Abwicklung des DDR-Rundfunks wurde zum Geldsegen für die neu gegründeten Landesrundfunkanstalten
Das Reichspostministerium war in der Weimarer Republik für Organisation, Technik und Finanzierung des Rundfunks zuständig, damit auch für den Einzug der Rundfunkgebühr. Im Dritten Reich teilten sich Propagandaministerium und Postministerium die Zuständigkeit für den Rundfunk, für die Inhalte das erste, für Sendetechnik und Finanzierung das zweite. In der DDR änderte sich an der Zuständigkeitsverteilung gegenüber dem Dritten Reich nichts. In der Bundesrepublik dagegen gründeten die Westalliierten föderale, staatsferne Landesrundfunkanstalten. Nur eines blieb: Der Gebühreneinzug durch die Deutsche Bundespost. Doch ab 1. Januar 1976 nahmen ARD und ZDF den Gebühreneinzug mit der 1973 gegründeten Gebühreneinzugszentrale (GEZ) selbst in die Hand. Der Grund dafür war die Tatsache, dass die Deutsche Bundespost als Monopolist einfach zu viel Geld für das Inkasso verlangt hatte, ein moderner Bankeinzug durch eine eigene Institution erheblich billiger war und damit mehr Geld für das Programm blieb.
Nun kam die Deutsche Bundespost 1990 durch ihre Fusion mit der Deutschen Post der DDR plötzlich in die Situation, vom 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991, also 15 Monate lang, wieder Rundfunkgebühren kassieren zu dürfen - und zwar bei fast sechseinhalb Millionen angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern beim Hörfunk und knapp sechs Millionen beim Fernsehen in der ehemaligen DDR. Im September 1990 hatte die Deutsche Post bei ihnen 89 Millionen DM Gebühren eingezogen und für jedes Inkasso 70 Pfennig einbehalten, also etwa 4,5 Millionen DM. Ab Oktober behielt die Deutsche Bundespost – wo man sich offensichtlich an die schönen gewinnbringenden Zeiten vor 1976 erinnerte – statt 70 Pfennig pro Inkasso eine Mark ein, eine Steigerung um über 40 Prozent. So richtig bemerkt hatte das in den Umbruchzeiten niemand.
Erst als nach dem Ende der Neue Fünf Länder GmbH (auch: NFL Gesellschaft zur Abwicklung der Rundfunkeinrichtung gemäß Artikel 36 Einigungsvertrag mbH) am 31. Dezember 1992 systematisch alle Forderungen und Verbindlichkeiten noch einmal untersucht wurden, fiel das auf. Am 12. März 1993 machte der Liquidator Rolf H. Hammerstein folgende Rechnung auf: Die Post hatte vom 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991 mehr als 57 Millionen DM als Inkassogebühr einbehalten. Ein Gutachten der GEZ sah die tatsächlichen Kosten des Gebühreneinzugs allerdings nur bei etwa 31 Millionen DM. Die Post hatte sich also um 26 Millionen bereichert und sollte nun das Geld zurückzahlen. Ein langwieriger Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Köln begann. Am Schluss scheiterte Hammerstein nicht, weil seine Argumentation falsch war, sondern weil ihm die Aktivlegitimation als Kläger fehlte. Er wollte das Geld für die Nachfolge-Rundfunkanstalten sichern, an die er ja alle seine Erlöse auskehren musste, offiziell aber hätten diese selbst klagen müssen – und dafür war es zu spät, als das Urteil erging. Dringend benötigtes Geld war verloren.
Die Deutsche Bundespost war nicht die einzige Institution, gegen die in der Liquidationsphase der NFL GmbH Rückforderungen geltend gemacht wurden oder Prozesse liefen. Die Bayerische Versicherungskammer als Pensionsanstalt deutscher Kulturorchester hatte für die Rundfunkorchester fälschlich Beiträge eingezogen, das Finanzamt hatte unrechtmäßig Verspätungszuschläge verlangt oder Abfindungen für lohnsteuerpflichtig erklärt, Schadenersatzklagen waren durchzufechten und vor der Auflösung der drei Werbetöchter des Rundfunks der DDR, Telecommerz GmbH, Radio Marketing GmbH und SARA GmbH, waren die Probleme aus der Gründungsphase zu lösen.
