Bruno Apitz und die Staatssicherheit
Ein Recherchebericht über die DA "Brendel"
Lars Förster
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Mit seinem Werk "Nackt unter Wölfen" erlangte der Schriftsteller Bruno Apitz weltweite Anerkennung. Dennoch fehlt bis heute eine umfassende und wissenschaftlich fundierte politische Biografie über den Autor, der den real existierenden Sozialismus zeitlebens verteidigte. Lars Förster beleuchtet Bruno Apitz’ Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit sowie seine Haltung gegenüber DDR-Dissidenten und regimekritischen Künstlern.
"Ich bin bereit, sofort zur Waffe zu greifen und mein Leben hinzugeben für den Inhalt meines Seins als Kommunist: den Kampf um die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung."
Bruno Apitz - verfolgt und bejubelt, dann verrissen und vergessen
Der Schriftsteller und Kommunist Bruno Apitz (1900-1979) dürfte den meisten in der DDR sozialisierten Bundesbürgern ein Begriff sein. Sein 1958 erschienener Buchenwald-Roman "Nackt unter Wölfen" zählte zu den am meisten gelesenen Büchern in der DDR, war zentraler Bestandteil des Lehrplans im Fach Deutsche Literatur und bildete die Vorlage für Film- und Hörspielfassungen. Insgesamt ist er bis heute weltweit über drei Millionen Mal verkauft und in mehr als dreißig Sprachen übersetzt worden. Gleichwohl ist sein Erfolgsroman nach 1990 immer wieder Gegenstand von kritischen Auseinandersetzungen um die DDR-Literatur gewesen.
Bruno Apitz selbst war prominentes Mitglied des DDR-Literaturbetriebs und der Vorzeigeautor in punkto Antifaschismus, was allerdings nicht verhindern konnte, dass er nach dem Zusammenbruch der DDR allzu schnell in Vergessenheit geriet und bis heute als "Ein-Buch-Autor" gilt. Der 1900 geborene Bruno Apitz, zwölftes Kind einer Leipziger Arbeiterfamilie, war bereits als Jugendlicher politisch engagiert, trat 1927 in die KPD ein und war dort als Agitprop-Funktionär der KPD-Bezirksleitung Leipzig tätig. Er wurde ab 1933 mehrfach inhaftiert und war ab 1937 bis zur Befreiung im KZ Buchenwald gefangen. Der Autodidakt Apitz war ein vielseitig talentierter Mensch mit einer Mehrfachbegabung - Schriftsteller, Bildhauer, Kabarettist, Schauspieler und Geiger -, konnte jedoch diese Anlagen aufgrund seines Lebenslaufes nie optimal entwickeln. Während seiner Lagerzeit entstanden zahlreiche Plastiken und Holzskulpturen, darunter die viel beachtete Holzplastik "Das letzte Gesicht", welche heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin ständig ausgestellt ist. Nach dem Krieg arbeitete er unter anderem als Redakteur bei der "Leipziger Volkszeitung", als Verwaltungsdirektor der Städtischen Bühnen Leipzig sowie als Spielleiter von Laientheatergruppen und als Dramaturg bei der DEFA. Ab 1955 war er freier Autor in Berlin und schrieb seine Buchenwald-Erfahrungen in dem Roman "Nackt unter Wölfen" (1958) nieder. Der Erfolg von "Nackt unter Wölfen" machte Apitz über Nacht berühmt, insbesondere da er der erste Weltbestseller der DDR-Literatur überhaupt war. 1958 wurde ihm der Nationalpreis 3. Klasse und 1963 im Filmkollektiv der Nationalpreis 1. Klasse, die höchste staatliche Auszeichnung der DDR, verliehen. Darüber hinaus war er Mitglied der Deutschen Akademie der Künste und gehörte dem PEN-Zentrum der DDR an. Für den nie zum Zuge gekommenen fast sechzigjährigen Apitz war der Ruhm eine späte Genugtuung, erzeugte aber mitunter auch eine gewaltige Last. Denn an den Erfolg seines berühmten Werkes konnte er nie wieder anknüpfen. Die Romane "Der Regenbogen" (1976) und "Schwelbrand" (postum und unvollendet 1984) sowie die Novelle "Esther" (im KZ Buchenwald 1944 verfasst, 1959 erstmals veröffentlicht) fanden kaum öffentliche Beachtung oder Anerkennung. Gleiches trifft für den authentischen Tatsachenbericht "Das war Buchenwald!" (1946) zu, welcher über das Grauen und Elend im KZ Buchenwald berichtet.
