Einführung
Der Hörfunk der DDR hatte neben den Zentral- auch Regionalprogramme, deren Überlieferung "stark lückenhaft" ist.
Programmkonzepte zur Ausprägung einer Bezirks- und DDR-Identität
Die 1960er Jahre waren in der DDR die Zeit der Neuerungen, auch im Hörfunk. Auf Basis der "Analyse von 20 [sic!] Bezirksprogrammen" legte die Intendanz von Radio DDR für diese staatstragende Aussagen fest: "Sie [die Bezirkssender, Anm. d. V.] haben große spezifische Möglichkeiten, ideenreich und lebendig über die DDR zu berichten und können viel tun, um das sozialistische Heimatgefühl zu wecken, das für das Staatsbewußtsein wichtig ist".
Regionale Sprachtraditionen: Sprache als Element zur Identifikation
Wer Typisches für einen Bezirk suchte, fand in der jeweiligen Sprache ein Merkmal, das gerade vom Funk herausgestellt werden konnte. Sendungen in niederdeutscher Sprache und diejenigen auf Sorbisch waren daher als Angebote für sprachliche Minderheiten ebenso wie als Beleg für lokales Brauchtum bei den Regionalsendern Cottbus, Rostock und Schwerin zu finden. Zu Beginn der 1960er Jahre hatte Cottbus einen wöchentlichen Programmanteil von 27,7 % in sorbischer Sprache. Am Wochenende wurde sogar ausschließlich sorbisches Programm übertragen. Schwerin übertrug in der Woche 10,8 % und Rostock 5,4 % niederdeutsches Programm.
Doch obwohl die internen Dokumente und die öffentlichen Äußerungen der Rundfunkverantwortlichen die Bedeutung der Sprachpflege bis in die 1980er Jahre ausweisen, nahm der Anteil dieser Sprachsendungen ab. Neben Cottbus, das täglich die "Sorbische Sendung" übertrug (10,1 % Sendezeit/Woche), hatte Rostock nur noch sonntags mit "Dit und dat up hoch un platt" eine Sendereihe im Programm (1,4 % Sendezeit/Woche).
Grenzsicherung: Wehrerziehung der Bevölkerung zur Abgrenzung durch den Funk
Da "im Einzugsbereich des Senders Weimar […] mehr als die Hälfte der Staatsgrenze West" lag, wurden "besondere wehrpolitische Aufgaben bei der Programmgestaltung" gesehen.
Während der sog. "Spielrunden" untersuchten gemischte Mannschaften, nicht zufällig bestehend aus "Grenztruppen und Grenzbevölkerung gemeinsam, die Traditionen des antiimperialistischen Kampfes […] in unseren Grenzorten und Grenzkreisen".
Einen weiteren internationalen Akzent setzten einige "Quartett"-Reihen dadurch, dass sie "die Einheiten, die Grenzbevölkerung und die Patenbetriebe in einer großen Solidaritätsaktion für das heldenhaft kämpfende vietnamesische Volk" gemeinsam Geld sammeln ließen. So sollte die Übereinstimmung der Ziele und Arbeit von Grenztruppen und Grenzbevölkerung auch im Rahmen der internationalen Solidarität für das sozialistische Lager abgebildet werden.
Daneben übertrug der Sender 14-tägig von den Grenztruppen gesprochene Soldatenkommentare, die "nach Problemvorgabe der politischen Verwaltung der Grenztruppen konzipiert, in Zusammenarbeit mit den Journalisten […] geschrieben und von Grenzsoldaten gesprochen" wurden. Diese befassten sich mit "dem Verhältnis Grenztruppen-Grenzbevölkerung oder Armee-Patenbetriebe, mit der Erhöhung der Gefechtsbereitschaft oder der Freund-Feind-Problematik".
Die "Quartett"-Reihen wirkten sich scheinbar selbst auf die Musikproduktion aus. So produzierte der Sender zusammen mit dem Nohra-Ensemble der in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte Musikaufnahmen, die anschließend übertragen wurden. Hinzu kamen spezielle Musiksendereihen wie "Die kleine Musikparade", um im Programm "progressive militärische Traditionen zu pflegen".
