Territoriale Neuordnung in Osteuropa
Nach der militärischen Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands sahen sich die Alliierten nicht nur mit der Aufgabe konfrontiert, eine Nachkriegsordnung für die Besiegten zu erstellen, sondern sie mussten sich auch um eine große Anzahl an Opfern des Dritten Reiches kümmern: Überlebende der Konzentrations- und Vernichtungslager, Kriegsgefangene und Millionen Zwangs- beziehungsweise Ostarbeiter. Bereits während des Krieges gründeten die Alliierten die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA). Sie sollte die Aufgabe übernehmen, die sogenannten Displaced Persons (DP) in Lagern zu sammeln, zu registrieren und zu versorgen, um sie schließlich in ihre Heimatstaaten zu repatriieren. Zur Auflösung der Fußnote[1] Die UNRRA hatte sich nach den Vorgaben des Supreme Headquarters of the Allied Expeditionary Forces (SHAEF) zu richten, wie es im SHAEF-UNRRA-Agreement vom 25. November 1944 festgehalten wurde. Zur Auflösung der Fußnote[2]
Unter den DPs gab es aber mehrere Zehntausende, die eine Heimkehr aus diversen Gründen verweigerten. Am Beispiel der ukrainischen DPs kann gezeigt werden, wie heterogen ihre Motive hierfür waren. Mitglieder der Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) etwa hatten nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion gehofft, einen eigenen Staat gründen zu können und deshalb aktiv den Vormarsch der Wehrmacht gegen die Rote Armee unterstützt. Zentral ist hier vor allem die Person Stepan Banderas. Bandera gehörte dem radikalen, faschistischen Flügel der OUN, auch OUN-B genannt, an. Mittels deutscher Hilfen hob sie die militärischen Einheiten "Roland" und "Nachtigall" aus, die sich am Krieg gegen die Sowjetunion beteiligen sollten, ihre Aktionen aber auch gegen die Polen richteten. Die OUN-B sah die Truppen als Voraussetzung für eine unabhängige Ukraine, die schließlich am 30. Juni 1941 Yaroslav Stets’ko unter Billigung Banderas in Lemberg ausrief. Die Deutschen hatten jedoch kein Interesse an einer eigenständigen Ukraine: Führende Köpfe der OUN wie Bandera wurden Anfang Juli 1941 verhaftet und in Lagern interniert. Zur Auflösung der Fußnote[3] Daneben gab es unter den ukrainischen DPs Kollaborateure, die der deutschen Besatzungsmacht bei der Ausplünderung des Landes geholfen oder sich in ukrainischen SS-Verbänden an der Gettoisierung und Ermordung der Juden beteiligt hatten. Zur Auflösung der Fußnote[4]
Die Mehrzahl der sogenannten Repatriierungsverweigerer hatte jedoch ein ganz anderes Problem: Das Jalta-Abkommen zementierte die Verschiebung der Grenze der Sowjetunion nach Westen auf Kosten polnischen Territoriums. Das hatte zur Folge, dass Polen und Ukrainer auf einmal Sowjetbürger wurden, wenn sie in ihre Heimatorte zurückkehrten. Die UNRRA-Statuten und das SHAEF-Memorandum Nr. 39 ließen zudem eine nationale Definition "Ukrainer" nicht zu, da die Ukraine als Staat nicht existierte. Zur Auflösung der Fußnote[5] Dementsprechend mussten sich die betroffenen DPs entweder als Polen oder als Sowjetbürger definieren.
Diejenigen, die in ihre Heimat zurück wollten, die nun auf sowjetischem Gebiet lag, "[...] wußten, daß die sowjetische Führung ihre in Deutschland geleistete Zwangsarbeit als 'Arbeit für den Feind' werten würde und befürchteten für sich das Schlimmste." Zur Auflösung der Fußnote[6] Die Repatriierten erwartete vor und hinter der sowjetischen Grenze ein ausgedehntes Lagersystem, in dem alle einer Befragung unterzogen wurden, um antisowjetische Einstellungen aufzuspüren und Kollaborateure ausfindig zu machen. Nachgewiesenen Kollaborateuren drohten spezielle Arbeitslager oder gleich die Hinrichtung. Zur Auflösung der Fußnote[7] Diejenigen ukrainischen DPs, die sich als Polen definierten, waren ebenfalls von einer Weiterüberführung in die Sowjetunion bedroht. Zur Auflösung der Fußnote[8]
Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Strategien Ukrainer entwickelten, um der Repatriierung zu entgehen. Vor allem ist das Ringen um Anerkennung als eigene, ukrainische Nationalität zu nennen, um als "Staatenlose" laut UNRRA-Statuten Anspruch auf Unterstützung zur Emigration in Drittländer zu erhalten. Da den Ukrainern aber die internationale Lobby größerer Diaspora-Gemeinden fehlte, waren sie darauf angewiesen, sich selbst zu helfen. Herausgestellt werden soll die zentrale Rolle der Tsentral'ne Predstavnytstvo Ukraiins'koi Emihratsii (TsPUE), Zur Auflösung der Fußnote[9] die nach ihrer Gründung maßgeblich das Leben der ukrainischen DPs koordinierte.
