Auch mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall ist unklar, ob und vor allem wie das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in die Medienpolitik der DDR eingegriffen hat. Man weiß inzwischen, dass der DDR-Geheimdienst westliche Korrespondenten ausspionierte und auch versuchte, in den Redaktionen der BRD-Medienhäuser inoffizielle Mitarbeiter (IM) einzuschleusen.
Dass die Lenkung der DDR-Medien durch das MfS in der Wissenschaft bislang weitgehend ausgeklammert wurde,
Die vorliegende Untersuchung stützt sich neben der einschlägigen Literatur vor allem auf Archivquellen. Im ersten Schritt wurde ein Antrag auf Akteneinsicht bei der Stasiunterlagenbehörde BStU (Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes) zur DDR-Presse gestellt, der durch einen Ergänzungsauftrag zur Abteilung Agitation beziehungsweise zur Pressestelle des MfS ausgeweitet wurde. Der Archivdienst der BStU-Behörde konnte mehrere Bestände im Umfang von rund 650 Akten ermitteln. In einem zweiten Schritt wurden Archivalien aus der "Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" im Bundesarchiv in Berlin (SAPMO-BArch) ausgewertet, insbesondere Korrespondenzen, Beschlüsse, Konzeptionen, Geschäftsunterlagen und Sitzungsprotokolle, die Aufschluss über den Einfluss der Staatssicherheit auf die DDR-Presse gaben. Hierbei handelte es sich um rund 900 Akten, unter anderem aus den Beständen des Politbüros, des Sekretariats des Zentralkomitees (ZK) der SED, der ZK-Abteilung Agitation und der Agitationskommission.
Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Pressearbeit der Staatssicherheit in zwei Richtungen verlief: Das Ministerium war zum einen in die staatliche Öffentlichkeitsarbeit eingebunden, es "belieferte" die Medien mit Argumentationsmaterialien und koordinierte geplante Veröffentlichungen, die im engeren Sinn die Arbeit des Ministeriums betrafen. Hier unterschied sich das MfS kaum von den anderen DDR-Ministerien.
Abteilung Agitation und Bereich 6
In der Zentrale des MfS gab es eine eigens für die Pressearbeit eingesetzte Abteilung Agitation (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen ZK-Abteilung), die in der Zeit zwischen Juli 1954 und März 1955 geplant, und schließlich im Sommer desselben Jahres als eigenständige Abteilung im damaligen Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) eingerichtet wurde.
Durch seinen Befehl Nr. 6/85 löste der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, die Abteilung Agitation schließlich mit Wirkung zum 1. Mai 1985 auf und ließ sie fortan als "Bereich 6" der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Führung von Oberst Karl Fischer unterstellen.
Ratgeber und Vorzensor
Seit den frühesten 1960er Jahren unterhielt die Abteilung Agitation des MfS offizielle Verbindungen zu den Chefredaktionen und Verlagen in Berlin, unter anderem zum ND, zur Berliner Zeitung, BZ am Abend, Jungen Welt, Wochenpost, Freien Welt, Tribüne, zu den Leitungen der beiden Staatlichen Komitees für Rundfunk und Fernsehen und zur Nachrichtenagentur Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (ADN).
Häufig wandten sich die Redaktionen an das Ministerium, um sich den Segen für kritische Artikel mit direktem oder indirektem MfS-Bezug einzuholen. Im August 1966 plante die Neue Berliner Illustrierte (NBI) zum Beispiel einen Bericht über Sporttaucher der Gesellschaft für Sport und Technik, die drei Akten aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen in einem See entdeckt hatten. Die Abteilung Agitation des MfS sagte eine Entscheidung über eine Veröffentlichung allerdings erst zu, "wenn der Sachstand geklärt" sei.
Dass man bei der Staatssicherheit auch zielgruppenorientiert dachte, zeigt folgendes Beispiel: Im Januar 1970 rief Hermann Kalb, Chefredakteur der Neuen Zeit, in der MfS-Abteilung Agitation an und fragte nach einem Beitrag anlässlich des 20. Jahrestages des Ministeriums, weil "er niemand habe, der ihm einen solchen Artikel sachlich richtig machen würde". Daher würde er "es am liebsten sehen, wenn wir ihm einen solchen Artikel liefern würden", notierte Günter Halle - wobei "aber in jedem Fall bedacht werden" müsse, "daß er für die Leser einer immerhin christlich orientierten Parteizeitung geschrieben wird".
Auch in anderen Fällen funktionierte Halles Team als Ratgeber und Rückversicherung. Im Februar 1969 wusste die Berliner Zeitung beispielsweise nicht, wie sie auf Leserbriefe reagieren sollte, die mit der Übersiedlung eines westdeutschen Wissenschaftlers in die DDR zusammenhingen. Ein Leser des Blatts war der Ansicht, dass dieser aus "unlauteren Motiven" in die DDR übergetreten sei. Daraufhin gab die MfS-Abteilung Agitation die Anweisung aus, dass Anfragen aus der Bevölkerung zu diesem Thema nicht veröffentlicht werden durften. Die Mitarbeiter der Staatssicherheit formulierten sogar den Wortlaut, wie auf künftige Leserbriefe reagiert werden sollte.
Im Oktober 1967 installierte das MfS extra eine direkte Fernschreibverbindung zwischen der Nachrichtenagentur ADN und dem Sekretariat des Ministers, um das Ministerium "schneller über wichtige Ereignisse" zu informieren.
Inoffizielle Mitarbeiter in den Redaktionen
Dort, wo der Staatsicherheitsdienst tatsächlich konspirativ arbeitete, ging es weniger um Inhalte als vielmehr darum, den Medienbetrieb im Land ohne Störung am Laufen zu halten.
