Startpunkt: Das Verhältnis zur Sowjetunion
Die DDR wurde oft als "Satellitenstaat" der Sowjetunion definiert, um so die mangelnde Eigenständigkeit der ostdeutschen Politiker zu betonen. Als reines Produkt des Kalten Krieges war die DDR, anders als andere osteuropäische Länder, nur ein von einer kommunistischen Regierung geführter Staat, und nicht auch eine Nation. Ihre Rolle auf dem internationalen Parkett wurde von Historikern kaum betrachtet. Trotz ihres ehrgeizigen Strebens nach internationaler Anerkennung, das sie auch zu einem Engagement in der "Dritten Welt" veranlasste, blieb die DDR mehr als 20 Jahre praktisch isoliert.
Es sei unsinnig, von einer ostdeutschen Außenpolitik oder von ostdeutschen Interessen zu sprechen – das war zumindest die von vielen Historikern lange Zeit vertretene Meinung. Aber die zunehmende Öffnung der ostdeutschen und sowjetischen Archive gibt nun die Gelegenheit, diese Beurteilung zu korrigieren.
Ost-Berlin war nach militärischen, wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten von Moskau abhängig. Diese Tatsache ist unumstritten, aber sie ist nicht ausreichend um zu folgern, dass es eine völlige und kritiklose Akzeptanz der Kremlpolitik von ostdeutscher Seite gab. Deshalb ist die Grundfrage, wie groß die Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion tatsächlich war. War Ostdeutschland ein völlig der Supermacht untergeordnetes Land, und die SED-Führung nur einfacher Vollstrecker sowjetischer Aufträge? So eine Interpretation wäre wenig überzeugend, denn die Politik der SED war nicht nur Ausdruck der sowjetischen Wünsche, sondern konnte durchaus auf selbständigen Entscheidungen der ostdeutschen Führung beruhen.
In der Tat zeigt eine Untersuchung dieser wechselseitigen Beziehungen ein von ständigen Spannungen geprägtes Verhältnis, in dem die Ideologieverwandtschaft nicht ausreichend war, weder um alten Groll (aus der Kriegszeit) zu überwinden, noch um das regelmäßige Auftauchen von widerstreitenden nationalen Interessen zu unterdrücken.
Die Ära Honecker: Zwischen Unterordnung und dem vorsichtigen Versuch einer unabhängigen Außenpolitik
Dass die ostdeutsche Führung eine eigenständige Außenpolitik verfolgen wollte, ist in einigen Zeitperioden der DDR-Geschichte, wie zum Beispiel in den 1960er Jahren, gut zu sehen.
Die zwei schwierigsten Fragen zwischen Ost-Berlin und Moskau waren die ostdeutschen Wirtschaftsbeziehungen und die Außenpolitik, hier insbesondere das Verhältnis zur Bundesrepublik. Die Mängel der Planwirtschaft waren schon in den 1970er Jahren in allen sozialistischen Ländern immer deutlicher geworden. Auch die Verschuldung der DDR nahm, besonders gegenüber den kapitalistischen Ländern, immer mehr zu. Wegen der Weltwirtschaftskrise und der Schutzzollpolitik der Länder des westlichen Wirtschaftsraums hatten sich die Außenhandelsbedingungen für die DDR in den 1970er Jahren verschlechtert. Äußere Faktoren trugen also zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei, was sich auch negativ auf das Verhältnis zur Sowjetunion auswirkte.
Die Sowjetunion war gezwungen, ihre Unterstützung für die "Bruderstaaten" zurückzufahren, um die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. Nach langen und intensiven Gesprächen musste Ost-Berlin 1981 einer Reduzierung der Lieferungen sowjetischen Erdöls und anderer wichtiger Rohstoffe zähneknirschend zustimmen. In diesem Moment trat die Bonner Regierung auf den Plan und bot wirtschaftliche und finanzielle Hilfen an. Im Gegenzug sollte die DDR-Führung Reiseerleichterungen für die Bürgerinnen und Bürger aus beiden deutschen Staaten zustimmen.
Das war keine leichte Situation für Ost-Berlin. Man wollte die innerdeutschen Beziehungen stärken, um daraus wirtschaftliche Vorteile und Prestigegewinn zu erlangen, aber das sollte nicht die sozialistische Macht im Inneren schwächen, oder die Beziehungen zur Sowjetunion belasten. Honecker war davon überzeugt, dass er eine "kontrollierte Öffnung" der DDR betreiben konnte. Seiner Meinung nach waren der Dialog mit dem Westen und die Festigung des Bündnisses mit Moskau kein Konflikt, sondern zwei wichtige Seiten derselben Strategie, deren Zweck die Stärkung der DDR war. Der Bund mit der Sowjetunion war für Honecker eine Voraussetzung zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung. Nur dank dieses "Ankers" war Ost-Berlin überhaupt dazu bereit, die Beziehungen mit Bonn zu vertiefen.