Zudem wird anhand des Ukrainian Labor Camp in Gießen der Alltag in einem ukrainischen DP-Camp unter der Aufsicht der International Refugee Organization (IRO) dargestellt. Anhand von teilweise unbearbeiteten Aktenbeständen aus Archiven und von Privatpersonen (Mikrofiche aus dem Staatsarchiv Darmstadt, Akten aus der Ukrainischen Freien Universität (UFU) München, Familienalbum Kurdydyk) soll gezeigt werden, wie sich die TsPUE bemühte, ihre Landsleute für eine Aufnahme in Drittländer zu qualifizieren. Während der erste Teil eine Makroperspektive auf die ukrainischen DPs als "moving actors" bietet, zeigt der zweite Teil eine Mikroperspektive.
I. Das Ringen um Anerkennung als Nationalität: Ukrainische DPs zwischen 1945-1947
Noch vor Ende des Krieges formierten die Ukrainer eigene Gemeinschaften und Selbsthilfe-Komitees in den befreiten Gebieten und baten die Westalliierten um Unterstützung für ihre Interessen. So wollten sie den sowjetischen Repatriierungsoffizieren selbst die Namen derjenigen Ukrainer übermitteln, die eine Rückkehr in die Heimat wünschten. Zu begründen ist dieser Wunsch mit der Furcht, von den Sowjets als Kollaborateure betrachtet und Repressalien ausgesetzt zu werden. Zur Auflösung der Fußnote[10] Ab Juni 1945 begannen sie, ihre Aktivitäten zu koordinieren. Sie planten, eigene "Assembly-Center" für Ukrainer einzurichten, um diejenigen schützen zu können, die nicht zurückkehren wollten. Zudem wollten sie Kontakte zu internationalen Organisationen und Diplomaten knüpfen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und sich mit den Ukrainern in der Diaspora – vor allem in Kanada und den USA – besser zu vernetzen. Diese Forderungen formulierten die Führer verschiedener ukrainischer Gemeinschaften aus den westlichen Besatzungszonen auf einem gemeinsamen Treffen am 25. Juni 1945 im DP-Camp Heidenau bei Hamburg. Zur Auflösung der Fußnote[11]
Doch die Besatzungsmächte waren, bis auf Einzelfälle bei den US-Amerikanern, den ukrainischen DPs gegenüber wenig aufgeschlossen. Bittschriften blieben unbeantwortet. Im Gegenteil, die Militärs verfolgten weiterhin die Strategie der Zwangsrepatriierung, ganz im Sinne des SHAEF-Memorandums "regardless of their individual wishes". Zur Auflösung der Fußnote[12] Während der Zusammenstellung der Transporte kam es teilweise zu dramatischen Szenen: Die DPs brachen mit Weinkrämpfen zusammen, schrien, rissen sich die Kleider vom Leib, versuchten, die Soldaten gewaltsam am Zutritt zu Lagern zu hindern, manche begingen sogar, mitunter gemeinschaftlich, Selbsttötungen. Zur Auflösung der Fußnote[13] Um der Repatriierung zu entgehen, bezeichneten sich viele Ukrainer als Staatenlose. Zur Auflösung der Fußnote[14] Dieser Terminus findet sich zwar sowohl in den Statuten der UNRRA als auch im SHAEF-Memorandum, sollte aber explizit bei sowjetischen DPs, zu denen die Ukrainer gezählt wurden, nicht angewendet werden. Zur Auflösung der Fußnote[15] Doch die Westalliierten kamen in Erklärungsnöte, da sie den baltischen DPs, deren Heimatländer aus westalliierter Sicht durch die Sowjetunion widerrechtlich annektiert worden waren, den Sonderstatus als "political entities" zugestanden und darüber hinaus "jüdisch" als Nationalität akzeptiert hatten, dieses Recht den Ukrainern aber vorenthalten wollten. Vor allem die US-amerikanischen Besatzungsbehörden verhielten sich hinsichtlich der Repatriierung ukrainischer DPs bald uneinheitlich. Zur Auflösung der Fußnote[16] Bereits ab Juli 1945 galten sie häufig inoffiziell als "Staatenlose", ab dem 16. November 1945 wurde diese Bezeichnung dann offiziell. Dennoch blieb weiterhin unklar, wie künftig mit ihnen verfahren werden sollte. Schon vorher hatten die ukrainischen Selbsthilfe-Komitees ihre "Landsleute" aufgefordert, sich in die amerikanische Zone zu begeben, da sie dort vor Zwangsrückführungen relativ sicher waren. Zur Auflösung der Fußnote[17]
