Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen
Ein spezifisches Instrument deutscher Vergangenheitspolitik
Manuel Becker
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Kann die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen als "Kind" der Friedlichen Revolution bezeichnet werden und wie sieht ihre Zukunft aus? Manuel Becker geht diesen Fragen nach und analysiert sie im Vergleich mit den vergangenheitspolitischen Instrumenten anderer postkommunistischer Staaten.
Unter den vielen Gedenktagen und Erinnerungsfeiern des geschichtspolitisch prall gefüllten Jahres 2014 sticht mit Blick auf die deutsche Geschichte das 25-jährige Jubiläum der Friedlichen Revolution als erster erfolgreicher Revolution auf deutschem Boden besonders hervor. In den Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags soll eine Analyse der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) gerückt werden, die – wie noch zu zeigen sein wird – als eine zentrale Errungenschaft der Bürgerrechtsbewegungen in der untergehenden DDR gelten darf. Inwiefern lässt sich die BStU als ein "Kind" der Friedlichen Revolution bezeichnen? Was sind die spezifischen Bedingungen ihrer Entstehung? Wie sieht der Blick von außen auf die Behörde aus? Wie unterscheiden sich die geschichtspolitischen Rahmenbedingungen von denjenigen in anderen postkommunistischen Staaten?
Die BStU als "Kind" der Friedlichen Revolution
Es stellt keine geschichtspolitische Legendenbildung und Mythenstilisierung dar, wenn die BStU immer wieder als "wichtigstes – von der Bürgerbewegung erstrittenes – Erbstück der Revolution" von 1989/90 bezeichnet wird. Die BStU ist die einzige deutsche Verwaltungseinheit, deren Existenz sich auf die Intervention einer Bürgerrechtsbewegung zurückführen lässt. Auch wenn mittlerweile gut erforscht ist, wie schnell die SED-Oberen in den bewegten Tagen des Herbsts und Winters 1989/90 bereit waren, die Stasi aufzugeben, so tut dies dem Mut der Bürgerrechtler bei den Besetzungen der Stasi-Bezirksverwaltungen und der Zentrale in Berlin keinen Abbruch. Die friedliche, "von unten" initiierte Entmachtung eines diktatorischen Geheimdienstes dürfte ohne Beispiel in der deutschen Geschichte, wenn nicht gar einmalig im globalhistorischen Kontext sein. Die Entwicklungen in der DDR erfüllten alle Merkmale einer Revolution – mit Ausnahme des Kriteriums der rachsüchtigen Gewalt. Es waren aufbegehrende ostdeutsche Bürger, die die Normannenstraße erstürmten und es waren die Abgeordneten der ersten frei gewählten DDR-Volkskammer, die die frühen gesetzlichen Grundregelungen zum Umgang mit den MfS-Akten erarbeiteten und dann mit Hartnäckigkeit darauf bestanden, dass diese auch in den gesamtdeutschen Rechtsbestand überführt werden sollten. Weder geübte Demokraten der westdeutschen Gesellschaft, die diesen Vorgängen zumeist teilnahmslos gegenüberstanden, noch Regierungs- und Verwaltungsbehörden in Bonn zeichnen für das vergangenheitspolitische Experiment BStU verantwortlich.
Die Besetzung der Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße und der damit einhergehende Hungerstreik eines kleinen versprengten Häufchens von Bürgerrechtlern um Bärbel Bohley und Jens Reich vom September 1990 war die wichtige und letzte Intervention derjenigen Gruppen, die mit dem Neuen Forum ein Jahr zuvor die Weichen für die Friedliche Revolution gestellt hatten. Der Historiker Thomas Lindenberger hat die Stasi-Zentralen als die "Bastillen" der ‘89er-Revolution bezeichnet, die die Bürgerrechtler "aber dann keineswegs schleiften, sondern in revolutionärer Disziplin für die zukünftige Vergangenheitsbewältigung sicherten." Der frühere Justizminister Sachsens, Steffen Heitmann, machte die fortdauernde Beschäftigung mit den Stasi-Akten als eigentlichen "Kern der Revolution von 1989" aus.
