Für 13.000 fest Angestellte in Rundfunk und Fernsehen der DDR fiel nach der Wende nicht nur der Arbeitgeber weg, sondern es brachen auch viele gewohnte Rituale des Alltags fort. Vom Lebensmitteleinkauf über den Friseurtermin bis zum Zahnarztbesuch hatten die Arbeitgeber Rundfunk, Fernsehen und Studiotechnik alles geboten, was man zum täglichen Leben brauchte – wie andere volkseigene Betriebe in der DDR auch. Vor allem aber brach für die meisten der 13.000 Angestellten eine Welt zusammen, in der sie sich eingerichtet hatten, in der sie Bedeutung hatten, deren Arbeitsweisen und innere Struktur sie kannten. Das erklärt die Zähigkeit, mit der viele an den alten Institutionen festhalten wollten, sich nicht auf das Experiment einlassen wollten, das die Gründung ganz neuer regionaler Rundfunkanstalten für sie war.
Die Entlassungen bis 1991
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einiger Programmbereiche hatten noch 1989 mehr oder weniger basisdemokratisch (meist weniger) und sehr schnell einige Führungspersonen durch andere ersetzt. Dabei ging es aber nicht um die Einsetzung Oppositioneller (in Rundfunk und Fernsehen gab es nicht einmal eine Handvoll davon), sondern darum, einen Führungskader durch einen Reserveführungskader zu ersetzen, der noch nicht durch Führungsaufgaben im SED-Sinn kompromittiert war. So wurde beim Jugendprogramm DT64 unmittelbar nach dem 9. November 1989 Dietmar Ringel aus der Hauptabteilung Außenpolitik Chefredakteur, neuer Generalintendant beim Radio wurde mit Manfred Klein ein Genosse aus der Hauptabteilung Nachrichten. Beide Hauptabteilungen waren bekannt dafür, ausschließlich mit besonders linientreuen Genossen besetzt worden zu sein. Im Fernsehen wurde Hans Bentzien zum 1. Dezember 1989 Generalintendant, ein bedeutender Journalist und Historiker, ehemaliger Kulturminister und – obwohl bei Walter Ulbricht als solcher in Ungnade gefallen – ein vielfach verwendbarer Funktionär.
Beim Fernsehen gab es bis Mitte 1990 nur punktuell einige Entlassungen. Die öffentlichkeitswirksamste war (wie beim Hörfunk) die Entlassung aller Stasi-Offiziere im besonderen Einsatz (OibE), nachdem die veröffentlichte Gehaltsliste der Stasi mit der von Rundfunk und Fernsehen im Frühsommer abgeglichen worden war. Diese aber waren kaum im Programm, eher an den Schaltstellen von Technik und Verwaltung zu finden. Der Personalabbau als solcher begann erst, als der Kameramann Michael Albrecht, einer der wenigen Dissidenten im Fernsehen, am 14. Juni 1990 zum kommissarischen Generalintendanten ernannt wurde. Antriebsfeder für Albrecht war die Währungsreform am 1. Juli 1990. Bis dahin bekam das Fernsehen die Hälfte seiner Einnahmen aus Rundfunkgebühren, die andere Hälfte aus dem Staatshaushalt. Letztere Quelle fiel jetzt weg. Doch die Erhöhung der Gebühr von monatlich neun Mark der DDR (nach der Währungsunion am 1. Juli 1990 neun DM) auf 19 DM sollte erst am 1. Oktober 1990 stattfinden. Obwohl es seit dem 5. April 1990 Werbung im DFF gab, reichten die Erlöse nicht für alle Gehälter aus, ein Sechstel der Beschäftigten musste aus diesem Grund sofort gehen. Von den 7500 Mitarbeitern des Fernsehens im Januar 1990 wurden bis Ende des Jahre 1200 entlassen. Albrecht hielt es ansonsten für wichtiger, alte Strukturen aufzubrechen als Leute zu entlassen.