Um gegenüber den Militärbehörden mit einer Stimme sprechen zu können, planten führende Köpfe der ukrainischen DPs, allen voran Vasyl‘ Mudryj, Zur Auflösung der Fußnote[18] eine zentrale Dachorganisation der Selbsthilfe-Komitees zu gründen. Obwohl den DPs politische Aktivitäten eigentlich verboten waren und Zonenübertritte nur nach Genehmigung erfolgen durften, konnten sie sich dennoch untereinander über ihre Ziele verständigen. Teilweise reisten sie illegal von Lager zu Lager oder nutzten Mitarbeiter bei der Armee als Boten. Mudryj bat schließlich die US-Amerikaner und die UNRRA darum, am 29. Mai 1945 eine Konferenz in Aschaffenburg abhalten zu dürfen. Dort wurde die TsPUE mit Genehmigung der Alliierten gegründet. Zur Auflösung der Fußnote[19]
Vorsitzender wurde der Westukrainer Mudryj, mit Mykhailo Vetukhi wurde ein Ostukrainer Vizepräsident, um einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessenlagen der DPs aus der Ost- und Westukraine zu ermöglichen. Zur Auflösung der Fußnote[20] Zu den Zielen der TsPUE gehörten die legale, moralische und materielle Unterstützung aller ukrainischen Flüchtlinge und die Repräsentation derjenigen Wohlfahrts- und nicht-politischen Organisationen, die sich der TsPUE anschlossen. Diese sollte zentrale Anlauf- und Koordinationsstelle für Hilfe und Kontakte werden und den Ukrainern eine Stimme verleihen. Zur Auflösung der Fußnote[21]
Die TsPUE finanzierte sich vor allem aus Spenden der Diaspora in Kanada oder den USA und organisierte sich in mehreren Arbeitsgruppen, die Programme für die ukrainischen DPs entwickelten. Es gab solche, die sich mit den Themen Arbeit und Beruf, Rechtshilfe, Fürsorge, Finanzen, Jugend und Frauen beschäftigten. Ein Bereich kümmerte sich um Bildung und Kultur und sollte vor allem das ukrainische Identitätsgefühl stärken. Damit setzte sich die TsPUE allerdings über UNRRA-Vorgaben hinweg, die zwar Allgemeinbildung vorsahen, aber keine geschichtspolitische Indoktrinierung, die gegen einen beteiligten Staat, hier die UdSSR, zielte. Zur Auflösung der Fußnote[22] Die Informationssektion gab mehrere Zeitungen heraus, die sich inhaltlich vor allem gegen die Repatriierung aussprachen. Zur Auflösung der Fußnote[23] Damit offenbarte sich die Stoßrichtung des neu gegründeten Dachverbandes. Sowohl nach innen als auch nach außen wurden zwei zentrale Forderungen der Konferenz von Aschaffenburg propagiert: Zum einen sollten die Zwangsrepatriierungen gestoppt und zum anderen das Recht der Ukrainer auf politische Emigration anerkannt werden. Zur Auflösung der Fußnote[24]
