Im vorliegenden Text wird am Beispiel der Friedensarbeit von zwei evangelischen Kirchenkreisen im Bezirk Potsdam gezeigt, dass das von der SED-Führung propagierte einheitliche Bild von Politik und Gesellschaft im ostdeutschen Teilstaat schon Anfang der 1980er Jahre erhebliche Risse aufwies. Tatsächlich bestand in der DDR bereits damals eine erhebliche Kluft zwischen politischer Inszenierung und gesellschaftlicher Wirklichkeit, was dem Führungsanspruch der SED deutlich widersprach. Im historischen Rückblick sind die inhaltlichen und personellen Kontinuitäten der kirchlichen Friedensarbeit von diesem Zeitpunkt an bis zur Friedlichen Revolution 1989/90 bemerkenswert.
Gratwanderung der kirchlichen Friedensarbeit
Frieden war das Thema, welches die Gesellschaft in der Bundesrepublik und in der DDR zu Beginn der 1980er Jahre gleichermaßen bewegte. Hintergrund dafür war eine krisenhafte Zuspitzung des Kalten Krieges, nachdem die Entspannungspolitik in den 1970er Jahren zunächst zu einer deutlichen Verbesserung auch der innerdeutschen Beziehungen geführt hatte. Im Dezember 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein, ebenfalls im Dezember 1979 verabschiedete die NATO einen Doppelbeschluss, welcher ein Verhandlungsangebot an die Sowjetunion mit der Drohung der Nachrüstung kernwaffenfähiger Mittelstreckenraketen in Europa verband. 1980/1981 folgte die Staatskrise in Polen. Mit dem atomaren Wettrüsten der beiden Supermächte USA und Sowjetunion galt ein nuklearer Krieg auf dem Territorium der beiden deutschen Teilstaaten inmitten Europas als ebenso furchterregendes wie realistisches Szenario. Ähnlich wie in der Bundesrepublik entstand unter diesen Vorzeichen in der DDR Anfang der 1980er Jahre eine Friedensbewegung.
Unter den Bedingungen der SED-Diktatur nahm die Friedensbewegung hier eine andere Gestalt an als im westdeutschen Teilstaat. Typisch für die ostdeutsche Friedensbewegung war, dass sie in einen staatlich kontrollierten, politisch überladenen Zweig und einen staatlich unabhängigen, friedensethisch motivierten Zweig innerhalb der evangelischen Kirche zerfiel – wobei beide unübersehbare inhaltliche Schnittmengen in sich trugen, wie es die folgende Äußerung eines DDR-Theologieprofessors nahelegt: "Mir wurde schnell klar, dass zwischen dem christlichen Gebot der Nächstenliebe und dem sozialistischen Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit eine grundlegende Affinität besteht. Ich erkannte auch schnell, dass die Friedenspolitik des sozialistischen Staates ernst gemeint war und deshalb angesichts des Bestehens der Massenvernichtungsmittel die entscheidende Garantie für das Weiterbestehen der Menschheit war."
Demokratischer Aspekt und Wegmarken der kirchlichen Friedensarbeit
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der staatlichen und der kirchlichen Friedensarbeit war, dass man staatlicherseits die Forderung der Kirche "Frieden schaffen ohne Waffen!" in "Gegen NATO-Waffen Frieden schaffen!" umwandelte.
Eine ihrer Wurzeln hatte die Friedensarbeit der evangelischen Kirche bereits im deutlichen Protest gegen die Einführung des Pflichtfaches Wehrkundeunterricht an den Schulen der DDR zum September 1978. Von da an behandelte die Kirche das Thema Frieden systematisch und programmatisch unter der Überschrift "Erziehung zum Frieden" - so auch der Name einer innerkirchlichen Handreichung zur Friedensarbeit aus dem Jahr 1975. Kirchliches Anliegen war, einen wirkungsvollen Beitrag zur militärischen und rhetorischen Abrüstung in der ostdeutschen Gesellschaft zu leisten. Das entsprach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche in der DDR als "minoritärer Volkskirche" in einem atheistisch geprägten Umfeld. Als einzige SED-unabhängige Großinstitution in der DDR mit immerhin mehr als vier Millionen Mitgliedern im Jahr 1989 - sie hatte somit doppelt so viele Mitglieder wie die SED - nahm die Kirche für sich in Anspruch, nicht bloß Glaubensgemeinschaft und ausgegrenzte Kultkirche ohne gesamtgesellschaftliche Ausstrahlung zu sein.