Beim Hörfunk der DDR waren nach Einschätzung von Christoph Singelnstein, in der DDR-Zeit Hörspieldramaturg, nur zwei von 5400 Mitarbeitern in der Bürgerbewegung - er selbst war einer davon. Der Hörfunk war fest in SED-Hand. Dennoch wurden im Januar 1990 nur wenige Mitarbeiter - die in der SED-Betriebsorganisation tätigen oder die als Offiziere im besonderen Einsatz der Stasi enttarnten - entlassen. Strukturell geschah erst im März etwas, als Wernfried Maltusch, ein im SED-Staat in Ungnade gefallener Soziologe und Reichweitenforscher, als neu berufener stellvertretender Generalintendant die Programme Stimme der DDR und Radio DDR 2 durch eine Kette von Landessendern und den Deutschlandsender Kultur ersetzte. Dadurch wurden neue Chefs gebraucht und eingesetzt. Aber Entlassungen gab es auch im Hörfunk erst, als der 35-jährige Theaterwissenschaftler und Hörfunkdramaturg Christoph Singelnstein im August Manfred Klein als geschäftsführenden Generalintendanten ersetzte. Er entließ zumindest die oberste Leitungsebene mit Ausnahme des Verwaltungsdirektors. Ansonsten wurden nicht rundfunkspezifische Betriebe wie Friseure, Kantinen und Polikliniken "outgesourct". Die bisherigen Beschäftigten konnten häufig auf eigene Rechnung als Selbständige oder als Angestellte ihrer jetzt selbständigen Chefs wenigstens auf Zeit weiterarbeiten, andere wurden arbeitslos.
Am 26. September 1990 beschloss das Bundesinnenministerium in Bonn aufgrund des Einigungsvertrages die Teileinrichtung "Radio Berlin International" (das Fremdsprachenprogramm der DDR) mit Ablauf des 2. Oktober 1990 einzustellen. Der beamtete Staatssekretär Hans Neusel teilte das am selben Tag noch dem amtierenden Medienminister der DDR, Gottfried Müller, "mit freundlichen Grüßen" mit. Protokollarische Rücksichten wurden zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genommen.
Der Personalabbau in der "Einrichtung"
Vorgaben für einen echten Personalabbau gab es erst ab dem November 1990, als der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl sein Amt angetreten hatte. Nach Artikel 36 des Einigungsvertrags sollten der Rundfunk und das Fernsehen der DDR wie in den alten Bundesländern durch Landesrundfunkanstalten weitergeführt werden. Für 15 Monate galt eine befristete Weiterführung. In dieser Zeit sollte eine "Einrichtung nach Artikel 36" in der Verantwortung eines Rundfunkbeauftragten vom 3. Oktober 1990 bis zum Silvesterabend 1991 Programm machen und gleichzeitig sich selbst abschaffen.
Rudolf Mühlfenzl wollte nun Geld sparen und zu diesem Zweck schnell Personal abbauen. Das war allerdings nicht leicht. Denn einen Fuhrpark abzuschaffen in einem Medienunternehmen, dessen Redakteurinnen und Redakteure keinen PKW und auch keinen Führerschein hatten, ohne das Programm zu beschädigen, ist nicht so einfach. In der ersten Sitzung des Rundfunkbeirats im Januar 1991 legte Rudolf Mühlfenzl einen Personalabbauplan vor, der vorsah, dass von den 12.900 Mitarbeitern im laufenden Monat die Hälfte bis 30. Juni entlassen werden sollte. Und von den 6300 verbleibenden sollte wiederum die Hälfte bis 30. September abgebaut werden. Das waren Ziele, die proklamiert, aber nicht erreicht wurden.
Die Stasi-Überprüfung und deren Ergebnis
Ein Versuch der begründeten Entlassung war die Suche nach den Stasi-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter den Beschäftigten mittels einer Überprüfung durch Fragebogen. Am 14. Februar 1991 erließ der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl mit Zustimmung des Personalstrukturausschusses des Rundfunkbeirats und des Personalrats der Einrichtung seine Dienstanweisung Nr. 8 "Überprüfung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen". Alle Mitarbeiter bekamen in der achten Kalenderwoche des Jahres einen Fragebogen und sollten ihn bis 28. Februar 1991 bei ihren jeweiligen Intendanten oder Landesdirektoren abgeben. Gefragt wurde darin unter anderem nach SED-Zugehörigkeit, Parteifunktionen, Leitungstätigkeit, Stasi-Tätigkeit. Nicht wahrheitsgemäße Angaben sollten zur fristlosen Kündigung führen. Insgesamt wurden 9600 Fragebögen abgegeben, 1700 davon für eine nähere Auswertung markiert. Zwei Kirchenvertreter haben dann 1677 Fragebögen ausgewertet, 162 Mitarbeiter wegen fehlender Angaben einbestellt und am Schluss in einem internen Bericht Folgendes festgestellt:
202 Mitarbeiter (93 beim Fernsehen) hätten Beziehungen zum MfS gehabt
197 Mitarbeiter (106 beim Fernsehen) sollten nicht mehr weiterbeschäftigt werden
627 Mitarbeiter (375 beim Fernsehen) sollten nicht mehr in Leitungsfunktionen beschäftigt werden
45 Mitarbeiter schieden aus diversen Gründen während der Aktion selbst aus
Bei 646 Mitarbeiter (375 beim Fernsehen) gab es keine Einwände gegen eine Weiterbeschäftigung
Der Aderlass durch die Fragebogenaktion war relativ gering. Unter Personalabbau-Gesichtspunkten war die Aktion kein Erfolg.
