Nachdem der Deutsche Bundestag bereits November 2007 beschlossen hatte, in der Mitte Berlins ein "Denkmal der Freiheit und Einheit Deutschlands, das zugleich die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte in Erinnerung ruft und würdigt", zu errichten
Im Mai 2011 sprach sich die die Leipziger Ratsversammlung für den Wilhelm-Leuschner-Platz als Standort für das geplante Denkmal aus. Das Stadtparlament einigte sich, einen internationalen künstlerischen Wettbewerb auszuschreiben sowie den Siegerentwurf im ersten Quartal 2012 öffentlich vorzustellen und öffentlich zu diskutieren, um ein abschließendes Votum der Ratsversammlung zu ermöglichen. Als Einweihungstermin wurde der 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution am 9. Oktober 2014 vorgeschlagen.
Die Verantwortlichen der Stadt Leipzig halten ein Freiheits- und Einheitsdenkmal für notwendig: "Über 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution ist bereits eine ganze Generation herangewachsen, die die Ereignisse des Herbstes 1989 nicht selbst erlebt haben. Die Geschichte der Friedlichen Revolution wird heute zwischen den Generationen vor allem mündlich überliefert und weitergetragen. Dieser "Faden der Erinnerung" ist dünn und reißt erfahrungsgemäß spätestens nach drei Generationen, wenn es keine weiteren Fixpunkte, wie z.B. Erinnerungsorte und Rituale gibt. Ein Ziel des Denkmals in Leipzig ist es deshalb, die Erfahrungen der Friedlichen Revolution von der Vergangenheit in das Heute und in die Zukunft zu tragen und damit den Übergang vom 'kommunikativen' in das 'kollektive' Gedächtnis zu ermöglichen."
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig, 2. Preis: Eine Stiftung für die Zukunft. Entwurf von realities:united, Studio for Art and Architecture, Jan Edler und Tim Edler; Schlaich Bergermann und Partner Beratende Ingenieure; Prozessagenten Susanne Jaschko; Belgrad Creative, Leonard Streich, alle Berlin (© Stadt Leipzig)
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig, 2. Preis: Eine Stiftung für die Zukunft. Entwurf von realities:united, Studio for Art and Architecture, Jan Edler und Tim Edler; Schlaich Bergermann und Partner Beratende Ingenieure; Prozessagenten Susanne Jaschko; Belgrad Creative, Leonard Streich, alle Berlin (© Stadt Leipzig)
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig, 3. Preis: Herbstgarten – Erinnern als Ernte für die Zukunft. Entwurf von Anna Dilengite, Tina Bara, Alba d'Urbano, Leipzig (© Stadt Leipzig)
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig, 3. Preis: Herbstgarten – Erinnern als Ernte für die Zukunft. Entwurf von Anna Dilengite, Tina Bara, Alba d'Urbano, Leipzig (© Stadt Leipzig)
Logo des Denkmaldialogs der Stadt Leipzig (© Stadt Leipzig)
Logo des Denkmaldialogs der Stadt Leipzig (© Stadt Leipzig)
Die Jury des Wettbewerbs hatte 39 Arbeiten zu bewerten und votierte Anfang Juli 2012 für den gemeinsamen Entwurf "Siebzigtausend" von M+M Marc Weis und Martin de Mattia (München), Annabau Architektur und Landschaft, Sofia Petersson und Moritz Schloten (Berlin). In Leipzig setzte nach der Entscheidung eine heftige Diskussion ein, in der sich Bürger und Politiker zu Wort meldeten und immer noch melden. Die – zum Teil heftige – Debatte, die oftmals von den Boulevardmedien befeuert wird, soll hier weder dokumentiert noch kommentiert werden. Ihre Extreme bewegen sich zwischen Standpunkten, wie den beiden folgenden, die im Externer Link: Internetforum der Stadt Leipzig "Dialog zum Denkmal" zu lesen sind:
Die Diskussion um das Leipziger Denkmal ist zudem Gegenstand einer parteipolitischen Auseinandersetzung geworden, wie sie zwar häufig Diskussionen über Kunstwerke im öffentlichen Raum begleiten, die hier aber den Umgang mit einem – zweifellos herausgehobenen – Ereignis der jüngsten Zeitgeschichte berührt, das über den lokalen Rahmen hinaus Wirkung entfaltete. Dadurch weist der Streit um das Leipziger Freiheits- und Denkmal über lokale Befindlichkeiten hinaus, er berührt grundsätzliche Fragen des Umgangs mit der jüngeren deutschen Vergangenheit, der politischen und der Erinnerungskultur wie auch der Geschichtspolitik.