Geradezu sinnbildlich für das Vergessen Apitz’ im wiedervereinigten Deutschland erscheint der Umstand, dass die 1985 enthüllte Gedenktafel an dessen Leipziger Geburtshaus in der Elisabethstraße 15 aus bisher unerklärbaren Gründen entfernt wurde. Es ist daher nicht sonderlich verwunderlich, dass eine umfassende und wissenschaftlich fundierte politische Biografie über Bruno Apitz, auch mit den zugehörigen Schattenseiten, bisher noch aussteht. Bereits Renate Florstedt (1990) und Claude D. Conter (1997) machten auf dieses Forschungsdefizit aufmerksam. Möglicherweise hinderte Apitz’ Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und sein lebenslanges Bekenntnis zum Kommunismus und zur DDR bislang, sich ihm biografisch zu nähern. Dabei ist die Darstellung der Biografie von Bruno Apitz für eine sachlich-vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb der DDR, mit der DDR selbst, zugleich aber auch mit der Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen von geradezu herausragender Bedeutung. Der folgende Beitrag versucht daher, Bruno Apitz’ Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit sowie seine Haltung gegenüber DDR-Dissidenten und regimekritischen Künstlern näher zu beleuchten.
Bruno Apitz stand für eine relativ kurze Zeit, von August 1957 bis Oktober 1959, in Verbindung mit dem MfS und wurde als DA "Brendel" für den Postempfang eingesetzt. Seine Aufgabe als DA (Deckadresse) bestand darin, die an ihn gerichtete Post an das MfS weiterzuleiten, sofern sie von politischem Interesse war. Zusätzlich fertigte er für das Ministerium Berichte an. Die 60-seitige, relativ dünne Akte der DA "Brendel" ist heute bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) in Berlin unter der Vorgangsnummer 5141/59 einsehbar. Der Werbungsbericht vom 23. August 1957 vermerkt, dass Apitz ohne Probleme als DA angeworben wurde. Ebenfalls in der Akte enthalten ist eine handschriftliche Schweigeverpflichtung, die auf den 21. August 1957 datiert ist. Etwa zur selben Zeit befand sich Apitz vor dem Abschluss von "Nackt unter Wölfen". Der Führungsoffizier "Heinz Wegner" (Hauptabteilung II) traf sich anschließend mehrfach mit Apitz in dessen Berliner Wohnung oder im Café "Praha" und erkundigte sich zu seinem Arbeits- und Bekanntenkreis.
Ein "Republikflüchtling" lektoriert den Klassiker des DDR-Antifaschismus
In den Unterlagen wird ersichtlich, warum ausgerechnet Bruno Apitz angeworben wurde. Die Staatssicherheit interessierte sich für dessen Korrespondenz mit Martin Gustav Schmidt (1926-1988), seinem damaligen Lektor von "Nackt unter Wölfen" vom Mitteldeutschen Verlag Halle (MDV). Das MfS hatte aus seiner Sicht allen Grund, Schmidt mit besonderem Misstrauen zu beobachten. Schmidt wartete noch ab, bis Apitz seine Arbeit an "Nackt unter Wölfen" beendete, um dann schnellstmöglich im Mai 1958 in die Bundesrepublik zu flüchten. Ohne zuvor etwas davon gewusst zu haben, erfuhr Apitz erst im Juni 1958 während einer Schriftstellerkonferenz von Schmidts Flucht. Daraufhin informierte Apitz den Führungsoffizier "Wegner" von sich aus über Schmidt und schrieb am 15. Juli 1958 einen Bericht über dessen "Republikflucht". Laut des Berichts habe der parteilose Schmidt unter zunehmendem politischen Druck gestanden, weil er nicht in die SED eintreten wollte. Apitz habe "in Schmidt einen Menschen bürgerlicher Denkungsart kennen gelernt", der aber dem Staat "ehrlich und loyal" gegenüberstünde. Er schlussfolgert daraus, dass Schmidt bei den Diskussionen zum Beitritt zur SED "falsch behandelt" worden sei. Schmidt hätte, so Apitz, "augenscheinlich aus einer Panikstimmung heraus den verhängnisvollen Schritt unternommen". Gleichzeitig betonte Apitz, dass er Schmidt nicht in Schutz nehmen möchte und seinen Schritt ebenfalls vorbehaltlos verurteile. Schmidt schrieb Apitz aus Bayreuth am 4. Juli 1958, also nur kurze Zeit nach seiner Flucht, einen emotionalen, aber nur wenig aufklärenden Brief:
