Rundfunk und Fernsehen – ein Abbild der DDR und ihrer Auflösung
Nein, beliebt war es nicht, das Fernsehen der DDR: Das Sandmännchen bei den Kleinen, ja, der Kessel Buntes und viele lange Sportsendungen bei den Älteren auch – aber sonst? Beliebt waren auch die Radioprogramme nicht, außer den Erbschleicher-Sendungen, in denen Enkel ihre Omas grüßen konnten, oder auch das wegen manch subversiv untergeschobener Musiktitel populäre Jugendprogramm DT64.
Fernsehen und Hörfunk der DDR waren der verlängerte Arm der SED, geführt von Staatlichen Komitees, direkt abhängig vom für Agitation zuständigen ZK-Mitglied, zuletzt Joachim Hermann. Es war ein Riesenapparat mit 13.000 fest angestellten und vielen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aufgeteilt in Hörfunk und Fernsehen als eigenständige Einheiten sowie die der Deutschen Post zugeordnete Studiotechnik an über 30 Standorten. Die Studiotechnik war abhängig von der Außenhandelsorganisation des berüchtigten Staatssekretärs Alexander Schalck-Golodkowski, wenn sie hochwertige Sony-Kameras oder Videokassetten brauchte für technische Qualität im Weltstandard. DDR-typisch konnten sich Redakteurinnen und Redakteure in einem hörfunkeigenen Zahnarztstuhl behandeln oder ihre Kinder in der fernseheigenen Kinderkrippe betreuen lassen. Die Programme waren zu kleinen Teilen hochwertig und unterhaltend, künstlerisch und kitschig, in Informationssendungen immer parteiisch und häufig nervtötend. Die meisten Sendungen verbreiteten pure Langeweile. Wenn die eigenen Reserven nicht ausreichten, wurden billig beim westdeutschen Medienmogul Leo Kirch eingekaufte Spaghetti-Western oder Besinnliches aus der Mongolei oder anderen sozialistischen Bruderländern gesendet.
Als das Volk die DDR nicht mehr ertrug, schlug auch das letzte Stündchen für Rundfunk und Fernsehen. Sie waren wie die DDR selbst nicht einfach aufzulösen. Es war ein Prozess in mehreren Stufen, ein Kampf gegen hinhaltenden Widerstand mit ungewissem Ausgang. Es mussten neue Institutionen erst arbeitsfähig werden und senden, bevor das letzte Mikrofon von DDR-Hörfunk und DDR-Fernsehen abgeschaltet werden konnte. Es sollte kein Vakuum entstehen.
Politisch ging es von November 1989 bis Oktober 1990 im Staat wie im Rundfunk um Veränderungen innerhalb der DDR in Richtung deutsche Einheit. Nach dieser ersten Phase kamen ab 3. Oktober 1990 fünfzehn Monate, in denen die alten Rundfunk- und Fernsehprogramme sowie die Einrichtungen aus der DDR weitergeführt und gleichzeitig aufgelöst werden sollten. Parallel dazu wurden neue föderale Rundfunkanstalten aufgebaut. Am 1. Januar 1992 begannen die neuen Landesrundfunkanstalten im Osten Deutschlands, ihre Programme zu senden, und es begann die dritte Phase der Auflösung des DDR-Rundfunks, in der einerseits aufgelöst, abgewickelt, verwertet und verkauft wurde, andererseits Programme weiterbetrieben, das Programmvermögen gesichtet, gesichert und erhalten wurde.
"Wandel durch Annäherung" in der DDR
Vom Mauerfall am 9. November 1989 über die Volkskammerwahlen am 18. März 1990, die Währungsreform am 1. Juli 1990 bis zur deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 haben sich Rundfunk und Fernsehen der DDR permanent gewandelt. Sie wurden zum Deutschen Fernsehfunk (DFF) und zum Funkhaus Berlin, wechselten mehrmals das Führungspersonal, trennten sich von den Offizieren im besonderen Einsatz (OibE) der Stasi und Führungskadern, die nur der Partei ihre Stellung verdankten. Das neue Medienministerium und ein Medienkontrollrat sollten den Übergang vom Staatsmedium zu einem öffentlich-rechtlichen Medium mit neuen Vorgaben gestalten. Intern preschten Leute wie der stellvertretende Hörfunk-Generalintendant Wernfried Maltusch vor. Er verkündete im April 1990 die Schließung von zwei bisherigen Radioprogrammen und den Beginn neuer Länder-Hörfunkprogramme mit neuen Redaktionen auf der Basis der noch nicht geschaffenen, aber geplanten neuen Bundesländer.