Auf diese Fragen wird auch im folgenden Interview eingegangen, in dem die Künstler Martin de Mattia und Marc Weis über ihren Zugang zu einem derart bedeutungsvollen Projekt berichten. Das Gespräch, bei dem De Mattia und Weis ihr Kürzel als Synonym für ihre künstlerische Zusammenarbeit verstehen, fand am 27. September 2012 in München statt.
"Es geht um Impulse für die Gesellschaft"
Deutschland Archiv: Seit wann arbeiten Sie zusammen?
M+M: Bereits in den 90er-Jahren, kurz nach Ende des Studiums, begannen wir gemeinsam künstlerisch zu arbeiten. Das Projekt in Leipzig, dies sei gleich am Beginn des Gesprächs gesagt, haben wir gemeinsam mit dem Architekturbüro ANNABAU aus Berlin entwickelt.
Wie ist Ihr Bezug zur DDR-Geschichte und zu den Ereignissen der Friedlichen Revolution?
Marc Weis: Ich bin in Westdeutschland groß geworden. Meine Mutter ist jedoch in Leipzig geboren. Sie hat den 17. Juni 1953 miterlebt und ist Mitte der 50er aus der DDR geflohen. So wurde die Familie getrennt. Das hat mich natürlich beschäftigt.
Martin De Mattia: Mein Interesse war eigentlich weniger historischer Natur, eher politisch. Zum Osten habe ich keinen familiären Bezug – mein Vater ist Italiener. Aber ich habe die Entwicklungen im geteilten Deutschland verfolgt und sehr genau beobachtet, was in der DDR während der "Wende" passierte.
Welche konkreten Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
De Mattia: Ich erinnere mich an die Montagsdemonstrationen und an das Anschwellen der Menschenmassen. Ich sah aber auch die Gefahr für die Menschen bei diesen Demos immer mitschwingen. Das hat mich emotional berührt. Dann erinnere ich mich an das Durcheinander in der DDR. Sehr schnell bekam ich das Gefühl, dass es sich um historische Ereignisse von enormer Tragweite handelte. Es war faszinierend, diese Umbrüche zu beobachten und dann auch Teil der Entwicklungen zu werden.
Ganz konkret habe ich zum Beispiel [Bundesaußenminister Hans-Dietrich] Genscher auf dem Balkon der Botschaft [der Bundesrepublik in Prag, in die im Spätsommer 1989 Hunderte DDR-Bürger geflohen waren] in Erinnerung oder die vielen Menschen mit ihren Trabis, die später über die geöffnete Grenze fuhren. Diese Bilder, die jeder kennt, haben sich auch mir ins Gedächtnis gebrannt.
Weis: Die Entwicklungen am Ende der 1980er-Jahre waren schon enorm. Bei einem Besuch in Russland konnte ich spüren, dass der Osten vor einem großen Umbruch stand. Ich war deshalb nicht wirklich überrascht, dass in der DDR die Menschen auf die Straße gingen. Aber denken wir auch an die Ereignisse in China oder in anderen Ländern des Ostens, die nicht friedlich verliefen.
Ein ganz persönlicher Augenblick war für mich sehr prägend: Als die deutsch-deutsche Grenze geöffnet wurde, rief ich sofort meine Mutter an. Sie weinte vor Glück. In diesem Augenblick entlud sich die Spannung, die sich über Jahre unterschwellig angestaut hatte. Das war ein sehr intensiver Moment.
Welchen Grund hatten Sie für die Teilnahme am Leipziger Wettbewerb?