Ziel der NFL GmbH in dem einen Jahr ihres Bestehens und der Liquidationsgesellschaft in den acht Jahren danach war es, möglichst viel des ehemaligen Vermögens für die Landesrundfunkanstalten, die indirekten Erben des Rundfunks und Fernsehens der DDR, zu sichern. Dabei kam ihr zu Beginn der 1990er Jahre ein Zinsniveau zugute, das einem heute wegen seiner Höhe "die Augen tränen lässt". Am 31. Dezember 1991, ihrem letzten Tag, hatte die Einrichtung 325 Millionen DM als Festgeld zu einem Zinssatz zwischen 9,05 und 9,25 Prozent angelegt. Dabei hatte der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl am Nikolaustag schon beinahe 50 Millionen DM vorab an die sogenannten Erben-Anstalten zu dem festgelegten Schlüssel verteilt (Mitteldeutscher Rundfunk 63,5 Prozent; Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg 16,5 Prozent; Norddeutscher Rundfunk 11,5 Prozent, Sender Freies Berlin 8,5 Prozent). Ein Jahr später, im Dezember 1992, nachdem bereits über 350 Millionen DM verteilt waren, lagen immer noch oder bereits wieder mehr als 70 Millionen DM auf dem Festgeldkonto. 1994, als die Zinsen gesunken waren und die NFL nur noch 54 Millionen DM für 5,5 bis 9,4 Prozent angelegt hatte, nahm sie immer noch stattliche 1,4 Millionen DM an Zinsen ein. Auch 1997, einem der letzten Jahre, konnten die letzten zwei Angestellten und der Liquidator allein aus den Zinsen bezahlt werden. Insgesamt dürften knapp 500 Millionen DM an die Rundfunkanstalten im ARD-Verbund, die für das Gebiet der ehemaligen DDR sendeten (MDR, NDR und ORB), ausgeschüttet worden sein.
Die Grundstücke und Liegenschaften wurden zum Zankapfel
Die Konkurrenz der politischen Systeme in Ost und West im Kalten Krieg hatte auch den Beginn des Fernsehens am Standort Adlershof in Berlin bestimmt. Als der Nordwestdeutsche Rundfunk NWDR in Hamburg angekündigt hatte, im Juli 1950 mit den ersten Fernsehversuchen nach dem Krieg in Deutschland beginnen zu wollen, machte der damalige Generalintendant des Rundfunks der DDR bereits am 11. Juni den ersten Spatenstich für ein eigenes Fernsehzentrum.
Rundfunk und Fernsehen der DDR mit üppigem Grundbesitz
40 Jahre später umfasste das Produktions- und Redaktionsgelände in Berlin nicht nur 173.000 Quadratmetern in Adlershof und 110.000 Quadratmetern in Johannisthal, sondern auch ein Filmlager in Köpenick, einen Kfz-Park in Alt-Glienicke, einen Maschinenpark in Schönefeld und einen eigenen Gebäudekomplex für die Hauptabteilung Unterhaltung, Kreativität fördernd im Grünen an der olympischen Ruderregattastrecke in Grünau. Neben Dutzenden von Büro-, Lager- und Werkstattgebäuden befanden sich sechs große Fernseh-Produktionsstudios von 640 bis 970 Quadratmetern in Adlershof, vier aktuelle Studios mit 65 bis 625 Quadratmetern, sechs Synchronstudios, Gebäude für Filmschnitt und Videobearbeitung, ein fünfstöckiges Archiv, ein Kraftwerk als Netzersatzanlage und mehrere große Kantinen- und Versorgungskomplexe. In Johannisthal kamen noch einmal vier Altbaustudios der ehemaligen Tobis-Film, zwei neuere und vier Probenstudios dazu, eine Poliklinik mit 700 Quadratmetern und sogar eine eigene Schnittholztrocknungsanlage.
