischen den Fronten standen beide aber auch deshalb, weil ihnen der restaurative Geist der frühen Bundesrepublik schwer auf der Seele lag. Sie mussten nämlich mit ansehen, wie man in der Bonner Republik die Verbrechensgeschichte des Nationalsozialismus verdrängte, viele seiner Opfer vergaß, aber gleichzeitig seine Mitläufer großzügig in den neuen Staat integrierte und sogar über namhafte Täter des NS-Regimes den Mantel des "diskreten Schweigens" deckte, wie die historische Forschung dieses skandalöse Verhalten später charakterisiert hat.
Als Arbeitsloser, der nun mit dem niedrigsten Unterstützungssatz leben musste, hatte Hermann Weber eigentlich keinen Anlass, sich über seine persönliche Lage lustig zu machen. Er und seine Frau waren, wie sie sich erinnerte, nach der Entlassung aus der Haft "arm wie die Kirchenmäuse". Gerda Weber trug zum gemeinsamen Lebensunterhalt als Vertreterin für Haushaltsgeräte bei, mit denen sie in Mannheim von Tür zu Tür zog. Ihr Mann stockte sein Arbeitslosengeld als Anzeigenverkäufer für Zeitungen auf.
Erste wissenschaftliche Lorbeeren konnte Hermann Weber im Alter von 27 Jahren ernten, als er 1955 für einen Aufsatz über Friedrich Engels einen Preis der Evangelischen Akademie gewann. Doch auch die nächsten Jahre seines Lebens, in denen er als freier Journalist mit seiner Frau immer noch von der Hand in den Mund leben musste, waren für das Ehepaar Weber nicht von wachsendem Wohlstand geprägt. Zum Wirtschaftswunderland standen beide prinzipiell in kritischer Distanz. Ihre Lebensführung blieb auch weiterhin bescheiden.
Diese Bescheidenheit prägte ihr gemeinsames Selbstverständnis, auch dann noch, als Hermann Weber als Universitätsprofessor beruflich und finanziell auf festem Boden stand. In ihrer Mannheimer Wohnung bewirteten sie jahrzehntelang zahlreiche Besucher. Diese Wohnung war aber auf eine besondere Weise extravagant. Man kann sie nämlich als eine bibliophile und archivalische Schatzkammer charakterisieren, in deren Bücherbergen und Dokumentensammlungen nur Hermann Weber und seine Frau sich zurechtfanden. Hier waren ihr Alltagsleben und ihre gemeinsame Forschungsarbeit auf das Engste miteinander verzahnt.
Die Wegstrecke vom Journalisten zum Universitätsprofessor absolvierte Hermann Weber in den 1960er Jahren in einem schon damals und heute erst recht unvorstellbarem Tempo: Im Alter von 36 Jahren holte er 1964 sein Abitur nach. Nach nur vier Studienjahren wurde er 1968 an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim promoviert. Bereits zwei Jahre später habilitierte ihn diese in vielerlei Hinsicht wissenschaftlich progressiv geprägte Fakultät. Ihr blieb er in den folgenden Jahrzehnten als Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte treu.
Man kann den rasanten Aufstieg Hermann Webers vom spät gestarteten Studenten zum bereits sechs Jahre später ernannten Universitätsprofessor als einen mit großem Fleiß und viel Energie erarbeiteten Karrieresprung auf einem schwierigen persönlichen Lebensweg charakterisieren. Zugleich spiegelt sich in diesem akademischen Aufstieg des Mannheimer Arbeitersohnes aber auch der parallel einsetzende Prozess der inneren Liberalisierung der Bundesrepublik wider. In dessen dynamischem Verlauf vollzog sich während der 1960er Jahre, also zwischen der Abenddämmerung der Adenauerära und dem Aufbruch der sozialliberalen Koalition, ein tiefgreifender Wertewandel. Und am Ende dieser politischen und mentalitätsgeschichtlichen Wendejahre konnte man auch ohne Talar zu akademischen Würden kommen, wenn man sich - wie Hermann Weber - durch wissenschaftliche Leistungen besonders ausgezeichnet hatte.
