Mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer erleben Mauern eine weltweite Renaissance, sagt der Fotograf Kai Wiedenhöfer. Er ist durch die Welt gereist und hat Grenzen fotografiert. Er war in Berlin, Belfast, den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, Bagdad, Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten, Nord- und Südkorea, USA und Mexiko und in Zypern. Zurzeit werden seine Fotos auf der Rückseite der Berliner East Side Gallery ausgestellt.
DA: Herr Wiedenhöfer, Sie haben Mauern und Grenzanlagen auf der ganzen Welt fotografiert. Woher kam Ihre Motivation dazu?
Kai Wiedenhöfer: Ich habe 1989 den Mauerfall in Berlin fotografiert. Es war für mich das wichtigste und positivste Ereignis meines Lebens. Damals dachten wir: Das war‘s jetzt mit Grenzen und Mauern, wir haben eine freie Welt. Doch mehr als 20 Jahre danach müssen wir feststellen, dass Mauern weltweit eine riesige Renaissance erlebt haben. Ein französischer Philosoph schätzt, dass seit 1989 etwa 18.000 Kilometer an befestigten Grenzen gebaut wurden.
DA: Warum werden Mauern gebaut?
Kai Wiedenhöfer: Es ist immer die einfachste Antwort auf ein Problem: Man baut eine Mauer, man grenzt sich ab. Es ist eine Bankrotterklärung, dass ein Konflikt nicht mehr anders gelöst werden kann. Diese sehr simplifizierte Herangehensweise löst ein Problem aber nicht.
DA: Wie reagieren die Menschen im Schatten der Mauern auf Ihr Vorhaben? Kommen Sie mit ihnen ins Gespräch?
Kai Wiedenhöfer: Eher selten. Meine Arbeit ist Landschaftsfotografie. Menschen sind in der Regel bestrebt, eine Grenze so schnell wie möglich zu überqueren. Wenn ich mit ihnen ins Gespräch komme und erzähle, dass ich in Berlin lebe, wird sehr häufig die Parallele zur Berliner Mauer gezogen - egal ob ich in Bagdad bin, oder in Belfast oder in Israel.
DA: Mauern werden häufig gebaut, um Konfliktparteien voneinander zu trennen – z.B. die Sunniten von den Schiiten in Bagdad oder die Katholiken von den Protestanten in Belfast. Lassen sich Konflikte durch die Separierung von Menschen eindämmen?
Kai Wiedenhöfer: Nein, lassen sie sich natürlich nicht. Im Gegenteil: Mauern verschärfen Konflikte. Durch den Bau einer Mauer entsteht ein verzerrtes Bild von der anderen Seite, das mit der Realität nichts zu tun hat. Man redet nicht mehr mit der anderen Seite und das macht eine Konfliktlösung auf Dauer schwieriger. Wo die Kommunikation total unterbrochen wird, ist eine Lösung unmöglich.
DA: Ein weiterer Grund für die Errichtung von Mauern ist die Abschottung gegenüber Einwanderern aus wirtschaftlich schwächeren Regionen – z.B. die Grenze zwischen den USA und Mexiko oder die hochgesicherten spanischen Exklaven Ceuta und Melilla an der nordafrikanischen Küste. Erfüllen diese Grenzanlagen ihren Zweck?
Kai Wiedenhöfer: An der amerikanisch-mexikanischen Grenze definitiv nicht. Die US-amerikanische Wirtschaft ist auf die Billigarbeiter aus Mexiko angewiesen. Dies ist ein generelles Problem der Globalisierung: Wir protegieren unseren Wirtschaftsraum und beuten andere Menschen aus. Kapital bewegt sich problemlos, in Sekundenschnelle, grenzenlos und erzielt riesige Gewinne, Menschen können das nicht.
DA: Zurzeit sind 36 Ihrer Fotos auf der Rückseite der Berliner East Side Gallery zu sehen. Warum war es Ihnen wichtig, hier auszustellen?
Kai Wiedenhöfer: Alle Mauern sind unendlich lang und hoch. Um diese Dimensionen in einer Ausstellung zu transportieren, bedarf es einer großen Fläche. Dafür eignet sich die Berliner Mauer mit ihrer Größe und Länge sehr gut. Dies wird unterstützt durch das Panoramaformat der Fotografien im Verhältnis 1:3. Durch die Aneinanderreihung der sieben Mauern bildet sich eine Art "World Wall" auf der Berliner Mauer, die ja der Inbegriff von Mauern überhaupt ist. So greifen Thema, Inhalt, Präsentation sowie die künstlerische Ausführung präzise ineinander.
Das Interview führte Hendrik Hoffmann