Der lange Weg zur inneren Einheit. Ergebnisse der Sächsischen Längsschnittstudie
Hendrik Berth, Peter Förster, Elmar Brähler, Markus Zenger, Anja Zimmermann & Yve Stöbel-Richter
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Bereits seit 1987 dokumentiert die Sächsische Längsschnittstudie das Erleben der deutschen Wiedervereinigung bei einer identischen Gruppe Ostdeutscher. Die letzte Erhebungswelle fand 2013/2014 statt. Heute sehen sich 76 Prozent als Gewinner der Wiedervereinigung. Auch die Einschätzung, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes zwischen Ost- und Westdeutschen gibt, findet von Jahr zu Jahr mehr Zustimmung.
Die Sächsische Längsschnittstudie
Bereits drei Mal konnten in den vergangenen 15 Jahren ausgewählte und aktuelle Ergebnisse der Sächsischen Längsschnittstudie im Deutschland Archiv vorgestellt werden. Die Studie gibt es immer noch, die letzte Befragungswelle fand von November 2013 bis März 2014 statt. Für 2015 ist die nächste Erhebungswelle geplant.
Im Jahr 1987 wurde durch das Zentralinstitut für Jugendforschung der DDR in Leipzig eine ursprünglich auf drei Jahre angelegte Studie zum politischen Mentalitätswandel bei 14-jährigen Schülerinnen und Schülern in Sachsen gestartet. Die Schüler wurden aus 72 achten Klassen an 41 Schulen der DDR-Bezirke Leipzig und Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) rekrutiert. Die Stichprobe von zunächst 1281 Jugendlichen war repräsentativ für den DDR-Geburtsjahrgang 1973. Es wurden drei Erhebungswellen in den Jahren 1987, 1988 und im Frühjahr 1989 durchgeführt, an deren Ende die Teilnehmerinnen und Teilnehmer 1989 gefragt wurden, ob sie auch weiterhin an der Studie teilnehmen möchten. Von den Befragten erklärten sich damals 587 (N = 587) dazu bereit.
Seit Beginn der Studie ist jedem Teilnehmenden eine eigene, sechsstellige Nummer zugeordnet. Dadurch ist es möglich, einen Einstellungswandel bei einzelnen Teilnehmenden oder bestimmten Gruppen festzustellen. Die Adressen der Befragten sind getrennt davon gespeichert, sodass die Anonymität gewährleistet ist. In den drei ersten Erhebungen erfolgten die Befragungen während der Schulstunde im Klassenzimmer. Dies entspricht dem damals üblichen sozialwissenschaftlichen Forschungsvorgehen. Seit 1990 werden die Bogen den Teilnehmenden postalisch nach Hause geschickt. Die Befragungen erfolgten etwa einmal jährlich. Seit 2010 gibt es die Studie auch als Internet-Umfrage.
Die Sächsische Längsschnittstudie konnte bis zum heutigen Tag fortgesetzt werden, mit immer noch deutlich mehr als 300 Teilnehmenden. Sie dokumentiert damit seit 27 Jahren, wie keine andere sozialwissenschaftliche Untersuchung, den Transformationsprozess bei einer identischen Gruppe Ostdeutscher.
Exemplarisch sind einige ausgewählte soziodemografische Merkmale der Teilnehmenden für einige Erhebungswellen in Tabelle 1 dargestellt. Zum Zeitpunkt der letzten Erhebungswelle 2013/2014 waren die Teilnehmenden im Mittel 40 Jahre alt, die meisten von ihnen lebten in einer Ehe oder Partnerschaft, 77 Prozent hatten Kinder. Es handelt sich – wie erwähnt – um eine altershomogene Stichprobe (alle Befragten sind 1973 geboren). Unter den Befragten sind etwas mehr Frauen als Männer (2013/2014: 56 Prozent). Der Anteil der Befragten, die zum jeweiligen Befragungszeitpunkt arbeitslos waren, liegt stets deutlich unter dem ostdeutschen Mittel. Der Bildungsstand und das Einkommen liegen über dem Mittel. Etwa 75 Prozent der Befragten leben nach wie vor in Ostdeutschland.