In seinem Fall war dies die mittlerweile zu einem Klassiker der Kommunismusforschung gewordene zweibändige Darstellung über die Wandlungen des deutschen Kommunismus in der Weimarer Republik. In diesem Werk hat Hermann Weber prägnant und plausibel die Stalinisierung der KPD als eine von Moskau ferngesteuerte Partei analysiert, die im Laufe der 1920er Jahre alle emanzipatorischen Ideen aus ihrer Gründungszeit preisgab und zu einem erbitterten Feind der parlamentarischen Demokratie in Deutschland wurde.
Mit dieser bahnbrechenden Fallstudie präsentierte Hermann Weber erstmals seine ihn seitdem kennzeichnende Forschungsmethode als Kommunismusexperte. Man kann sie als das permanente Nachdenken über die Wirkungsmacht von ideologischen Prägekräften in einem Milieu definieren, in dem er selbst sozialisiert worden war. Ihn ging es in all seinen Arbeiten zu diesem Lebensthema immer wieder darum, die Geschichte des Kommunismus als eine Geschichte der großen emanzipatorischen Hoffnungen und der ebenso großen diktatorischen Enttäuschungen zu analysieren. Mit unverstelltem Blick hat er die einzelnen Phasen der folgenreichen Verformung der kommunistischen Bewegung historisch rekonstruiert und ihre sich daraus ergebende politische und programmatische Erstarrung in einem totalitären System bewertet.
Webers geradezu exemplarische Neugier am Scheitern der kommunistischen Utopie war ein charakteristisches Merkmal aller seiner wissenschaftlichen Arbeiten, die er in seiner Doppelrolle als Zeitzeuge und als Zeithistoriker publizierte. Er wollte, wie er rückblickend in seinen Erinnerungen schrieb, die "Legenden und Lügen" der kommunistischen Ideologie aufdecken, den Wahrheitsgehalt der kommunistischen Geschichtsdeutungen überprüfen und ihren dogmatischen Anspruch auf Alleingeltung widerlegen. Geschichtsschreibung war für ihn immer Aufklärung und nicht Verklärung oder gar Verzerrung der Vergangenheit.
Seine zahlreichen Beiträge zu den verschiedenen theoretischen Positionen des Marxismus, des Leninismus und des Stalinismus, seine scharfsinnigen Analysen zur Parteigeschichte der KPD und der SED, seine jahrzehntelang gegen alle politischen Widerstände verfochtene Position, man müsse sich wissenschaftlich und nicht nur propagandistisch mit der DDR und ihrer Geschichte auseinandersetzen, und sein Bemühen, ein kritisches, aber realitätsnahes Bild des ostdeutschen Arbeiter- und Bauernstaates zu vermitteln, haben ihm im Laufe der Zeit in der Bundesrepublik wachsende Anerkennung eingebracht. Gleichzeitig wurde er in der DDR zu einer "Persona non grata". Die Führung der SED setzte Spitzel auf ihn an. Und das Ministerium für Staatssicherheit ließ sogar geheime Dissertationen über ihn schreiben, die seine antikommunistische Zersetzungsarbeit dokumentieren sollten.
Bis zum Mauerfall im November 1989 waren seine in vielerlei Hinsicht bahnbrechenden Studien zur Herrschaftsgeschichte der DDR an seinem Mannheimer Arbeitsplatz entstanden, von wo aus er systematisch und mit nie nachlassender Neugier die Entwicklung des SED-Regimes durchleuchtete. Hier hatte er an der Universität seit den siebziger Jahren einen eigenen Forschungsbereich auf- und ausgebaut, der in dieser Phase der deutschen Zweistaatlichkeit zum wichtigsten zeithistorischen Zentrum der westdeutschen DDR-Forschung wurde.