"Sie werden mich nicht für einen durchtriebenen und leichtfertigen Burschen halten, der sich einen Dreck aus Gewissensentscheidungen macht. Es gab einfach Dinge, die man mir nicht hätte zumuten dürfen! Ich konnte sie einfach nicht überstehen, ich hätte denn Selbstmord begehen müssen. Nicht wenig habe ich aufgegeben und verloren - das straft mich genug, außerdem und obendrein. Denn ich wollte nie weggehen. […] Ich will keine Antwort und will mich nicht rechtfertigen. Ich möchte Sie nur wissen lassen, daß ich oft an Sie gedacht habe und daß es mir um unserer Beziehungen willen leid tat."
Außerdem enthielt Schmidts Brief die Bitte an Apitz, ihm ein Exemplar von "Nackt unter Wölfen" nach Bayreuth zu senden.
Auf "Dinge", die man Schmidt "nicht hätte zumuten dürfen", machte Apitz dann in einem späteren Gespräch mit dem Führungsoffizier Wegner am 23. Juli 1958 aufmerksam. Er wies auf einen aggressiven und an vielen Stellen beleidigenden Kommentar von Eva Strittmatter in der Zeitschrift "Neue Deutsche Literatur" hin. Strittmatter rechnet in diesem Artikel mit einer Reihe junger Schriftsteller vom MDV ab, die im Jahr 1957 eine Schriftenreihe mit dem Titel "tangenten" herausgaben. Zu diesen Schriftstellern und Lektoren zählte auch Martin Gustav Schmidt (unter dem Pseudonym: Martin Gregor). Die "tangenten"-Reihe würde wegen ihres irreführenden "Experimentalismus" "Symptome einer gefährlichen, krankhaften Entwicklung" der DDR-Literatur zeigen, so Strittmatter. Nicht nur Schmidts Flucht, sondern auch seine produzierte Literatur wurde von Strittmatter als Verrat an der DDR gesehen. Schmidt hätte mit seinem literarischen Schaffen nicht die Überzeugung von der Möglichkeit, die Welt zum Guten hin zu verändern, verstärkt, sondern vor allem Skeptizismus verbreitet. "Diese Art von Kunst", so Strittmatter, hätte in der DDR "keine Lebensberechtigung". Die ganze Buchreihe des Verlages wurde eingestellt. Die Verlagsablehnung von Schmidts Manuskript über Atomversuche war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und ihn zum Verlassen der DDR bewog.
Schmidts Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Apitz
Im Februar 1987 veröffentlichte die "Süddeutsche Zeitung" einen Artikel von Martin Gregor-Dellin (wie sich Martin Gustav Schmidt später nannte), in welchem er seine Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Bruno Apitz schildert. Trotz der spannungsgeladenen Thematik interessierte sich bis dahin kein Verlag der DDR - DEFA und Deutscher Schriftstellerverband hegten Zweifel am unzeitgemäßen Thema und an den literarischen Fähigkeiten des Autors - für Apitz’ Entwürfe. Aufgrund der Aktenlage ist auszuschließen, dass die letztendliche Veröffentlichung von "Nackt unter Wölfen" mit seiner MfS-Tätigkeit im Zusammenhang steht. Während der Entstehungszeit seines Romans musste der unter ärmlichen Bedingungen lebende Apitz, der nur eine kleine Rente als Verfolgter des Naziregimes (VdN-Rente) bezog, materielle wie physische Not erleiden. Der damals wesentlich jüngere, bürgerliche Lektor Gregor-Dellin bzw. Schmidt berichtete von einer unkomplizierten Zusammenarbeit mit Apitz. Er empfand Apitz als jemanden, der immer noch an den Folgen der langen Haft litt. Er habe spitz, grau und unglücklich ausgesehen, wäre oft nervös gewesen, hätte keine Allüren. "So unbeholfen das Ganze abgefasst war, so schwerfällig auch die Ausdrucksweise, so ungelenk der Stil", erinnerte sich Gregor-Dellin. Aber er habe damals einen Menschen sprechen gehört, "der sich das Äußerste abrang, und was er erzählte, war es auch wert". Martin Gregor-Dellin machte später in der Bundesrepublik Karriere als Richard-Wagner-Biograf und viel geachteter Feuilletonschreiber in der "Süddeutschen Zeitung". Als Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und als dessen Präsident von 1982 bis 1988 übte er bedeutenden Einfluss auf den Literaturbetrieb in der Bundesrepublik aus.