Ende und Neuanfang für viele
Am 31. Dezember 1991 sollte dann aber Schluss für alle sein, allerdings mit Ausnahmen. Für die 659 Mitarbeiter von Orchestern und Chören und die knapp 40 Tänzerinnen und Tänzer des Fernsehballetts galten Saisonverträge. Ihre Verträge sollten bis 30. Juni 1992 erfüllt werden. Für 3000 bis 4000 von 13.000 Entlassenen gab es neue Beschäftigungen, als Technikerinnen und Techniker oder Journalistinnen und Journalisten bei den neuen Landesrundfunkanstalten; oder als Musikerinnen und Musiker oder Sängerinnen und Sänger beim MDR, der ein Symphonieorchester und einen Rundfunkchor neu belebte. Die knapp 200 Mitglieder des Rundfunk-Symphonieorchesters Berlin und des Rundfunkchors Berlin fanden sich wieder in der Rundfunkorchester- und Chöre GmbH (ROC GmbH), in der Ost-Berliner und West-Berliner Rundfunkorchester und Chöre (auch das Deutsche Symphonieorchester und der RIAS-Kammerchor) weiter betrieben wurden. Finanziert wird die ROC GmbH seit 1. Januar 1994 vom neuen nationalen Hörfunk Deutschlandradio, vom Bund, vom Land Berlin sowie dem SFB.
Von 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1993 arbeiteten die Klangkörper des Rundfunks der DDR und das Radioprogramm Deutschlandsender Kultur (DS-Kultur) in der Trägerschaft von ARD und ZDF, unter Leitung von Lothar Löwe und Reinhard Appel. Etwa 300 Entlassene konnten in der NLG und NFL GmbH oder beim gemeinsamen Rundfunk-Service-Zentrum von ORB und MDR weiterarbeiten. Die NFL (Neue Fünf Länder GmbH) war eigens zur Abwicklung der Einrichtungen, die Grundstückverwertungs- und Verwaltungs GmbH (NLG) zur Verwertung der Liegenschaften gegründet worden. 45 Mitarbeiter des Berliner Rundfunks wurden mit dem Programm von einem kommerziellen Anbieter übernommen, 105 von der Produktionsgesellschaft elf99 und zehn nach einiger Zeit von der Theo Henders GmbH, die Requisite und Kostümfundus in Adlershof übernahm. 140 Mitarbeiter wurden in DS-Kultur als einem national verbreiteten Programm weiterbeschäftigt, bis sie ab 1. Januar 1994 zusammen mit den ehemaligen RIAS-Kollegen das Kulturprogramm des nationalen Hörfunks Deutschlandradio Berlin gestalteten (heute: Deutschlandradio Kultur). Am 16. Januar 1992 wurde die MDR Deutsches Fernsehballett GmbH gegründet, die mehr als 20 Tänzerinnen und Tänzer des DFF-Fernsehballetts weiter beschäftigte. Die Musiker vom Rundfunkorchester Berlin, vom Rundfunktanzorchester und vom Blasorchester Leipzig, die nicht weitergeführt werden konnten, bekamen wenigstens die von ihnen gespielten Instrumente mit in das Leben nach dem Rundfunk, um weiter üben, spielen und sich bewerben zu können. Es sind also etwa die Hälfte der ehemaligen Beschäftigten in verschiedenen Formen weiter beschäftigt worden.
Geringe Abfindungen für ehemalige Mitarbeiter
Bis sich der Arbeitgeber "Einrichtung" am 31.12.1991 auflöste, sind 5300 Mitarbeiter ausgeschieden. Die meisten davon hatten Anspruch auf eine Abfindung. Allein 1991 wurden dafür fast neun Millionen DM aufgewendet, die Liquidationsgesellschaft NFL hat im Jahr 1992 weitere 14 Millionen DM ausgezahlt und später weitere, allerdings erheblich geringere Beträge. In der Regel lagen die Abfindungen zwischen 2000 und 29.000 DM. Wer aber mit der Abfindung nicht zufrieden oder aber generell der Meinung war, dass ihm gar nicht hätte gekündigt werden dürfen, konnte auch nach Ende der Einrichtung vor das Arbeitsgericht ziehen. Dort traf er dann auf die Anwälte der NLG GmbH, die unter anderem für solche Rechtsstreitigkeiten gegründet worden war. Bei insgesamt 2450 Verfahren gewannen die ehemaligen Mitarbeiter nur einen Teil. Sie erstritten sich damit etwa vier Millionen DM, gut eine weitere Million wurden für Gerichtskosten aufgewendet und eine halbe Million DM kosteten die damit befassten NLG-Mitarbeiter.