Auf die Frage, warum er diese wissenschaftliche Kärrnerarbeit auf sich genommen habe, die in der Bundesrepublik lange Zeit nur auf wenig Resonanz stieß, gab Hermann Weber eine für ihn typische Antwort: Er wolle einsehbar machen, dass man soziale Gerechtigkeit nicht auf diktatorischem Wege herstellen könne, weil dies dann stets auf Kosten der Freiheit des Einzelnen gehe.
In dieser Antwort bündelte Hermann Weber den Kern seiner programmatischen Überzeugungen, deren Richtmarke er immer wieder als "Prinzip Links" definierte. Darunter verstand er die Emanzipation und Selbstbestimmung der arbeitenden Menschen in einem solidarischen Sozialstaat, das politische Zusammenleben aller Bürger in einer pluralistischen Demokratie, die Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit garantierte und jede Form von staatlicher Bevormundung vermied. Zum Prinzip Links gehörte für ihn insbesondere auch ein über alle Parteigrenzen und Religionsgebote hinausreichender gesellschaftlicher Konsens, dass die Freiheitsrechte eines jeden Individuums zu respektieren und zu schützen seien.
Diese klare Wertorientierung teilte Hermann Weber mit seiner Frau, die ihm mehr als sechs Jahrzehnte lang als politisch engagierte Lebensgefährtin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin immer solidarisch zur Seite stand. Ihre gemeinsam verfassten Erinnerungen über diese jahrzehntelange tiefe persönliche und politische Verbundenheit tragen deshalb nicht zufällig den Titel "Leben nach dem Prinzip Links".
Die sich an diesem Grundsatz orientierende Haltung spiegelte sich auch im gesellschaftlichen Engagement Hermann Webers und seiner Frau wider. Sie gründeten zusammen die gemeinnützige Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung, mit der sie seit vielen Jahren aus eigenen Mitteln Forschungsarbeiten zur Zeitgeschichte unterstützen und dabei - auch mit Blick auf ihre eigenen Lebenserfahrungen - vor allem jungen Nachwuchswissenschaftlern helfen, die diese finanzielle Förderung benötigen.
Hermann Weber begnügte sich zudem nie damit, nur Hochschullehrer zu sein oder sich gar im Elfenbeinturm der Wissenschaft einsperren zu lassen. Parallel zu seiner Professorentätigkeit bezog er immer wieder publizistisch Stellung und mischte sich dort ein, wo er es für richtig hielt, in die Tagespolitik ebenso wie in publizistische oder fachhistorische Kontroversen. Er war, wie Wolfgang Thierse aus Anlass seines achtzigsten Geburtstages formuliert hat, ein "homo politicus", dessen auf eigenen Erfahrungen basierendes Interesse an der Geschichte stets auch ein Interesse an der Gegenwart gewesen ist. Dies hat er nie nur aus der vermeintlich vornehmen akademischen Distanz, sondern immer auch aus der Perspektive des engagierten Bürgers wahrgenommen, der seine Positionen offen begründete und öffentlich für sie eintrat.
Den atemberaubenden Aufschwung und die rasante Expansion der DDR-Forschung nach 1989 hat Hermann Weber nicht nur miterlebt, sondern in den Jahren nach der friedlichen Revolution im vereinten Deutschland auch in vielerlei Hinsicht mitgeprägt. Er gehörte den beiden vom Bundestag berufenen Enquete-Kommissionen als ein herausragender Experte an, als diese in den 1990er Jahren die Herrschaftsstrukturen und Herrschaftsmethoden der DDR parteiübergreifend untersuchten. Er war der Spiritus Rektor bei der Gründung der Stiftung Aufarbeitung, deren Ziel es ist, die Ursachen und Folgen der DDR-Diktatur systematisch zu erforschen. Und er sorgte sich mit leidenschaftlichem Engagement darum, dass alle Archive der DDR, vor allem auch die Akten der Staatssicherheit, gesichert und ausgewertet werden konnten.