Der Fernseh-Generalintendant Hans Bentzien gründete Landesstudios und verhandelte einen Werbevertrag, um beim Wegfallen der staatlichen Finanzierung bis zu einem geregelten Rundfunkgebührenwesen nach der Währungsreform Gehälter zahlen und Programme finanzieren zu können. Andere versuchten Personal, Strukturen und Inhalte auf alte Weise in neuem Kleid zu erhalten. An eine Auflösung dachten in dieser Phase die wenigsten Akteure von Rundfunk und Fernsehen in der DDR.
"Die Einrichtung" – Weiterbetrieb von Radio und Fernsehen im vereinten Deutschland
Das änderte sich nach dem Abflauen des Vereinigungstaumels am 3. Oktober 1990. Artikel 36 des Einigungsvertrags, der von Volkskammer und Bundestag gleichermaßen verabschiedet wurde, verhinderte das Weiterbestehen des Staatsrundfunks. Da Rundfunk in den alten Bundesländern Ländersache war und es in den neuen werden sollte, mussten die Länder neue Rundfunkanstalten gründen und sehr schnell betriebsbereit machen. Nur 15 Monate hatten sie Zeit. Damit die Fernseher bis dahin nicht schwarz und die Radios nicht stumm blieben, war nur so lange die befristete Weiterführung von DDR-Radio und Fernsehen vorgesehen. "Einrichtung nach Artikel 36" hieß das Konstrukt aus Rundfunk, Fernsehen und Studiotechnik der ehemaligen DDR, das in der Verantwortung eines Rundfunkbeauftragten vom 3. Oktober 1990 bis zum Silvesterabend 1991 Programm machen und gleichzeitig sich selbst abschaffen sollte. Nur wenn die Länder per Staatsvertrag Teile davon weitergeführt hätten, hätten diese über den 31. Dezember 1991 hinaus weiterleben können. "Kommt ein Staatsvertrag nicht zustande, ist die Einrichtung mit Ablauf dieser Frist aufgelöst", heißt es apodiktisch im Einigungsvertrag. Leiter der Einrichtung war ein Rundfunkbeauftragter. Seine Wahl war zwar formal Sache der damals noch gar nicht so recht handlungsfähigen Länder, ihre Parlamente mussten erst gewählt, die Regierungen bestimmt werden, entschieden aber wurde über die Person im Bundeskanzleramt, von Bundeskanzler Helmut Kohl höchstpersönlich. Formal haben fünf ostdeutsche Landesbeauftragte am 15. Oktober 1990 Rudolf Mühlfenzl zum Rundfunkbeauftragten gewählt, den ehemaligen Redakteur des Bayerischen Rundfunks und Präsidenten der bayerischen Landeszentrale für Neue Medien. Die Sitzung fand unter Leitung des Bundesministers für besondere Aufgaben Günther Krause in der damaligen Außenstelle des Bundeskanzleramtes in der Klosterstraße in Berlin statt. Den Anruf mit der Frage, ob er den Job machen wolle, erhielt Mühlfenzl aber aus Bonn, am 23. Oktober folgte dann auch der schriftliche Auftrag, ausgestellt im Bundesinnenministerium. Dieses Ministerium hat ihn und seine Berater auch bezahlt.
Der Rundfunkbeauftragte
Der Rundfunkbeauftragte übernahm die bestehenden Organisationen mit den beiden amtierenden Intendanten, mit den Hörfunk-Landessendern und den Fernseh-Landesstudios. Er berief acht Berater, die in erster Linie aus dem Umfeld des Medienmagnaten Leo Kirch und aus der Privatfernseh- und Privatradioszene kamen, und fühlte sich dennoch als Treuhänder eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seiner Einrichtung waren alle Liegenschaften nur zugeordnet, sie durfte darauf arbeiten, die Grundstücke gehörten ihr aber nicht. Die Einrichtung bekam die Rundfunkgebühren, die seit 1. Oktober 1990 von ursprünglich 9 Mark der DDR auf das West-Niveau von 19 DM erhöht worden waren.