Wolfgang Jacobmeyer hält daher auch fest, dass sich in der TsPUE vor allem die Verweigerer einer Rückkehr sammelten. Zur Auflösung der Fußnote[25] Doch die Haltung gegenüber der Repatriierung war keineswegs einheitlich. Vor allem die ostukrainischen DPs, die größtenteils zur Zwangsarbeit in das Deutsche Reich deportiert worden waren, erwogen eine Rückkehr. Die Westukrainer hingegen, sowohl Zwangsarbeiter als auch Flüchtlinge, schlossen dies mehrheitlich für sich aus und träumten weiterhin von einem ukrainischen Staat. Mitglieder der OUN, insbesondere der Bandera-Fraktion OUN-B, hatten einen starken Einfluss auf die (west-)ukrainischen DPs. "Both nationalists and democrats agreed that Ukrainians were a distinct people and that the Ukrainian DPs should not return home as long as their native land was dominated by a foreign power, in this case the Soviets, who were at bottom 'Russians'. Both saw the creation of an independent Ukrainian state as the ultimate goal." Zur Auflösung der Fußnote[26] Die OUN-B schreckte auch nicht vor gewaltsamen Methoden gegenüber denjenigen zurück, die sich ihrer Linie widersetzten. Zur Auflösung der Fußnote[27] Die Dominanz der OUN-B dürfte nicht zuletzt aus dem Umstand herrühren, dass Stepan Bandera in München lebte, der als Galionsfigur der ukrainischen Nationalisten immer noch einen großen Einfluss hatte und über Mittelsmänner Kontakt zu ihm ergebenen Mitgliedern der OUN-B in den DP-Lagern hielt. Zur Auflösung der Fußnote[28]
Das konsequente Auftreten der TsPUE gegen die Repatriierung und ihre gleichzeitig sehr effektive Selbsthilfe stellten die Besatzungsbehörden und die UNRRA zunehmend vor Probleme. Sie begannen, die Ukrainer in separate Lager zu überführen, übten sie doch auf andere Nationalitäten wie die Polen einen "schlechten Einfluss" aus. Zur Auflösung der Fußnote[29] Bis zur offiziellen Anerkennung einer ukrainischen Nationalität dauerte es noch etwas, doch "[...] durch die Konsolidierung dieser Gruppe in Nationallagern [war eine] nationale Versäulung der ukrainischen DPs nicht mehr zurückzunehmen". Zur Auflösung der Fußnote[30] Bis 1946 hielten die westlichen Besatzungsbehörden offiziell an der "Zwangsrepatriierung" Zur Auflösung der Fußnote[31] fest, doch sie setzten diese sehr unterschiedlich um. Während die US-Amerikaner bereits seit Ende 1945 davon absahen, die ukrainischen DPs gegen ihren Willen zu repatriieren, behielten die Briten diese Praxis offiziell bis zum Juni 1946 bei. Zur Auflösung der Fußnote[32] Der Widerstand gegen die Repatriierung gestaltete sich zunehmend auch nationalitätenübergreifend. Vor allem Polen und Ukrainer beschafften sich alsbald gegenseitig neue Identitäten, indem sie DP-Ausweise fälschten. Man bemühte sich nun auch gemeinsam um die Anerkennung als politische Flüchtlinge. Zur Auflösung der Fußnote[33]
Da die Besatzungsmächte und die UNRRA nach wie vor nicht bereit waren, eine ukrainische Nationalität anzuerkennen, wurde für sie ab August 1946 das Label "undetermined" verwendet. Zur Auflösung der Fußnote[34] Damit hatten die Ukrainer eines ihrer Ziele erreicht: Wenn ihre Herkunft unklar war, konnten sie auch nicht repatriiert werden. In der alltäglichen Arbeit mit den DPs hatte sich bereits der Nationalitätenbegriff "ukrainisch" durchgesetzt. Jedoch erst ein Vorläufer der IRO, das Inter-Governmental Committee for Refugees führte als erste Organisation offiziell die Kategorie "Ukrainer" ein, als es mit der Registrierung der Nicht-Repatriierbaren begann. Zur Auflösung der Fußnote[35] Als dann die IRO gegründet wurde, trat deren Preparatory Commission (PCIRO) an die TsPUE heran, um die künftige, gemeinsame Arbeit zu besprechen. Am 14. Dezember 1948 wurde sie schließlich das offizielle Repräsentationsorgan der Ukrainer und nahm seitdem an den IRO-Sitzungen teil. Zur Auflösung der Fußnote[36] Dies bedeutete die endgültige Anerkennung der Ukrainer als eigene Nationalität, die TsPUE war bestimmend für das künftige Schicksal der ukrainischen DPs.