Es war eine ebenso mächtige wie merkwürdige Interessenkoalition von SED/PDS-Funktionären, Vertretern der früheren Blockparteien und Meinungsführern der alten Bundesrepublik, die sich aus verschiedenen Gründen für eine Schließung beziehungsweise Vernichtung der Akten aussprach, deren Widerstand erst einmal gebrochen werden musste. Häufig wird vergessen, dass die Aktenöffnung selbst in der Bürgerrechtsbewegung lange Zeit stark umstritten war. Es war einer spezifischen Konstellation "in der Hitze einer radikalisierten Vergangenheitspolitik zur Jahresmitte 1990" geschuldet, dass es dazu kommen konnte: Die Mischung aus einer Trotzreaktion gegen die Rolle der Bundesrepublik bei den Verhandlungen zum Einheitsvertrag von Seiten der Ostdeutschen und dem erkennbaren Willen westdeutscher Politiker, eine mögliche Unterwanderung des Öffentlichen Dienstes durch ehemalige MfS/AfNS-Mitarbeiter zu verhindern, machte die Öffnung der Akten und die Einrichtung der Behörde möglich.
Die erfolgreiche Symbiose zwischen Recht und Revolution
Die Besonderheit dieses Vorgangs macht erst ein Blick in die europäische Geistes-, Rechts- und Revolutionsgeschichte eines halben Jahrtausends deutlich: 500 Jahre europäischer Revolutionsgeschichte zeigen, dass Recht und Revolution unterschiedlichen Handlungslogiken folgen. Während das Recht von seiner Natur her auf die Erhaltung von politischer Ordnung orientiert ist, will die Revolution die Machtverhältnisse mit allen Mitteln verändern. "Die Revolution ist die Nullstunde des Staatsrechts wie auch des Rechtsstaats." Der spezifisch deutschen Konstellation, dass das Staatsvolk und das Staatsgebiet nach der durch Revolution zerschlagenen Staatsgewalt sich an ein funktionierendes und bewährtes Staatswesen hatten ankoppeln können, war es zu verdanken, dass Revolution und Recht im Transformationsprozess der Jahre ab 1989 – gänzlich untypisch für die europäische Geschichte – eine Symbiose eingehen konnten.
Für viele Bürgerrechtler verlief dieser Prozess nicht ohne Friktionen. Pointiert brachte Bärbel Bohley diese Enttäuschung einmal auf den Punkt: "Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat." Josef Isensse hat darauf antwortend Verständnis für die Enttäuschung vieler ostdeutscher Opfer des Regimes geäußert. Aber auch wenn der Rechtsstaat wesentlich für die Opfer da sei, so sei er genauso für die Täter da, weil er gerade nicht wie der totalitäre Staat zwischen Freund und Feind unterscheide. Die "reine Gerechtigkeit ohne die formalistischen Zwirnsfäden des Rechtsstaats" hätten die Revolutionäre auch 1989 wie die Franzosen 1793 und die Russen 1917 bekommen können; doch die zurecht gerühmte "äußere Friedlichkeit" der Revolution 1989 kostete eben ihren Preis:
"Der Rechtsstaat soll nun nachholen, was die Revolution versäumt hat. Die reine Gerechtigkeit, den Knabentraum von Revolutionären, kann er nicht auf diese Erde herabholen. Er verspricht es noch nicht einmal. Seine Verheißung ist viel bescheidener, dafür aber realisierbar: Freiheit, Gleichheit und Sicherheit durch rechtliche Form."