Alle Teilnehmenden traten etwa im Alter von 17 Jahren, nach einem zehn-jährigen Schulbesuch mit einem Abschluss der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der DDR (POS, vergleichbar etwa mit dem heutigen Realschulabschluss), in die neue gesamtdeutsche Wirklichkeit ein. Ihre Berufsausbildung absolvierten die Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer jedoch bereits unter den Bedingungen und Möglichkeiten der Bundesrepublik. Viele von ihnen erlebten durch die Umstrukturierung der gesamten ostdeutschen Wirtschaft zu Beginn des Berufslebens massive biografische Umbrüche. Das Bildungsniveau der Teilnehmenden ist etwas höher als in der Normalbevölkerung, viele haben Abitur und/oder einen Hochschulabschluss. 25 Prozent leben mittlerweile nicht mehr in den neuen Ländern. Meist aus beruflichen Gründen (Arbeitssuche) waren die Teilnehmenden der Sächsischen Längsschnittstudie motiviert, in die alten Länder beziehungsweise in das Ausland umzuziehen. Diese und andere Faktoren ermöglichten den Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern eventuell einen besseren Start in den ostdeutschen Transformationsprozess. Dies trifft etwa im Vergleich mit älteren Kohorten zu oder mit Personen, deren Berufsausbildung im wiedervereinigten Deutschland nicht anerkannt wurde, oder mit Menschen, die aus verschiedensten Gründen keine solche soziale Mobilität aufwiesen.
An der letzten Welle nahmen 328 Personen teil. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 55,9 Prozent, bezogen auf ursprünglich N = 587. Hier sind jedoch die Dropouts (unbekannt verzogen, erklärte Nichtteilnahme, verstorben, nicht mehr auffindbar usw.) der letzten beiden Jahrzehnte nicht berücksichtigt. Derzeit gehen wir von 432 (N = 432) nach wie vor aktiven Adressen aus, die als potenzielle Teilnehmende in Frage kommen. Damit ergibt sich eine Rücklaufquote von 75,9 Prozent.
In den 27 Jahren Sächsische Längsschnittstudie wurden mehr als 5000 Fragen durch die Teilnehmenden beantwortet, die meisten davon mehrfach in verschiedenen Wellen. Schwerpunkt war das Erleben der deutschen Wiedervereinigung in all ihren Facetten. Weitere wichtige Fragestellungen widmeten sich den Themen Gesundheitsfolgen von Arbeitslosigkeit, Familiengründung, Auswirkungen der frühkindlichen Sozialisation auf den späteren Lebensweg oder der innerdeutschen Migration. Die Fragebögen der Studie, Codebücher und zusammengefasste Auswertungen sind im Internet abrufbar.
Zentrale Studienergebnisse
1. Große Zustimmung zur deutschen Einheit
Eine Frage der Sächsischen Längsschnittstudie lautet "Wie stehen Sie zur Vereinigung?" Im Mai 1990 (Welle 4) waren 73 Prozent dafür oder sehr dafür, 1996 85 Prozent, 2000 88 Prozent, 2005 85 Prozent, 2010 86 Prozent und 2013 in der letzten Erhebungswelle 91 Prozent. In mehr als 20 Jahren ist, trotz erlebter persönlicher Einschnitte und Umbrüche, festzustellen, dass die Wiedervereinigung als Großes und Ganzes von der überwiegenden Mehrheit der Befragten begrüßt wird. Kaum einer spricht sich explizit dagegen aus und wünscht sich die DDR zurück. Diese Einschätzung besteht in ihrer Grundaussage unverändert bereits seit 1990. Seitdem hat die Zustimmung von 73 Prozent auf 91 Prozent zugenommen, was für ein Fortschreiten des Wiedervereinigungsprozesses spricht. Auch die Einschätzung, ob man sich als Gewinner oder Verlierer der deutschen Einheit sieht, hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt: 2005 sahen sich nur 44,1 Prozent als Gewinner, 2013 war es mit 73,3 Prozent die deutliche Mehrheit. Aber immer noch bezeichnet sich etwas mehr als ein Viertel der Teilnehmenden als Verlierer der Wiedervereinigung. Frauen, im Osten lebende Personen, Personen mit Arbeitslosigkeitserfahrungen und Personen mit niedrigerem Einkommen erleben sich häufiger als Verlierer der Einheit.
2. Politische Überzeugungen des Jugendalters wirken sich bis heute aus
Von 1987 bis 1989 wurden in den ersten drei Wellen der Studie die Zustimmung zu politischen Aussagen erfragt, wie zum Beispiel "Ich fühle mich mit der DDR als meinem sozialistischen Vaterland eng verbunden", "Ich bin stolz, Mitglied der FDJ zu sein", "Ich bin bereit, die DDR jederzeit mit allen meinen Kräften zu verteidigen" oder "Ich habe in der DDR eine gesicherte Zukunft". Aus zehn solcher Fragen der Jahre 1987 bis 1989 wurde ein Index für die Systemidentifikation berechnet. Je höher die Zustimmung zu den Fragen, desto größer dieser Indexwert und desto größer die Identifikation mit dem DDR-System. Anhand des Index kann man zwischen den Extremgruppen Systemgegner und Systembefürworter unterscheiden und prüfen, wie diese Einstellung von damals bis heute fortwirkt (Abbildung 1).