II. Das Ukrainische Arbeiterlager in Gießen (1948-1949)
Um die Kosten für den Unterhalt der DP-Lager zu senken, hatte die UNRRA bereits seit 1946 begonnen, DPs in Arbeitsverhältnisse zu vermitteln. Dafür richtete sie sogenannte "Arbeiterlager" Zur Auflösung der Fußnote[37] für die DPs ein, insbesondere für Polen, Esten, Litauer, Letten und Ukrainer, die den größten Teil der heimatlosen Personen bildeten. Die IRO übernahm diese Praxis und so entstand 1948 auch in Gießen eines der Lager für ukrainische DPs, das Ukrainian Labor Camp (ukrainisch "Robitnyča Oselja", deutsch "Heim für Arbeiter").
Den Aufbau des Lagers koordinierte ein gewisser Herr Stepanenko, Zur Auflösung der Fußnote[38] Referent zur Organisation der Arbeit beim TsPUE, der bis Ende Dezember 1947 in Aschaffenburg im DP-Camp Lagarde-Kaserne lebte und im Januar 1948 nach Gießen kam. Er bildete vor Ort einen Stab aus fünf Personen. Zur Auflösung der Fußnote[39] Dieser wurde durch das Vereinigte ukrainische Amerikanisch-Kanadische Komitee bei der IRO als Lageradministration geordert. Das Komitee hatte die Planung des Lagers übernommen, der neu gebildete Stab sollte diese in Gießen umsetzen.
Die Vorarbeiten im Dezember 1947 waren erfolgreich, sodass das Lager schon im Januar 1948 eröffnet werden konnte. Es wurde von der Labor Service Company in Gießen in der Licher Straße verwaltet. Die Gebäude beziehungsweise Baracken des Lagers befanden sich etwa acht Kilometer östlich des Stadtzentrums. Zur Auflösung der Fußnote[40]
Die ersten ukrainischen DPs trafen am 23. Januar 1948 in Gießen ein. Sie kamen aus verschiedenen DP-Lagern der US-amerikanischen Besatzungszone, etwa aus Aschaffenburg, Cornberg, Mainz-Kastell oder Korbach. Die Arbeitergruppen wohnten zuerst in Holzbaracken. In wenigen Wochen richteten sie ein Kanalisationssystem sowie Wasser- und Stromleitungen ein und sanierten einige Wohnräume. Schon im April 1948 wohnten 217 Personen Zur Auflösung der Fußnote[41] dort: etwa 130 von ihnen waren weiter mit dem Ausbau des Lagers beschäftigt, zehn arbeiteten bereits im US-Depot. Zur Auflösung der Fußnote[42]
Ukrainische DPs beim Aufbau des Lagers in Gießen (© Familienalbum Kurdydyk)
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Lagers wurden in 20 "englischen Baracken", sogenannten "Nissenhütten", und in 4 Holzbaracken untergebracht. In einer Metallbaracke wohnten 28 Personen, überwiegend alleinstehende Männer und in kleinerer Zahl Frauen. In den Holzbaracken lebten Familien. Diese Unterkünfte waren zwar größer, bestanden aus je 23 Zimmern, boten aber normalerweise nur 40 Personen Platz. Tatsächlich wurden diese Räume durchschnittlich mit 50-70 Einwohnern belegt. Zur Auflösung der Fußnote[43]
Mit der US-Armee wurden die Regeln für das Ukrainian Labor Camp festgelegt. Im Lager durften Personen wohnen, die im US-Depot arbeiteten. Zur Auflösung der Fußnote[44] Auch die Mitarbeiter der Lageradministration, Lagerpolizei und Hausverwaltung erhielten hier eine Unterkunft. Die Familien der Arbeiter lebten in den separaten Lagerbaracken. Die Personen, die aus ihren Beschäftigungsverhältnissen entlassen wurden, mussten dieses Lager zusammen mit ihren Familien innerhalb kürzester Zeit verlassen. Die Bewohner waren verpflichtet, die Aufgaben und Erlasse des Lagerdirektors (beziehungsweise Lagerkommandanten) auszuführen, der von der US-Militärverwaltung ernannt wurde. Alle Beschäftigten hatten die vorgeschriebenen Arbeitsstunden zu