Ein Höhepunkt der ostdeutschen Friedensbewegung war der "Olof-Palme-Friedensmarsch" im September 1987 mit der Forderung nach einem atomwaffenfreien Mitteleuropa. Außergewöhnlich war der "Olof-Palme-Friedensmarsch" in zweierlei Hinsicht: Er führte durch die Tschechoslowakei, die DDR und über die innerdeutsche Grenze hinweg in die Bundesrepublik. Zum anderen wurde der Marsch in der DDR gemeinsam von Staat und evangelischer Kirche veranstaltet. Besonders vor dem Hintergrund des zeitgleich stattfindenden offiziellen Arbeitsbesuchs Erich Honeckers in der Bundesrepublik kommt dem "Olof-Palme-Friedensmarsch" eine besondere Bedeutung zu, da sich die kirchliche Friedensarbeit erstmals unbehelligt mit unzensierten und deutlich kritischeren Losungen öffentlich in der SED-Diktatur zeigen konnte. Ehrhart Neubert als Chronist der DDR-Opposition formulierte dazu: "Mit dem offiziell in der DDR zugelassenen Olof-Palme-Friedensmarsch (…) kam es trotz einiger Behinderungen zu den ersten legalen Demonstrationen der Opposition in vielen Orten der DDR. (…) Während bis dahin jeder Versuch einer öffentlichen Demonstration sofort mit Gewalt verhindert worden war, bestand diesmal eine politische Konstellation, in der die SED es nicht wagte, die Demonstrationen aufzulösen oder zu verhindern."
Kirchliche Friedensarbeit in den Regionen
Am Beispiel der Kirchenkreise Pritzwalk und Kyritz-Wusterhausen im Nordwesten des Bezirkes Potsdam soll gezeigt werden, inwiefern das Bild der kirchlichen Friedensarbeit in der DDR in den 1980 Jahren über dieses generelle Urteil hinaus schärfer zu zeichnen ist.
Typisch für die allgemeine Entwicklung im ostdeutschen Teilstaat war zunächst, dass die Friedensarbeit in den beiden genannten Kirchenkreisen in der brandenburgischen Provinz durch die Einführung des Wehrkundeunterrichtes im September 1978 einen kräftigen Schub erhielt. Als Ausdruck ihres einhelligen Unverständnisses über den Wehrkundeunterricht richteten die Pfarrer und Katecheten des Kirchenkreises Pritzwalk bereits im Juli 1978 ein gemeinsames Protestschreiben an den DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph (SED). Darin hieß es: "Die Einführung des Wehrkundeunterrichts an den Schulen erfüllt uns mit großer Sorge. (…) Es ist eine einseitige Maßnahme, die der Entspannung und dem Frieden nicht dienen kann. (…) Wir können uns nicht vorstellen, dass der Wehrkundeunterricht die militärische Sicherheit erhöhen kann. (…) Sollte jedoch dieses Unterrichtsfach (einschließlich der Lager) der Disziplinierung der Jugend dienen, so wäre dies ein völlig ungeeignetes Mittel, das Vertrauen und die Zuneigung der Jugend zu gewinnen. (…) Aus den genannten Gründen bitten wir Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, alles in Ihrer Macht Liegende zu tun, damit das Fach Wehrkunde nicht eingeführt wird."
Zur Haltung des Superintendenten des Kirchenkreises Kyritz-Wusterhausen vermerkte ein verschlüsseltes Fernschreiben des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Potsdam an das Zentralkomitee der SED, das die kirchlichen Reaktionen im Bezirk Potsdam zur Einführung des Wehrkundeunterrichtes zusammenfasste: "Auffällig ist, dass auch bisher als loyal eingeschätzte Superintendenten (…) äußerst negativ reagierten." Hintergrund für diese Einschätzung der regionalen SED-Führung war, dass der Superintendent im Rahmen eines Gottesdienstes eine kirchliche Unterschriftensammlung gegen die Einführung des Wehrkundeunterrichtes angekündigt hatte. Das war ein starker innerkirchlicher Protest.