Der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl hatte das wohl ganz anders eingeschätzt: Für die Befriedigung der Ansprüche aus den Verfahren und deren Kosten standen immerhin fast 55 Millionen DM zur Verfügung. Da in diesen Zeiten die Zinsen hoch waren, konnten die Zahlungen letztlich allein aus dem Zinsertrag dieser Summe geleistet werden. Das Geld der Einrichtung musste nicht eingesetzt werden. Es wurde 1995 an die NFL weitergereicht und stand dort zur Verteilung an die neuen Landesrundfunkanstalten und das Land Berlin zur Verfügung.
Ehemalige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen, wenn sie in Rente gehen wollen, eine Bescheinigung, dass sie gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt haben. Dafür gibt es Bruttoentgeltbescheinigungen, die der Arbeitgeber ausstellen muss. Etwa 9000 Mitarbeiter der Einrichtung hatten Anspruch auf diese Bescheinigungen. Wer aber stellt die aus, wenn sich der Arbeitgeber einfach auflöst? Dies gehörte zu den Aufgaben der NFL GmbH, die dafür zwei Jahre zwölf Mitarbeiter und weitere zwei Jahre vier Mitarbeiter beschäftigte. Als dann nur noch wenige Anfragen kamen, haben NLG und NFL im Mai 1996 einen Vertrag mit dem Landesverwaltungsamt Berlin geschlossen: Das Amt übernahm alle Personal- und Kaderakten aus der Einrichtung sowie Rundfunk, Fernsehen und Studiotechnik der DDR. Gleichzeitig verpflichtete es sich, jederzeit bei Bedarf an Berechtigte Bruttoentgeltbescheinigungen auszustellen. Der Preis dafür waren 1,6 Millionen DM aus dem ehemaligen Geldvermögen der Einrichtung, zahlbar an die Landeskasse Berlin.
Urheberrechtsstreit
Auch die Versuche von Autorinnen und Autoren sowie Regisseurinnen und Regisseuren, ihre Urheberrechte an den Werken, die in der DDR-Zeit entstanden waren, einzuklagen, beschäftigten Gerichte und füllten viele Aktenordner. Dabei hatten die meisten schlechte Karten, weil sie fest beim Fernsehen angestellt gewesen waren. Abschließend hat der Bundesgerichtshof am 19. April 2001 in einem Musterprozess am Beispiel der Fernsehproduktion Barfuß im Bett zu Ungunsten des Regisseurs entschieden. Der Hintergrund ist die Tatsache, dass der Regisseur zwar Urheber war, er die Nutzung für die meisten Nutzungsarten per Arbeitsvertrag oder Rahmenkollektivvertrag aber an den Arbeitgeber, also das DFF abgetreten hatte. Damit hatte das Fernsehen der DDR die weltweiten Senderechte, die Kinoaufführungsrechte und das Recht der nichtgewerblichen audiovisuellen Nutzung zum Beispiel im Bildungswesen erworben. Und diese Rechte sind durch den Untergang der DDR und der Einrichtung nicht an die Urheber und Leistungsschutzberechtigten zurückgefangen, sondern sind mit dem Erbe den fünf ostdeutschen Bundesländern zugefallen. Und diese haben sie um Mitternacht des 31. Dezember 1991 per Gesetz oder Rechtsakt an die in ihrem Staatsgebiet tätigen Landesrundfunkanstalten beziehungsweise Mehrländeranstalten weitergegeben. So gingen die Autoren letztlich trotz des Untergangs ihres Arbeitgebers leer aus.
Technik und Sachanlagevermögen
Eine Schwierigkeit für den Deutschen Fernsehfunk in der zweiten Jahreshälfte 1991 und 1992 war die Tatsache, dass ein Teil der ehemaligen Kolleginnen und Kollegen noch produzieren und senden musste, ein anderer Teil aber, der glücklichere, vor allem Technikerinnen und Techniker, die schon bei MDR oder ORB angeheuert hatten, auch wussten, wo die beste Fernsehtechnik von Sony und Panasonic stand, und sich diese für ihre zukünftige Arbeit sichern wollten. Etwa 70 Prozent der vorhandenen Fernsehtechnik – so eine Schätzung der Verwertungsgesellschaft NFL – wurden im Jahr 1991 und den ersten Monaten von 1992 an die neuen Landesrundfunkanstalten abgeliefert. Wie sie aufzuteilen war, hatte eine Arbeitsgemeinschaft Technik aus den Technischen Direktoren von MDR, NDR, ORB und SFB geregelt. Sie suchten sich nach Inventurlisten heraus, was sie brauchen konnten. Dennoch kam es zu Reibereien.