leisten und durften ihre Arbeitsplätze nicht ohne Genehmigung verlassen. Wer gegen diese Regel verstieß oder nachweislich des Diebstahls, der Sabotage oder "antigesellschaftlicher Provokationen" überführt worden war, wurde sowohl aus dem Arbeitsverhältnis als auch aus dem Lager entlassen. Zur Auflösung der Fußnote[45] Die Verwaltung des Lagers wollte die Aufnahme von "unsicheren" Personen Zur Auflösung der Fußnote[46] vermeiden, um den Ruf der Ukrainer zu pflegen. Zur Auflösung der Fußnote[47] Im April 1948 bestand die Verwaltung des Camps aus insgesamt acht Abteilungen. Zur Auflösung der Fußnote[48] Die Aufgaben und Arbeitseinsätze wurden von der Arbeitsabteilung koordiniert. In Krankheitsfällen sollten die Arbeiter sofort den Lagerarzt aufsuchen und eine "Befreiung" beantragen. Zur Auflösung der Fußnote[49] Wer aus anderen Gründen die Arbeitsstelle verlassen wollte, hatte dem Vorgesetzten oder der Arbeitsverwaltung Bescheid zu geben. Zur Auflösung der Fußnote[50]
Alltag im Arbeiterlager
Metal- und Holzbaracken des Lagers (© Familienalbum Kurdydyk)
Der Lager-Alltag verlief nicht problemlos. Es gab eine Reihe von Schwierigkeiten wie beispielsweise fehlendes Baumaterial, Verpflegungs- und Disziplinmängel. Problematisch war auch die ungleiche Behandlung der ukrainischen und nicht-ukrainischen Mitarbeiter des US-Depots durch die US-Amerikaner. Die ukrainischen Arbeiter bekamen für ihre Arbeit eine normale Tagesration von 2.500 Kilokalorien. Im Gegensatz dazu erhielten die polnischen und baltischen DPs Zur Auflösung der Fußnote[51] und die deutschen Mitarbeiter zu der normalen auch noch eine Ration "für Schwerarbeitende", also insgesamt circa 3.200 Kilokalorien. Zur Auflösung der Fußnote[52] Zum Mittagessen erhielten die nicht-ukrainischen DPs eine Soldatenration, unter den DPs auch "amerikanisches Mittagessen" genannt. Zur Auflösung der Fußnote[53] Manche ukrainische DPs ließen sich als Balten registrieren und zogen in die baltischen DP-Lager nach Hanau, Frankfurt oder Marburg, um bessere Arbeitsbedingungen zu erlangen. Zur Auflösung der Fußnote[54] Die Ukrainer bekamen zudem weniger Lohn und Tabak, welcher auch als Zahlungsmittel galt. Zur Auflösung der Fußnote[55] Ein durchschnittlicher, ukrainischer DP konnte damals zwischen 77 und 86 Pfennig pro Stunde, etwa 140-160 Deutsche Mark im Monat, verdienen. Die Abteilungsleiter, Dolmetscher und Stenografen verdienten zwischen 200 und 220 Deutsche Mark im Monat. Zur Auflösung der Fußnote[56] Die ukrainischen Arbeiter gehörten überwiegend der orthodoxen oder griechisch-katholischen Kirche an. Dennoch mussten sie während ihrer religiösen Feste arbeiten, an katholischen Feiertagen hatten sie dagegen arbeitsfrei. Zur Auflösung der Fußnote[57]
Auf Anweisung der US-Militärverwaltung übernahm hauptsächlich die IRO-Verwaltung in Fulda die Versorgung des ukrainischen DP-Camps in Gießen, stattete das Lager mit Lebensmitteln und Materialien aus. Die Ausgabe von Heizmaterial, warmen Bettdecken und warmer Kleidung wurde jedoch stark begrenzt. Aus Sicht der Verwaltung des Arbeiterlagers in Gießen erhöhte die IRO die Hilfsrationen deshalb nicht, weil sie kein wirkliches Interesse am Aufbau des Lagers hatte. Zur Auflösung der Fußnote[58] Die ukrainischen DPs betonten, dass in anderen DP-Camps jeder Beschäftigte in ausreichendem Maße Anspruch auf warmes Bettzeug und entsprechende Kleidung hatte, damit er seine Arbeit besser ausüben konnte. Vermutlich hatte die IRO-Verwaltung in Fulda jedoch keine ausreichenden Geldmittel, um das neue, ukrainische DP-Camp in Gießen weitergehend zu versorgen. Deswegen meinten ukrainische DPs, dass sie in Gießen benachteiligt würden. Zur Auflösung der Fußnote[59]