Die BStU nahm und nimmt in der ausgleichenden Gewichtung von Revolution und Recht eine zentrale Stellung ein. Konrad Schuller hat das Bild von der Behörde als einem "institutionalisierten Paradox" geprägt: "Akteur der permanenten Revolution auf der einen Seite, Organ des Rechtsstaats auf der anderen". Die revolutionäre Bürgerrechtsbewegung darf die Behörde zu Recht als ihr ureigenes Erbe betrachten, das sie gegen Widerstände aus den eigenen Reihen und gegen den Willen der Bonner Regierung erkämpfte. Zugleich ist die BStU in ihrer Ausgestaltung, Funktionsweise sowie in ihrer rechtlichen Grundlage ebenso ein Kind des Rechtsstaats und ein Ausfluss über Jahrzehnte angewandter liberaldemokratischer Verwaltungspraktiken. Man darf es insofern wagen, sie als Inkorporation einer fruchtbaren Symbiose von Recht und Revolution zu bezeichnen.
Diese Zusammenhänge angemessen zu würdigen, heißt nicht, den schwierigen Aushandlungsprozess der rechtlichen Grundlagen zur Einsicht in die Stasi-Akten übersehen zu müssen. Es prallten bei den Verhandlungen um die gesetzlichen Regelungen des Zugangs zu den MfS-Unterlagen zwei gänzlich verschiedene Erfahrungswelten aufeinander. Die Ostdeutschen hatten gerade erst eine friedliche Revolution zu Stande gebracht und dabei hautnah erlebt, zu was Menschen fähig sein können. Hinzu kam der verständliche Zorn angesichts der Enthüllungen über die Machenschaften der Stasi, die das Land wie eine Krake im Griff gehabt zu haben schien, sowie das berechtigte Anliegen auf Wiedergutmachung und Informationsmöglichkeiten für die Opfer. Auf der anderen Seite stand der etwas behäbig gewordene Bonner Regierungs- und Parlamentsapparat, der sich behaglich im besseren Teil der Zweistaatlichkeit eingerichtet und nicht ernsthaft mit der Möglichkeit einer Wiedervereinigung gerechnet hatte. Während man in Bonn schon ein jahrzehntelanges Vertrauen in rechtsstaatliche Standards und deren Einhaltung durch die Verwaltungsinstanzen eingeübt hatte, so waren die Bürgerrechtler von ihrer Lebenserfahrung her verständlicherweise misstrauisch gegenüber staatlichen Behörden. Beide Seiten mussten einen mitunter harten Reifungsprozess durchlaufen: Die einen mussten lernen, wie langsam und schwergängig die rechtsstaatlichen Mühlen häufig mahlen; die anderen mussten erkennen, dass sie die Möglichkeiten einer souveränen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit lange unterschätzt hatten.
Die Einrichtung der BStU erforderte von allen Beteiligten eine gehörige Portion Mut, da es – auch im internationalen Vergleich – keinerlei Referenzobjekt und somit keine Vergleichsmöglichkeit gab. Während mit dem Beitritt der neuen Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes viele bewährte Mechanismen und Instrumente des Rechts übertragen wurden, handelte es sich beim Umgang mit MfS-Unterlagen um eine vergangenheitspolitische Innovation, die sich als Präzedenzfall erst bewähren musste. Es ist daher nicht übertrieben, von einer "Revolution […] für die Rechtstradition" in Deutschland zu sprechen. Die Aufgabe der Wahrung von Persönlichkeitsrechten und der Auftrag, den Anspruch auf Aufarbeitung durch Medien und Wissenschaft zu wahren, wurden ein und derselben Behörde übertragen. Dies war die elegante Lösung des Gesetzgebers für die grundgesetzlichen Dilemmata, die sich aus dem Umgang mit der Hinterlassenschaft des MfS ergaben.
Ein erfolgreicher Exportartikel
Oft wird im öffentlichen Diskurs über die BStU darauf hingewiesen, dass andere Länder die Bundesrepublik um diese Behörde beneiden und sie nachahmen. Sie wird von nicht wenigen als erfolgreicher "Demokratieexport" neben den klassischen ökonomischen Gütern des jahrelangen "Exportweltmeisters" Deutschland angesehen. In der Tat fällt es nicht schwer, Zitate von ausländischen Beobachtern und Politikern zu recherchieren, die die Arbeit der Behörde als vorbildlich und für die eigene Arbeit anregend charakterisieren: Der ungarische Schriftsteller und Historiker György Dalos bezeichnete die BStU als "einzige[n] Versuch, in Ost- und Mitteleuropa einen rechtsstaatlichen Rahmen für die Aufarbeitung der schwierigen Erbschaft einer Terrormaschine zu schaffen." Polens ehemaliger Außenminister Wladyslaw Bartoszewski würdigte die BStU als "Modell" mit prototypischem Charakter, das man gerne nachahmen würde.