Und das waren nur die Produktions- und Sendekomplexe in Berlin, dazu kamen weitere in Rostock, in Dresden, Halle, Gera, Leipzig und Karl-Marx-Stadt. Auch der Rundfunk verfügte in Berlin an der Nalepastraße über ein Gelände von 165.000 Quadratmetern mit einem qualitativ hochwertigen Konzertsaal, Hörspielstudios, Produktionsstudios, Archiv, Schneideräumen und Sendestudios für sechs Programme. In den 14 DDR-Bezirkshauptstädten gab es Bezirksstudios und ein Studio für das sorbische Programm in Bautzen. Zusammen mit den Ferien- und Kindereinrichtungen verfügten Rundfunk, Fernsehen und Studiotechnik der DDR über 48 Grundstücke mit 231 Gebäuden auf 760.000 Quadratmetern Fläche. Ihr Wert wurde nach DDR-Richtwerten, nach einem geschätzten Verkehrswert der Bundesrepublik im Jahr 1990, nach Gutachten von Wirtschaftsprüfern immer wieder festgesetzt und diskutiert, aber es bleibt fraglich, ob eine der ermittelten Zahlen richtig war. Jedenfalls wurde keine durch die späteren Verkäufe erreicht.
Großer Sendesaal im Funkhaus Berlin Lizenz: cc by-sa/3.0/de
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Vor allem war lange nicht klar, wem die Grundstücke eigentlich gehörten. Dabei ging es noch gar nicht um Restitutionsansprüche der Erben früherer Besitzer – das kam erst später. In einem Briefwechsel zwischen Bundesinnenministerium und Bundesfinanzministerium im August 1991 wurde deutlich, dass die Einrichtung nicht Eigentümer der von ihr genutzten Liegenschaften geworden ist, sondern dass ihr die Grundstücke der drei Institutionen Rundfunk, Fernsehen und Studiotechnik nur zum Gebrauch zugeordnet waren. Eigentümer waren – zur gesamten Hand, also nur gemeinschaftlich – die fünf ostdeutschen Bundesländer. Diese gaben im Laufe der Jahre etwa ein Achtel der Fläche, insgesamt 20 Liegenschaften, an die neuen Landesrundfunkanstalten weiter. Der NDR bekam acht der elf Liegenschaften in Mecklenburg-Vorpommern, der ORB drei der sechs auf dem Gebiet Brandenburgs, der MDR neun von 21 Liegenschaften in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Nur der SFB ging leer aus. Die zehn Berliner Grundstücke mit 134 Gebäuden und insgesamt etwa 500.000 Quadratmetern sollten einen hohen Verkaufserlös für die Länder erbringen. Heute werden nur noch fünf der ursprünglich 48 Liegenschaften vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk genutzt, drei mussten nach Restitutionsverfahren abgegeben werden, der Rest ist verkauft, wird zum Teil für Produktionszwecke, meist aber für andere Zwecke genutzt.
Das Fernsehgelände in Berlin-Adlershof
Das Fernsehgelände in Adlershof, mit 173.000 Quadratmetern das größte Mediengelände der DDR, wurde früh aus der Verwertung der Rundfunkgrundstücke ausgeklammert. Es kam gar nicht in das Verkaufsportfolio der für die Grundstücksverwertung gegründeten Neue Länder Grundstücks- und Verwaltungs GmbH (NLG). Bereits 1992 verabredeten der Bund und das Land Berlin einen großflächigen Grundstückstausch, um jeweils eigenen Pläne verfolgen zu können. In diesem Zusammenhang erhielt Berlin auch das Fernsehgelände. Ziel war es, auf insgesamt 420 Hektar Stadtfläche in Adlershof und Johannisthal die städtebauliche Entwicklung für eine Ansiedlung von Wissenschaft, Wirtschaft und Medien planen zu können.