Die Verwaltung des ukrainischen Arbeiterlagers Gießen war mit dem Vertrag zwischen dem TsPUE und der IRO unzufrieden. Das Abkommen war ohne Wissen über ähnliche Verträge mit anderen DP-Nationalitäten unterschrieben worden. Sie wollte die Konditionen neu verhandeln, da ansonsten kein ukrainischer Arbeiter mehr nach Gießen kommen würde. In späteren "Sonderverhandlungen" mit den US-Amerikanern verpflichtete dich die IRO gegenüber den Ukrainern, 300 bis 500 Arbeitsplätze im US-Depot anzubieten, je nachdem, wie viele Arbeiter die TsPUE stellen konnte. Dann sollten sie einerseits bessere Verpflegung erhalten und andererseits eine selbstständige Arbeitsgruppe mit einem eigenen, ukrainischen Leiter bilden können, der wiederum die ukrainischen Interessen statt der TsPUE gegenüber den lokalen DP- und US-Behörden vertreten sollte. Zur Auflösung der Fußnote[60]
Die ukrainischen LKW-Fahrer aus dem US-Depot, Gießen, 1948 (© Familienalbum Kurdydyk)
Im April 1948 umfasste der ukrainische Arbeiteranteil im US-Depot nur zehn Personen. Zur Auflösung der Fußnote[61] Diese waren nicht als Mechaniker oder Kraftfahrer qualifiziert, sondern Ungelernte, daher verrichteten sie meist niedere Arbeiten. Häufig wurden sie auf die deutschen Arbeitsgruppen aufgeteilt. Deshalb wollte die Verwaltung aus den ukrainischen DP-Camps hochqualifizierte Arbeiter nach Gießen abwerben. Sie hoffte, durch diesen Zuwachs eine eigene Branche im US-Depot übernehmen zu können. Letztlich sollte auch bewiesen werden, dass Ukrainer "gute Arbeiter" waren. Zur Auflösung der Fußnote[62]
Die Schwierigkeiten mit der IRO zeigten sich auch in anderen Bereichen. So sollte sie alle zwei Wochen für Ukrainer den Besuch eines "Wanderkinos" in Gießen unterstützen, was aber mit dem Hinweis verweigert wurde, dass im "Arbeiterlager" weniger als 200 Personen wohnten. Und obwohl die Verwaltung des Lagers sogar versprach, einen doppelten Preis für die Kinotickets zu zahlen, blieb die Antwort der IRO negativ. Zur Auflösung der Fußnote[63] Die finanzielle Lage der IRO war nicht im besten Zustand, deswegen konnten ihre Mitarbeiter nicht immer eine ausreichende Hilfe für DPs anbieten.
Lager-Referent für Kulturangelegenheiten Kurdydyk (© Familienalbum Kurdydyk)
Bezüglich des Kulturlebens und anderer Dienstleistungsaktivitäten waren der Direktor des Lagers und der zuständige Kulturreferent ideenreich. Sie sammelten Bücher für eine kleine Bibliothek und gründeten einen "Arbeiterklub", um dort Konzerte, Theaterstücke und andere Veranstaltungen aufzuführen. Des Weiteren wurden Rundfunkempfänger angeschafft sowie ein Friseur und eine Schneiderei eröffnet. Zur Auflösung der Fußnote[64]
Es muss unterstrichen werden, dass Unverheiratete und Männer, deren Familien in anderen DP-Lagern blieben, bevorzugt zum Arbeitseinsatz nach Gießen kommen durften, Verwandte wurden nur in begrenzter Zahl im Lager aufgenommen. Denn die Lager dienten in erster Linie dafür, die Arbeitskraft der meist männlichen Ukrainer zu nutzen und somit ihre Chancen auf die Aufnahme in das Resettlement-Programm der IRO zu erhöhen. Zur Auflösung der Fußnote[65] Die Aufnahme in dieses Programm bedeutete für die Ukrainer bessere Möglichkeiten nach Übersee auszuwandern.