In Polen wurden die Akten der Geheimpolizei nicht an die staatlichen Archive abgegeben, sondern blieben in einem Sonderarchiv des Innenministeriums unter Verschluss. Diese Entscheidung des ersten nichtkommunistischen Premierministers Tadeusz Mazowiecki ist zwar vor dem Hintergrund der damals noch virulenten Angst vor einer sowjetischen Invasion bei Tribunalen gegen die kommunistischen Altkader zu verstehen, führte jedoch in der Praxis zu unkontrollierten und öffentlich nicht nachprüfbaren Verleumdungen. In Ungarn kam es im Umbruchsprozess zu illegalen Aktenvernichtungen immensen Ausmaßes, und das 1994 verabschiedete Lustrationsgesetz bezog sich lediglich auf die Führungskräfte des Öffentlichen Dienstes. In Tschechien hatten zunächst nur wenige Beamte der statistischen Evidenzabteilung des Innenministeriums Zugang zu den ehemaligen Geheimdienstakten. Vielen früheren Regimeeliten war es dadurch einfach gemacht worden, ihre Akten zu vernichten. Zudem sickerten oftmals gezielte Informationen an die Presse durch, die in der politischen Auseinandersetzung zur Verunglimpfung des Gegners instrumentalisiert wurden. In Rumänien wurde das Securitate-Archiv gänzlich unter Verschluss gehalten. In Russland wurde unter Boris Jelzin zwar eine parlamentarische Kommission zur Prüfung einer Öffnung der KGB-Archive eingesetzt, die allerdings keine Öffnung der Akten zur Folge hatte. Selbst für staatliche Strafverfolgungsbehörden ist es in Russland nicht leicht, Einsicht in KGB-Akten zu nehmen.
Führt man sich die spezifische Situation in Deutschland im Vergleich mit den anderen genannten Staaten vor Augen, so lässt sich feststellen, "dass die Stellung der deutschen BStU innerhalb der institutionalisierten Kommunismusaufarbeitung […] äußerst günstig ist." Ungeachtet aller Kontroversen und legitimen Kritikpunkte an der Behörde lässt sich der einzigartige Charakter dieser Institution gerade vor der Kontrastfolie vergleichbarer Aufarbeitungspolitiken im internationalen Vergleich überzeugend plausibilisieren. Die frühere Behördenchefin Marianne Birthler rief in Erinnerung: "In den Jahren 1991/92 haben alle über uns gelacht: ‚Jetzt gründen die Deutschen sogar für die Aufarbeitung noch eine Behörde. Typisch deutsch.‘" Und dann, so Birthler, sei die Behörde zu einem von vielen neidisch beäugten Aufarbeitungsinstrument geworden.
Deutschland profitierte von einer Sondersituation im Vergleich mit der Vergangenheitspolitik seiner östlichen Nachbarn. Anders als in den Staaten Osteuropas konnte es in der Bundesrepublik keine Nachfolgeorganisation geben, in der große Teile der Sicherheitspolizeien weiterexistierten. Die höhere Transparenz im Umgang mit den Akten der Diktatur hat ganz wesentlich damit zu tun, dass die früheren Diktatureliten an keiner zentralen Machtposition im wiedervereinigten Deutschland überdauern konnten. Allgemein herrschte in Ost- und Mitteleuropa eine nicht zu verleugnende Tendenz vor, die sich aus der Vergangenheit ergebenden Aufarbeitungsprobleme an "Moskau" als einer Art Zentralsündenbockinstanz abzuschieben. In der Bundesrepublik konnte man durch den Anschluss an die erprobte Demokratie in Westdeutschland die Geschichtsaufarbeitung deutlich selbstbewusster angehen. Mit anderen Worten: Die vergangenheitspolitischen Rahmenbedingungen waren in Deutschland ungleich günstiger als in den anderen Warschauer-Pakt-Staaten.