M+M: Die Verarbeitung gewisser persönlicher Bezüge und Emotionen ist natürlich nicht die Zielsetzung für die Teilnahme an einem solchen Wettbewerb. Von zentralem Interesse war für uns und ANNABAU das Thema der Freiheit, ausgehend von der friedlichen Revolution 1989.
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Ansicht des Siegerentwurfs nach Südosten (© M+M, München/ANNABAU, Berlin)
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Ansicht des Siegerentwurfs nach Südosten (© M+M, München/ANNABAU, Berlin)
Darüber hinaus ist die Freiheit ein grundsätzliches Thema. Menschen verschiedener Generationen werden es immer wieder neu aufwerfen und interpretieren, je nachdem, welchen Zwängen, Einschränkungen oder Konventionen sie unterworfen sind. In Westdeutschland wurde der Begriff der Freiheit stets hochgehalten, aber auch hier gab es immer wieder Kämpfe, Freiheiten zu erringen. Man denke nur an die 68er. Das gilt bis heute.
Für die Menschen in der Bundesrepublik war es sehr beeindruckend, wie sich die Bürger in der DDR ihre Freiheiten erkämpften und damit den Ausgangspunkt für die spätere Einheit schufen. Wir glauben, diese Zusammenhänge müssen präsent bleiben. Daher geht es in dem Projekt "Siebzigtausend" nicht nur um das Erinnern an ein Ereignis vor einem ganz bestimmten historischen Hintergrund, sondern auch um die Aufforderung, sich auch für die Freiheit einzusetzen, ob als Einzelner oder in der Gemeinschaft.
Hatten Sie Vorbilder, als Sie sich an die Arbeit machten, und vielleicht sogar Arbeiten, an denen Sie sich anfangs orientierten?
M+M: Zum einen bewegt man sich als Künstler in einer kunsthistorischen Tradition und in traditionellen Aufgaben bzw. Fragestellungen – in diesem speziellen Fall die Tradition von Denkmälern. Zum anderen verfügt man über eine individuelle Arbeitsweise und Bildsprache, aus der heraus man seine Ideen entwickelt. Uns war relativ schnell klar, dass die herkömmlichen Mahnmale und Denkmäler für dieses Projekt nicht interessant sind. Sie werden häufig von einer gewissen Monumentalität bestimmt, durch eine unnahbare Würde und das Erinnern an historische Ereignisse, ohne in die Zukunft zu weisen. Eben dies war aber ein zentrales Anliegen für uns. Wir wollen uns – und auch den späteren Besucher – nicht nur mit Erinnerungskultur beschäftigen, sondern auch mit der Gegenwart und der Zukunft. Diesen Ansatz haben wir, ausgehend von früheren Arbeiten, in denen wir bewusst mit der Gesellschaft und in die Gesellschaft hinein gearbeitet haben, weiterentwickelt.
Was das Projekt "Siebzigtausend" betrifft, so gibt es keine konkreten Vorbilder, auf die wir uns beziehen. Aber es existiert eine konzeptionelle Grammatik, die wir in unserer langjährigen Zusammenarbeit entwickelt haben. Prägend waren für uns dabei Künstler wie etwa Joseph Beuys, die konzeptionell arbeiten und gleichzeitig ein gesellschaftliches Interesse verfolgen, die versuchen, die Gesellschaft mit einzubeziehen und so etwas wie eine soziale Plastik zu schaffen.
Wie sollen die Bürger denn einbezogen werden?
M+M: In unserer Konzeption soll das Leipziger Denkmal eine wichtige Funktion als Forum für Veranstaltungen bekommen. Dafür ist auch bereits ein Budget im Kostenplan vorgesehen. Die Bürger können eigene Veranstaltungen initiieren und damit das Geschehen auf dem Forum mitprägen.