Die größten Probleme bei der Verwertung gebrauchter Radio- und Fernsehtechnik aber waren die schnelle Alterung dieser Technik am Vorabend der Digitalisierung und die Tatsache, dass die Produktionstechnik ja nicht lose vorhanden, sondern in Gebäude und Ü-Wagen eingebaut war. Sie konnte nicht einfach anderswo wieder genutzt werden. Auch die Wertermittlung, die man für eine gerechte Verteilung benötigte, war schwierig. Die beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Bundesrepublik verstanden generell nicht das Funktionieren des Preissystems in der DDR, und ihre Mitarbeiter hatten ihrerseits nicht immer eine Vorstellung von realistischen Preisen und Werten.
Großer Sendesaal im Funkhaus Berlin Lizenz: cc by-sa/3.0/de
Großer Sendesaal im Funkhaus Berlin Lizenz: cc by-sa/3.0/de
So lieferten am 29. April 1992 Mitarbeiter der NFL GmbH 300 1-Zoll-Videobänder der Firma Fuji mit 105 Minuten Laufzeit an den SFB in der Masurenallee in Berlin. Auf dem Lieferschein wurden ein Wert von 211,90 DM pro Band und ein Gesamtpreis von 63.575 DM angegeben. Der sollte auf den SFB-Anteil an den Zahlungen der NFL angerechnet werden. Nach den üblichen Lieferpreisen von Fuji im Westen konnten diese Bänder aber nur 24.000 DM kosten. Die Außenhandelsorganisation des DDR-Staatssekretärs Alexander Schalck-Golodkowski hatte die im Ausland mittels Devisen eingekauften Bänder zu einem dramatisch höheren Preis in DDR-Mark an das ebenfalls staatliche Fernsehen abgegeben. Das hing mit den internen Verrechnungsmodalitäten in der DDR zusammen. Nach außen hin tat man so, als ob Mark der DDR gleich Deutsche Mark sei. Nach innen aber wurde jeder Import von einer DM mit 4,5 Valuta Mark (also Mark der DDR) abgerechnet. Dadurch kamen groteske Abweichungen zwischen Marktwert im Westen und Bilanzwert in den Bilanzen der Unternehmen der DDR zustande.
Da es für viele Sachanlagen eines Medienunternehmens keinen echten Markt gibt, waren Wertgutachten von Sachverständigen auch nicht hilfreich. So wurde die Lichttechnik in den Fernsehstudios in Berlin-Adlershof auf einen Wert von vier Millionen DM geschätzt, aber nur, wenn sie eingebaut blieb. Eine Trennung der teilweise recht alten Scheinwerfer von den Lichtstellanlagen mit der komplexen Verkabelung und eine Nutzung anderswo hätte den Wert sofort dramatisch nach unten verändert. Die Studios aber, in die diese Lichttechnik eingebaut war, waren weitgehend abrissreif. Der Wert des umfangreichen Notenarchivs des Hörfunks in der Nalepastraße in Berlin-Oberschöneweide wurde von einem Experten der Musikaliensammlung der Berliner Staatsbibliothek am 7. Februar 1993 auf mehr als vier Millionen DM geschätzt. Tatsächlich aber verursacht ein solches Archiv zuallererst Kosten, für Unterbringung, Personal, Ausleihe usw., die durch die Nutzung auch durch mehrere Orchester kaum wieder einzuspielen sind. Deshalb hatte das ZDF dann nur einen Schätzpreis von 700.000 DM bei der Übernahme für DS-Kultur und die Rundfunk Orchester und Chöre GmbH bezahlt.
