Sammelrezension zu:
Alltag: DDR. Geschichten/Fotos/Objekte. Begleitbuch zur Ausstellung "Alltag: DDR" in Eisenhüttenstadt, Hg. Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, Berlin: Ch. Links 2012, 336 S., € 19,90, ISBN: 9783861536703.
Gerd Danigel: Schöner unsere Paläste! Berlin-Fotografien 1978–1998 (Bilder und Zeiten; 13), Leipzig: Lehmstedt 2011, 160 S., € 24,90, ISBN: 9783942473088.
Gerhard Weber: Im Land der Mulde. Fotografien 1968–2008 (Bilder und Zeiten; 7), Leipzig: Lehmstedt 2009, 184 S., € 18,–, ISBN: 9783937146744.
Alltag: DDR
In den zwei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung ist die Lebenswirklichkeit der DDR-Bürger erstaunlich schnell in eine museale Ferne entrückt. Abwicklung und Umstrukturierungen von Industrie, Wirtschaft und Verwaltung veränderten nach der friedlichen Revolution grundlegend die Lebensbedingungen und das Erscheinungsbild ostdeutscher Landschaften und Städte. Sobald es ihnen die Geldbeutel mit D-Mark erlaubten, ersetzten die Ostdeutschen Auto und Garderobe ebenso wie Hausrat durch Konsumprodukte, die ihnen der von Werbekampagnen angekurbelte Überflusskapitalismus anpries. Diese Umwälzung der ostdeutschen Lebenswelt ließ riesige Sperrmüllhalden anwachsen, mit deren Entsorgung auch die Konturen des von der SED etablierten sozialistischen Gesellschaftsmodells verblassten. In der Bevölkerungsstruktur der östlichen Bundesländer ist inzwischen zur Generation derer, die den DDR-Alltag noch miterlebt haben, eine Generation der Jüngeren hinzugetreten, die selbst keine konkreten Erinnerungen an die DDR-Geschichte mehr besitzt. Bürger aus der alten Bundesrepublik, die vor 1989 die DDR besuchten, konnten kaum ein detailliertes Bild vom normalen "Alltag DDR" gewinnen. Registriert und überwacht war ihr Bewegungsradius auf die private Sphäre von Freundeskreis und Familie eingeschränkt. Betriebe, Behördengebäude und Hochschulen durften nicht betreten werden, sodass man die Sozialkontrolle des Einzelnen am Arbeitsplatz praktisch nicht beobachten konnte. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass im "Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR" von Eisenhüttenstadt seit Februar 2012 eine Dauerausstellung eingerichtet worden ist, die – ausgehend von den materiellen Hinterlassenschaften – den "Alltag DDR" rekonstruiert und dabei das private Gedächtnis ehemaliger DDR-Bürger mit der politischen Geschichte in Beziehung setzt.
Das Projekt des Eisenhüttenstädter Museums entstand 1993 als Reaktion auf das massenhafte Wegwerfen von Gebrauchsgegenständen aus dem DDR-Alltag. Unter der Leitung von Andreas Ludwig sammelte, dokumentierte und kommentierte das Haus im Lauf der Jahre mehr als 150.000 Objekte. Zu ihrer neuen Dauerausstellung haben die Kuratoren des Dokumentationszentrums nun auch ein Begleitbuch herausgebracht, dessen Lektüre – unabhängig von einem Besuch der Museumsschau – empfehlenswert ist. Gelingt es den Autoren doch, anhand ausgesuchter Objekte aus dem Museumsfundus und signifikanter Erlebnisberichte die alltäglichen Lebenserfahrungen in einer normierten Gesellschaft so auszuleuchten, dass sich auch für jenen Rezipienten ein sinnliches Bild ausformt, der den DDR-Alltag nicht selbst erlebt hat.