Es gibt ein weiteres, tragendes Element im Konzept des Denkmals:
Siegerentwurf für das Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig, Detail (© M+M, München/ANNABAU, Berlin)
Siegerentwurf für das Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig, Detail (© M+M, München/ANNABAU, Berlin)
die mobilen Podeste. Jeder kann ihr Potential nutzen, um exponiert seine Meinung zu äußern, ob im öffentlichen Raum, in der Arbeit oder im privaten Bereich. Es geht darum, die historisch erkämpfte Meinungsfreiheit zu erhalten und zu nutzen – auch, um für neue Freiräume einzutreten.
Es ist natürlich ein schmaler Grad zwischen konzeptionellem, künstlerischem Angebot und der wirklichen Annahme durch die Bürger. Unser Denkmal möchte Dialog und Bewegung ermöglichen, statt in monologischer Statik zu verharren. Die verteilten 70.000 Podeste spielen dabei eine wesentliche Rolle. Das Projekt "Siebzigtausend" gewinnt, wenn es die Leute akzeptieren und annehmen, wenn sie die vorgegebenen Zeichen mit Leben füllen.
Gewissermaßen wird mit dem Podest und dem Forum ein Stück Verantwortung an die Bürger übertragen.
Es gibt aktuell eine Reihe Missverständnisse um Ihre Arbeit.
M+M: Solange ein Projekt nur über Beschreibung oder Modelle vermittelt werden kann, erzeugt es oft Missverständnisse. Wir glauben, dass unsere Arbeit unmittelbarer verstanden wird, wenn sie erst einmal existiert. Darüber hinaus gibt es beim Einheits- und Freiheitsdenkmal für Leipzig allerdings Rahmenbedingungen, welche die Akzeptanz der Arbeit erschweren.
Ein wichtiger Punkt ist dabei die zeitliche Nähe des Denkmals zu den historischen Ereignissen. Viele Menschen sind emotional noch sehr stark involviert. Wir haben häufig bei der älteren Generation herausgehört, dass die Arbeit zu wenig echte Empathie für ihre damalige Situation zeigen würde. Die Gefühle, beispielsweise die Angst von damals, könnten wir nicht nachempfinden. Aber das zu veranschaulichen war auch nicht unser vorrangiges Ziel und wäre zudem vermessen gewesen. Im Übrigen wurde bereits in der Ausschreibung von der Aufgabe, individuelle Erfahrungen und Gefühle zu veranschaulichen, Abstand genommen. Wir wollten – wie schon erwähnt – stattdessen etwas gestalten, das die Errungenschaften von damals wach hält und neue Freiräume schafft. Es geht im übertragenen Sinne um eine Brücke zwischen Geschichte und Zukunft.
Ein weiterer Anlass für Diskussionen scheint zu sein, dass die Finanzierung des Denkmals maßgeblich vom Bund kommt; natürlich ist auch das Land Sachsen beteiligt, am wenigsten jedoch die Stadt Leipzig selbst. Anscheinend werden die Ergebnisse des Wettbewerbs zum Teil vor dem Hintergrund politischer Interessen und Institutionen bewertet. Die Frage der Funktion eines solchen Denkmals im politischen Raum führt bereits grundsätzlich zu Auseinandersetzungen. So gab es schon große Diskussionen in Leipzig, bevor der Wettbewerb überhaupt begann. Es wurde debattiert, ob man überhaupt ein Denkmal will, ob es notwendig sei.
Kunst arbeitet mit Symbolen und Metaphern, setzt auf die Assoziation. Gehen Sie aber nicht zu weit, lösen Sie sich nicht zu sehr von den historischen Ereignissen?
M+M: Wenn ein solches künstlerisches Projekt für einen großen Platz wie in Leipzig entwickelt wird und es unter dem Motto "Friedliche Revolution" steht, wird es mit diesem Thema und den historischen Ereignissen immer zusammen gelesen werden. Das Thema ist im Kontext und der Umgebung fest verankert. Auf der anderen Seite haben wir konkrete Bezüge zu den Ereignissen hergestellt. Zentral in unserer Arbeit sind die 70.000 Podeste und Bodenplatten, die sich auf die geschätzte Zahl der Demonstranten bei der Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 beziehen. Wenn man nach der Realisierung auf dem ausgedehnten Farbfeld mit 70.000 Keramikflächen steht, entsteht ein unheimlich intensiver Eindruck – sicher auch für die Menschen, die damals dabei waren. Das riesige Farbfeld erinnert unmittelbar an die große Menschenmasse, die sich zusammenschloss und demonstrierte.