DDR-typisch für die weitere Entwicklung der Friedensarbeit in den beiden brandenburgischen Kirchenkreisen Pritzwalk und Kyritz-Wusterhausen war auch der andauernde Konflikt mit dem Staat um die Wehrdienstverweigerung und die Forderung nach einem zivilen Wehrersatzdienst. Diese Zeit war geprägt durch das Tragen des Friedensabzeichens "Schwerter zu Pflugscharen" und seit 1980 durch die alljährliche Friedensdekade.
Öffentlicher Protest Anfang der 1980er Jahre
Zu Pfingsten 1982 kam es dann aber in beiden Kirchenkreisen zu Geschehnissen, die zunächst als DDR-weiter Sonderfall erscheinen könnten: Am 29. Mai 1982 nahm der 31 Jahre junge Pfarrer Stephan Flade gemeinsam mit mehreren Mitgliedern der örtlichen Jungen Gemeinde in der Kreisstadt Pritzwalk als eigenständige Gruppe an einer staatlichen Friedensdemonstration teil.
Der Pfarrer Stephan Flade (r.) Anfang der 1980er Jahre (© Privatarchiv Flade)
Der Pfarrer Stephan Flade (r.) Anfang der 1980er Jahre (© Privatarchiv Flade)
Bei der Demonstration handelte es sich um eine regionale Veranstaltung des "Pfingsttreffens der Jugend", das von der FDJ mit großem Aufwand im ganzen Land organisiert worden war. Bereits Mitte Mai 1982 hatte die SED-Zeitung Märkische Volksstimme dazu ein Interview mit dem 1. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung Potsdam abgedruckt. Darin hatte dieser geäußert: "In allen Kreisen (…) werden junge Arbeiter, Genossenschaftsbauern, Mütter, Offiziersbewerber und junge Christen ihren Willen bekräftigen, sich für die Durchsetzung der sowjetischen Friedensvorschläge einzusetzen und alles zu tun, um die wahnsinnigen NATO-Atomraketenpläne zu vereiteln."
Unmittelbar vor dem "Pfingsttreffen" kündigte das Pritzwalker Pfarrehepaar Annette und Stephan Flade darum der örtlichen FDJ-Kreisleitung an, mit Mitgliedern der Jungen Gemeinde und eigenen Losungen an der staatlichen Friedensdemonstration teilnehmen zu wollen. Innerhalb der FDJ-Kreisleitung sorgte das für erhebliche Unruhe und deren 1. Sekretär erstattete pflichtgemäß Bericht an die MfS-Kreisdienststelle. Grund dafür war, dass die angekündigten kirchlichen Demonstrationslosungen nicht in das staatliche Sprachbild passten. Aussagen wie "Schluss mit atomaren Waffen", "Weg mit den Atomraketen" oder "Für Frieden und Abrüstung" waren zweideutig – sie waren auch als Forderungen an die SED-Diktatur und die Sowjetunion als ihrer militärischen Schutzmacht zu verstehen - und auch so gemeint. Innerhalb der örtlichen Verwaltung hieß es darum, in Abstimmung mit der SED-Kreisleitung solle die Teilnahme der kirchlichen Friedensdemonstranten verhindert werden. Gegenüber dem Stellvertretenden Ratsvorsitzenden für Inneres betonte Pfarrer Flade, dass mit der kirchlichen Demonstrationsteilnahme keinesfalls eine Konfrontation angestrebt sei. Der stellvertretende Ratsvorsitzende für Inneres legte dem Pfarrer daraufhin den staatlich geplanten Demonstrationsablauf dar, stattete ihn mit offiziellen Plakaten und Aufklebern zum "Pfingsttreffen der Jugend" aus und drang darauf, dass die kirchlichen Teilnehmer keine eigenständige Demonstrationsgruppe bilden, sondern sich als Einzelpersonen auf die organisierten Demonstrationsblöcke aufteilen sollten.