Für Apitz mehr als ein literarischer Berater
Kurz bevor Bruno Apitz starb, wollte er den Brief von Schmidt vom Sommer 1958 doch noch beantworten, was er aber nie tat. Möglicherweise wurde Apitz, so lässt sich dieser persönliche Wunsch verstehen, eine Last nicht los. Auch Apitz musste anerkennen, dass "Nackt unter Wölfen" ohne Schmidts leidenschaftliche und verständnisvolle Lektorentätigkeit kaum in dieser Form fertig gestellt worden wäre. Apitz wird wohl immer ein wenig dankbar gegenüber Schmidt gewesen sein, da er einen großen Anteil am Erfolgsroman hatte. Bereits 1958 war Apitz fest entschlossen, mit Schmidt schriftlich in Verbindung zu treten, um ihn eventuell zu einer Rückkehr in die DDR zu bewegen. Doch Apitz wurde gebeten, davon Abstand zu nehmen, da eine Rückkehr aus Sicht des MfS nicht zu erreichen sei. In diesem Fall gehorchte Apitz der Macht "seines" Staates. Das MfS fand heraus, dass Schmidt seinen Weggang bereits seit längerer Zeit vorbereitet hatte. Anders verhielt es sich im Fall Stefan Heym (1913-2001).
Indien-Reise mit Stefan Heym
Im Januar/Februar 1959 unternahm Bruno Apitz mit seinem Schriftstellerkollegen Stefan Heym, den er in dieser Zeit zum ersten Mal näher kennengelernt hatte, eine Indien-Reise, um an einem Internationalen Schriftstellertreffen teilzunehmen. Apitz besaß eine äußerst kritische Meinung gegenüber dem linken Intellektuellen Heym, welcher als heimgekehrter jüdischer Emigrant aus den Vereinigten Staaten erst seit 1952 in der DDR lebte. Im Juni 1959 fertigte Apitz einen vierseitigen Bericht für das MfS an, in welchem er Heym als arrogant und überheblich beurteilte. Apitz’ Meinung nach sei Heym "ein stark von sich eingenommener Mensch mit starken [sic!], ja, mit übersteigerten [sic!] Geltungsdrang." Er berichtet von einer "äußerst schwierigen" Zusammenarbeit, "da er [Stefan Heym] die Persönlichkeit des anderen nur widerwillig anerkennt." In den ersten Jahren war Heym durchaus bereit, die DDR mit seinen sozialistischen Romanen und Erzählungen zu unterstützen. Zu Schwierigkeiten kam es erst ab 1956, als das Ministerium für Kultur der DDR die Veröffentlichung seines Romans "Der Tag X" (späterer Titel: "Fünf Tage im Juni") über den Aufstand vom 17. Juni 1953 ablehnte.
"Literaturdiktatoren" am Werk
In einem 1964 veröffentlichten Brief an den Minister für Kultur der DDR, Hans Bentzien, stellte Apitz klar, dass "mehr noch als Begabung die ideologische Fundiertheit des Schriftstellers erforderlich ist [sic!]." Und Apitz weiter: "Wenn sich z.B. ein Schriftsteller einen so diffizilen Stoff, wie etwa die Geschehnisse um den 17. Juni 1953 zum Vorwurf nimmt, weil sie ihm höchst interessant und attraktiv erscheinen, ohne dafür die nötigen politischen und ideologischen Voraussetzungen mitzubringen, handelt er verantwortungslos." Es ist wohl anzunehmen, dass Apitz bei diesem Verweis auf Stefan Heym anspielt.