Diese von Honecker gemeinsam mit dem für Wirtschaftsfragen zuständigem Politbüromitglied Günter Mittag verfolgte Strategie in der Deutschland- und Wirtschaftspolitik stieß zunehmend auch innerhalb der SED-Führung auf Kritik. Einige SED-Politbüromitglieder, wie Werner Krolikowski und Willi Stoph, berichteten dem Kreml mehrmals, dass Honecker und Mittag eine "irreale Wirtschafts- und Sozialpolitik" betrieben und dass die Ziele des SED-Generalsekretärs keine echte Basis hätten.
Der "Zweite Kalte Krieg" und dessen Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR
Die Verschlechterung der ostdeutsch-sowjetischen Beziehungen fand stufenweise statt. Parallel zu dieser Verschlechterung nahm der Wille der SED zu, sich als ein unabhängiger Spieler auf dem internationalen Parkett zu zeigen. Diese Entwicklung wurde Anfang der 1980er Jahre deutlich. Mit der neuen Aufrüstungswelle und der westlichen Empörung über den sowjetischen Angriff auf Afghanistan verschärfte sich die Spannung zwischen den Blöcken. Diese neue Phase der Ost-West-Beziehungen wurde als "Zweiter Kalter Krieg" bekannt. In dieser Situation benötigte die Sowjetunion treue und gehorsame Verbündete. Der Kreml konnte die Versuche der DDR, eine eigene Außenpolitik zu verfolgen nicht dulden. Das bedeutete vor allem, dass Ost-Berlin die Entspannungspolitik gegenüber dem Westen nicht weiterführen konnte, sondern die Außenpolitik wie die anderen Bruderländer an den erneuten sowjetischen Konfrontationskurs anpassen musste. Aber die SED-Führung wollte nach 20 Jahren völliger Isolation auf die Beziehungen zu den westlichen Ländern nicht verzichten - das war nicht nur eine Prestigefrage, sondern auch überlebenswichtig für die DDR. Moskau blieb ihr wichtigster Verbündeter, aber die DDR musste gute Verhältnisse zum westlichen Ausland aufrechterhalten, um die eigenen Interessen zu schützen. Deshalb war Ost-Berlin nicht in der Lage, sich den sowjetischen Beschlüssen unterzuordnen.
1979 warnte der sowjetische Außenminister Andrei Gromyko Honecker: Wenn die Kontakte mit der Bundesrepublik die Souveränität der DDR gefährdeten, würden auch die sowjetischen Interessen darunter leiden.
Anfang der 1980er Jahre gelang es der DDR, eine harte Wirtschafts- und Finanzkrise mit eigenen Mitteln zu überwinden. Diese entstand, da auch Ost-Berlin infolge der polnischen und rumänischen Zahlungsunfähigkeit einen Vertrauensverlust der internationalen Märkte erlitt. Die ausländischen Banken zogen ihre Einlagen ab und verweigerten neue Kredite. Gleichzeitig wurde die DDR nach einem harten, aber letztlich ergebnislosen Widerspruch gezwungen, die von Moskau beschlossene Reduzierung der Erdöllieferungen anzunehmen. Nun musste man unbedingt Rohstoffe sparen und "um jeden Preis" an harte Devisen gelangen, um die innerhalb von einer Dekade verzehnfachte Auslandverschuldung zu senken. Die wirtschaftliche Lage war sehr ernst, aber die eingeleiteten Sparmaßnahmen reichten aus, um den Zerfall zu verhindern.
Nato-Doppelbeschluss und Staatsbesuche: Zwei Beispiele der ostdeutschen außenpolitischen Ansprüche
Da die Spannungen zwischen Moskau und Ost-Berlin beständig zunahmen, wäre es sinnlos, einen Wendepunkt in den Beziehungen bestimmen zu wollen. Trotzdem gab es einige Ereignisse, die mehr als andere dazu beitrugen, die Beziehungen zu verschlechtern, z.B. der sich Ende der 1970er Jahre abzeichnende Konflikt um den Nato-Doppelbeschluss und die sowjetischen Versuche, Honeckers Besuch in Bonn zu verhindern.
1976 hatte die Sowjetunion ihre alten Mittelstreckenraketen durch die leistungsfähigeren und mobilen SS-20 ausgetauscht. Diese Entscheidung war nicht gegen die SALT-Abkommen gerichtet, sondern sollte das sowjetische Abschreckungspotenzial verbessern. Moskau behauptete, die neuen Raketen für Verteidigungszwecke aufgestellt zu haben, aber die west-europäische Wahrnehmung war eine andere.