Schwierig war der Umgang mit der alten Technik. Sie musste großenteils verschenkt werden, weil man die Geräte nach Deutscher Industrienorm und nach der Norm des von der Sowjetunion dominierten Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe nicht nebeneinander betreiben konnte. Ein Beispiel dafür waren Bandmaschinen mit unterschiedlicher Bandlage, Bandführung und abweichenden Geschwindigkeiten. Selbst wenn man sie teuer umgebaut hätte, wären sie alte Bandmaschinen geblieben, nicht kompatibel mit Mischpulten und Peripheriegeräten. So hat die NFL für mehr drei Millionen DM Fernsehübertragungswagen und anderes Geräte an den litauischen Rundfunk ohne Gegenwert geliefert. Für 4000 DM wurden Kamerazüge KT 132 mit Videokreuzschiene und Monitoren aus sowjetischer Produktion an die Außenstelle der mongolischen Botschaft in der Rheinsteinstraße 86 geliefert. Auch zwei Hörfunkübertragungswagen gingen mit platten Reifen auf Güterwagen in die Mongolische Volksrepublik. In diesen Ländern konnte die Technik weiterbenutzt werden.
Insgesamt haben Einrichtung und NFL Sachanlagen im Wert von mehr als 47 Millionen DM zu 90 Prozent des Buchwerts an die Landesrundfunkanstalten verteilt. Am 1. Januar 1992 waren darüber hinaus noch Anlagen mit einem Buchwert von fast 46 Millionen DM vorhanden. Am 3. August 1993 schloss die NFL mit folgenden Hinweis die Bücher zu diesem Kapitel: "Ein erheblicher Anteil von Sachanlagen konnte nur noch verschrottet werden, weil diese Geräte und Anlagen nicht mehr den Ansprüchen der derzeitigen technischen Standards entsprechen."
Ausverkauf wie auf einem Flohmarkt
Tonübertragungswagen, Mitte der 1970er Jahre (© DRA Babelsberg)
Tonübertragungswagen, Mitte der 1970er Jahre (© DRA Babelsberg)
Ein Pfarrer aus Spreenhagen in Brandenburg stellte am 29. März 1993 eine Spendenquittung über 8400 DM an die NFL GmbH in der Regattastraße 277 in Berlin Grünau aus. Dafür bekam er aus dem Standort Leipzig des Rundfunks ein Orgelpositiv für die Renovierung der desolaten Kirche in Hartmannsdorf bekommen. Der Mobilitätsdienst der Sozialstation des Deutschen Freidenkerverbandes bekam am 13. November 1992 zehn neue Krankentoilettenstühle, und ein Zahnarzt aus Plovdiv 16 Kilogramm russische und deutsche Zahnbohrer und einen zahnärztlichen Kompressor, Baujahr 1988.
Im September 1992 erschienen in der Berliner Zeitung jeweils dreispaltige Anzeigen der NFL, in denen ein Ausverkauf angekündigt wurde. Unter "Barverkauf – sofort mitnehmen" wurden von Fernsehtechnik bis Tischwäsche, von Zeichengeräten bis Geldkassetten alles angeboten, was nicht niet- und nagelfest war. Insgesamt wurden durch solch kleine Barverkäufe über eine Millionen DM eingenommen. Geräte im Wert von 5 Millionen DM wurden in einer zweiten Runde noch an die Landesrundfunkanstalten verteilt, im Wert von drei Millionen gingen – wie erwähnt - Geräte als Spende an den litauischen Rundfunk. Für den Verkauf des Restes wurden rund 10.740.00 DM eingenommen. Dabei gab es nur wenige große Geschäfte, wie der Verkauf des Synchronstudios des Fernsehens für 323.000 DM, der Requisiten und Fundi an Theo Henders, einen Baugerätehändler, der sich verpflichtete, den Ausleih-Betrieb weiterzuführen und Personal zu übernehmen. Das meiste war "Kleinvieh". Für 40 DM gingen Lautsprecherboxen an den Kulturverein Prenzlauer Berg, für fünf DM ein Heimempfänger Transmiranda an den Nassauer Hof, ein Herr Reinhardt aus Luisenthal bekam für 600 DM einen Transporter Barkas B 1000. Sechs Likörschalen wurden für 2,40 DM und eine Tischdecke für zwei DM verkauft. Im Ferienheim Bestensee gingen 164 weiße und 40 blaue Kaffeetassen über den Tresen, in Graal-Müritz 40 Eierbecher aus Edelstahl und 30 Biertulpen.
In Zahlen bedeutete das alles, dass für über 25 Millionen DM Buchwert Geräte verschrottet oder verschenkt wurden.