Unter den Themenstellungen "Macht", "Grenzen und Heimat", "Bildung", "Kommunikation", "Familie", "Arbeit", "Konsum", "Lebensweise", "Milieus" folgt das Begleitbuch den Objektgeschichten und den Erzählspuren, die den Fundstücken von ihren ehemaligen Besitzern beigegeben worden sind, während die Kommentare der Autoren die "Schnitt- und Reibungsflächen zwischen individuellen Interessen und staatlichem Handeln" (33) beschreiben und die Alltagsgeschichte der Bürger mit der Herrschaftsgeschichte des Systems wie auch mit den Einflüssen aus westlichen Werbebotschaften vernetzen. An den Produktionsrelikten aus der DDR wird ablesbar, dass mit der deutschen Teilung nicht nur zwei konträre politische Systeme, sondern auch zwei grundverschiedene Konsumwelten entstanden waren. Die schwarze Lederhose, die sich ein Punk für den Preis von zwei Monatslöhnen aus sieben Schaffellen von Hand anfertigen ließ, die selbstgebastelte Antenne für den Empfang des Westfernsehens oder die Papierrolle an der Wohnungstür als Kommunikationsersatz für ein privates Telefon, das für die meisten ein nie erfüllter Wunsch blieb, zeugen von dem findigen Pragmatismus, mit dem viele DDR-Bürger auf Konsummängel und Indoktrination reagierten. Individualgeschichten, die den Fundstücken und Fotodokumenten aus dem Arbeits-, Konsum- und Freizeitalltag anhaften und mit ihrer historischen Patina heute zuweilen skurril anmuten, dokumentieren die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der sozialistischen Planwirtschaft.
Kontrolle und gelenkte Meinungsbildung bestimmten den Alltag von Kinderhort und Schule über Ausbildung, Wehrdienst und Studium bis hin zum Arbeitsplatz und zur Wohnung. Dieses "durchherrschte" System spiegelt sich in Waffennachbildungen für Unterricht und Spiel, im Pionierhalstuch und in den Schulbüchern, in den Brigade-Auszeichnungen und betrieblichen Planerfüllungstafeln, die sich im Exponatenbestand des Dokumentationszentrums erhalten haben. Bei manchen Objekten dieser Art will man heute kaum mehr glauben, dass es sie gegeben hat.
Eine mit der Welle von Ostalgie verbundene Aufwertung des DDR-Alltags überlagert heute zuweilen in der Rückschau auf frühere Arbeitsplatzsicherheit und Lohngleichheit die nüchterne Wahrnehmung der äußerst eng gezogenen Grenzen, innerhalb derer die SED-Diktatur individuellen Eigensinn tolerierte. Mit der Mauer zwang der Staat seinen Bürgern einen mörderischen "Abgrenzungswahn" auf, ohne damit jedoch die Omnipräsenz des "Anderen" aus dem Westen verdrängen zu können, die bei der Bevölkerung die "Kehrseite der Abgrenzung" markierte (24).
Die seit 1980 von Jugendlichen gesammelten und von den DDR-Staatsorganen verbotenen Aufnäher und Lesezeichen mit dem Aufdruck "Schwerter zu Pflugscharen" sind Anlass für die Buchautoren, die Aktivitäten der evangelischen Kirche in Ostdeutschland zur übergreifenden Friedensbewegung ins Gedächtnis zu rufen. Ende der 1970er-Jahre wuchs in der Bundesrepublik und in der DDR gleichermaßen die Angst der Bevölkerung vor der Stationierung von amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden. Die Vorbereitungen für eine deutschlandweite Friedensaktion zum Buß- und Bettag 1980 wurden in der DDR mit einem Emblem publik gemacht, das als Vorlage die Skulptur just eines sowjetischen Bildhauers (Jewgeni Wutschetitsch) mit dem Titel "Schwerter zu Pflugscharen" nutzte, das vor dem UN-Gebäude in New York aufgestellt ist. Der Erfolg, den dieses Emblem unter der Jugend der DDR und darüber hinaus auch international verzeichnen konnte, war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass jeder Absolvent der Jugendweihe ab 1974 ein Buchgeschenk vom Staat erhielt, in dem die Skulptur abgebildet war. Die Vermittlung solcher Kontexte ist heute geradezu notwendig, um die Konflikte zwischen dem Staat und seinen Bürgern noch angemessen verstehen zu können.