Zur Demonstration der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit wurden weitere Organisationen mit einbezogen. So "bewies" beispielsweise das "Quartett der Waffenbrüderschaft" den nach eigener Auffassung "gewachsenen Gemeinschaftssinn" der DDR-Gesellschaft, weil hier Beteiligte der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), der Deutsch Sowjetischen Freundschaft (DSF), der Freien Deutschen Jugend (FDJ), des Demokratischen Frauenbundes (DFD) und von Schulen und Betrieben teilnahmen. Durch die Einbeziehung der tschechoslowakischen Soldaten sollten darüber hinaus "die freundschaftlichen Bindungen zu den Bruderländern" aufgezeigt werden.
In sog. "Bällen der Besten" wurden "15 bis 20 der besten Grenzer" zusammen mit Patenbrigaden, Arbeiterveteranen, Reservisten als Saalpublikum eingeladen: "Von diesen Bällen aus vollzog sich die Rechenschaftslegung der Verbandskommandeure über Originalleitung. Aber auch bei entscheidenden Phasen von Spielrunden bewährte sich die Konferenzschaltung".
Die "Quartett"-Reihen sollten nachweisen, dass "der "zuverlässige Schutz der DDR […] ein wesentliches Element des […] Sozialismus" war. Daneben war zu zeigen, dass es ein Bündnis zwischen den Grenzsoldaten der NVA und der Bevölkerung gab. Dieses galt als "Triebkraft der sozialistischen Entwicklung", da es "die Übereinstimmung der Ziele des einzelnen mit denen der Gesellschaft" vorführte, nämlich "Ruhe und Ordnung für jeden Bürger sowie den Schutz des im sozialistischen Aufbau Geschaffenen". Um das Ansehen der Soldaten in der Bevölkerung zu verbessern, sollte "die hohe sozialistische Moral" der NVA durch "die Gegenüberstellung des moralischen Antlitzes unserer Soldaten als den Sachverwaltern des Interesses des Volkes und des genauen Bildes des Feindes, des Verfechters aggressiver imperialistischer Monopolinteressen" gezeigt werden. Schließlich sollte nachgewiesen werden, dass die NVA im Gedanken des sozialistischen Internationalismus "mit den Bruderländern fest verbündet" war.
Mit seinen "Quartett"-Reihen arbeitete das Radio analog zur Armee und Presse, denn über die "Quartett-Übungen" auf militärischer Ebene sagte das Neue Deutschland: "Quartett bewies die politisch-moralische und militärische Kraft unserer Armeen, die den Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung, der unlösbaren Verbindung von Volk und Armee […] entspringt".
Kommunalpolitik im Rundfunk: Systemerziehung und Einbindung ins System
Ab 1965 kam die Lokalpolitik ins regionale Rundfunkprogramm. Ihre erzieherische Bedeutung läge darin, dass sie "für jeden Bürger in seiner unmittelbaren Umgebung die Politik unseres Staates reflektiert und so ständig Einfluß auf die sozialistische Bewußseinsbildung" nehme.
"Das Forum der Volksvertreter", beim Sender Cottbus seit 1968/69 ausgestrahlt, bot den Abgeordneten die Möglichkeit, "Erfahrungen zu vermitteln und den Gedankenaustausch der Abgeordneten in aller Öffentlichkeit zu fördern". Das tat man z.B. mit Berichten von Sprechstunden der Abgeordneten in Arbeitskollektiven.
Daneben ließ der Rundfunk "in der Hörerpost zugehende Fragen […] von Abgeordneten beantworten".