Während der Indien-Reise sprach der parteilose Heym von einer "Knebelung der Meinungsfreiheit" und sah in den Funktionären des Ministeriums für Kultur der DDR, welche seinen Roman kritisiert und abgelehnt haben, "Literaturdiktatoren". Sie wären aus Heyms Sicht nichts anderes als "arrogante Nichtskönner und Nichtswisser, die papageienhaft nachplappern, was ‚von oben’ gesagt und angeordnet wird, die von nichts etwas verstehen und in Fragen der Kunst kein eigenes Urteil besitzen." Zudem tat Heym gegenüber Apitz kund, dass er sein Buch auch Walter Ulbricht unterbreitet hätte, wobei Ulbricht nach Angaben Heyms geäußert haben soll: "Wissen Sie, es gibt zwei kluge Köpfe in der DDR, der eine heißt Ulbricht und der andere heißt Heym." Zwar würde Heym nach außen hin, auch gegenüber den indischen Intellektuellen, konsequent die Politik der DDR vertreten, indem er äußerte: "Jawohl, in der DDR gibt es für jeden Freiheit, nur nicht für Militaristen und Faschisten"; trotzdem oder gerade deswegen sah Apitz in ihm einen Mann mit zwei Gesichtern. Er schreibt in seinem Bericht von einer "doppelgesichtigen ideologischen Haltung Heyms" und deutete später an, dass Heym unter Umständen ebenfalls republikflüchtig werden könnte. Anders als Schmidt, betrachtete Heym die DDR allerdings bis zu ihrem Untergang als seine Heimat.
"Das 'Examen' einigermaßen bestanden"
Apitz hatte sogar den paranoiden Verdacht, dass Heym ihn selbst überwachte und prüfte. In einer unveröffentlichten Notiz schildert er, wie Heym ihm ein Treffen mit einem Literaturkritiker der "Times of India" organisiert habe - Heym sprach perfektes Englisch und dolmetschte Apitz -, von dem er über die Freiheit des Geistes und die Freiheit der Meinungsäußerung in der DDR ausgequetscht worden sei. Apitz vermutete, dass man ihn über Heym in dieser Unterhaltung "als ‚Parteimensch’ […] examinieren ließ." Er beendete seine Notiz mit der ironischen Bemerkung: "Ich glaube, das ‚Examen’ einigermaßen bestanden zu haben." Heym dagegen berichtete in seiner Autobiografie "Nachruf", dass Apitz mit der Situation völlig überfordert gewesen sei.
Apitz beendet Zusammenarbeit mit dem MfS auf eigenen Wunsch
Bereits im Oktober 1959, nach 27 Monaten, wurde die Verbindung mit der "DA Brendel" abgebrochen. Im Fall Apitz ist es vor allem notwendig, Dauer und Intensität seiner Mitarbeit genauer zu betrachten. Er war bereits in der Frühzeit der DDR, Ende der 1950er Jahre, mit dem MfS in Berührung gekommen und hatte seinen Kontakt auf persönlichen Wunsch hin nach relativ kurzer Zeit wieder beendet. Er sah sich nicht mehr in der Lage, seine Post ohne Verzögerung an das MfS weiterzuleiten, da er seit dem Erfolg von "Nackt unter Wölfen" ständig unterwegs war. Ursprünglich hatte Führungsoffizier "Wegner" vorgeschlagen, Apitz als GI (Geheimer Informator) - erst später war die Bezeichnung IM (Inoffizieller Mitarbeiter) üblich geworden - umzuregistrieren, damit er als prominente Person des öffentlichen Lebens, als sogenannter Tipper, Informationen an das MfS liefern könne. Doch der sonst so linientreue Apitz ließ sich nicht überzeugen. In diesem konkreten Fall verweigerte er sich wider Erwarten der Macht "seines" Staates, was die Vermutung nahe legt, dass er von der MfS-Tätigkeit als solcher nie völlig überzeugt war. Der "Abschlußvermerk" vom 31. Oktober 1959 stellte nüchtern fest:
"Die DA ‚Brendel’ wurde am 21.08.1957 vom unterzeichneten Mitarbeiter angeworben. Sie wurde nur kurze Zeit für den Postempfang eingesetzt. […] Die DA ‚Brendel’ ist der Autor des Buches ‚Nackt unter Wölfen’. Durch dieses Buch ist die DA in der DDR sowie auch in Westdeutschland und Westberlin sehr bekannt und populär geworden, so daß eine weitere Verwendung als DA nicht mehr möglich ist. Außerdem ist die DA sehr viel zu Buchlesungen und -Besprechungen im Gebiet der gesamten DDR unterwegs, sowie im Ausland. […] Eine andere Form der Zusammenarbeit wird von der DA abgelehnt, und sie brachte auch schon selbst gegenüber dem unterzeichneten Mitarbeiter zum Ausdruck, daß sie daran interessiert ist, die Verbindung mit dem MfS abzubrechen."