Es gibt noch eine andere Rückbindung an die historischen Ereignisse – die Farbcodierung. Sie spielt sowohl bei der Platzgestaltung als auch bei der Farbgebung der Podeste eine wesentliche Rolle.
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Farbkonzept für den Siegerentwurf (© Stadt Leipzig)
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Farbkonzept für den Siegerentwurf (© Stadt Leipzig)
Der Codierung aus sieben Farben liegen die sieben Buchstaben zu Grunde, die in den Wörtern Einheit und Freiheit vorkommen. Wir haben in historischen Fotografien nach Farben gesucht, die zu der damaligen Zeit bestimmend und bei den Demonstrationen zu sehen waren: Was haben die Menschen für Kleidung getragen, wie war das Gewandhaus bestuhlt, wie waren die Fahrzeuge der damaligen Zeit lackiert usw. Wir haben daraus einen Kanon aus relativ gedämpften Farben entwickelt, die bei den Podesten vorkommen und in der richtigen Reihenfolge auf dem Platz auch so gelegt werden, dass man die Wörter Einheit und Freiheit alternierend lesen kann.
Die Erfahrungen, Kunst zu deuten, sind in Ost- und Westdeutschland durchaus unterschiedlich. Beuys fällt manchem schwer, der ausschließlich mit sozialistischem Realismus aufwachsen musste. Überfordern sie das Publikum?
M+M: Wenn es um öffentliche Projekte geht, hat man im Westen auch schon Überraschungen erlebt. Auch hier führten Projekten im öffentlichen Raum zu extremen Eklats. Es ist etwas anderes, ob ein Kunstwerk im Museum oder auf einem Platz steht. Im öffentlichen Raum kommt es viel schneller zu Konflikten. Der Bürger sieht sich unmittelbar betroffen. Mögliche Vorbehalte beim Publikum hängen nicht so sehr von den unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen in Ost und West ab, sondern von seinem spezifischen Verhältnis zu Kunst im öffentlichen Raum. Viele Bürger in Leipzig sind Zeitzeugen der Ereignisse von 1989. Es geht ihnen in erster Linie um ein Bild für ihre Erinnerung – da scheinen einige Reaktionen völlig plausibel.
Glauben Sie, dass Ihr Entwurf und die spätere Realisierung von Ost- und Westdeutschen gleichermaßen gelesen werden kann?
M+M: Das ist unsere Zielsetzung. Wir wollen keine Arbeit allein für Leipzig schaffen. Die Ausschreibung war international – es ging allen Beteiligten um eine Erweiterung der Perspektive. Dabei war in unserer Arbeit eine öffentliche Auseinandersetzung auch über Leipzig hinaus von vornherein intendiert. Sie soll Diskussionen auslösen. Das Denkmal ist ja auch selbst ein Forum, auf dem Debatten geführt werden können. Aber dass es schon vor der Realisierung zu so heftigen Auseinandersetzungen kommen würde, hätten wir natürlich nicht gedacht. Die Arbeit scheint also Reibungsfläche zu bieten, was viele zeitgenössische Kunstwerke auszeichnet.
Die beiden Komponenten unserer Arbeit und ihre Funktion versteht eigentlich jeder sehr schnell:
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Aufsicht des Siegerentwurfs (© M+M, München/ANNABAU, Berlin, Copyright für die abgebildeten Werke von M+M: VG Bild-Kunst, Bonn)
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Aufsicht des Siegerentwurfs (© M+M, München/ANNABAU, Berlin, Copyright für die abgebildeten Werke von M+M: VG Bild-Kunst, Bonn)
Ein Platz als Forum für Veranstaltungen und das mobile Podest. Um es als Tribüne nutzen zu können, muss ich Mut haben, muss ich mich gegebenenfalls exponieren. Das erzeugt auch Unsicherheit. Es ist nicht klar, mit welchen Inhalten die Handlungsfelder gefüllt werden können oder sollen. Wir wollen dazu anstoßen, darüber nachzudenken, für was aktuell gestritten werden muss.