Nur wegen diesen günstigen Voraussetzungen besitzt die BStU heute eine Art prototypischen Charakter für andere Länder. Seit Mitte der 1990er Jahre intensivierte die Behörde ihre Arbeit mit internationalen Partnern immer weiter. Es kommen in regelmäßigen Abständen Abgesandte aus Ländern nach Berlin, die sich im Umbruch befinden, um sich von der Arbeit der BStU ein Bild zu machen und sich beraten zu lassen. Nicht nur aus Osteuropa, auch aus anderen Ländern wie dem Irak, Argentinien oder Kambodscha reisen Delegationen mit diesem Anliegen in die bundesdeutsche Hauptstadt. Selbst die Mongolei unternahm einen Versuch, das Stasi-Unterlagengesetz zu übertragen. Im Dezember 2008 gründete sich unter der Federführung der BStU ein aus sechs weiteren osteuropäischen Institutionen bestehendes "Europäisches Netzwerk der für die Geheimpolizeiakten zuständigen Behörden", das die Zusammenarbeit weiter intensivierte. Seit Oktober 2011 ist sie auch an der "Plattform des Europäischen Gedenkens und Gewissens" beteiligt, einem Zusammenschluss von mehr als 20 Aufarbeitungsinstitutionen aus 13 Ländern.
Gerade der erhebliche Zeitvorsprung in der Genese und die in den vergangenen Jahren gesammelten Erfahrungen machen die Behörde für die aus aller Welt anreisenden Delegationen besonders wertvoll. Bei den Forderungen nach einer Übertragung des "deutschen Modells" auf andere Länder darf allerdings nicht vergessen werden, dass es "den Königsweg, mit dem historischen Erbe von Diktaturen umzugehen, nicht gibt." Jedes Land muss die seiner politischen Kultur, seinem normativen Koordinatengefüge und seinen Traditionen Rechnung tragende Art und Weise der Geschichtsaufarbeitung selbst finden.
Die Zukunft der Behörde
Die BStU verfügt über ein ausgesprochen vielschichtiges und heterogenes Aufgabenprofil. Zu ihren Aufgaben zählen: (1) die auch nach zwei Dekaden noch nicht vollständig abgeschlossene, mitunter äußerst komplizierte Rekonstruktion des MfS-Aktenbestandes; (2) die solide archivalische Erschließung und inhaltliche Auswertung des Schriftguts; (3) die Bearbeitung von Anträgen auf Akteneinsicht, die von Forschern, Journalisten und interessierten Bürgern gestellt werden; (4) die Forschung zu Strukturmechanismen und Arbeitsweisen der Stasi in der ehemaligen DDR; (5) die Publikation der Forschungsergebnisse dieser Arbeiten; (6) das Informieren der Öffentlichkeit und das Angebot von Deutungen zu bestimmten Aspekten in einem geschichtspolitisch stark verminten Gelände; (7) die Kooperation mit externen Forschungsinstitutionen; (8) die politische Bildungsarbeit, die vornehmlich durch öffentliche Veranstaltungen und Kongresse wahrgenommen wird; (9) die Überprüfung von Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes auf ehemalige MfS-Tätigkeit; (10) die Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden; (11) die Dienstleistungen für parlamentarische Untersuchungsausschüsse sowie (12) die Betreuung und Schulung ausländischer Delegationen bei der Vorbereitung von anderen Aufarbeitungsinstitutionen in verschiedenen Ländern, die sich in einem Transformationsprozess befinden. Aus dieser Auflistung, die sicher noch um den ein oder anderen Aspekt ergänzt werden könnte, geht hervor, dass es zu kurz greift, die BStU als rein vergangenheitspolitische Institution zu verstehen, die sich lediglich um die juristische Aufarbeitung von vergangenem Unrecht zu kümmern hätte. Neben der juristisch relevanten Tätigkeit, die sicher eine Kernaufgabe der Behörde darstellt, geht ihr Aufarbeitungsauftrag noch deutlich weiter.