Daneben wurde das "Staatsorgan Rundfunk" offenbar auch zur Disziplinierung eingesetzt. So wies der Hörfunk den Rat einer Gemeinde "auf seine Verantwortung für eine langfristige und sorgfältige Vorbereitung" seiner Aufgaben hin, weil dieser "den Volksvertretern umfangreiche Beschlußvorlagen […] [nur] 24 Stunden vor der Beratung und Beschlußfassung zukommen ließ." Ähnlich agierte der Hörfunk nach eigener Darstellung auch in den Betrieben, da in einer "Reihe von Werken die unmittelbar in der Produktion tätigen Abgeordneten nur geringe Aufmerksamkeit, geschweige denn Unterstützung durch die staatlichen Leiter" erfuhren. Schlimmer noch: In einigen Fällen wurden die Abgeordneten in den Betrieben angeblich "als 'unabkömmlich' [daran] gehindert […], an den […] Plenartagungen teilzunehmen". Solche Zustände wurden zur Sprache gebracht. Sie zeigten zwar die faktische Bedeutungslosigkeit von Abgeordneten in DDR-Parlamenten. Doch konnte durch solche Beiträge die Arbeitsfähigkeit des "Staatsorgans Rundfunk" im Sinne der sozialistischen Kommunalpolitik nach eigener Auffassung "bewiesen" werden.
Die direkteste Form, "sozialistische" Kommunalpolitik durch den Rundfunk zu befördern, war die persönliche Beteiligung der Mitarbeiter des "Staatsorgans Rundfunk" in den Kommunalparlamenten. So waren beispielsweise in Leipzig "Redakteure selbst Mitglied von ständigen Kommissionen der Volksvertretungen". Hier wurde die sozialistische Demokratie doppelt durch die Propagandisten des Systems getragen. Denn diese schrieben "nicht nur über die demokratische Praxis […], sie verantworten sie mit, entscheiden direkt mit und legen mit ihren Beiträgen im Grunde auch Rechenschaft über die eigene Arbeit ab."
Die Redaktionen sollten ganz allgemein die "Fragen und Erfahrungen der Hörer bei der Gestaltung des Sozialismus" erkennen und "mit allen journalistischen Genres […] diese Entwicklung der sozialistischen Demokratie […] unterstützen. Informationen, Diskussionsvorschläge zu Beratungen der Abgeordneten, [und] öffentliche Rechenschaftslegungen" galten dabei als diejenigen Gestaltungsmittel, "die sich in allen Regionalsendern bewährten".
Auslandskontakte. Sozialistischer Internationalismus als Identifikationselement
Bei seinen Auslandskontakten schenkte der Sender Weimar "den Partnerschaftsbeziehungen, die über 40 Städte und Gemeinden des Bezirks […] mit französischen Kommunen unterhalten, große Aufmerksamkeit".
Einschätzung der eigenen Arbeit
Zu Beginn der 1970er Jahre lagen für "die Vermittlung folgender Bewußtseinsinhalte" erprobte Konzepte und feste Pläne vor: "Entwicklung des DDR-Staatsbewußtseins, [...] Förderung der sozialistischen Denk- und Verhaltensweisen" sowie für die "Vertiefung der Kampf- und Lebensgemeinschaft mit der Sowjetunion".
Die Untersuchung des Angebots bei den Hörern
Ein zentrales Kriterium war und blieb die Information durch das Radio.
1974 wurde erstmals die Relevanz der für die Regionalprogramme als konstitutiv eingestuften Inhalte nachgewiesen. Die Hörer brachten das meiste Interesse für "Nachrichten und Serviceleistungen, Zeitansage, Wetterbericht, Hinweise zur gesunden Lebensweise [...], Tips für Haushalt und Familie, Berichte […] aus den Heimatbezirken sowie über Unfälle und Gefahrenstellen, Scherzhafte Plaudereien und […] lustige Begebenheiten aller Art" auf. Am wenigsten interessierten "Beat, Jazz, Musical, Chanson, Lieder der Singebewegung und die Genres der klassischen Musik". Auch die Frühgymnastik, die politischen Berichte aus Berlin sowie Berichte über Kunst, Kultur oder Landwirtschaft stießen auf wenig Interesse.
Erstmals erfolgte 1989 eine umfassende Untersuchung der Nutzungsgewohnheiten des regionalen Programmangebots.
Nachrichten und Informationssendungen fanden dann am meisten Interesse, wenn sie "auf den alltäglichen Handlungsraum […] Bezug" nahmen. Gewünscht wurde ein Lokalrundfunk, der auf "auf Alltagsnützlichkeit angelegt und vor allem breit gefächert" war.
