Experten für gesamtdeutsche Fragen
Der Königsteiner Kreis in den 1950/60er-Jahren
Maximilian Ruland
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Der Königsteiner Kreis war in den 1950er/60er-Jahren eine einflussreiche Organisation, die die Politik bei Planungen zur Wiedervereinigung Deutschlands beriet, und eine Interessengruppe für DDR-Flüchtlinge. Insbesondere wegen der Erfahrungen, die seine Mitglieder in der SBZ/DDR gemacht hatten, galt der Kreis als Expertengremium für DDR-Fragen.
Einleitung
Am 27. September 1951 verkündete Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) vor dem Deutschen Bundestag einen 14 Punkte umfassenden Gesetzentwurf für gesamtdeutsche Wahlen als Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands. "Der Spiegel" berichtete, dass dieser Entwurf nicht Produkt von Adenauers Courage oder eigener staatsmännischer Überlegungen sei, auch nicht auf das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG) unter Jakob Kaiser (CDU) zurückginge, sondern auf Ausarbeitungen des Königsteiner Kreises, eines Zusammenschlusses von "aus der Ostzone geflüchtete[n] Experten aus Verwaltung, Justiz und Wirtschaft". Das Magazin zitierte das geschäftsführende Vorstandsmitglied dieser Vereinigung, Helmut Külz, mit der Aussage, dass Konrad Adenauer als "typischer Rheinländer keinen klaren Blick für die besondere Situation der Ostzone" habe und die Königsteiner die "Praktiken, aber auch die Schwächen der SED drüben" gut kennen würden.
Was war dieser Königsteiner Kreis für eine Organisation, deren Mitglieder sich bei Versuchen zur Wiedervereinigung gegen den Bundeskanzler als Experten positionierten? Worauf gründeten diese Leute ihren Anspruch, Experten für gesamtdeutsche Fragen zu sein? Welche Bedeutung hatten dabei ihre Kenntnisse über die Situation in der DDR?
Dieser Aufsatz behandelt den Königsteiner Kreis, die Vereinigung der Juristen, Volkswirte und Beamten aus der Sowjetischen Besatzungszone e.V. (KK), eine in der Forschung bislang kaum beachtete politikberatende Organisation von SBZ/DDR-Flüchtlingen. Dabei geht die Untersuchung von der These aus, dass dieser Verein seinem Selbstverständnis nach die Rolle eines politischen Akteurs, einer Interessengruppe und eines Vermittlers fachlichen Wissens in sich vereinen wollte und konnte, mit dem Argument, eine Expertenorganisation zu sein. Diesen Status schrieb er sich durch verschiedene Wissensbestände zu; hauptsächlich durch die Erfahrungen seiner Mitglieder mit der SBZ.
Die Untersuchung steuert drei Beiträge zur Forschung über die frühe Bundesrepublik bei. Erstens wird durch Blick auf den KK eine Forschungslücke über eine weitere Organisation im "kaum übersehbare[n] Vorfeld" des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen (BMG) geschlossen. Darüber hinaus weitet die Analyse zweitens die Perspektiven der Forschungen über die Wiedervereinigungspolitik Adenauers. Dieses Forschungsgebiet konzentrierte sich bislang stark auf die zeitgenössischen Perzeptionen und nicht abgeschlossene historiographische Diskussion um die Bedeutung der Stalin-Noten von 1952 , statt sich mit dem Zustandekommen politischer Grundlagenarbeit, wie der Planung gesamtdeutscher Wahlen im Hintergrund großer staatstragender Aktionen, zu befassen. Drittens leistet die Untersuchung migrationshistorische Beiträge zu Flucht und Vertreibung. Der Blick auf den KK erweitert die bislang noch eher spärlich erforschte Eigensicht der DDR-Flüchtlinge auf die deutsche Teilung und ihre Eingliederung in die Bundesrepublik. Zugleich wird die bei Untersuchungen zu sozialpolitischen Maßnahmen der Integration von Ostvertriebenen und Flüchtlingen häufig dominierende Sicht auf die Vertriebenen um die DDR-Flüchtlinge ergänzt.
Im Folgenden wird der Königsteiner Verein in seinen Grundstrukturen und seiner Arbeitsweise skizziert. Anschließend wird er ins Feld gesamtdeutscher Fragen eingeordnet. Zuletzt werden anhand zweier Fallbeispiele die Tätigkeiten der Vereinigung analysiert. Leitende Fragen sind: Was unternahm die Vereinigung? Wie begründete sie ihr Wirken? Wie argumentierte sie für ihren Status als Experten?