Die Montagsdemonstrationen in Leipzig hatten entscheidenden Anteil an dem Zusammenbruch des damaligen Regimes. Die Demonstranten erkämpften wesentliche Freiheiten. Zu diesen gehört neben der Rede- und Versammlungsfreiheit auch die Reisefreiheit, die im übertragenen Sinne eine Erweiterung des Horizonts ermöglicht. Die internationale Ausschreibung wollte dem entsprechen. Die Erinnerung der Leipziger sollte nicht nur durch sich selbst gespiegelt, sondern es sollte vielmehr eine Reflexion von außen möglich werden.
Entsteht die Irritation in Leipzig vielleicht auch, weil es kein Denkmal im herkömmlichen Sinne ist?
M+M: Möglich. Es entspricht vermutlich nicht den herkömmlichen Erwartungshaltungen.
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: So zum Beispiel könnte das Denkmal genutzt werden (© M+M, München/ANNABAU, Berlin)
Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: So zum Beispiel könnte das Denkmal genutzt werden (© M+M, München/ANNABAU, Berlin)
Sie sprechen von Auseinandersetzung. Aber fördert Ihre Arbeit auch den Dialog, insbesondere den zwischen den Generationen?
M+M: Das beschriebene Prinzip der Arbeit gilt für alle Generationen in gleichem Maße. Das bedeutet auch, dass sich die verschiedenen Generationen, die alle auf ihre Art eine eigene Vorstellung von Freiheit entwickeln und andere Zwänge spüren und durchbrechen wollen, miteinander in Dialog treten können. Es geht darum zu überlegen: Wo stehe ich, was habe ich zu sagen, habe ich den Mut es zu sagen und kann ich dafür alleine kämpfen oder schließe ich mich anderen an? Mit dem Forum entsteht ein Ort, der zum Dialog anregt. Wir hoffen, dass dort auch ein Dialog zwischen den Generationen initiiert werden kann.
Können Sie sich vorstellen, dass die Menschen, die damals am 9. Oktober 1989 demonstrierten, sich durch Ihren Entwurf nicht genügend gewürdigt sehen?
M+M: Das könnte insofern der Fall sein, als die Arbeit in erster Linie keine konkrete Abbildung des damaligen Ereignisses oder ihrer individuellen Akteure darstellt. Die Zivilcourage des Einzelnen und die Kraft der Gemeinschaft, die für die friedliche Revolution entscheidend waren, sind jedoch die tragenden Elemente der Arbeit. Sie würdigt damit die historische Leistung der Demonstranten und hält sie lebendig.
Brauchen wir nicht doch ein Denkmal, das die konkreten Geschichten und den persönlichen Mut der Menschen in den Mittelpunkt stellt?
Denkmal der Friedlichen Revolution auf dem Nikolaikirchhof in Leipzig (© LTM-Schmidt)
Denkmal der Friedlichen Revolution auf dem Nikolaikirchhof in Leipzig (© LTM-Schmidt)
M+M: Es gibt in Leipzig schon Denkmäler, die so gelesen werden, zum Beispiel die Säule vor der Nikolaikirche.Darüber hinaus dokumentiert das Zeitgeschichtliche Forum persönliche Schicksale und konkrete Geschichten der damaligen Ereignisse. Die Ausschreibung zum Wettbewerb hatte diesbezüglich auch sehr konkrete Vorgaben. Es wurde ein Einheits- und Freiheitsdenkmal ausgeschrieben, das eine über Leipzig hinausreichende Bedeutung hat und die besondere Bedeutung der historischen Ereignisse für die späteren Generationen aufzeigen sollte. Es zielt im Prinzip auf die allgemeinen Themen von Freiheit und Einheit. Die Ereignisse von 1989, die den Beginn des gesellschaftlichen Wandels und des Erringens der Demokratie markieren, waren aber immer der Ausgangspunkt unserer Überlegungen.