Die Akte der DA "Brendel" wurde daraufhin ins Archiv der Abteilung XII zur Ablage gebracht.
Apitz war kein klassischer Intellektueller oder Politiker, eher ein ganz einfacher, zurückhaltender und bescheidener Mensch, der nie die Möglichkeit hatte zu studieren. Von seinem Umfeld wird er als heiter, lebendig, spritzig, humorvoll, einfallsreich, aber auch als feinfühlig, einfühlsam, emotional, voller Menschenliebe und Herzensgüte, charakterisiert. Helmut Hauptmann etwa sah in Apitz einen Komödianten: "Naiv, weise, guten Durchschnitt des Volkes repräsentierend, seine Stimmung artikulierend, seine Interessen vertretend, spielend und kämpfend […]." In den Mitgliederversammlungen des Schriftstellerverbandes, vor allem aber in denen der Akademie der Künste saß Apitz stets in der letzten Reihe. Während er die Mitarbeit im Schriftstellerverband als halbwegs erträglich empfand, sah er bei der Akademie der Künste nicht, dass diese eine fruchtbare Arbeit leistete. Seine Ehefrau erinnerte sich, dass er sich bei beiden nur selten zu Wort meldete, obwohl er ein begeisternder und kämpferischer Redner war, denn mit keinen dieser Institutionen ist er so recht glücklich geworden. Zudem litt er seit seiner Jugend unter starken Minderwertigkeitskomplexen aufgrund seines Aussehens. Apitz war ein kleiner, zierlicher, hagerer Mensch. Selbst ausgedrückt hat er es mit den Worten: "Ich bin eine rachitische Ölsardine."
Es verwundert nicht, dass sich Apitz öffentlicher Kritik zur Literatur- und Kulturpolitik der DDR stets enthielt. Folgerichtig unterzeichnete er stets die Resolutionen und Ergebenheitsadressen des Schriftstellerverbandes, wenn es galt, die (kultur-)politischen Entwicklungen in der DDR zu verteidigen. So befürwortete er beispielsweise die öffentliche Abstrafung Heiner Müllers im Zusammenhang mit der Kritik an seinem Stück "Die Umsiedlerin" (1961). Ihm war klar: "Sobald irgendeine Persönlichkeit bei uns [in der DDR] ins Blickfeld der öffentlichen Kritik rückt, reklamieren die Meinungsbildner in der Bundesrepublik in ihrer zielgerichteten Propaganda diese für sich." So kritisierte er beispielsweise den Schriftsteller Stephan Hermlin während einer Kulturberatung, weil dieser nicht "begreift", dass es "nicht nur um seine Person geht, sondern auch dem Bestreben gilt, dem Einbruch fremder Ideologien zu wehren." Hintergrund war Hermlins Ablösung 1963 von der Funktion als Sekretär der Sektion Dichtung und Sprachpflege an der Deutschen Akademie der Künste, nachdem dieser für junge kritische Lyriker eingetreten war. In dieser Hinsicht ging Apitz keine Kompromisse ein. Gleichermaßen beschimpfte er den Liedermacher Wolf Biermann nach dessen Ausbürgerung aus der DDR im Jahr 1976. Apitz erklärte in einer Stellungnahme an den Schriftstellerverband: "Biermann ist für mich uninteressant. […] Einem notorischen Staatsfeind die Staatsbürgerschaft abzuerkennen ist Recht und Pflicht meines Staates." Vorausgegangen war eine veröffentlichte Protesterklärung gegen Biermanns Ausbürgerung, unter ihnen Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Sarah Kirsch, Christa Wolf, Stephan Hermlin, Stefan Heym und Heiner Müller. Die prominenten Unterzeichner der Erklärung bezeichnete Bruno Apitz als "naiv" und unterstellte ihnen ebenfalls eine "staatsfeindliche Haltung", indem sie "ihren Protest nicht - wie es sich für einen Bürger der DDR gehört - an die zuständigen Staatsorgane richten, sondern ihn an den Nachrichtendienst der BRD bewußt weiterschleußen [sic!]." Für Apitz hatte die Bundesrepublik nicht das Recht, die Fehler der DDR zu kritisieren, denn das könne seiner Meinung nach nur sie selber.