Der Rundfunkbeauftragte schaltete eines der beiden DDR-Fernsehprogramme zum 15. Dezember 1990 ab und ließ stattdessen das ARD-Programm übertragen. Dafür lieferte der DFF Aktuelles und Filme zum Ersten Deutschen Fernsehen zu, konzentrierte sich sonst aber auf das verbleibende Programm, die sogenannte "Länderkette". Gleichzeitig bekam das ZDF auf einer nicht genutzten dritten Senderkette die Möglichkeit, sein Programm auszustrahlen. Rudolf Mühlfenzl versuchte auch, Personal abzubauen, weil er ja eigentlich bis zum 31. Dezember 1991 die Organisation auflösen sollte. Aber er stieß schnell an Grenzen, weil gleichzeitig neue Aufgaben wie eigene Länderprogramme und der Aufbau der Landesstudios zu stemmen waren.
Ab Mitte 1991 fing der Rundfunkbeauftragte aber auch an, Teile des ihm anvertrauten Imperiums für die Zeit danach fit zu machen und sie den neuen Institutionen anzudienen. Für den Rest aber sollte am 31. Dezember 1991 Schluss sein. Alle neu aufgebauten Landesrundfunkanstalten, Mitteldeutscher Rundfunk und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg, sowie die beiden bereits bestehenden Landesrundfunkanstalten Norddeutscher Rundfunk und Sender Freies Berlin brauchten für die Aufgaben in den neuen Sendegebieten erheblich weniger Personal als die alten DDR-Institutionen.
Pressekonferenz mit dem DFF-Intendanten Michael Albrecht und dem Rundfunkbeauftragten Rudolf Mühlfenzl im Dezember 1990. Dabei werden dem Gremium Tausende Briefe mit dem Wunsch nach Erhalt des ostdeutschen Sandmännchens übergeben (© picture-alliance)
Pressekonferenz mit dem DFF-Intendanten Michael Albrecht und dem Rundfunkbeauftragten Rudolf Mühlfenzl im Dezember 1990. Dabei werden dem Gremium Tausende Briefe mit dem Wunsch nach Erhalt des ostdeutschen Sandmännchens übergeben (© picture-alliance)
Für die beiden Intendanten, Christoph Singelnstein für das Radio und Michael Albrecht für das Fernsehen, beide damals Mitte 30, war diese Aufgabe eine wahre Zerreißprobe. Vorbereitet darauf war keiner der beiden. Singelnstein war vorher Hörspieldramaturg, zuständig für vier Hörspiele im Jahr und in der Regel drei Tage pro Woche im Funkhaus. Michael Albrecht war bis zu seiner Berufung als Intendant Kameramann. Sie sollten in der Einrichtung möglichst viele alte Programme aufrechterhalten, gleichzeitig aber auch für die neuen Rundfunkanstalten bereits die künftigen Programme planen und Produktionskapazitäten aufbauen. Sie sollten das Licht ausmachen, wenn es anderswo gerade eingeschaltet wurde. Sie sollten als relativ junge Leute eine Organisation mit 13.000 Mitarbeitern in Berlin abwickeln und gleichzeitig ihre Berufskarriere außerhalb Berlins vorantreiben.
Am 1. Januar 1992 übernahmen MDR, NDR, ORB und SFB um 0 Uhr nach einer Sekunde Pause die Programmversorgung in den neuen Bundesländern.
Die Abwicklung: Sichten und Sichern, Verwerten und Verkaufen, Verschrotten und Retten
Den Aufbau neuer Landesrundfunkanstalten hatten die Länder mit Ach und Krach und viel Druck durch den Rundfunkbeauftragten zum 1. Januar 1992 gerade so hinbekommen. Die Einrichtung war mit dem 31. Dezember 1991 aufgelöst, die Länder hatten Ihre Pflicht zur Rundfunkversorgung gelöst. Das Erbe, das vom DDR-Rundfunk und Fernsehen übrig blieb, gehörte den fünf ostdeutschen Ländern und Berlin. Im Artikel 36 Absatz 6 des Einigungsvertrags liest sich das so: "Zu diesem Zeitpunkt bestehendes Aktiv- und Passivvermögen geht auf die in Artikel 1 genannten Länder in Anteilen nieder. Die Höhe der Anteile bemisst sich nach dem Verhältnis des Rundfunkgebührenaufkommens nach dem Stand vom 30. Juni 1991."