Teilnehmende, die sich vor der deutschen Wiedervereinigung mehr mit der DDR identifizierten (Systembefürworter), beschreiben sich heute politisch eher links orientiert, fühlen sich mehr als Ostdeutsche und sehen den Sozialismus mehr als eine gute Idee an. Die Systemgegner von einst fühlen sich heute mehr als Gewinner der Einheit, stimmen der Wiedervereinigung im Allgemeinen etwas mehr zu, sehen die DDR stärker als einen Unrechtsstaat an, betonen die Wichtigkeit der Freiheit und sind zufriedener mit ihrer Lebenssituation. Die prozentualen Unterschiede sind bei einigen Fragen zwischen den beiden Gruppe zwar relativ gering, aber dennoch statistisch signifikant. Die in der Jugend vertretenen politischen Einstellungen sind auch 25 Jahre später in sozialwissenschaftlichen Indikatoren noch nachweisbar.
Die Abbildung 2 zeigt die zustimmenden Antworten zu den zwei Aussagen "Ich bin froh, dass es die DDR nicht mehr gibt" und "Ich bin froh, die DDR noch erlebt zu haben" von 2000 (Welle 14) bis 2012 (Welle 26). In der letzten Erhebung 2013/2014 wurden diese Fragen nicht gestellt. Die Zustimmung/Ablehnung erfolgte auf einer 5-stufigen Skala.
In allen Erhebungen seit 2000 findet die Aussage, "Ich bin froh, die DDR noch erlebt zu haben" eine sehr hohe Zustimmung von 80 bis 92 Prozent. Für die Teilnehmenden sind die Jahre von ca. 1973 bis 1990, die sie als Kinder und Jugendliche in der DDR erlebten, ein wichtiger Bestandteil ihrer Erinnerung und Identität, die sie nicht missen möchten. Deutlich geringer sind die Zustimmungsraten zur Aussage "Ich bin froh, dass es die DDR nicht mehr gibt". Nur 40 bis 50 Prozent stimmen dieser Aussage zu. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die verbliebenen Teilnehmenden traurig sind über den Untergang der DDR. Von denen, die der Aussage nicht zustimmten (wie in Abbildung 2 dargestellt), haben die meisten (jeweils deutlich über 30 Prozent) eine Antwortposition in der Mitte, das heißt zwischen Zustimmung und Ablehnung gewählt. Mit dem Untergang der DDR werden also von einer beachtlichen Teilgruppe der Studienpopulation gleichermaßen positive wie negative Aspekte verknüpft. Nur ein kleiner Teil der Studienbefragten (< 20 Prozent) lehnt die Aussage "Ich bin froh, dass es die DDR nicht mehr gibt" deutlich ab.
3. Ost und West – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Seit etwa dem Jahr 2000 ist der Anteil der Befragten, die nicht mehr in den neuen Bundesländern wohnen, konstant bei 25 Prozent. Entsprechende Analysen aus der Sächsischen Längsschnittstudie zeigen, dass die meisten der Fortgezogenen mit diesem Schritt sehr zufrieden sind. Sie fühlen sich wohl in ihrer neuen Heimat, sind mit vielen Lebensbereichen (zum Beispiel Einkommen) deutlich zufriedenerer und wollen nur in wenigen Fällen wieder nach Ostdeutschland zurückziehen.
Eine Frage der Sächsischen Längsschnittstudie lautet "Gibt es gegenwärtig zwischen Ost- und Westdeutschen insgesamt gesehen mehr Trennendes oder mehr Gemeinsamkeiten?" Von 1996 bis 2013 nimmt die Einschätzung, dass die Gemeinsamkeiten zwischen Ost- und Westdeutschen überwiegen, deutlich zu. Damit geht folglich auch die Einstellung, es gebe mehr Trennendes, zurück. In der Gesamtgruppe wurde 1996 noch mehr Trennendes gesehen (55,6 Prozent). 2013/2014 sind über 75 Prozent der Meinung, dass die Gemeinsamkeiten überwiegen. In Abbildung 3 sind die Antworten auf diese Frage, unterschieden nach dem Wohnort Ost- beziehungsweise Westdeutschland/Ausland, aufgeschlüsselt.