Dementsprechend begrüßte Apitz den Bau der Mauer im August 1961 unmissverständlich und kommentierte diesen im "Neuen Deutschland" und im Rundfunk der DDR mit dem Satz: "Nicht mehr nackt unter Wölfen." Im Mauerbau sah er den erforderlichen "antifaschistischen Schutzwall", um eine Annexion der DDR und damit den Dritten Weltkrieg zu verhindern. Die Anschuldigung, als Schriftsteller der DDR nicht öffentlich gegen den Mauerbau protestieren zu dürfen, wies er in einem offenen Antwortbrief an die westdeutschen Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass stark von sich: "Ihre Forderung an mich, meine Pflicht als Schriftsteller zu erfüllen, das ‚Unrecht’ des 13. August beim Namen zu nennen, erscheint mir zu fiktiv als daß ich es für notwendig halten müßte, auf sie einzugehen." Apitz entwickelte sich zum strikten Verfechter der deutsch-deutschen Teilung, indem er die Schüsse auf "Republikflüchtlinge" mit den Worten rechtfertigte: "Bei jedem Durchbruch an der Grenze der DDR muß mit einem Durchbruch mit Waffengewalt gerechnet werden. […] Entweder wir schützen unsere Grenze oder wir geben dem Gegner den Weg frei."
Gleichwohl äußerte Apitz im privaten Kreis seine Meinung gegenüber den Fehlern und Irrtümern des Sozialismus in der DDR freiwillig und offen, etwa gegen die stalinistischen Parteisäuberungen oder die starre, zentral gelenkte Parteibürokratie. Seine Ehefrau erinnerte sich, dass ihm die Zugehörigkeit zu "seiner" Partei stets etwas bedeutet hatte, sich aber ab den 1960er Jahren mit der Traurigkeit überschnitt, sich in ihr nicht mehr heimisch zu fühlen. Ein zunehmend gebrauchter Ausspruch von ihm war: "Die Partei ist nicht mehr meine Heimat." Apitz litt zusehends darunter, mit ansehen zu müssen, wie die Partei von Karrieristen benutzt wurde. Die SED der 1960er Jahre hatte seiner Ansicht nach mit der Kommunistischen Partei, in der er groß geworden war, nichts mehr gemein. Er hatte sie als einen Ort kennen gelernt, an dem Menschen mit tiefer innerer Überzeugung für den Kommunismus eintraten und in welchem er während seiner Zeit im KZ Solidarität und Mitmenschlichkeit erlebt hatte. Nach Auskunft seines Schriftstellerfreundes Wolfgang Held bezeichnete der "Herzensmensch" Apitz bornierte Partei- und Staatsfunktionäre gern als "Betonköpfe". Apitz war überzeugt: "Uns haben die Nazis nicht klein gekriegt, dann schaffen die das erst recht nicht." Diese Äußerung zielte jedoch nur auf Einzelpersonen ab, nicht auf den Sozialismus als Ganzes, denn diesen hielt er trotz aller Kritik für das bessere System. Apitz hatte das, was man früher Klassenbewusstsein nannte. Als staatlich anerkannter "Kämpfer gegen den Faschismus" sah er es als seine Verpflichtung an, sich für ein antifaschistisches und sozialistisches Deutschland zu engagieren und "seinen" Staat, die DDR, zu schützen und zu verteidigen. Apitz, der nie ein hoher Partei- oder Staatsfunktionär war, ist daher keinesfalls als Regimekritiker zu sehen, sondern als ein überzeugter und leidenschaftlicher Anhänger des real existierenden Sozialismus in der DDR, was letzten Endes auch seine ablehnende Haltung gegenüber den Aufständischen während der Ereignisse um den 17. Juni 1953 beweist. Heute müsste er sich auch den Vorwurf gefallenlassen, dass er sich von der SED allzu leicht für deren Propaganda hat instrumentalisieren lassen und dazu beitrug, die SED-Herrschaft zu legitimieren und zu stabilisieren, indem er im Geiste des Kalten Krieges einseitig den Antifaschismus als Rechfertigung der DDR im Bewusstsein der Bevölkerung verankerte ohne die autoritären Folgen des Regimes zu kritisieren.