Warum brauchen wir ein Denkmal, das an den Aufbruch in die Demokratie 1989 erinnert? Warum tun wir uns damit schwer?
M+M: Die Frage könnte man auch umdrehen: Was wäre, wenn wir keine Denkmäler hätten? Geraten dann die Dinge in Vergessenheit, beschäftigt man sich nicht mehr mit der Vergangenheit? Wir denken, dass es einen Kanon der Erinnerungskultur mit sehr unterschiedlichen Medien gibt – Museen, Literatur, Film und vieles mehr. Denkmäler im üblichen Wortsinn, das heißt: mit skulpturaler Ausprägung im öffentlichen Raum, sind ein Teil davon. Sie rufen bei jedem unterschiedliche Erinnerungen und Erfahrungen wach und ermöglichen eine persönlichere Art des Zugangs. Wir sind überzeugt, dass viele Menschen eine Affinität zu Denkmälern haben.
In den letzten Jahren gab es vorwiegend Debatten über Denkmäler zur Verfolgung in der NS-Zeit und zum Holocaust. Mit der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung kommt ein vollkommen neues Thema der Deutschen Geschichte hinzu, bei dem die Diskussionen anders zu führen sind und die Darstellungsform neu zu überdenken ist. Das Dilemma liegt schon an dem Begriff Denkmal. Man verbindet ihn zumeist mit konservativen Vorstellungen.
Lichtfest am 9. Oktober 2010 in Leipzig (© Westend)
Lichtfest am 9. Oktober 2010 in Leipzig (© Westend)
Das Lichtfest am 9. Oktober in Leipzig ist ja auch eine Form der Erinnerung an die Montagsdemonstrationen und hat starken Zulauf. Das Fest könnte man auch als Denkmal ansehen, denn ein solches muss ja nicht in Stein gemeißelt sein. Zum Teil überschneidet sich auch die Aufgabe von historischen Erinnerungsorten und Museen, welche sich natürlich sehr konkret mit der Geschichte beschäftigen, mit der Funktion von Denkmälern.
Kann man also eine Art der Auseinandersetzung mit historischen Themen finden, die man Denkmal nennt, aber die nicht den herkömmlichen und tradierten Formen entsprechen? Diese Frage hat man bei dem Wettbewerb zum Einheits- und Freiheitsdenkmal berücksichtigt und war bereit, neue Formen zu akzeptieren. Es wurde eine Künstler-Generation eingeladen, die konzeptionell arbeitet und zum Teil die Menschen partizipatorisch einbezieht. Es wurde versucht, dem Denkmal auch als Gattung mehr Freiheit zu geben, als künstlerische Form. Das ist ein Wettbewerb, wie es ihn vielleicht noch nie gab. Man sollte dem Denkmal eine Chance geben. Es geht um Impulse für die Gesellschaft.
Das Thema Ihres Denkmals ist sehr bedeutungsschwer. Soll Ihr Einheits- und Freiheitsdenkmal den Besuchern auch Freude bereiten, vielleicht sogar Spaß machen?
M+M: Für uns ist die Demonstration vom 9. Oktober 1989 ein freudiges Ereignis. Das haben wir auch von Zeitzeugen gehört. Sie war ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Freiheit. Deshalb glauben wir, dass das Freudige und Dynamische durchaus zum Tragen kommen sollte.
Die Bürger in Leipzig sind außerdem dazu aufgerufen, den Platz für Veranstaltungen zu nutzen. Wir denken in diesem Zusammenhang nicht nur an Reden und Diskussionen, sondern auch an Musikveranstaltungen – unter anderem als Verweis auf die Beat-Demo, die 1965 hier auf diesem Platz aufgelöst wurde. Das hat dann auch mit Freude zu tun, aber nicht im Sinne von Spaß-Gesellschaft.
Sie betrachten Ihre Arbeit also nicht als das letzte Wort, sondern als Angebot an die Stadt und ihre Bürger?
M+M: Ja, unsere Arbeit ist kein letztes Wort oder auch kein letztes Bild eines Triumphes, sondern ein Angebot an die Bürger.