Im Februar 1994 bezog das "Glücksrad" ein neues Studio auf dem Fernsehgelände in Berlin Adlershof (© dpa)
Im Februar 1994 bezog das "Glücksrad" ein neues Studio auf dem Fernsehgelände in Berlin Adlershof (© dpa)
Im Dezember 1994 wurde das Gebiet förmlich nach § 165 Baugesetzbuch als Entwicklungsgebiet ausgewiesen und der Berlin Adlershof Aufbau Gesellschaft mbH als Treuhänderin übergeben. Nach einer Broschüre der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt aus dem Jahr 2013 hat das Land Berlin über die Jahre mehr als 430 Millionen Euro in dieses Projekt gesteckt sowie mehr als eine Milliarde Euro an Subventionen, vor allem aus der EU, erhalten. Für einen etwa 14 Hektar großen Kernbereich der 420 Hektar wurde 2006 durch einen Bebauungsplan die alleinige Sondernutzung durch Medienunternehmen festgelegt. Insgesamt sollen sich dort nach derselben Broschüre bisher 66 Medienunternehmen mit knapp 2000 Mitarbeitern niedergelassen haben. Das größte davon ist die Studio Berlin Adlershof GmbH, eine Tochter von Studio Hamburg. Sie hat von 1998 bis 2005 in drei Schritten knapp die Hälfte des ehemaligen Geländes des Fernsehens der DDR vom Treuhänder gekauft und dort unter anderem die größten Fernsehstudios Europas, Werkstätten, Lagerhallen gebaut und einen achtstöckigen Büroturm renoviert. Insgesamt beschäftigt sie dort 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Verwertung der Rundfunkgrundstücke
Die Aufgabe der 1991 gegründeten NLG GmbH war, die restlichen Grundstücke zu verwerten, darunter den ehemaligen Rundfunkstandort in der Berliner Nalepastraße mit 165.000 Quadratmetern. Das schien nicht allzu schwierig zu sein. Doch die Gesellschaft wurde erst im Juni 2014, nach 23 Jahren, aus dem Handelsregister gelöscht. Sie hat zwar anfänglich durchaus auch Profite für die Länder erwirtschaftet, diese haben in der Folge aber immer auch nachschießen müssen für Verwaltung und Unterhalt der vermieteten Gebäude. Für die meisten bleibt dieses Kapitel ein Albtraum. Zwei Konstruktionsfehler sind dafür verantwortlich:
Die Grundstücke mit dem größten Wert lagen in Berlin, das Land Berlin als Gesellschafter hatte aber nur 8,6 Prozent Anteil an der GmbH. Auf der anderen Seite träumte es davon, Europas wichtigster Medienstandort zu werden und sah die beiden Grundstücke in der Nalepastraße und in Adlershof als wichtige Argumente im Kampf um Medienunternehmen. Für Berlin wäre ein Verkauf für sehr wenig Geld reizvoll gewesen, wenn sich nur der richtige Investor gemeldet hätte. Denn mit seinem geringen Anteil am Verkaufserlös war der Ansiedlungseffekt sicherlich wichtiger als der Erlösaspekt. Die anderen Länder aber mussten auf einem möglichst hohen Erlös bestehen.
Trotz seines geringen Anteils von 8,6 Prozent überließen es die anderen Bundesländer dem Land Berlin, die Geschäftsführer der NLG zu stellen. Die Wahl fiel nicht auf ausgewiesene Immobilienfachleute, sondern verdiente Beamte ohne die erforderlichen Fachkenntnisse.
Kein Verkauf, aber schnelle Liquidation
Der erste Geschäftsführer ging nach zwei Jahren in den Ruhestand, ihm folgte sein Prokurist, ein Verkauf der Berliner Grundstücke kam nicht zustande. Derweil kosteten diese natürlich Geld: Rechnungen für Wasser, Strom, Abwasser, Bewachungsunternehmen, Reparaturen waren zu zahlen. Die geringen Mietzahlungen der wenigen Mieter waren zu verwalten und notwendige Reparaturen auszuführen. Von Jahr zu Jahr schmolz das vom Rundfunkbeauftragten Mühlfenzl hinterlassene Kapital von 39 Millionen DM dahin. Zum 31. Dezember 1994 beschlossen die Gesellschafter, die NLG GmbH zu liquidieren, obwohl sie ihre wichtigste Aufgabe, die Verwertung der Grundstücke noch gar nicht richtig begonnen hatte. Warum sie das taten, ist bis heute nicht so ganz klar. Der Geschäftsführer blieb zuerst auch Liquidator.
Auf Betreiben des Landes Berlin wurde dann im Frühjahr 1996 Dieter Fischer, ein weiterer ehemaliger Beamter, diesmal ein Jurist der Kulturverwaltung Berlins, als Liquidator eingesetzt. Ihn, der 1993 altersbedingt pensioniert worden war, sollte die NLG zehn Jahre beschäftigen. Mit fünf Mitarbeitern betrieb er das Geschäft. Einmalig 26 Millionen Euro konnte der Liquidator damals den Gesellschaftern überweisen.