Das Einleitungskapitel von "Alltag: DDR" führt den Leser hinein in die Gründungsgeschichte von Eisenhüttenstadt, das in seinen Aufbaujahren ab 1953 bis 1961 Stalinstadt hieß und noch heute das sozialistische Modell einer völlig neu geplanten Industriestadt auf der grünen Wiese sozusagen museal verkörpert. Nach sowjetrussischem Vorbild als Verbindung eines schwerindustriellen Standorts mit einer Wohnstadt für die Stahlarbeiter geplant, war der in mehreren Schritten sich vollziehende Aufbau dieses Projekts Schwerpunkt im 1. Fünfjahrplan der DDR-Volkswirtschaft. Die Funktionszusammenhänge einer modernen, sozialistisch konzipierten Industriestadt sollten im Stadtbild sichtbar werden. So markierte in Eisenhüttenstadt nicht mehr ein Marktplatz mit Kirche wie in den historisch gewachsenen Ortschaften des brandenburgischen Umlandes den urbanen Mittelpunkt. Diese Funktion übernahmen stattdessen eine die Werkanlagen und Wohnstätten miteinander verbindende Magistrale sowie ein Kulturhaus für öffentliche Veranstaltungen. Während der Abdruck von Planskizzen dieses Konzept des Architekten Kurt W. Leucht im Buch vermittelt, schält sich aus den Objektgeschichten und Erlebnisberichten der ersten Stadtbewohner, die fast alle im Stahlkombinat beschäftigt waren, ein typisches Milieu heraus, das sich schon in den Provisorien der frühen Bauphase trotz aller Einschränkungen mit den programmatischen Zukunftserwartungen des Staates identifizierte. Die nach und nach fertig gestellten Wohnblocks avancierten in Kombination mit gut ausgestatteten infrastrukturellen Versorgungseinrichtungen zu einer Art Experimentierfeld für die von der Partei erwünschte "sozialistische Lebensweise", in der sich eine Kongruenz zwischen individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Normen abzeichnen sollte.
Dass die ganz normale DDR-Alltäglichkeit in den vernachlässigten Altbaugebieten der Städte und in den abgelegenen Dörfern von diesem Leitbild jedoch erheblich abwich, lässt sich an den unterschiedlichen Fotoserien und Bildquellen ablesen, die in den Sammlungsbestand des Eisenhüttenstädter Dokumentationszentrums eingegangen sind. Bestellte Pressefotos, in denen sich die ideologischen Vorgaben der Auftraggeber niederschlugen, stehen neben Dokumentarfotografien, die mit ihrem realistischen Blick auf die harten Lebensbedingungen nicht für die Veröffentlichung gedacht waren. Bestände aus dem Nachlass der Staatssicherheit vergegenwärtigen noch einmal das erschreckende Ausmaß systematischer Überwachung, während Hobbyschnappschüsse aus Familienalben die individuellen Rückzugsterritorien des Privaten abstecken. Aus der Vielschichtigkeit dieser Zeitzeugnisse formiert sich mosaikartig ein Gedächtnisarchiv, aus dem sich ein differenziertes Bild über die Einstellung der Menschen zu den Verhaltensnormen und damit über "das zunehmend bemerkbare Auseinanderdriften von gesellschaftlicher Realität und parteilicher Ideologie" herausfiltern lässt (173).
Dass in wachsendem Maße seit den 1980er-Jahren subkulturelle, künstlerische und jugendliche Milieus in Erscheinung traten, und wie sie ihre Spielräume außerhalb des Normierungsdrucks erobern konnten, wird aus dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Dokumente nachvollziehbar. Es ist verdienstvoll, dass man in der Sammlung unter den künstlerisch avancierten Fotografen neben den bekannten Größen der journalistischen und Autorenfotografie wie Sibylle Bergemann, Helga Paris, Evelyn Richter oder Christian Borchert auch den der Oppositionellenszene zugehörigen Harald Hauswald und den bislang wenig beachteten Autodidakten Gerd Danigel findet. Beide sind, weil sie ein ungeschminktes Bild von der ostdeutschen Wirklichkeit vermitteln, gemessen am offiziell eingeforderten Fotografen-Berufsbild Außenseiter. Während Hauswalds Fotoserien die Einsamkeit, Resignation und Verlorenheit des Individuums im grauen DDR-Alltag einfangen, entdecken Danigels Aufnahmen hinter der Tristesse zerbröselnder Altbauten die poetischen Momente intensiven Lebens.