Fazit
Aus heutiger Perspektive war Bruno Apitz ein Hardliner - und ein echter Idealist. Und damit selbst in der DDR etwas Exotisches. Was ihm sogar selbst in den 1960er Jahren deutlich bewusst wurde. Gleichwohl sagte sich Apitz, es sei besser, sich mit der Partei zu irren als außerhalb von ihr oder gegen sie recht zu haben. Und es war wohl dieser unerschütterliche Idealismus, der ihn auch für mehr als zwei Jahre zum Zuträger des MfS werden ließ. Aber nicht nur das. Mit Sicherheit bestanden auch personelle Verbindungen, die sich aber anhand der Akten kaum noch rekonstruieren lassen. So waren ein Teil seiner gut bekannten Buchenwalder Kameraden, wie beispielsweise Richard Großknopf, in den 1950er Jahren leitende und ranghohe Mitarbeiter beim MfS gewesen. Insgesamt verfasste Bruno Apitz für das MfS zwei Berichte - einen einseitigen über Schmidt und einen vierseitigen über Heym -, leitete einen Brief von Schmidt aus Bayreuth an das Ministerium weiter und traf sich einige Male mit dem Führungsoffizier "Wegner". In Apitz’ Berichten an das MfS wird vor allem deutlich, dass letztlich persönliche Sympathien den Ausschlag für die Tonlage in seinen Schilderungen gaben. Offenkundig schien Apitz’ und Schmidts gemeinsame Zusammenarbeit von gegenseitigem Respekt geprägt, was nicht bedeutet, dass er dessen Flucht aus der DDR guthieß. Hingegen wurde Heym, dessen Zusammenarbeit mit Apitz mehr von persönlichen Querelen überlagert war, in seinem Bericht herabgewürdigt. Sicher war Heym eitel, wie die meisten Schriftsteller. Wenn er Apitz gegenüber seine kritische Meinung über manche Borniertheiten in der DDR äußerte, gegenüber den indischen Gastgebern aber die sozialistische DDR verteidigte, so war er keinesfalls ein Mann mit zwei Gesichtern, ganz im Gegenteil. Am bedenklichsten ist die spätere Andeutung von Apitz, dass Heym eines Tages republikflüchtig werden könnte, was stark wie Denunziation erscheint. Genau wie das, was Apitz sonst noch über Heyms Persönlichkeit schreibt - in all dem kommt jene sektiererische Haltung gegenüber linken Intellektuellen zum Ausdruck, die jahrzehntelang in den kommunistischen Parteien stark verbreitet war. Mit Apitz und Heym trafen auf jener Reise nach Indien die Vertreter zweier Richtungen aufeinander, die zwar mit der Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung das gleiche Ziel hatten, sich aber in ihren angewandten Wegen und Mitteln extrem unterschieden.
Zitierweise: Lars Förster, Bruno Apitz und die Staatssicherheit. Ein Recherchebericht über die DA "Brendel", in: Deutschland Archiv Online, 16.10.2013, Link: http://www.bpb.de/170621
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Lars Förster
Lars Förster, geb. 1986, ist Historiker und studierte an der Technischen Universität Chemnitz Europäische Geschichte. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geschichte des Nationalsozialismus und der DDR sowie im Bereich der Gedenkstättenpädagogik und Geschichtsvermittlung. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit dem politischen Leben und Wirken des Schriftstellers Bruno Apitz.
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