Eigentlich aber beschäftigte ihn das Finanzamt für Körperschaften in Berlin-Köpenick sehr viel mehr als die Verkäufe. Jenes sah nämlich den Kapitalstock Mühlfenzls nicht als Kapitalrücklage an, sondern als eine Vorauszahlung, auf die 19 Prozent Umsatzsteuer zu entrichten seien. Das hatte das Finanzamt 1996 gefordert, mit Zinsen machte das gut 6 Millionen Euro aus. Da aber die NLG entsprechende Umsatzsteuererklärungen nicht abgab, kam es zum Prozess, und als der 2004 entschieden wurde – zugunsten des Finanzamts – war von den ursprünglichen 39 Millionen DM, also knapp 20 Millionen Euro, nichts mehr da. Jeden Monat gab die NLG für die Gebäude an der Nalepastraße 150.000 Euro mehr aus als sie einnahm. Die Steuerschuld trieb die Gesellschaft endgültig in die Pleite. Der Liquidator stellte einen Insolvenzantrag. Am 1. Mai 2004 wurde das Insolvenzverfahren über die den fünf ostdeutschen Bundesländern gehörende NLG GmbH eröffnet. Rechtsanwalt Christoph Rosenmüller wurde Insolvenzverwalter. Dietrich Fischer mit seinen inzwischen 73 Jahren blieb noch ein Jahr lang Liquidator. Gleichzeit aber kündigten die Länder zum 30. April 2004 den Verwertungsauftrag und zum 31. Mai den Verwaltungsauftrag mit der NLG GmbH in Liquidation. Sie haben ab 1. Juni 2004 das Heft des Handelns selbst in Hand genommen – dachten sie – und das Liegenschafts- und Immobilienmanagement Sachsen-Anhalt (LIMSA) mit der Verwaltung und Verwertung beauftragt. Diese wiederum beauftragte die Media City Adlershof GmbH damit. Deren Handlungsbevollmächtigter wurde der Nicht-Mehr-Liquidator Dietrich Fischer. Die LIMSA verhandelte mit einem Investor, der eine Millionen Euro für das Gelände zahlen wollte. Eine Auflassungsvormerkung war im Grundbuch schon eingetragen, ein Teilbetrag bezahlt, aber das Land Berlin trat das dazu notwendige Wegerecht nicht ab, der Interessent trat zurück. Ein weiteres Angebot in Höhe von 350.000 Euro durch einen Mieter wurde von der LIMSA nicht akzeptiert.
Ein Notverkauf als Basis krimineller Vorgänge
Die Länder, die von ihren ohnehin sehr geringen Ausschüttungen Geld für die Steuerforderung und die laufenden Ausgaben der NLG hatten zuschießen müssen, waren nun am Ende ihrer Geduld angekommen, vor allem da im Lauf des Jahres 2005 noch eine Dachreparatur von 350.000 Euro drohte. Die LIMSA sollte um jeden Preis verkaufen, und sie hat das getan – für 350.000 Euro ging das Gelände in der Nalepastraße mitten in Berlin, direkt an der Spree, mit 165.000 Quadratmetern an die Firma Bau und Praktik GmbH in Jessen an der Elbe. Dietrich Fischer hatte den Kaufvertrag vorbereitet: Geschäftsgrundlage sollte die Entwicklung eines Medienzentrums sein. Das war wichtig, das Geld nicht mehr. Damit aber wurden 165.000 Quadratmeter Bau- und Industrieland mitten in Berlin für zwei Euro pro Quadratmeter verkauft. So viel zahlt man sonst für saure Wiesen auf dem flachen Land.