Dessen ungeachtet musste die örtliche SED-Führung sowie die staatliche Verwaltung die eigenständige kirchliche Gruppe während der staatlichen Friedensdemonstration zur Kenntnis nehmen. Nach einer kirchlichen Andacht und Meditation hatten sich 15 Erwachsene und 15 Kinder der Demonstration angeschlossen. Inmitten der nach offiziellen Angaben mehr als 5.000 Teilnehmer mit ihren staatlichen Propagandalosungen trugen sie fünf eigene Transparente mit sich, auf denen zu lesen war: "Wir Christen brauchen keine Kernwaffen", "Christen sind für Sicherheit durch Abrüstung", "Christen für ein kernwaffenfreies Europa", "Christen für gewaltfreie Konfliktlösungen" und "Christen fordern Brot für die Welt statt Tod für die Welt". Das war ein mutiges pazifistisches Auftreten für eine weltweite Abrüstung mit deutlicher Kritik an der unausgewogenen staatlichen Friedenspolitik. Vor dem Hintergrund ihres christlichen Friedensbekenntnisses übten die kirchlichen Demonstrationsteilnehmer damit lange vor dem "Olof-Palme-Friedensmarsch" vom September 1987 inmitten der SED-Diktatur Demonstrationsfreiheit ein.
In einem Schreiben berichtete das Pfarrehepaar Flade der Berlin-Brandenburgischen Kirchenleitung kurz darauf von den Pritzwalker Pfingstereignissen 1982. Daraus ging hervor, dass ihr Demonstrationsvorhaben auch innerhalb der Pfarrerschaft und unter den Gemeindegliedern im Kirchenkreis Pritzwalk keinesfalls unumstritten gewesen ist. Dennoch standen sie unbeirrt zu ihrer Demonstrationsteilnahme als notwendiges Glaubenszeichen und als ein Schritt der Kirche in die DDR-Gesellschaft hinein. Sie hatten die Aktion vor allem als Glaubensbekenntnis junger Gemeindemitglieder erlebt. Gegen innerkirchliche Befürchtungen, von der staatlichen Friedensbewegung instrumentalisiert und benutzt zu werden, wandte das Pfarrehepaar ein: "Und so werden wir auch mit den verantwortlichen Funktionären auf unserer Ebene reden. Damit sie verstehen, dass uns nichts Destruktives bewegt, sondern der Friede Gottes. Wir haben gute Erfahrungen gemacht, auch wenn wir sachlich manchem Wort auf dieser Manifestation nicht zustimmen konnten. Ich denke, dass der Schritt unter die Menschen ein richtiger Schritt in unserem Friedenszeugnis ist [sic!]."
MfS-Überwachungsfoto des Pfarrehepaars Gisela und Hans-Peter Freimark Anfang der 1980er Jahre. Sie trägt ein T-Shirt mit der pazifistischen Grafik "Mann mit zerbrochenem Gewehr" des DDR-Grafikers Gerhard Voigt (© BStU, MfS, BV Pdm, KD Ky 75, Bd. 9, Bl. 519.)
MfS-Überwachungsfoto des Pfarrehepaars Gisela und Hans-Peter Freimark Anfang der 1980er Jahre. Sie trägt ein T-Shirt mit der pazifistischen Grafik "Mann mit zerbrochenem Gewehr" des DDR-Grafikers Gerhard Voigt (© BStU, MfS, BV Pdm, KD Ky 75, Bd. 9, Bl. 519.)
Ähnlich wie in Pritzwalk griff auch der 37jährige Kreisjugendpfarrer des Kirchenkreises Kyritz-Wusterhausen, Hans-Peter Freimark, die staatliche Parole auf, zu Pfingsten 1982 für den Frieden zu demonstrieren. Innerhalb der SED-Bezirksleitung Potsdam und des Rates des Bezirkes vermerkte man beunruhigt, der Kreisjugendpfarrer habe gemeinsam mit seiner Ehefrau beim Referenten für Kirchenfragen des Rates des Kreises Kyritz die kirchliche Demonstrationsteilnahme mit eigenen Losungen angekündigt.
Der Rat des Bezirkes Potsdam wies den Rat des Kreises Kyritz dennoch an, zunächst über den Superintendenten des Kirchenkreises Kyritz-Wusterhausen eine Verhinderung der kirchlichen Demonstrationsteilnahme zu erreichen.