Der Königsteiner Kreis
Der KK war ein im Dezember 1949 in Königstein im Taunus gegründeter überparteilicher Zusammenschluss von Politikern, Juristen, Beamten und Volkswirten, die aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der frühen DDR in die Westzonen bzw. in die Bundesrepublik geflohen waren. Der Verein bestand, bis seine Mitgliederversammlung 1997 die Auflösung beschloss. Die Initiatoren und
Gründungsmitglieder waren hochrangige Politiker und Juristen der Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt gewesen, unter ihnen Thüringens Regierungspräsident Hermann Brill (SPD), der Hallenser Oberbürgermeister Theodor Lieser (FDP), der zunächst parteilose Minister Helmut Külz (später SPD), Hans Lukaschek (später Bundesvertriebenenminister, CDU) und der Vizepräsident des Oberlandesgerichtes Thüringen Karl Magen (CDU). Sie sahen sich aufgrund ihrer "Erfahrungen und Kämpfe" in der SBZ zu einer besonderen Mitarbeit an der Wiedervereinigung und einer ernsten fachlichen Beschäftigung mit Recht und Verwaltung der SBZ "verpflichtet und berufen". Aus einer Gemengelage von berufsständischen, fachlichen und politischen Motiven gab die Gründungsversammlung dem KK drei satzungsgemäße Ziele: 1) Politisches Ziel war die Erhaltung und Wiedergewinnung der deutschen Rechtseinheit sowie die Sammlung und Stärkung aller Kräfte innerhalb und außerhalb der SBZ, die dem gleichen Ziel dienten, 2) fachliches Ziel die ständige, weitere Beschäftigung mit der Gestaltung von Recht und Verwaltung in der SBZ sowie die Verbreitung der Kenntnis darüber in SBZ und Bundesrepublik, 3) soziales Ziel die Förderung des persönlichen und beruflichen Zusammenhanges, des beruflichen Fortkommens der Mitglieder und die Unterstützung der in Not geratenen Mitglieder und ihrer Angehörigen. "Diese gleichzeitigen […] Aufgaben" ließen sich nach dem Selbstverständnis der Mitglieder "nicht von einander trennen" und stellten die "besondere Eigenart" des KK dar.
Wesentliche Organe waren die jährlich in Königstein (Taunus) tagende Mitgliederversammlung und der mit der Führung der laufenden Geschäfte und der Außenvertretung betraute, paritätisch nach Parteienproporz besetzte Vorstand. Sitz der Geschäftstelle war Frankfurt am Main. Der Verein verstand sich im Einvernehmen mit dem Gesamtdeutschen Ministerium nicht als "Massenorganisation", sondern als eine kleine sachverständige "Elite der Sowjetzonenflüchtlinge", deren Mitglieder ausschließlich Flüchtlinge aus der DDR sein durften. Entsprechend bewegte sich die Mitgliederstärke zwischen 895 (1954) und 610 (1965) Personen.
Die Finanzierung erfolgte hauptsächlich über Mittel des BMG. Unmittelbar nach der Gründung trat der Verein an das auf externe Hilfe angewiesene Ministerium heran. Die Mitglieder arbeiteten gezielt auf eine finanzielle Förderung hin, denn sie definierten den Verein als "wissenschaftliche[s] Gutachter-Kollegium", das durch Experten Rechtsfragen zur DDR behandle. Neben dieser Wissenschaftlichkeit argumentierten sie mit ihrem politischen Initiativgeist verbunden mit der überparteilichen Ausrichtung, aber auch mit dem Anspruch über hinreichende Sach- und Ortskunde zur DDR zu verfügen. Hier vermischten sich folglich politische Tätigkeit mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und auf Praxiswissen. Dieser Fundus verschiedener Wissensbestände war wesentlich für den Verein.
Arbeitsweise
Die Vereinigung zeichnete sich weniger durch öffentliches Auftreten als vielmehr durch Arbeit in Ausschüssen aus. Zentrale Organe waren seit 1951 die Ausschüsse für Verfassung und seit 1954 für Recht sowie anfänglich noch ein Wirtschaftsausschuss. Die Gründung des Verfassungsausschusses (VA) ging wesentlich auf die initiative Bemühung des KK für eine gesamtdeutsche Wahl zurück. Wesentlich für diesen Ausschuss war seine enge Zusammenarbeit mit den Bundesressorts. Unter dem Vorsitz des Staats- und Völkerrechtsprofessors Werner Weber, Göttingen, zuvor Leipzig, war er eingebunden in die vom Gesamtdeutschen Ministerium gewünschte Arbeitsteilung seiner Vorfeldorganisationen und dabei zuständig für grundsätzliche, langfristige Themen verfassungsrechtlichen Charakters und leistete in den 1950er-Jahren wichtige Unterstützung für die noch nicht konsolidierten Bundesressorts. Vertreter des thematisch betroffenen BMG und weiterer Bundesministerien waren an den Sitzungen stets beteiligt. Der Ausschuss galt dem KK als ein besonderes Organ, das zwar unter seinem Namen und seiner formellen Verantwortung arbeitete, jedoch ein "Sachverständigengremium" sei, in dem hohe Regierungsbeamte aller beteiligten Ministerien, aber auch Vertreter der Oppositionsparteien, Universitätsprofessoren und die KK-Mitglieder in freier Aussprache diskutierten. Hierbei konnte jeder seine persönliche Meinung vorbringen. Dafür galt die unbedingte Vertraulichkeit der Sitzungen als notwendig. Die Zulassung der Öffentlichkeit lehnte der KK stets mit einer dann erfolgenden Arbeitseinschränkung ab.