Bis Mitte/Ende der 1990er Jahre war unabhängig vom aktuellen Wohnort jeweils die Mehrheit der Befragten der Meinung, es gebe mehr Trennendes zwischen Ost- und Westdeutschen. Bei den Teilnehmenden, die im Westen leben, änderte sich diese Einstellung ab der Jahrtausendwende (Welle 14 2000). Seitdem sind von den in den alten Ländern Lebenden stets mehr Befragte anteilig der Meinung, die Gemeinsamkeiten überwiegen. Bei den in Ostdeutschland Wohnenden sagte erstmals 2003 und durchgängig erst ab dem Jahr 2006 eine Mehrheit, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes zwischen gebe. Dieser ermutigende Befund spricht für ein Zusammenwachsen der Deutschen in der ehemaligen DDR und der alten Bundesrepublik. Jedoch sind immer noch einige Befragte der Meinung, dass die Unterschiede überwiegen. Zudem sind die Unterschiede in Abhängigkeit vom Wohnort nach wie vor deutlich: Personen, die im Westen leben, sehen mit 87 Prozent deutlich mehr Gemeinsamkeiten.
Innere Einheit – Wie lange wird es noch dauern?
Wenn auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch immer Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen wahrgenommen werden, stellt sich die Frage, wie lange es noch dauern wird, bis Ost und West wirklich wiedervereint sind. Eine Frage in der Sächsischen Längsschnittstudie beschäftigt sich genau mit diesem angenommenen Zeitfenster. Die Frage lautet: "Wie lange wird es wohl dauern, bis Ost- und Westdeutsche zu einer richtigen Gemeinschaft zusammengewachsen sind?" Anzugeben sind hier die erwarteten Jahre in absoluten Zahlen (Abbildung 4). 1990 gingen die Teilnehmenden noch davon aus, dass in etwa acht Jahren (1998) die sogenannte "innere Einheit" hergestellt sein würde. Bereits 1996 hat sich die erwartete Zeitspanne auf mehr als 20 Jahre erhöht, bis 2019. Auch in den nachfolgenden Erhebungen ab 1998 wird als Mittelwert immer eine Zahl größer als 20 Jahre bis zum Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West ermittelt. Die Spanne reicht dabei meist von 0 Jahren bis hin zu 100 Jahren. Die erwartete Zeit bis zur tatsächlichen Einheit schiebt sich somit von Jahr zu Jahr immer weiter nach hinten, anstatt, wie vielleicht zu erwarten wäre, geringer zu werden.
In der 27. Welle der Studie 2013/2014 wurden 24,6 Jahre als Mittel angegeben (Spanne von 0 bis 100 Jahre, Standardabweichung 21,91). Nach Meinung der Befragten wird es also erst 2038 die vielbeschworene innere Einheit geben. Die heute ca. 40-jährigen Studienteilnehmer werden dann etwa 65 Jahre alt sein. Nur 17 Personen (5,3 Prozent) haben einen Wert von Null angegeben und gehen somit davon aus, dass die innere Einheit bereits vollzogen ist. Da die Spanne in der angenommenen Zeitdauer sehr groß ist, stellt sich die Frage, wovon die eingeschätzte Dauer abhängt. In Tabelle 2 sind dazu die Analysen einiger Subgruppenvergleiche dargestellt.
Es zeigt sich, dass Personen, die im Westen Deutschlands leben, verglichen mit in Ostdeutschland Wohnenden, die Zeitspanne bis zur Herstellung der inneren Einheit signifikant, das heißt statistisch abgesichert, als kürzer wahrnehmen. Aber auch unter den im Westen lebenden Befragten werden im Mittel noch 20 Jahre angenommen, bis die innere Einheit vollzogen sein wird. Ebenfalls hat das persönliche monatliche Nettoeinkommen einen Einfluss: Personen mit einem Verdienst über 2000 Euro schätzen die Dauer bis zur Herstellung der inneren Einheit als kürzer ein. Weiterhin statistisch signifikant war die Einschätzung, ob man sich als Verlierer oder Gewinner der deutsches Einheit sieht und ob es derzeit mehr Trennendes oder mehr Gemeinsamkeiten zwischen Ost- und Westdeutschen gibt. Die subjektiven Wiedervereinigungs-Verlierer und die Personen, die mehr Trennendes zwischen den Deutschen in Ost und West sehen, nehmen eine deutlich längere Zeitdauer bis zur Herstellung der inneren Einheit an.