Mit diesem Vertrag begann der Krimi erst richtig. Irgendwie hatte der vielbeschäftigte Notar es wohl vergessen, dass er kurz vorher einen Vermarktungsvertrag zwischen einem früheren Kaufinteressenten und Frank Thiele, dem Geschäftsführer und Eigentümer der Bau und Praktik GmbH, für dieses Grundstück beurkundet hatte. Diese Vermarktungsvereinbarung widersprach der im Kaufvertrag anstandslos beurkundeten Geschäftsgrundlage, nämlich der Entwicklung eines Medienzentrums durch den Käufer. Die auf dem ehemaligen Rundfunkgelände Nalepastraße stehenden, denkmalgeschützten Rundfunkgebäude sollten erhalten, baulich ertüchtigt und ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß nachhaltig für eine Nutzung durch Medienproduktionen, insbesondere solche musikalischen Charakters, vorgehalten werden. Den Widerspruch in den beiden notariell beurkundeten Verträgen erkannten die Vertreter der Länder aber erst Jahre später durch Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten.
Auch sonst hielt sich der Käufer nicht an das, was er im Vertrag zugesagt hatte: So zahlte er nicht – wie vereinbart – ab 1. Dezember 2005 die Rechnungen für Strom, Wasser und alle anderen Bewirtschaftungskosten in Höhe von 150.000 Euro pro Monat. Das musste die LIMSA übernehmen, da sie die über 100 Mieter auf dem Gelände nicht ohne Heizung und Strom lassen konnte, andererseits weiterhin durch ihre Verträge mit den Lieferanten gebunden war.
Weiterverkauf mit hohem Profit
Der Käufer Frank Thiele entwickelte kein Medienzentrum. Stattdessen portionierte seine Bau- und Praktik GmbH das Grundstück in drei Teile und verkaufte diese weiter. Das größte Stück mit den Rundfunkgebäuden ging noch im November 2005 an die in Gründung befindliche Nalepa Projekt GmbH mit dem Geschäftsführer Andreas Walther, ohne Vereinbarung eines Kaufpreises. Die Bau- und Praktik GmbH erhielt also aus diesem Weiterverkauf keine Geldmittel, sodass die LIMSA bei ihr nichts holen konnte. Andreas Walther fungierte nach Ansicht der Vertreter der Länder dabei lediglich als Strohmann.
Das zweite Grundstück wurde am 30. Januar 2006 für 520.000 Euro an Nico Thiele verkauft, den Sohn des Verkäufers Frank Thiele. Das dritte Grundstück, direkt an der Spree, mit den Kontaminierungen aus der Zeit als das DDR-Mineralölunternehmen Minol dort Öl umschlug, ging ebenfalls 2006 an eine eigens dafür gegründete Aktiengesellschaft, mit der wiederum kein Kaufpreis vereinbart wurde. Kurz darauf verkaufte Frank Thiele alle Anteile an der Bau und Praktik GmbH.
Als die LIMSA im Sommer 2006 von der Bau und Praktik GmbH die nicht gezahlten Wasser- und Strom-Rechnungen beim Landgericht Berlin einklagte, bekam sie zwar ein Jahr später Recht, konnte damit aber nichts anfangen, weil bei der Bau und Praktik GmbH nichts zu holen war. Alle Pfändungsversuche blieben erfolglos, die Firma war zahlungsunfähig. Geld war inzwischen aber geflossen, nur nicht an die Bau- und Praktik GmbH, sondern an die Nalepa Projekt GmbH. Diese hatte zuerst im Sommer 2006 versucht, über eine Auktion das Grundstück loszuwerden. Für vier Millionen Euro hatte ein iranischer Arzt zugegriffen, konnte aber später nicht zahlen. So kam ein israelischer Geschäftsmann für 3,4 Millionen Euro zum Zuge. Er bezahlte sofort. Berlin und die Länder kamen an dieses Geld aber nicht heran. Der Käufer übernahm ab Herbst 2006 die Bewirtschaftung, vermietete weiterhin, verbesserte ein paar Kleinigkeiten, aber mit einem Medienzentrum wurde es wieder nichts, die notwendigen Modernisierungsinvestitionen blieben aus, Mieter oder Käufer ebenfalls. Das dritte Grundstück, das für 510.000 Euro an die Riverside AG weiterverkauft worden war, fand auch einen Interessenten. Eine alteingesessene mittelständische Passagierschiff-Reederei aus Berlin brauchte einen Hafen für ihre Schiffe, das Grundstück an der Spree war ideal dafür. Für die Hafenbecken konnte das kontaminierte Erdreich ausgehoben und abtransportiert werden, eine Win-win-Situation für alle. Vor dem Verkauf an die Reederei Riedel hatte jedoch Frank Thiele über eine seiner Gesellschaften dieses Grundstück von der Riverside AG zurückgekauft und es dann für zwei Millionen Euro an die Reederei verkauft. Frank Thiele bekam sein Geld. Berlin blieb allein auf dem Kontaminationsrisiko sitzen. Die Reederei bestand als Voraussetzung für den Deal darauf, das Kontaminationsrisiko nicht übernehmen zu müssen. So blieb dem Senat aus Wirtschaftsförderungsgründen nichts anderes übrig, als einzuspringen.