Das Vermögen sinnvoll zu verwerten, überforderte die Länder. Sie hatten einerseits keine Organisation dafür, schon gar keine gemeinsame. Andererseits ging es ja um Rundfunk, und der hat staatsfrei zu sein. Was also tun, wenn man als Bundesland etwas erbt, was man gar nicht haben soll und darf, weil es staatsfrei zu organisieren ist? Was tun, wenn die ostdeutschen Bundesländer durchaus unterschiedliche, teilweise auch widersprüchliche Interessen haben?
Und was umfasste dieses DDR-Erbe überhaupt? Welche Probleme waren nach dem Ende der Einrichtung noch zu lösen? Es ging um Menschen, um Programmvermögen, um Liegenschaften, Technik und Geld - viel Geld, das sich seit dem 3. Oktober 1990 aus den erhöhten Gebühren angesammelt hatte.
Die meisten der 13.000 fest beim Radio und Fernsehen Beschäftigten arbeiteten in Berlin. Sie verloren diese Arbeit, ihren Beruf, ihr Einkommen und häufig genug den Sinn ihres Lebens. Viele sahen sich ungerecht behandelt, klagten gegen die Kündigung, für mehr Abfindung. Viele Künstlerinnen und Künstler sahen auch ihre Urheberrechte in Frage gestellt, wollten Geld haben für die Verwertung ihrer Filme, Musiken im Inland und im Ausland.
Die Abwicklung und ihre Organisation(en)
Die fünf neuen Bundesländer und Berlin mussten ganz neue Organisationen für die Abwicklung gründen. Den Politikerinnen und Politikern im Bund und in den neuen Bundesländern war 1990 wichtig, dass es anders als bei genuin staatlichen Aufgaben wie Volksarmee, Polizei, Gerichten und Verwaltung bei Radio und Fernsehen keinen direkten Übergang von alter zu neuer Zeit, von DDR-Institutionen zu neuen Landesrundfunkanstalten gab. Denn die alten Institutionen waren Teil des staatlichen Propagandaapparates in direktem Zugriff der SED. Die neuen staatsfernen Landesrundfunkanstalten sollten frei sein von staatlicher Gängelung und direktem Einfluss von Parteien. Es durfte also weder personelle noch inhaltliche, noch institutionelle Kontinuität geben. Die Bevölkerung sollte auch ihr berechtigtes Misstrauen gegen die alten Institutionen nicht auf die neuen übertragen. Auch aus arbeitsrechtlichen Gründen musste mit allen Mitteln der Anschein vermieden werden, die neuen Anstalten könnten Rechtsnachfolger der alten sein. Es durfte keinen Betriebsübergang geben. Alle Beschäftigungsverhältnisse mussten gelöst werden, und das Vermögen durfte nicht an die neuen Anstalten fallen, sondern an die Länder als Träger des neuen, föderal organisierten Rundfunks.
Deshalb wurden drei unterschiedliche Verfahren und Organisationsformen für Auflösung und Übergang gewählt. Der Rundfunkbeauftragte hat die Organisation der Auflösung und deren Werdegang in seiner Rede in der letzten Sitzung des Rundfunkbeirats am 18. Dezember 1991 deutlich beschrieben:
"Die Arbeit der Einrichtung hat sich seit der Beiratstagung vom vergangenen November darauf konzentriert, die Regelungen für eine geordnete Selbstabwicklung zu finden. Dazu haben zwei Treffen mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien stattgefunden. Das Ergebnis:
Eine GmbH der Länder übernimmt die Liegenschaften und die prozessualen Auseinandersetzungen mit ehemaligen Mitarbeitern der Einrichtung.
Eine Liquidations GmbH übernimmt die geordnete Beendigung des Geschäftsbetriebs der Einrichtung.
Das Deutsche Rundfunkarchiv hat sich zur Sicherung und Übernahme sämtlicher Archive bereiterklärt, und die Länder haben die derzeit dafür benutzten Räume für zwei Jahre mietfrei zur Verfügung gestellt.