Das Pfarrehepaar Gisela und Peter Freimark mit der Losung "Christen für Abrüstung auch bei uns!" auf der FDJ-Pfingstdemonstration 1982 in der Kreisstadt Kyritz (© Privatarchiv Freimark)
Das Pfarrehepaar Gisela und Peter Freimark mit der Losung "Christen für Abrüstung auch bei uns!" auf der FDJ-Pfingstdemonstration 1982 in der Kreisstadt Kyritz (© Privatarchiv Freimark)
Anders als in Pritzwalk jedoch blieb eine offensive staatliche Reaktion darauf nicht aus. Bei der SED-Bezirksleitung Potsdam hieß es zu dem Kreisjugendpfarrer später: "FDJler kreisten seine Gruppe faktisch ein, deckten mit ihren Losungen die von Pfarrer Freimark ab und vereitelten so seine Absicht."
Unter den Pfarrern und kirchlichen Angestellten des Kirchenkreises Kyritz-Wusterhausen hatte es im Frühjahr 1982 derweil keine Mehrheit dafür gegeben, das kirchliche Friedensengagement im Rahmen der FDJ-Demonstration öffentlich zu bekunden. Den Vorschlag von Hans-Peter Freimark, mit eigenen Losungen wie „Christen sind für den Frieden“ an der Demonstration teilzunehmen, hatte der örtliche Pfarrkonvent abgelehnt. Die Mehrzahl der Pfarrer und kirchlichen Angestellten sprachen sich auch dagegen aus, parallel zu der FDJ-Demonstration einen Friedensgottesdienst abzuhalten. Das mehrheitliche Gegenargument lautete: "Der Vorschlag (…) könnte vom Staat als Provokation aufgefasst werden (…)." Nach langer Diskussion konnte sich der Pfarrkonvent nur durchringen, die Kyritzer St. Marien Kirche während der FDJ-Demonstration zu Pfingsten 1982 für das "stille Gebet" zu öffnen.
Auf der FDJ-Pfingstdemonstration 1982 in der Kreisstadt Kyritz: Durch Transparente mit staatlichen Losungen sollen die Losungen der Kirchenmitglieder um den Pfarrer Hans-Peter Freimark wie "Schalom" verdeckt werden (© BStU, MfS, BV Pdm, KD Ky 75, Bd. 9, Bl. 517.)
Auf der FDJ-Pfingstdemonstration 1982 in der Kreisstadt Kyritz: Durch Transparente mit staatlichen Losungen sollen die Losungen der Kirchenmitglieder um den Pfarrer Hans-Peter Freimark wie "Schalom" verdeckt werden (© BStU, MfS, BV Pdm, KD Ky 75, Bd. 9, Bl. 517.)
Die geschilderten kirchlichen Demonstrationsinitiativen zu Pfingsten 1982 waren kein Phänomen, das auf die Kreisstädte Pritzwalk und Kyritz begrenzt gewesen ist. Bereits im Vorfeld des FDJ-Pfingsttreffens unterrichtete der Rat des Bezirkes Potsdam den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam beunruhigt über das Vorhaben mehrerer Jugendpfarrer, sich als kirchliche Gruppen mit eigenen Transparenten an den staatlichen Demonstrationen beteiligen zu wollen. Unmittelbar nach Pfingsten meldete der Rat des Bezirkes Potsdam an die SED-Bezirksleitung dann, in den sechs Kreisen Jüterbog, Kyritz, Gransee, Pritzwalk, Neuruppin und Zossen hätten sich insgesamt knapp 80 kirchliche Demonstranten mit 19 eigenen Plakaten beteiligt. Und beim Staatssekretariat für Kirchenfragen hatte man gleiche kirchliche Demonstrationsvorhaben in insgesamt acht von 15 Bezirken der DDR beobachtet.
Schluss
Schon Anfang der 1980er Jahre – mehrere Jahre vor dem "Olof-Palme-Friedensmarsch" im September 1987 – gab es in der DDR über den individuellen politischen Widerstand hinausgehend erfolgreiche Initiativen aus der evangelischen Kirche zu öffentlichem Gruppenprotest. Die regionale SED-Führung und staatliche Verwaltung konnten diese Proteste nicht verhindern. Das galt andererseits auch für die Kirchenleitungen, die bereits damals als staatliches Mittel eines „Konfliktmanagements“ zunehmend ausfielen.