So stellt sich abschließend die in den vergangenen Jahren intensiv diskutierte Frage nach der Zukunft der Behörde. Die Behördenleitung um Roland Jahn hat jüngst Pläne vorgestellt, die BStU nach dem Ende ihrer Archivtätigkeit zu einem sogenannten "Campus der Demokratie" umzufunktionieren. Diese Bezeichnung verweist auf eine groß angelegte politische Bildungseinrichtung im Dienste der Vergangenheitsaufarbeitung und ist geschichtspolitisch nicht unumstritten. Von den Plänen für eine Umfunktionierung der Institution zu unterscheiden sind die Pläne für den Verbleib der Akten. Als Reaktion auf die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption hat die BStU bereits vor einigen Jahren damit begonnen, ihre Kooperation mit dem Bundesarchiv zu intensivieren, beispielsweise durch die künftige Erschließung und Verwaltung des Schriftguts mit dem IT-System des Bundesarchivs. Nach dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag von 2009 sollte gemäß der Bestimmungen in der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption von 2008 eine Expertenkommission zur zukünftigen Arbeit der BStU eingesetzt werden, die auch konkrete Vorschläge unterbreiten sollte, wie die Aufgaben der BStU mittel- und langfristig zu erfüllen seien. Die Umsetzung dieser Ankündigung ist die Regierung allerdings bis zum Ende der Legislatur schuldig geblieben.
Die aktuelle Große Koalition hat das Vorhaben der Vorgängerregierung inzwischen auf den Weg gebracht. Als letzten Tagesordnungspunkt vor der Sommerpause 2014 beschloss der Bundestag die Einsetzung der sogenannten "Expertenkommission zur Zukunft der BStU". Bis zum Frühjahr 2016 soll sie Handlungsempfehlungen auf der Grundlage der Gedenkstättenkonzeption vorlegen. Die Kommission setzt sich aus sachverständigen Experten zusammen, die nach einem vereinbarten Schlüssel von den im Bundestag vertretenen Parteien benannt werden. Geleitet wird sie vom ehemaligen Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer. Mit dem vereinbarten Zeitrahmen wäre eine endgültige Entscheidung über die Zukunft des Aktenbestandes noch in dieser Legislaturperiode möglich.
Eine orientierende Marke dürfte die bereits 2011 beschlossene Verlängerung des StUG bis zum Jahr 2019 sein, mit der der Verbleib der Behörde bis zum 30-jährigen Jubiläum der Friedlichen Revolution gesichert wurde. Eine Überführung der Akten unter das Dach des Bundesarchivs vor dem Jahr 2019, wie sie Mitte der 2000er Jahre viele Stimmen forderten, ist mittlerweile definitiv vom Tisch. Das Jahr 2019 scheint aus heutiger Perspektive der richtige Zeitpunkt zu sein, dieses bisher im Rückblick erfolgreiche Kapitel bundesdeutscher Vergangenheitspolitik abzuschließen – zumindest, was die institutionelle Sonderstellung angeht.
Zitierweise: Manuel Becker, Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Ein spezifisches Instrument deutscher Vergangenheitspolitik, in: Deutschland Archiv, 14.7.2014, Link: http://www.bpb.de/188290
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Manuel Becker
Dr. phil.; Studium der Politischen Wissenschaft, der Mittelalterlichen und Neueren Geschichte sowie der Philosophie an der Universität Bonn und am Institut d’Etudes Politiques de Paris (Sciences Po), Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Forschungsschwerpunkte sind Theorie und Praxis der Geschichtspolitik, Vergleichende Diktatur- und Extremismusforschung, Ideologieforschung, Deutsche Zeitgeschichte sowie Parteien, Parteiensysteme und Wahlen.
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