DA: Hat die (überwundene) Teilung Deutschlands noch eine Relevanz für die nachfolgenden Generationen oder wird die DDR rückblickend nur eine Fußnote der Geschichte bleiben?
Dr. Angela Siebold: Die Teilung Deutschlands hat über 40 Jahre angedauert. Selbstverständlich wirkt dies noch nach, sowohl in der familien- als auch in der eigenen, lebensgeschichtlichen Erfahrungswelt. Allerdings wird für die jüngere Generation der Abstand zur Teilungszeit größer. Das ist auch richtig so, schließlich haben die heute 20-Jährigen die DDR nicht mehr erlebt. Hier treten nun andere, regionale Unterschiede in den Vordergrund: Unterschiede zwischen Nord und Süd gibt es ebenso wie zwischen West und Ost oder zwischen Stadt und Land. Zusätzlich erfahren für die junge Generation etwa Berlin oder Leipzig einen Bedeutungswandel: Wer dorthin zieht, geht nicht in den "Osten", sondern dahin, wo viel in Bewegung ist.
Welche Bedeutung der DDR in der allgemeinen deutschen Geschichte zukommen soll, darüber wird noch gestritten und dieser Aushandlungsprozess wird noch lange nicht abgeschlossen sein. Aber auch hier, bei der Historisierung der DDR, wird sich die junge Generation aktiv einbringen.
DA: Wie muss DDR-Geschichte im Sinne der politischen Bildung vermittelt werden, um die Nach-Wende-Generation und insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen?
Dr. Angela Siebold: Die Bildungslandschaft in Deutschland sollte sich von der Vorstellung verabschieden, dass man Geschichte vor allem dann gut vermitteln kann, wenn sie in der eigenen Familie erlebt worden ist. Das ist nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund problematisch, sondern wird auch mit dem zunehmenden generationellen Abstand zum Nationalsozialismus und der DDR-Geschichte schwierig. Stattdessen sollte es um die Vermittlung allgemeiner historischer Erkenntnisse gehen: Was bedeutet es, in einer Diktatur zu leben? Welche Folgen haben Ausgrenzung und Unterdrückung für eine Gesellschaft und wie kann ein friedliches Zusammenleben möglich sein? Kein deutscher Sonderweg, sondern die Diskussion universeller Fragen – auch anhand der deutschen Geschichte – stehen hier im Vordergrund, mit denen sich alle Menschen in unserer Gesellschaft identifizieren und auseinandersetzen können. Nur so kann aus historischer Erfahrung gesellschaftliche Verantwortung entstehen.
DA: In seinem Einführungsvortrag hat Christoph Kleßmann gefordert, die Geschichte der beiden deutschen Staaten nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Warum brauchen wir eine solche integrierte deutsche Nachkriegsgeschichte?
Dr. Angela Siebold: Die deutsche Geschichte nach 1945 unter gemeinsamen Fragestellungen und nicht nur getrennt voneinander zu betrachten, entspricht erst einmal den historischen Tatsachen: Es geht nicht darum, nachträglich eine gemeinsame gesamtdeutsche Geschichte zu konstruieren; aber sie sollte auch nicht rückblickend übermäßig getrennt werden. West und Ost waren im Kalten Krieg zwar geteilt, gerade aufgrund des Systemkonflikts waren sie aber auch eng miteinander verbunden. Beide Staaten bezogen sich aufeinander, standen im Austausch und zogen einen Teil ihres Selbstverständnisses aus der Anwesenheit des Anderen. Die deutsch-deutsche Geschichte transnational zu erforschen, ist also rein wissenschaftlich gesehen ein sinnvolles Projekt. Gleichzeitig kann ein solcher Blick immer noch bestehende getrennte Wahrnehmungen zwischen West und Ost zusammenbringen und einen Dialog über die gemeinsam erfahrene Trennung stärken.