Schöner unsere Paläste!
Gerd Danigel, Schöner unsere Paläste! (© Lehmstedt)
Gerd Danigel, Schöner unsere Paläste! (© Lehmstedt)
Als Fotograf war Gerd Danigel Nebeneinsteiger, der weder für die Presse noch für einen Verlag arbeitete. Sein erlernter Beruf als Gasmonteur, der die maroden Berliner Gasleitungen auf Lecks überprüfte, hatte ihn zum Flaneur gemacht. Mit der Kamera beobachtete er die skurrile Alltagswelt auf den Ost-Berliner Straßen im Prenzlauer Berg und wagte sich in zunehmendem Maße an die Menschen heran.
Ein erster, von Matthias Bertram 2011 edierter Bildband zu Danigels "Berlin-Fotografien" der Jahre 1978–1998 trägt den Titel "Schöner unsere Paläste!". Der Fotograf fand die trotzige Parole aufgemalt auf den Putzresten einer ruinösen Hauswand. Mit ihr fordert er den Betrachter seiner Fotografien auf, hinter den melancholischen Szenarien die exotischen Oasen individuellen Eigensinns zu sehen. Das sind die in sich ruhenden Alten, die sorglos spielenden Kinder, die jungen Familien, die Halbstarken und Liebespaare, die in den von Unkraut überwucherten Altbaunischen ihre bescheidenen Freiräume gefunden haben.
Obwohl Danigel von 1985 bis 1990 eine Festanstellung als Fotograf am Institut für Kulturbauten mit der Aufgabe erhielt, die Rekonstruktion von historischen Bauten wie der Semperoper und die Planung von Neuanlagen fotografisch zu begleiten, konnte er mit seiner eigenen Bildkonzeption nie auf offizielle Aufträge zählen, die seinen Interessen entsprochen hätten. Da er weder zur Gruppe der namhaften Pressejournalisten noch zu jenen Hochschulabsolventen gehörte, die seit den 1980er-Jahren eine Autorenfotografie mit dem Anspruch künstlerischer Unabhängigkeit betreiben durften, blieb er auch nach 1989 weitgehend unbekannt, zumal ihm mit dem Wegbrechen der Ost-Berliner Kieznischen sein Thema abhanden kam. Kurz bevor 1990 das Institut für Kulturbauten geschlossen wurde, hatte man ihn aufgefordert, sein gesamtes Negativmaterial aus fünf Jahren Arbeit in einem Müllcontainer zu entsorgen. Doch Danigel lagerte die Negative bei sich zu Hause ein. Mit dem Rekonstruktionsprozess des DDR-Alltags ist man wieder auf Danigels Archiv und die präzise Realitätsabbildung seiner "Berlin-Fotografien" aufmerksam geworden.
Im Land der Mulde
Gerhard Weber, Im Land der Mulde (© Lehmstedt)
Gerhard Weber, Im Land der Mulde (© Lehmstedt)
Als Bildchronik zum DDR-Alltag lassen sich auch die Aufnahmen von Gerhard Weber lesen, der nach einem Fernstudium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig von 1970 bis 1986 den Beruf des Bildreporters bei der "Leipziger Volkszeitung" ausübte und anschließend als Freiberufler tätig war. Die ihm von der Zeitung abgeforderten Bilder waren immer ideologischen Vorgaben unterworfen. In allen Situationen mussten die "führende Rolle der Partei" und die "Idee des sozialistischen Menschen" im Vordergrund stehen. Hatte Weber die bestellten Bilder für die Zeitung "im Kasten", startete er jedoch einen zweiten Arbeitsvorgang, in dem er jede propagandistische Inszenierung unterließ und solche Motive ablichtete, die einen authentischen Einblick in die Lebensbedingungen der Menschen gewährten.