Schon vor dem Bau der Berliner Mauer arbeiteten Journalisten als inoffizielle Mitarbeiter für die Staatssicherheit. Während der Chefredakteur des Neuen Deutschland, Günter Schabowski (1978-1985), erst nachträglich erfahren haben will, wer in seiner Redaktion für das MfS spioniert hatte, lief das Rekrutierungsverfahren in den 1960er Jahren noch nicht gänzlich im Verborgenen ab.
Politisch-operative Absicherung der Redaktionen
Die Akten der Stasiunterlagenbehörde aus drei Jahrzehnten machen deutlich, dass sämtliche Informationen über das Berufs- und Privatleben von Journalisten gesammelt wurden: Hinweise auf Alkoholismus, Eheprobleme, Gehälter, Personalwechsel, Kontakte in den Westen und natürlich auch die politische Zuverlässigkeit der Kader. Die Informanten ermittelten, wer in den Redaktionen mit wem befreundet oder zerstritten war, sie berichteten über den Fleiß der einen und die Faulheit der anderen. Die Stasi erstellte Statistiken über die Zahl der Nichtwähler und der ehemaligen Grenzgänger, der Rückkehrer, Zugezogenen, Haftentlassenen und Wehrdienstverweigerer in den Verlagen, Redaktionen und Druckereien. Sie ermittelte, wer wann und wie oft wegen Familienangelegenheiten in den Westen gereist war und teilte Journalisten, Drucker und Setzer in die Kategorien "Erscheinungsformen der politisch-ideologischen Hetze und Propaganda" und "Vorstrafen" ein.
Zur Absicherung der Redaktions-, Verlags- und Druckereigebäude gehörte auch die Verfolgung von Drohanrufen, Bombendrohungen und sogenannten "Sabotageakten".
Überprüfung von Leserbriefen
Noch mehr Energie steckte der Geheimdienst in die Auswertung von Leserbriefen. Hans-Dieter Schütt, Chefredakteur der Jungen Welt (1984-1989), berichtet in seiner Autobiografie, dass ein MfS-Mitarbeiter in den 1980er Jahren regelmäßig bei ihm vorbeikam, um die Säcke mit der Leserpost abzuholen.
Bei der Fahndung kooperierten die Redaktionen in aller Regel eng mit der Staatssicherheit. Im April 1963 bat der Geheimdienst den Verlag der Berliner Zeitung darum, in den nächsten Ausgaben Beiträge über die Staatsgrenze Berlin mit Fotomaterial zu veröffentlichen: "Wir bitten Sie, wenn möglich, Teile der Staatsgrenze und Angehörige der bewaffneten Organe auf diesen Bildern zu zeigen. Über die Durchführung dieser Veröffentlichung bitten wir Sie, uns vorher zu informieren." Das MfS hoffte, auf diesem Weg einem "Hetzschriftenverbreiter" auf die Spur zu kommen, der solches Bildmaterial aus der Berliner Zeitung für seine Schreiben verwendete.
Verdächtige hand- und maschinengeschriebene Briefe speicherte das MfS in einer Schriftenvergleichsdatei ein, ganz gleich ob die Anschreiben anonymisiert waren oder einen Absender trugen.
Fazit
Das Ministerium für Staatssicherheit war Teil der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit in der DDR. Über die hauseigene Abteilung Agitation, ab 1985 über die Pressestelle, lenkte die Stasi die Berichterstattung in den Bereichen, für die das MfS im engeren oder weiteren Sinne zuständig war: vor allem auf militärischem und geheimdienstlichen Gebiet. In dieser Aufgabe unterschied sich die Stasi kaum von anderen Ministerien und staatlichen Stellen des Landes.
Die staatliche Öffentlichkeitsarbeit beinhaltete aber nicht nur die Versorgung der Presse mit Informationen. Häufig waren es die Redakteure selbst, die sich an das MfS wandten, wenn sie sich unsicher waren, wie ein Ereignis "richtig" gedeutet werden musste oder wie die offizielle Lesart lautete. In dieser Funktion kam das MfS zwar einer Art Vorzensor gleich; die Redakteure konnten sich durch die eingebaute Rückversicherungsschleife aber auch gegen potenzielle Rügen wappnen. Die Verantwortung wurde auf eine höhere Instanz "abgewälzt".
Unabhängig von der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit hatte der Geheimdienst aber noch eine weitere Aufgabe, in der er sich von anderen Ministerien unterschied: die operative Absicherung der Redaktionsstuben. Journalisten wurden gezielt observiert, zum Teil auch als inoffizielle Mitarbeiter geworben, um einen reibungslosen Ablauf in der Pressearbeit zu gewährleisten. Gesammelt wurde buchstäblich alles, was die Staatssicherheit in die Finger bekommen konnte: von privaten Informationen bis hin zu beruflichen Auseinandersetzungen oder Problemen in der Redaktion. Allerdings, und auch das zeigen die gesichteten Akten, nahm das MfS über seine inoffiziellen Mitarbeiter keinerlei Einfluss auf Zeitungsinhalte. Vielmehr dienten die IMs in den Redaktionen als Garanten des Systems - Störenfriede innerhalb und außerhalb der Redaktion, etwa Kontaktpersonen im Umfeld der Journalisten oder kritische Leserbriefschreiber, konnten mit ihrer Hilfe blockiert, identifiziert oder sogar ausgeschaltet werden.
Zitierweise: Anke Fiedler, DDR-Zeitungen und Staatssicherheit: Zwischen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und operativer Absicherung. In: Deutschland Archiv Online, 10.05.2013, Link: http://www.bpb.de/159750