Das Programmvermögen
Fernsehgelände Berlin-Adlershof, 1961 (© DRA Babelsberg)
Fernsehgelände Berlin-Adlershof, 1961 (© DRA Babelsberg)
Das Gebäude F 4 auf dem Fernsehgelände Adlershof war ein dickwandiger Betonbau, dessen Architektur und schmale Fensterschlitze an ein Gefängnis erinnerten. Doch die Sehschlitze sollten nur den Lichteinfall vermindern, das Gebäude diente als Bandarchiv für das Fernsehen: Im Inneren bestimmten Lastenfahrstühle, breite Flure und schmale hohe Kammern mit Metallregalen das Bild. In den Regalen lagen kreisrunde Dosen mit Filmen, Papp- und Kunststoffdosen mit altmodischen Videobändern der ersten und zweiten Generation. Das Hörfunkarchiv dagegen war im Hauptgebäude des Rundfunks in der Nalepastraße, in einer ehemaligen Parkettfabrik untergebracht.
Rundfunkarchive in der vor-digitalen Zeit waren Orte, an denen Programme, Sendungen und Materialien auf Bändern für die Nachwelt recherchierbar und wiederauffindbar, aufbewahrt wurden. Von Interesse waren diese Archive natürlich auch für Bildung, Unterricht und historische Forschung. Aus dem Hörfunk überlebten 390.000 Tonbänder mit Musikproduktionen, 100.000 mit Wortproduktionen und 36.000 Geräusche die DDR. Im Fernseharchiv waren es 134.000 Videokassetten und 120.000 Filmbüchsen mit Sendungen oder Produktionen und 60.000 Einzelbeiträge. Dazu kamen sechs Millionen Presseausschnitte, 5400 laufende Archivmeter Schriftgut, über 250.000 Fotos, 2,3 Millionen Negative, 70.000 Dias und 125.000 Notensätze.
Im Frühsommer 1991 bekamen die Archivare Besuch von Kollegen aus der alten Bundesrepublik, die sich einen Überblick über die Bestände verschaffen sollten. Im Auftrag der Hauptabteilung Dokumentation und Archiv des Südwestfunks in Baden Baden schrieben sie an einem Papier mit dem Titel "Überlegungen zur Zukunft der Archive von Funkhaus Berlin und Deutschem Fernsehfunk". Es war Grundlage der Überlegungen der ARD, das Archiv und damit das Programmvermögen zu übernehmen und für die künftigen Landesrundfunkanstalten in Ostdeutschland nutzbar zu machen. In einer Sondersitzung am 16. September 1991 beschlossen die Intendanten nicht die sofortige Komplettübernahme, sondern als ARD die Sicherheit und Geschlossenheit der Archivbestände zu gewährleisten, die Bestände zwei Jahre lang in einer Beschäftigungsgesellschaft sichten zu lassen und Wert und Bedeutung zu analysieren und die neuen Landesrundfunkanstalten als Zustifter in das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) aufzunehmen.
Bereits neun Tage später, am 25. September 1991, beschlossen die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der fünf ostdeutschen Länder und Berlins, dass zum 31. Dezember 1991 die Einrichtung nach Art 36, Absatz 6, Satz 2 aufgelöst ist, die neuen Landesrundfunkanstalten so weit wie möglich bereits Anlagen und Programme der Einrichtung nutzen oder übertragen bekommen können und vom Rundfunkbeauftragten eine Anschubfinanzierung bekommen sollten. Für die Übertragung des sendefähigen Programmvermögens wurde eine Arbeitsgemeinschaft aus Mitarbeitern der neuen Landesrundfunkanstalten und der Einrichtung sowie dem Vorstand des Deutschen Rundfunkarchivs als Treuhänder geschaffen. Für die Arbeitsgemeinschaft begann ein Wettlauf mit der Zeit, da sie die Archivare nach dem 1. Januar 1992 nicht übernehmen durfte, blieben gerade mal drei Monate, um ein mit allen Beteiligten abgestimmtes Konzept vorzulegen, eine Beschäftigungsgesellschaft zu gründen, arbeitsfähig zu machen und die Archivbestände in deren Obhut zu geben. In zehn Wochen musste geschehen, was die Einrichtung in den Monaten zuvor versäumt hatte.
Am 15. November billigte der Verwaltungsrat des DRA in einer Sondersitzung in Frankfurt am Main das vom Vorstand Joachim-Felix Leonhard vorgelegte Konzept zur Sichtung, Sicherung und Nutzung der Archivbestände von Rundfunk und Fernsehen der DDR. Danach sollte 1992 und 1993 gesichtet, gesichert, zur Nutzung durch die Rundfunkanstalten bereitgestellt und Zukunftsentscheidungen vorbereitet werden. Die Arbeitsverwaltung sollte die Kosten der Beschäftigtengesellschaft übernehmen, die Länder Räume und Infrastruktur kostenfrei zur Verfügung stellen. Das DRA sollte mit zehn Planstellen beraten und Aufsicht führen. Sechs Tage später stimmten die Chefs der Staats- und Senatskanzleien dem auf zwei Jahren kostenfreien Mietvertrag für das Archiv und der Übertragung der Nutzungsrechte an den Programmbeständen auf die neuen Landesrundfunkanstalten zu.