Das zweite Grundstück, das die Spreedevelopment GmbH des Sohnes von Frank Thiele erworben hatte, wurde zwar für eine Million Euro weiterverkauft, aber auch da lief nicht alles glatt. Die Spreedevelopment GmbH hatte eine Feststellungsklage gegen die Länder erhoben mit dem Inhalt, dass ihr beim Kauf mögliche Kontaminationen verschwiegen worden seien und deshalb die Verkäufer – also die Länder – bei einer Inanspruchnahme schadenersatzpflichtig seien. Das Kammergericht hatte die Klage zwar abgewiesen, die Firma anschließend aber Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Erst 2014 hat der Bundesgerichtshof diese Beschwerde zurückgewiesen.
Straf- und Zivilprozesse
Im Jahr 2006 hatten die Länder für die Durchsetzung ihrer Ansprüche und die Verwertung der letzten Grundstücke wieder einen neuen Liquidator eingesetzt, Rechtsanwalt Bernd Szittnick aus Berlin. Er musste nicht nur Klagen anderer abwehren, sondern führte das Verfahren gegen die Bau und Praktik GmbH und verklagte im Auftrag der Länder auch Frank Thiele persönlich, nachdem die Zwangsvollstreckung gegen seine ehemalige Firma ergebnislos verlaufen war. Gegen Frank Thiele, seinen Sohn Nico und Andreas Walther wurden Strafverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft stellte erst im Juni 2010 die Anklageschrift fertig. Eigentlich wollten die Länder den Strafprozess abwarten und den Schadenersatz erst nach einem Schuldspruch einklagen. Wegen der Verzögerung durch die Staatsanwaltschaft aber drohte die Verjährung und sie mussten vor dem Strafverfahren die Schadenersatzklage auf den Weg bringen.
Das Strafverfahren vor dem Landgericht zog sich hin. Erst am 13. April 2011 erkannte das Landgericht im Strafprozess auf schuldig und verurteilte Andreas Walther wegen Insolvenzverschleppung zu vier Jahren Haft, Frank Thiele zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnisstrafe. Das Verfahren gegen Nico Thiele wurde gegen Zahlung eines Bußgeldes von 20.000 Euro eingestellt. Dann ging die Revision zum Bundesgerichtshof. Der BGH verwies im Sommer 2012 den Prozess gegen Frank Thiele allein wegen des Strafmaßes an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Berlin zurück. Basis dieser BGH-Entscheidung war allein die Tatsache, dass das Landgericht eine Anstiftung zum Meineid einer Mitarbeiterin für strafverschärfend erklärt hatte, das aber offensichtlich nicht hieb- und stichfest begründen konnte. Die Schuld der Angeklagten selbst wurde nicht bezweifelt. Bis August 2014 aber hatte die neue Strafkammer noch nicht einmal einen Termin für ein neues Verfahren festgelegt. Strafrechtlich ist das Kapitel Grundstücksverkauf Nalepastraße also immer noch nicht beendet.
Den Zivilprozess haben die Länder in erster Instanz verloren, das Urteil im Strafverfahren lag ja noch nicht vor. Auch im März 2013 bei in der zweiten Instanz, vor dem Kammergericht Berlin, gab es noch kein rechtskräftiges Urteil. Deshalb haben die Länder einem Vergleich zugestimmt, nach dem der nach eigenen Angaben beinahe mittellose Frank Thiele gerade so viel zahlen sollte, dass die Kosten des Zivilverfahrens davon gedeckt werden konnten.