Da das BMG von den Königsteinern in steigendem Maße Gutachten über die rechtliche Situation der Verwaltung in der DDR erwartete und die Geschäftsstelle des KK zunehmend mit Rechtsfragen beansprucht wurde, die sie allein ohne Vorklärung nicht mehr beantworten konnte, beschloss der Vorstand die Gründung des Rechtsausschusses (RA). Den Vorsitz übernahm der aus ostdeutscher Haft entlassene, vormalige Oberlandesgerichtspräsident von Sachsen-Anhalt, Hans Diedrich Schmidt. Der Ausschuss leistete Grundsatzarbeit, die im Wesentlichen der Vorbereitung von Eingaben des Vorstandes an Bundes- und Landesbehörden diente, besonders auf dem Gebiet der Flüchtlingsgesetzgebung. Nach Schmidt waren die Mitglieder "kraft ihres Fachwissens und ihrer Erfahrungen" berufen, die im RA behandelten Themen bearbeiten zu müssen. Auch hier waren Vertreter der betroffenen Bundesressorts anwesend und interessiert. Dem ursprünglich nur mit sechs bis acht Personen besetzten Organ stieg seit 1956 die Arbeit über den Kopf. Nach Rekrutierung von mehr Mitgliedern, die zur Mitarbeit bereit waren, konnte sich der Ausschuss seit 1958/59 in bis zu vier Arbeitskreise spezialisieren. Um die immer umfangreichere Arbeit weiterhin leisten zu können, erweiterte der Vorstand den RA mehrmals, sodass ihm im Jahr 1961 21 Mitglieder angehörten, von denen allerdings nicht immer alle, sondern nur die mit einem Thema besonders Betrauten an den Sitzungen teilnahmen.
Die Ausschüsse waren als "kleine, exklusive und arbeitsfähige" Gremien, die den KK von anderen Verbänden abheben würden, neben der Berufung auf die SBZ/DDR-Erfahrung der Mitglieder, konstitutiv für das Selbst- und Fremdverständnis der Königsteiner als Experten.
Akteure im Feld gesamtdeutscher Fragen
Der Königsteiner Kreis agierte im Feld gesamtdeutscher Fragen, das die Deutschland- und Wiedervereinigungspolitik sowie die Ostvertriebenen- und DDR-Flüchtlingsfrage umfasste. Neben dem Verein existierten hier viele weitere private und halbstaatliche Organisationen. Zu den wichtigsten zählten etwa die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KGU) oder auch das Kuratorium Unteilbares Deutschland (KUD). Der KK konkurrierte als Organisation von DDR-Flüchtlingen mit den Vertriebenenverbänden um die knappen Ressourcen der Ostvertriebenen- und DDR-Flüchtlingsversorgung oder mit dem Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen (UFJ) um die Begutachtung von DDR-Flüchtlingen nach dem "Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge" (BVFG), denn keine der Organisationen hatte hier ein Monopol.
Ein wichtiger Bezugspunkt für die Gruppen war das Gesamtdeutsche Ministerium. Hierbei handelte es sich um ein völlig neuartiges Ressort, für das es in der jungen Bundesrepublik kein Vorbild gab. Anders als die klassischen Ministerien, deren Zuschnitt – und zum Teil auch Mitarbeiter – aus der NS-Zeit übernommen worden waren, konnte das neugegründete BMG nicht an administrative oder personelle Grundlagen früherer Zeiten anknüpfen. Es wäre allein kaum in der Lage gewesen, den selbstgestellten Aufgaben und Herausforderungen angemessen gerecht zu werden, denn dafür fehlten organisatorische Voraussetzungen und Material. Daher bediente sich der Staatssekretär Franz Thedieck (CDU) einer Aushilfskonstruktion. Er band die genannten und weitere Organisationen an das Ministerium, indem er sie finanziell förderte und sich auf ihre Arbeiten im Sinne einer "grauen Verwaltung" stützte. Hierbei kam es zu teilweise unüberschaubaren Kooperationsvereinbarungen. Das Ministerium war folglich angewiesen auf die Unterstützung externer Experten.