2009 erschien eine Auswahl dieser Aufnahmen in der von Matthias Bertram herausgegebenen Buchedition zur künstlerischen Fotografie "Bilder und Zeiten", in der auch das Danigel-Album publiziert wurde, unter dem Titel "Im Land der Mulde". Der Stellenwert dieses Bildbandes als historische Dokumentation resultiert aus der Fokussierung auf das ländliche und kleinstädtische Leben im sächsischen Muldetalkreis, das Weber vier Jahrzehnte lang mit der Kamera begleitete. Er beobachtete die Arbeiter und Handwerker in den Fabriken und Werkstätten, besuchte sie in ihren karg ausgestatteten Wohnungen, dokumentierte ihren beschwerlichen Alltag, aber auch ihre liebevoll inszenierten Feste. Webers besonderes Interesse richtete sich auf die Arbeitssituation der Frauen in den unterschiedlichen Berufszweigen.
Seine Bilder vermitteln ein hohes Maß an sozialem Zusammenhalt unter den weiblichen Arbeitskräften, zeigen zugleich aber auch mit ungeschminkter Drastik die körperlichen Anstrengungen, denen vor allem die LPG-Frauen in den 1970er und 1980er-Jahren durch die harte Feld- und Stallarbeit ohne modernen Maschineneinsatz und durch die zusätzlichen häuslichen Aufgaben in einer noch traditionell patriarchalisch ausgerichteten Familienordnung ausgesetzt waren.
Zwei Jahre lang konzentrierte Weber seine dokumentarische Tätigkeit auf das unscheinbare Straßendörfchen Erlln an der Freiburger Mulde, nachdem ihm aufgefallen war, dass er in seiner gesamten Reporterzeit für die "Leipziger Volkszeitung" kein einziges Auftragsbild von dieser abgelegenen Ortschaft ohne jede Sehenswürdigkeit abzuliefern hatte. Doch in der Annäherung an das dörfliche Leben stieß der Fotograf auf erstaunliche Alltagssituationen, in denen sich das Pittoreske mit dem menschlich Rührenden paarte. Durch solche Erfahrungen intensivierte sich Webers Wunsch nach freiberuflicher Tätigkeit und einer Mitgliedschaft im Künstlerverband, der im Unterschied zum streng reglementierten Journalistenverband relativ große Freiräume erlaubte. Doch der Künstlerverband verweigerte dem Erlln-Projekt die künstlerische Anerkennung mit dem Argument, die Fotografien seien zu journalistisch. Erst mit einer Porträtserie von Colditzer Familien, die Weber in ihren persönlichen Lebensbereichen ablichtete, erlangte er schließlich die Aufnahme in den Verband Bildender Künstler der DDR und damit auch die Legitimation zur freiberuflichen Arbeit.
Nach 1989/90 richtete sich das Augenmerk der Kunstkritik zur Fotografie aus der DDR auf eine angemessene Würdigung der ostdeutschen Autorenfotografie, Presseaufnahmen wurden dagegen als ideologisch gesteuert abqualifiziert. Dass sich jedoch so mancher Pressefotograf den Zwängen seiner Auftraggeber entzogen und in der Arbeit für das private Archiv seine eigenen freien Gestaltungsräume geschaffen hatte, macht das Beispiel von Gerhard Weber augenfällig. Man kann sich daher nur wünschen, dass die Kuratoren des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR bei ihren Rekonstruktionsbemühungen um den Alltag DDR noch viele authentische Dokumentarfotos aus den vergessenen Schatullen der ehemaligen Pressefotografen herausfiltern werden. Sie sind vor allem für die beiden ersten Dekaden des DDR-Regimes, als sich die Autorenfotografie erst zu entwickeln begann, wesentliche Quellen, um aus den im Kameraauge eingefrorenen Momenten das spezifische soziale Klima der Zeit und die Mentalitäten der Bürger ablesen zu können.