Apropos Insolvenzverfahren: Nachdem der Bundesfinanzhof der Revision der NLG stattgegeben und den Bescheid des Finanzamtes Berlin-Köpenick aufgehoben hatte, musste die Finanzkasse Berlin die Steuern zurückzahlen, mit Zinsen. Alle Gläubiger konnten zu 100 Prozent befriedigt werden. Aber alle Jahresabschlüsse der letzten Jahre mussten korrigiert werden. Das dauerte. Der Insolvenzverwalter legte erst im Frühsommer 2013 seinen Schlussbericht vor. Bislang verdienten also vor allem Rechtsanwälte, Gerichte und der Insolvenzverwalter an der missglückten Aktion des Finanzamtes, die fünf Bundesländer als Gesellschafter verloren weiter Geld.
1991 waren die anderen fünf Bundesländer bereit gewesen, dem Land Berlin die 16 Hektar an der Nalepastraße zu schenken, wenn es die Ewigkeitshaftung für die Kontamination durch die frühere Nutzung durch die Minol allein übernommen hätte. Berlin hätte das Gelände allein vermarkten oder nutzen und Geld damit verdienen können. Jetzt musste es am Ende doch die Ewigkeitshaftung übernehmen, hat aber keinen Pfennig dafür bekommen. Die fünf Länder gemeinsam haben länger als ein Jahrzehnt für die Bewirtschaftung des Geländes bezahlt, es letztlich für ein Butterbrot verkauft, anschließend mehr als den Verkaufspreis wieder für die Bewirtschaftung ausgegeben und am Ende nach vielen Prozessen nicht einmal die Kosten für Liquidator und Rechtsanwälte hereinbekommen. Andere dagegen haben 350.000 Euro bezahlt und mehrere Millionen dafür erlöst. Trotz mannigfacher Vertrags- und Rechtswidrigkeiten musste der mutmaßlich Hauptschuldige bisher weder einsitzen noch Geldbußen an die Staatskasse abführen. Er wartet auf einen neuen Prozesstermin.
Fazit
Ein kleiner Teil des ehemaligen Fernsehgeländes in Adlershof beherbergt heute wieder Fernsehproduktionen im größten zusammenhängenden Studiokomplex Europas. Das ist ein Erfolg. Doch aus dem erhofften Geldsegen für die neuen Bundesländer und Berlin aus dem Verkauf des Rundfunkgeländes wurde nichts, ein Misserfolg. Auch das hat mit der Grauzone zu tun, in der sich die Auflösung des Rundfunks und Fernsehens der DDR abspielte, und dem eklatanten Defizit an geeignetem Personal sowie Einigkeit in den beteiligten Verwaltungen.
Abgesehen von dieser Ausnahme aber war die Auflösung – nicht für jeden und jede, aber insgesamt – doch ein Erfolg. Die Hälfte des medientypischen Personals konnte in den Nachfolgeanstalten oder in anderen mediennahen Institutionen weiter arbeiten. Die anderen bekamen Abfindungen, Hilfen für den Übergang. Das Programmvermögen stand von Anfang an zur Nutzung zur Verfügung, es hat die Erfolge von MDR und ORB erst möglich gemacht. Damit ist auch das audiovisuelle Erbe der DDR dauerhaft für Wissenschaft und künftige Programme gesichert. Die Fernsehtechnik hat den neuen Landesrundfunkanstalten einen schnellen Start ermöglicht. Was sie nicht brauchten, wurde verkauft, verschenkt oder verschrottet. Vor allem die Aktivitäten der NFL GmbH in ihrer einjährigen Tätigkeits- und ihrer achtjährigen Liquidationsphase haben das Vermögen der Einrichtung zusammengehalten. Am Schluss bekamen die neuen Landesrundfunkanstalten eine halbe Milliarde DM, die sie für ihre Anfangsinvestitionen gut brauchen konnten. Auch in der Grauzone wurde gute Arbeit geleistet.
Zitierweise: Ernst Dohlus, In der Grauzone – Wie der Staatsrundfunk der DDR aufgelöst wurde, Was geschah mit dem Geld und den Grundstücken?, in: Deutschland Archiv, 27.10.2014, Link: www.bpb.de/193800