Wie schon 1982 (14 %) wurden wochentags 16 % der Bevölkerung ab 15 Jahren erreicht. Damit gehörten die Regionalprogramme zu den Sendern mit den höchsten Hörerquoten. Umgekehrt waren für die die zentralen DDR-Programme seit der Mitte der 1970er Jahre Hörerverluste festzustellen.
Als Anregung wurde der Ausbau der Programme für jeden Bezirk gegeben. Gleichzeitig sollten die Programme auf noch kleinere Einheiten eingehen, beispielsweise durch "lokale Fenster".
Schlussbetrachtung
Die Regionalprogramme dienten dem Ziel, die Menschen auf ihre Bezirke und das sozialistische Leben vor Ort "zu orientieren" und von diesem ausgehend ein DDR-Staatsbewusstsein auszuprägen. Zentrale Elemente waren dabei die Abgrenzung vom Westen ebenso wie – auf andere Art – von den jeweils übrigen Bezirken sowie die Einbindung ins sozialistische Bezirkslebens der DDR und in den internationalen Kontext des Sozialismus. Bis in die 1970er Jahre waren die Konzepte für regionales Hörfunkprogramm etabliert. Gruß- und Wunschsendungen, Service, Wehrerziehung, Sprachpflege, kommunalpolitische Gesprächsrunden, regionaltypische Musik und Operativ-Aktionen galten als zentrale Elemente. Für das Hörfunkprogramm der DDR gängige Merkmale wie Massenveranstaltungen, sozialistischer Internationalismus und Gemeinschaftsaktionen finden sich damit auch in den Regionalprogrammen. In dieser Form arbeiteten die Programme nach Vorstellung der Verantwortlichen seit den 1970er Jahren wie geplant.
Die "Ferienwelle" des Senders Rostock, die "Messewelle" aus Leipzig und die "Sorbische Sendung" des Senders Cottbus waren in den Augen der Programmverantwortlichen die am besten gestalteten Regionalprogramme. Ob die Programme bei den Hörern ankamen, wurde erst spät untersucht. Ob die speziellen Konzepte zu einer Ausprägung des DDR-Staatsbewusstseins führten, wurde nie überprüft. War dies eine Frage, deren Antwort die SED in Hörerumfragen scheute? Allein in internen Dokumenten und den Diplomarbeiten "bewies" sich der Staatsrundfunk durch die Teilnahme von Menschen an Unterhaltungssendungen oder Massenveranstaltungen seine Wirksamkeit und seine angebliche Fähigkeit, die Menschen gemäß den Parteivorgaben zu erziehen. Immerhin erfuhr man durch die Hörerforschung, dass die lokale Information und die Serviceangebote den Hörerwünschen entsprachen. Doch konnte der Besuch einer geöffneten Gaststätte, oder ein Wochenendausflug zu einem beworbenen Ziel als Identifikation mit dem SED-Staat gewertet werden? Diese Interpretation nahm auch die Hörerforschung der DDR nicht vor. Folkloristische und heimatkundliche Beiträge, von der SED für die jeweilige Identitätsbildung für wichtig erachtet, fielen beim Publikum durch. Das galt auch für die entsprechende Musik. Programminhalte, die nicht interessierten, verblieben als Forderung der Partei in den Programmplänen und offiziellen Verlautbarungen. Die Widersprüche von Parteizielen und Hörerwünschen waren bekannt, sie wurden in den offiziellen Darstellungen jedoch der Parteilinie angeglichen. Inwieweit welche Programminhalte reduziert wurden, wäre en Detail zu überprüfen. Von den in den 1960er Jahren gesteckten Erziehungszielen wurde, wie die Programmanteile zeigen, nicht abgerückt.
Die Regionalsender hatten es jedoch geschafft, ein besonderes Profil innerhalb des DDR-Hörfunks herauszubilden und sich in Bezug auf die Hörerzahlen vom Abwärtstrend der überregionalen Programme abzukoppeln. Nicht umgesetzt wurde das ursprünglich formulierte Ziel, ein Programm für jeden Bezirk einzuführen.
Zitierweise: Christian Könne, Regionales Hörfunkprogramm der DDR: Erziehung zum DDR-Staatsbewusstsein, Identifikation durch Abgrenzung und Einbindung in: Deutschland Archiv Online, 13.09.2013, http://www.bpb.de/169085