Das Prädikat, der Nestor der Kommunismusforschung zu sein, verdiente sich Hermann Weber in dem Vierteljahrhundert seit dem Mauerfall in jeder Hinsicht. In dieser Zeitspanne wurde er in der Tat zu einem Ebenbild dieses griechischen Sagenhelden, weil er - wie dieser mythologische Nestor - seine Kollegen und Freunde immer wieder beeindruckte: mit Altersweisheit und Redlichkeit, mit seiner nüchternen Urteilsfähigkeit und seinem analytischen Denken, aber auch mit einer heiteren Lebenslust, die ihn und seine Frau gleichermaßen auszeichnete.
Die von Hermann Weber nach dem Zusammenbruch der diktatorischen Systeme in Osteuropa veröffentlichten Studien zu den verschiedenen Themenfeldern der Kommunismusforschung waren nie aus der Perspektive des Renegaten geschrieben, der nun eifernd und triumphierend alles in Grund und Boden verdammte, was im Namen des in der DDR so absurd auf den Begriff gebrachten "real existierenden Sozialismus" geschehen war. Vielmehr suchte er stets auch das Gespräch mit Kollegen aus der DDR, auch mit denen, die ihn jahrzehntelang als ihren Lieblingsfeind attackiert hatten. Er plädierte nun für einen vernünftigen politischen und wissenschaftlichen Dialog über die ehemaligen Lagergrenzen hinweg und für eine fundierte gemeinsame Auseinandersetzung mit den Problemen der vergleichenden Diktaturforschung.
Von "Schwarzbüchern", die den Kommunismus pauschal verdammten und ohne substantielle Analysen einfach auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus stellten, hielt Hermann Weber überhaupt nichts. Auch deshalb gründete er das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, das seit 1993 als international ausgerichtete Zeitschrift die Entwicklung der kommunistischen Systeme, ihre Gemeinsamkeiten und ihre Unterschiede aus europäischer und globaler Perspektive in das Blickfeld rückt und mit den Methoden der vergleichenden Extremismusforschung analysiert.
Die von Hermann Weber nach seiner Emeritierung als Universitätsprofessor mehr als zwanzig Jahre lang mit großer Intensität und geduldiger Klugheit fortgeführte Forschungsarbeit erwuchs insbesondere auch aus seinem überzeugten und bewussten Engagement gegen das Vergessen. Dieses Anliegen dokumentiert besonders eindrucksvoll das von ihm gemeinsam mit Andreas Herbst in einer kraftraubenden und mühsamen Spurensuche seit der Jahrhundertwende erarbeitete biographische Standardwerk "Deutsche Kommunisten". In ihm haben die beiden Autoren die Lebensschicksale von 1400 KPD-Mitgliedern für den Zeitraum von 1918 bis 1945 dem Vergessen entrissen und an deren oft tragisches Schicksal erinnert, das sie als Verfolgte und Mordopfer des Nationalsozialismus oder des Stalinismus erdulden mussten.
Diese letzte große Sisyphusarbeit an seinem Lebensthema machte Hermann Weber trotz aller Mühen und Anstrengungen besonders glücklich, ganz im Sinne von Albert Camus, der Sisyphus als einen glücklichen Menschen charakterisiert hat, weil dieser sich an der Sehnsucht nach einem sinnvollen Leben orientiert habe und weil dessen Arbeit daher nie sinnlos gewesen sei. Dies kann man in gleicher Weise auch von Hermann Weber sagen. Wir werden Hermann Weber deshalb als glücklichen Sisyphus in unserem Gedächtnis bewahren.
Zitierweise: Klaus Schönhoven, Zeitzeuge und Zeithistoriker. Würdigung von Prof. Dr. Hermann Weber (1928-2014), in: Deutschland Archiv, 29.1.2015, Link: http://www.bpb.de/200031