Die Einwanderungsbestimmungen potenzieller Aufnahmestaaten, vor allem Kanadas und Australiens, änderten sich nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem aufgrund fehlender Arbeitskräfte. Diese hoffte man auch in den DP-Camps Europas zu finden. Mitunter waren die neuen Einwanderungsprogramme zunächst unter anderem gegenüber Ukrainern sehr restriktiv. Über letztere wurde in innergesellschaftlichen Debatten zum Beispiel die Besorgnis geäußert, sie könnten sowjetische Propaganda transportieren. Balten waren dagegen beliebt, aufgrund ihres vermeintlich höheren Bildungsgrades und ihres westeuropäischen Aussehens. Zur Auflösung der Fußnote[66]
Ende 1949 wurde das ukrainische Arbeiterlager in Gießen aufgelöst. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner wanderten nach Übersee aus, während die wenigen Zurückgebliebenen, wie Kranke, Behinderte oder ältere Bewohner, in bayerische DP-Camps umgesiedelt wurden.
Fazit
Betrachtet man die Geschichte der ukrainischen DPs zwischen 1945 und 1949, lässt sich die Beschreibung der DPs als "moving actors" anhand vieler Faktoren belegen. Es gelang ihnen – trotz fehlender beziehungsweise geringer Lobby – die Weltgemeinschaft auf ihre Lage aufmerksam zu machen und sie für ihre Interessen zu sensibilisieren. Ausgangspunkt hierbei waren vor allem die bayrischen DP-Camps. Von hier aus organisierten führende Köpfe den Widerstand gegen die Repatriierung. Gegenüber den Besatzungsmächten und der UNRRA gelang dies bis November 1945 häufig nur durch die Leugnung der eigenen Herkunft. Innerhalb der DP-Lager wurde jedoch bereits früh eine eigene, ukrainische Nationalität und also auch Identität betont. Diese Abgrenzung war zugleich eine Sammelbewegung, in deren Folge ukrainische DPs in Lager übersiedelten, in denen sich bereits größere Gruppen ihrer "Landsleute" niedergelassen hatten. Deren Selbstbewusstsein wurde dadurch gestärkt und führte schließlich zur Gründung der TsPUE, die nicht nur mit einer Stimme nach außen sprach, sondern auch weiterhin homogenisierend nach innen wirken sollte.
Die Aktivitäten der TsPUE waren bereits seit ihrer Gründung davon geprägt, die DPs durch Arbeitseinsätze unentbehrlich zu machen, um sie vor den Rücktransporten zu bewahren. Als die UNRRA ab 1946 und später die mit wesentlich weniger Budget ausgestattete IRO auf Druck der Besatzungsmächte dazu übergingen, einen Teil der Kosten für die DPs durch diese selbst erwirtschaften zu lassen, konnte die TsPUE diese Forderung schnell umsetzen. Die Bereitschaft unter den Ukrainern, sich dieser "Zwangsmaßnahme" zu unterwerfen, war höher als bei anderen DP-Nationalitäten, da sie hofften, so für sich zu werben und Vorbehalte abbauen zu können. Daher war die TsPUE bestrebt, die ukrainischen DPs in eigenen Arbeiterlagern wie in Gießen zum einen weiter auszubilden, zum anderen deren "Tüchtigkeit" anzupreisen. Vor allem ihre Arbeitskraft und ihr Arbeitswille führten schließlich dazu, dass Kanada und dann Australien größere Kontingente an ukrainischen DPs anwarben. Bis heute gibt es in diesen beiden und auch anderen Staaten viele Zeugnisse der ukrainischen Auswanderung aus den DP-Camps in die Welt. Der Artikel präsentiert einen Teil der Rechercheergebnisse des studentischen Projektes "Displaced Persons in Mittelhessen 1945-60. Miteinander, Nebeneinander oder Gegeneinander?" Es wurde in das Förderprogramm der Geschichtswerkstatt Europa für die Erforschung der Nachkriegsgeschichte Europas aufgenommen und mittels der Gelder der Stiftung EVZ im Laufe des Jahres 2012 realisiert.
Zitierweise: Nazarii Gutsul und Sebastian Müller, Ukrainische Displaced Persons in Deutschland. Selbsthilfe als Mittel im Kampf um die Anerkennung als eigene Nationalität, in Deutschland Archiv, 30.6.2014, http://www.bpb.de/187210