Es ist alles getan, damit die Einrichtung bis zum Jahresende korrekt aufgelöst sein wird."
Die NFL Gesellschaft (Neue Fünf Länder GmbH)
Nachdem klar war, dass man im Jahr 1991 nicht gleichzeitig würde senden und auflösen können, musste Rudolf Mühlfenzl Vorsorge treffen. Er gründete am 29. November 1991 mit Zustimmung der fünf ostdeutschen Bundesländer und Berlins eine Gesellschaft, die "NFL Gesellschaft zur Abwicklung der Rundfunkeinrichtung gemäß Artikel 36 Einigungsvertrag mbH". Das Stammkapital von 50.000 DM stellte die Einrichtung, und sie war auch einziger Gesellschafter. Als Zweck der Gesellschaft waren alle Aufgaben der Abwicklung angegeben, soweit sie nicht von den Bundesländern der von ihnen gegründeten Grundstückverwertungs- und Verwaltungs GmbH (NLG GmbH) zugewiesen worden waren. Mit den Worten von Rudolf Mühlfenzl: "Das beginnt mit der Auszahlung der letzten Löhne und Abfindungen, mit der Verwertung der Fundi und geht bis hin zur Mithilfe beim Betrieb eines Umspannwerkes, das mehrere hundert Haushalte rund um das Fernsehbetriebsgelände Adlershof mit Strom versorgt."
Im Einzelnen hieß das, dass das gesamte Sachanlagenvermögen inklusive der Fernseh- und Radiotechnik bewertet, dann auf die neue Landesrundfunkanstalten verteilt oder veräußert oder verschrottet werden musste. Urheberrechtliche Fragen waren zu klären, Jahresabschlüsse zu veranlassen, Tochtergesellschaften aufzulösen, Versicherungen zu kündigen und Steuern abzuführen. Außerdem waren alle Verpflichtungen von DFF und Funkhaus Berlin zu erfüllen, von nicht bezahlten Rechnungen über die Schadensersatzforderung des Pfarramtes Altenkirchen auf Rügen, dessen Kirche bei nicht von ihm genehmigten Filmaufnahmen bei einer Flugzeuglandung beschädigt wurde, bis zu Abfindungszahlungen nach dem Sozialtarifvertrag. Auf der anderen Seite mussten auch Forderungen gegenüber Dritten durchgesetzt werden, von Lizenzzahlungen für DFF-Filme bei anderen Fernsehanbietern bis zur Rückforderung von Altersversorgungsbeiträgen für Orchestermusikerinnen und Orchestermusiker bei der Bayerischen Versicherungskammer, die irrtümlich eingefordert und bezahlt worden waren. Darüber hinaus waren die Orchester, die nicht vom Mitteldeutschen Rundfunk oder von der Rundfunk-Orchester- und Chöre GmbH weitergeführt wurden, bis zum Ende der Spielzeit 1991/1992 im Juli zu betreuen, mit Noten und Partituren auszustatten, zu bezahlen, und dann aufzulösen. Dasselbe galt für das Deutsche Fernsehballett, für das bis dahin auch noch kein Träger gefunden worden war.
Um diese Aufgaben erfüllen zu können, stattete der Alleingesellschafter "Einrichtung" in der Person von Rudolf Mühlfenzl die Gesellschaft mit 134 Millionen DM Treuhandkapital aus zur Bezahlung aller Verbindlichkeiten und mit etwa 67 Millionen DM Kapitalrücklage als freiwillige Gesellschaftereinlage zur Erledigung ihrer Aufgaben. Aus dieser Kapitalrücklage sollten Mieten, Gehälter und sonstige Aufgaben der NFL während ihrer Lebenszeit bezahlt werden. Als der Alleingesellschafter "die Einrichtung" am 31. Dezember 1991 verschwand, trat die Rechtsnachfolge eine bürgerlich-rechtliche Gesellschaft zur gesamten Hand an. Fünf der sechs Bundesländer, die offiziell für die Einrichtung zuständig gewesen waren, übertrugen ihren jeweiligen Anteil an der NFL GmbH an die jeweils zuständige Landesrundfunkanstalt. So wurden MDR, NDR und ORB mit jeweils ihrem Anteil an den ostdeutschen Gebührenzahlern Mitgesellschafter. Nur das Land Berlin wollte mögliche Einnahmen nicht seiner öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalt SFB überlassen und übernahm seinen 8,25 Prozent-Anteil selbst. Die Regierung war der Meinung, der SFB sei reich genug, auch den Osten der Stadt mit Radio und Fernsehen versorgen zu können, und das Land benötige das Geld und die Grundstücke aus dem Erbe dringender als der SFB.