Im Dezember 1981 reist Bundeskanzler Helmut Schmidt erstmals in seiner Amtszeit in die DDR. Erich Honecker verabschiedet ihn am Bahnhof in Güstrow. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00005048, Foto: Engelbert Reineke)
Im Dezember 1981 reist Bundeskanzler Helmut Schmidt erstmals in seiner Amtszeit in die DDR. Erich Honecker verabschiedet ihn am Bahnhof in Güstrow. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00005048, Foto: Engelbert Reineke)
Obwohl die greise sowjetische Führung die Fortsetzung der "kleinen Entspannung"
Der Kreml wusste, dass man nicht jede Einzelheit eines Treffens zwischen Schmidt und Honecker überwachen können würde, hielt das aber für unerlässlich.
Fazit: Eigenständigkeitswille gegen Abhängigkeitsrealität
Ehrentribüne zu den Feierlichkeiten der Nationalen Volksarmee zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989. (© Bundesarchiv, Bild 183-1989-1007-028, Foto: Rainer Mittelstädt)
Ehrentribüne zu den Feierlichkeiten der Nationalen Volksarmee zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989. (© Bundesarchiv, Bild 183-1989-1007-028, Foto: Rainer Mittelstädt)
Die letzten 15 Jahre der DDR-Geschichte zeigen deutlich, dass Honeckers Ziele denen Ulbrichts ähnelten. Beide wollten mehr Spielraum in ihrer Außenpolitik gewinnen, und vor allem die Beziehungen zur Bundesrepublik auf eigenständige Weise führen, ohne Moskau darüber berichten zu müssen. Beide SED-Führer waren sich bewusst, dass eine Annäherung mit der Bundesrepublik wirtschaftliche Vorteile und internationale Anerkennung bedeuten würde. Honecker wollte weder auf das Bündnis mit der Sowjetunion noch auf die Beziehungen zum Westen verzichten. Seiner Meinung nach sollte das erste keine Beschränkung für die ostdeutsche Außen- und Innenpolitik, sondern ein Stärkungsmittel für die DDR sein. Der Kreml aber versuchte seine Kontrolle über die innerdeutschen Beziehungen (und über die allgemeine DDR-Politik) zu erhalten. Der wachsende Wille Honeckers zu einer außenpolitischen Eigenständigkeit musste so zwangsweise zu Auseinandersetzungen zwischen Ost-Berlin und Moskau führen.
Der "unverbrüchliche Bruderbund"
Die Geschichte der DDR könnte demnach unter folgendem Gesichtspunkt analysiert werden: Die DDR wurde auch auf Wunsch deutscher Kommunisten geboren, konnte aber nur mit der sowjetischen Unterstützung überleben. Unfähig, die von der Bundesrepublik auferlegte internationale Isolation zu brechen, hatte Ost-Berlin während der 1970er Jahre versucht, von den Möglichkeiten der Entspannungspolitik zu profitieren. Trotzdem war sie, wie die anderen kommunistischen Länder, von der internationalen Wirtschaftskrise überwältigt worden. Am Ende gelang es ihr nicht, die widersprüchlichen Anforderungen zu meistern: Das Bündnis mit Moskau zu bewahren und gleichzeitig die Beziehungen zum Westen zu vertiefen; an der Abgrenzung gegenüber Bonn festzuhalten und gleichzeitig immer mehr Zugeständnisse zu machen, die die Annäherung begünstigten. Mit der Annäherung an die Bundesrepublik opferte Ost-Berlin seine Beziehungen zu Moskau, die sich in dieser Periode fortschreitend und unwiderruflich verschlechterten.
Eine Analyse der Ära Honeckers zeigt, dass es durchaus eine ostdeutsche Außenpolitik und ostdeutsche Interessen gab. Wegen ihrer Abhängigkeit zu Moskau, gelang es der SED-Führung allerdings selten, politisch eigenständig zu agieren. Trotzdem verfolgte sie die eigenen Interessen stets mit allen Mitteln. Die DDR war nicht nur ein passives Subjekt, sondern auch ein Spieler im internationalen System. Am Ende aber gelang es ihr nicht, mit dessen Entwicklung Schritt zu halten.
Zitierweise: Valentina Zamperini, Die DDR in den 1970er und 1980er Jahren: Suche nach einer eigenen Außenpolitik im Schatten Moskaus, in: Deutschlandarchiv, in: Deutschland Archiv Online, 28.02.2014, Link: http://www.bpb.de/179837