Wieder acht Tage später, am 28. November, wurde vom Sozialpädagogischen Institut Berlin die Servicegesellschaft für Archiv und Medien GmbH (SAM) mit Sitz und Berlin gegründet. Offiziell waren ihre Aufgaben "die Wiedereingliederung von Dauerarbeitslosen, ihre Qualifizierung in neuen Tätigkeitsfeldern, die Erprobung und Entwicklung von neuen, zusätzlichen Arbeitsfeldern und die Erschließung von Dauerarbeitsplätzen." Am 15. Januar 1992 konnten 106 ehemalige Archivmitarbeiterinnen und Archivmitarbeiter des Rundfunks und Fernsehens der DDR als Mitarbeiter der SAM unter Betreuung von Mitarbeitern des DRA das Archiv übernehmen.
Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) in Potsdam-Babelsberg (© DRA Babelsberg)
Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) in Potsdam-Babelsberg (© DRA Babelsberg)
Drei Monate später gab DRA-Vorstand Joachim-Felix Leonhard vor dem Verwaltungsrat des DRA einen ersten Erfahrungsbericht ab: Unerwartet hoch war der Bedarf an Archiv-Filmen durch ORB und MDR, aber auch an Klammermaterial von ehemals aktuellen Berichten vor allem in Sport und Politik. Mit ihnen sollten der Doping-Skandal um Katrin Krabbe oder die vielen Rückblicke auf die DDR illustriert werden. Das Bildarchiv der Aktuellen Kamera wurde an ORB und MDR aufgeteilt, ebenso die Bibliotheken, soweit sie nicht als Schenkung an neugegründete Universitäten in Frankfurt/Oder, Potsdam oder Erfurt gingen. Lücken der DDR-Archive bei Mitschnitten der Aktuellen Kamera konnten mit Aufzeichnungen im Westen gefüllt werden, der NDR bekam nicht mehr vorhandene Tagesschau-Mitschnitte aus den Ost-Beständen. Eine logistische Leistung war es auch, die Hörfunk- und Fernseharchive aus den 15 Bezirkssendern und die dortige Verwaltungsarchive in die Zentrale nach Berlin zu bringen und in die dortigen Bestände zu integrieren.
Bereits am 1. Februar 1993 beschloss der Verwaltungsrat des DRA, ab 1. Januar 1994 die ehemaligen DDR-Bestände der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv in ein DRA Ost mit vorläufigem Sitz in Berlin-Adlershof zu übernehmen und dafür einen Haushalt von 8,7 Millionen DM pro Jahr zur Verfügung zu stellen. In nur 15 Monaten hatten der Vorstand des DRA, der Lenkungsausschuss und die Mitarbeiter des DRA die Aufgabe der Sicherung des Programmvermögens erledigt und den Grundstein für das DRA Ost gelegt, das sieben Jahre später einen eigens dafür konzipierten Neubau in Potsdam-Babelsberg bezog.
Fazit
Natürlich hätten die neuen Landesrundfunkanstalten am 1. Januar 1992 ohne die Grundausstattung an Material und Menschen aus dem DDR-Rundfunk und DDR-Fernsehen nicht ihr Programm aufnehmen können. Dass am Schluss dann noch Einiges aus dem nicht übernommenen Rest verwertet werden konnte, war ein relativer Erfolg. Ein absoluter Erfolg aber war die Übernahme der Archive in das Deutsche Rundfunkarchiv. Die Bestände wurden nachhaltig gesichert, die Mitarbeiter bekamen moderne Arbeitsplätze, die Medien einen Schatz an Archivmaterialien zur Geschichte der DDR. Die neuen Landesrundfunkanstalten im Osten Deutschlands konnten auf der bald einsetzenden DDR-Nostalgiewelle mitreiten und damit – wie zum Beispiel der MDR - ihre dritten Fernsehprogramme zu Quotenerfolgen führen. Die Archive blieben ununterbrochen voll funktionsfähig für ihre Aufgaben in Programmversorgung, Forschung und Wissenschaft.
Zitierweise: Ernst Dohlus, In der Grauzone – Wie der Staatsrundfunk der DDR aufgelöst wurde, Menschen, Material und Programmvermögen, in: Deutschland Archiv, 22.9.2014, Link: www.bpb.de/191086