Die neue Länder Grundstücks- und Verwaltungs GmbH (NLG): Einrichtungen und Material
Vor allem auf die Grundstücke hatte es das Land Berlin abgesehen. Der Produktionsapparat von Radio oder Fernsehen der DDR umfasste von der Rudower Chaussee in Adlershof über die Nalepastraße in Treptow bis zum Weinbergweg in Dresden und zur Otto-Nuschke-Straße in Suhl 30 Liegenschaften mit Gebäuden und Technik, mit Konzertsälen und Trickfilmstudios. Sie waren häufig überdimensioniert und veraltet. Dazu kamen – ganz DDR-typisch - noch 18 Ferienanlagen, vom Haus Edda in Graal-Müritz über ein Hotel in Luisenthal bis zum Kinder-Ferienlager in der Spiegelwaldbaude in Grünhain.
Rundfunk und Fernsehen der DDR sowie die Deutsche Post als Betreiber der Studiotechnik verfügten insgesamt über 48 Grundstücke mit 231 Gebäuden. Sie waren zwischen 173.000 Quadratmetern (Berlin Adlershof) und 451 Quadratmetern (Neubrandenburg) groß. Insgesamt waren es etwa 760.000 Quadratmeter, zwei Drittel davon in Berlin. Die Gebäude mussten geheizt und unterhalten werden, auch wenn sie nicht mehr genutzt wurden. Für sie waren neue Nutzungen oder Käufer zu suchen und zu finden.
Dafür gründeten die fünf ostdeutschen Bundesländer und Berlin eine eigene Gesellschaft, die Neue Länder Grundstücks- und Verwaltungs GmbH (NLG). Im Gesellschaftervertrag vom 20. November 1991 wurde als Zweck festgehalten: "Verwaltung und Verwertung der auf die Länder übergegangenen Grundstücke, die früher dem Rundfunk der DDR und dem deutschen Fernsehfunk gedient haben, sowie die Abwicklung arbeitsgerichtlicher Verfahren sowie daraus sich ergebender Verpflichtungen. Aufgabe der Gesellschaft ist es weiterhin, in einem Schlussbericht darzulegen, was die einzelnen Länder bzw. Rundfunkanstalten insgesamt wertmäßig von der Einrichtung erhalten haben." Auch diese Gesellschaft erhielt vom Rundfunkbeauftragten eine großzügige Ausstattung: 58 Millionen DM sollten die Prozesskosten und eventuell sich daraus ergebende Zahlungsverpflichtungen an ehemalige Mitarbeiter abdecken, 39 Millionen DM gab es für die Kosten des eigenen Geschäftsbetriebs, die 25 Mitarbeiter der NLG selbst und den Unterhalt der Gebäude und Grundstücke bis zur Verwertung.
Die Stiftung Deutsche Rundfunkarchiv. Das audiovisuelle Gedächtnis eines gestürzten Regimes
Was in 40 Jahren DDR in Radio und Fernsehen an künstlerisch oder historisch mehr oder weniger Wertvollem produziert, an archivarisch mehr oder weniger wertvollen aktuellen Übertragungen von Politik-, Sport und sonstigen Ereignissen gesendet worden war, lag in Archiven, dazu Noten für elf Orchester, Fotos, Zeitungsausschnitte. Es gab viele Filme aus eigener oder DEFA-Produktion, aus osteuropäischer Produktion oder aus dem Westen gekauft. Nicht immer waren die zugehörigen Senderechte geklärt. Da lag ein möglicherweise riesiges Programmvermögen, das nach seiner Wiederverwertbarkeit im Programm und seiner historischen Bedeutung gesichtet und beurteilt werden musste. In den Archiven lag nichts mehr als die Dokumentation eines untergegangenen Staates, das audiovisuelle Gedächtnis eines Landes und eines gestürzten Regimes.