Am Beispiel der geschilderten Fälle in den Kirchenkreisen Pritzwalk und Kyritz-Wusterhausen wird deutlich, dass der öffentliche Protest Anfang der 1980er Jahre das Thema Frieden aufgriff, dessen Deutungshoheit die SED-Führung in der propagandistischen Überhöhung der DDR als sozialistischen Friedensstaat für sich beanspruchte. Das Aufgreifen des Themas Frieden war für die Protestakteure die Chance, nicht postwendend mit dem Odium "Staatsfeind" belegt zu werden. Die kritische Reflektion der staatlichen Friedensarbeit und die kirchliche Forderung nach einem äußeren und inneren Frieden wurden dabei zu einem Synonym für die Forderung nach einer Demokratisierung des Sozialismus in der DDR.
Die Träger der aktiven kirchlichen Friedensarbeit und dem damit verbundenen öffentlichen Protest in den Regionen Anfang der 1980er Jahre waren eine überschaubare Anzahl von Akteuren aus dem Umfeld der evangelischen Kirche. Sie setzten sich mit ihrem friedlichen Protestverhalten auch gegen Widerstände der Kirchenleitungen und der Gemeindebasis durch. Seitens der Bevölkerung wurde der Protest weitestgehend gleichgültig wahrgenommen, oftmals als sonderlich verspottet, teilweise aber auch mit Sympathie betrachtet. Von der jeweiligen örtlichen SED-Führung und der staatlichen Verwaltung abhängig war, wie die Machthaber in der SED-Diktatur auf den öffentlichen Protest reagierten. Diese Reaktionen konnten, anders als es der demokratische Zentralismus im ostdeutschen Teilstaat glauben machen sollte, unterschiedlich ausfallen. In jedem Falle wurde das öffentliche Protestverhalten in der Provinz misstrauisch registriert. Falls es nicht zu verhindern war, wurde es missmutig geduldet, teilweise behindert und insgeheim durch die staatlichen Sicherheitsorgane verfolgt. Mitunter sollte die kirchliche Friedensarbeit auch für die staatliche Propaganda missbraucht werden.
Für die Friedliche Revolution 1989/90 war der öffentliche Protest in den Regionen Anfang der 1980er Jahre in verschiedener Hinsicht von großer Bedeutung. Frieden als Demokratieforderung bildete seit Beginn der 1980er Jahre bis in den Revolutionsherbst 1989 hinein den inhaltlichen Kern der Proteste. Die Forderung nach Demokratie unter der Chiffre „Frieden“ machte im ostdeutschen Teilstaat zunächst die Überwindung der SED-Diktatur möglich. Im Ergebnis ihrer Demokratisierung kam in der DDR die deutsche Einheit als Thema auf die politische Tagesordnung. Auffällig sind die stark ausgeprägten personellen Kontinuitäten der Akteure des öffentlichen Protestes am Anfang und Ende der 1980er Jahre. Für die zwei dargestellten evangelischen Kirchenkreise trifft das in besonderer Weise auf die beiden Pfarrehepaare Annette und Stephan Flade sowie Giesela und Hans-Peter und Freimark zu. Sie organisierten den kirchlichen Protest zu Pfingsten 1982, engagierten sich über Jahre hinweg in der Friedensarbeit und gehörten im Herbst 1989 in den Kirchenkreisen Potsdam beziehungsweise Kyritz-Wusterhausen zu den Gründungsmitgliedern des Neuen Forums. Dorthin brachten sie ihren Erfahrungsschatz und Wissensfundus zur Organisation und Umsetzung eines friedlichen öffentlichen Protestes mit. Mit einer Vielzahl kleiner Schritte und Aktionen hatten sie diesen seit Anfang der 1980er Jahre innerhalb der SED-Diktatur eingeübt. Zu einem Mindestmaß konnten sie daher staatliche Reaktionen darauf erahnen und abschätzen. Den allermeisten DDR-Bürgern fehlte es daran bis zum Herbst 1989.
Zitierweise: Sebastian Stude, Frieden als Demokratieforderung. Evangelische Kirche in den 1980er Jahren in der DDR, in Deutschland Archiv, 26.6.2014, Link: http://www.bpb.de/1866931