Auf tendenzieller Ebene (p < 0.10, ein niedrigeres Signifikanzniveau) zeigten sich auch Einflüsse des Geschlechts und der Bildung: Frauen und Personen mit einem niedrigeren Bildungsgrad (keine Fachhochschulreife/Abitur oder höher) vermuten eine etwas größere Anzahl von Jahren. Keine statistisch bedeutsamen Einflüsse in den dargestellten Analysen hatten das Zusammenleben in einer Partnerschaft, das Vorhandensein von Kindern, erlebte Arbeitslosigkeitserfahrungen, die Präferenz der politischen Parteien CDU/CSU oder Die Linke und auch die vor der Wiedervereinigung ermittelte Identifikation mit dem DDR-System (Gegner/Befürworter) wirkten sich nicht signifikant aus.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Sächsische Längsschnittstudie gehört weltweit zu den wenigen Studien mit einer Dauer von über 25 Jahren, bei denen immer dieselben Befragten teilnehmen. Es ist die einzige Langzeitstudie, die in dieser inhaltlichen Tiefe und einem breiten Fragenspektrum das Erleben der deutschen Wiedervereinigung und der ostdeutschen Transformation bei einer ausreichend großen Untersuchungsgruppe erfasst. Auch nach der langen Dauer der Studie wurden in den letzten Wellen stets Rücklaufquoten von um die 75 Prozent erreicht.
Vergleicht man die aktuellen Daten aus der letzten Welle 2013/2014 mit den vorherigen Analysen, so zeigt sich, dass sich viele Trends fortsetzen. Konstant seit der Wiedervereinigung wird dieses Ereignis von den mit deutlicher Mehrheit begrüßt (2013/2014: 91 Prozent). Die deutsche Einheit schreitet voran, es ist eine Annäherung von Ost und West zu verzeichnen. Die Studienteilnehmer sehen zunehmend mehr Gemeinsamkeiten zwischen Ost- und Westdeutschen. Immer mehr Teilnehmende nehmen sich als Gewinner und zunehmend weniger als Verlierer des Wiedervereinigungsprozesses wahr. Es lassen sich aber auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch Einflüsse der Sozialisation unter den Bedingungen der ehemaligen DDR nachweisen: Ehemalige Systemgegner und -befürworter unterscheiden sich in zahlreichen heutigen Einschätzungen in Bezug auf die Wiedervereinigung. Die Systembefürworter von einst sehen auch heute noch einige Aspekte des Vereinigungsprozesses kritischer. Weitere Einflussmerkmale auf die Beurteilung der deutschen Einheit in einigen Fragen sind unter anderem das Geschlecht, der Wohnort Ost- oder Westdeutschland, der Bildungsstand und das persönliche Einkommen: Frauen beurteilen die deutsche Einheit etwas kritischer, ebenso Personen, die in Ostdeutschland leben, Personen mit einem niedrigeren Bildungstand (weniger als Abitur) und Personen mit einem niedrigeren Einkommen. Männer, Teilnehmende mit Wohnort Westdeutschland, höherer Bildung und höherem Einkommen beurteilen verschiedene Aspekte der Wiedervereinigung positiver.
Die Studienteilnehmer möchten in der Mehrzahl die in ihrer Kindheit und Jugend gemachten Erfahrungen in der DDR nicht missen. Unverändert gibt nach wie vor die überwiegende Mehrheit an, dass sie froh seien, die DDR noch erlebt zu haben. Trotz der in Zahlen deutlich belegbaren weiteren Annährung zwischen Ost und West sehen die Teilnehmenden den Wiedervereinigungsprozess noch nicht als vollendet an. Bis zur tatsächlichen Wiederherstellung der inneren Einheit, so geben sie an, werden noch 25 Jahre vergehen. Es liegt somit noch ein weiter Weg vor uns, wie die aktuellen Ergebnisse der Studie zusammenfassend belegen. Aus diesem Grunde soll die Sächsische Längsschnittstudie möglichst noch viele Jahre fortgesetzt werden.
Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass es sich um eine Stichprobe ausschließlich von (ehemaligen) Ostdeutschen handelt. Aussagen zur westdeutschen Sicht auf die analysierten Transformationsprozesse sind damit nicht möglich. Es existiert unseres Wissens auch keine vergleichbare Stichprobe aus den alten Ländern, die zu Vergleichszwecken herangezogen werden könnte. Alle Studienteilnehmer sind 1973 geboren und stammen aus den ehemaligen DDR-Bezirken Leipzig und Karl-Marx-Stadt. Eine Verallgemeinerung auf andere Altersgruppen oder ostdeutsche Länder sollte mit Zurückhaltung erfolgen.
Zitierweise: Hendrik Berth, Peter Förster, Elmar Brähler, Markus Zenger, Anja Zimmermann & Yve Stöbel-Richter, Der lange Weg zur inneren Einheit. Ergebnisse der Sächsischen Längsschnittstudie, in: Deutschland Archiv, 12.11.2014, Link: http://www.bpb.de/194856
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