Sehr schnell war klar, dass dieses Material nicht nur dokumentarisch wertvoll war, sondern auch als Programmstock für Rundfunk- und Fernsehanstalten enorm wichtig sein würde. Deshalb gab es auch eine Menge Interessenten. Die Kirch-Gruppe als einer der größten privatwirtschaftlichen Medienkonzerne der Bundesrepublik Deutschland war einer davon. Aber auch das ZDF als Fernsehanstalt aller Bundesländer verwandte viel Zeit und Energie auf eine mögliche Übernahme zumindest des Fernseharchivs. Das Rennen aber machte am Schluss das von der ARD getragene und finanzierte Deutsche Rundfunkarchiv.
Das DRA ist eine Einrichtung der Landesrundfunkanstalten der ARD in Form einer Stiftung und damit auch eine Einrichtung der neuen Landesrundfunkanstalten in den ostdeutschen Bundesländern. Schon im September 1990 beschlossen die ARD-Intendanten auf Vorschlag des neuen DRA-Vorstands Joachim-Felix Leonhard, die Sicherheit und Geschlossenheit der Archivbestände aus der DDR zu gewährleisten und in einem Zeitraum von zwei Jahren die umfangreichen Bestände zu sichern und zu sichten, für die Nutzung zur Verfügung zu stellen und in dieser Zeit vor allem die neuen Anstalten MDR und ORB sowie für Mecklenburg-Vorpommern den NDR mit Filmen und Material auszustatten. Dieses Angebot machten sie den Ministerpräsidenten der neuen Länder, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin und dem Rundfunkbeauftragten. Einhellige Zustimmung fand der Vorschlag auch deshalb, weil er die Länder von der Aufgabe entband, das audiovisuelle Erbe der DDR selbst zu sichern. Das bisherige Personal durfte aber nicht übernommen werden. Deshalb wurden die Bestände der Archive dem DRA treuhänderisch übertragen, und es bekam den Auftrag, in kürzester Zeit über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen das erforderliche Personal für die Tätigkeit im neuen Rahmen zu qualifizieren. (Im zweiten Teil dieser Artikel-Serie wird darauf noch ausführlicher eingegangen.)
Neue Aufgaben und harte Schnitte
Wie beschrieben, stellte die organisatorische und materielle Umwandlung und Abwicklung des ehemaligen Staatsrundfunks der DDR nach ihrem Ende eine gewaltige Herausforderung dar. Trotz einer zumindest in Teilen vorausschauenden Planung entstanden insbesondere durch den Personalabbau individuelle Härten. Sie waren aber unvermeidlich. Zum einen war ein Drittel des Personals in einer Form von zusätzlichem Dienstleistungssektor beschäftigt, der DDR-typisch war und den es sonst in keinem modernen Medienunternehmen gibt, für die Zukunft also überflüssig. Zum anderen stehen die Mitarbeiter im Programm von Radio und Fernsehen mit Köpfen und Gesichtern und Stimmen für Werte und Haltungen. Da Fernsehen und Radio aber wichtige Agitationsinstrumente der SED waren und nur deren Werte und Haltungen transportieren durften, wären viele Mitarbeiter nicht mehr glaubwürdig gewesen, wenn sie plötzlich in der medialen Öffentlichkeit ganz andere Werte und Haltungen vertreten hätten. Das unterscheidet Fernsehen und Radio von NVA, Polizei und Justiz, wo in allen Gesellschaften nach Regeln und Befehlen gearbeitet wird und bei einem Systemwechsel meist nur die Führungsebenen ausgetauscht werden.
Im zweiten Teil seines Beitrages, der am 19.09.2014 im Deutschland Archiv veröffentlicht wird, erläutert Ernst Dohlus, was mit den Mitarbeitern des aufgelösten Staatsrundfunks der DDR geschah und in einem dritten, wie mit den Grundstücken und Vermögenswerten umgegangen wurde.
Zitierweise: Ernst Dohlus, In der Grauzone – Wie der Staatsrundfunk der DDR aufgelöst wurde, Phasen und Organisation, in: Deutschland Archiv, 11.9.2014, Link: www.bpb.de/191061