Der Königsteiner Kreis und das BMG teilten die gleichen politischen Absichten, nämlich die Überwindung der deutschen Teilung. Nach Ansicht des mit dem Verein Kontakt haltenden BMG-Referatsleiters, Oberregierungsrats Georg Kunisch (CDU, als ehemaliger Finanzminister Sachsen-Anhalts ebenfalls DDR-Flüchtling), behandelte er "die gleichen Themen, mit denen sich die zuständigen Ministerien fast täglich zu befassen haben."
Der Anteil der ostdeutschen Heimatvertriebenen und politischen Flüchtlinge aus der SBZ/DDR im Personalbestand des BMG machte 1950 mit etwa 46 Prozent der Beamten einen hohen Anteil aus. Daneben kam es in der Person des Leiters der Abteilung II, Ministerialrat Karl Magen, als Gründungsmitglied und Mitvorsitzender des KK zu personellen Überschneidungen. Aufgrund dieser Vorbedingungen und Ähnlichkeiten bewegte sich der KK in einem resonanzfähigen Umfeld, das er nun von seiner Expertise überzeugen wollte und konnte.
Der Experte als politischer Initiator: Mitarbeit bei der Ausgestaltung gesamtdeutscher Wahlen 1950–1953
Der Hohe Kommissar der amerikanischen Besatzungsmacht, John J. McCloy, benannte am 28. Februar 1950 als Ziel der USA die politische Einigung Deutschlands auf der Grundlage freier gesamtdeutscher Wahlen. Die Bundesregierung nahm diese Anregung auf und schlug den vier Besatzungsmächten am 22. März vor, ein Wahlgesetz zu erlassen, auf dessen Basis unter internationaler Kontrolle eine verfassungsgebende Nationalversammlung gewählt werden sollte.
Seit November 1950 sah sich die Bundesregierung verstärkt mit deutschlandpolitischen Initiativen der DDR konfrontiert. DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl schlug einen Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat für die Vorbereitung der Durchführungsbedingungen einer gesamtdeutschen Wahl vor. Bundesregierung und Opposition verlangten jedoch mit aller Entschiedenheit freie, allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlen für ganz Deutschland zu einem verfassungsgebenden deutschen Parlament als ersten Schritt für die Wiedervereinigung und forderten die DDR-Regierung auf, sich eindeutig zu diesem Vorschlag zu bekennen. Es war auf westdeutscher Seite eine mehrheitsfähige Stimmungslage in den politischen Entscheidungsgremien entstanden, möglichst rasch gesamtdeutsche Wahlen durchzuführen. Außer einer Ablehnung der Vorschläge aus der DDR waren allerdings scheinbar keine eigenen konkreten Ideen für eine Umsetzung vorhanden. Die Situation war Anfang 1951 festgefahren. Hier trat der KK initiativ als Experte auf und bot eine Lösung an.
Bereits seit September 1950 hatten sich KK-Mitglied Werner Weber und Vorstandsmitglied Helmut Külz mit Möglichkeiten einer gesamtdeutschen Verfassungsgebung befasst. Külz gelang es, das Gesamtdeutsche Ministerium, das diese Überlegungen verfolgte, für eine vertiefende Auseinandersetzung zu gewinnen und zu diesem Zweck die Gründung des Verfassungsausschusses zu forcieren.
Die erste Tagung des KK-Verfassungsausschusses am 27. und 28. Juli 1951 entwickelte eine Regelung für die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen. Der KK argumentierte, dass die Ausarbeitung auf die Beteiligung führender Wissenschaftler und Verwaltungspraktiker zurückginge. An der Sitzung nahmen KK-Mitglieder mit und ohne akademischen Hintergrund, westdeutsche Professoren, Vertreter des BMG und des Bundesinnenministeriums sowie der Vorsitzende des Gesamtdeutschen Bundestagsausschusses,
Um die Initiative zur Wiedervereinigung voranzutreiben, bemühte sich der Vorstand um eine starke politische und öffentliche Resonanz. Die Aufmerksamkeit für das Vorhaben war dem KK sicher. Ein Kommentator in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" dankte dem KK Anfang August beispielsweise dafür, angesichts der bisher wenigen deutschen Bemühungen um die Einheit in einer aktuell ergebnislosen Situation die Initiative ergriffen zu haben. Mit dem konkreten Vorschlag bestehe nun die Chance aus dem Stadium unverbindlicher Diskussionen heraus zu kommen. Der Kommentator lobte, dass es den Königsteinern gelungen sei, die Bundesregierung, in Gestalt des BMG, und die Opposition, in Person des Vorsitzenden des Gesamtdeutschen Ausschusses, hinter dem Vorschlag zu vereinen. Auf der Jahrestagung des Vereins im September 1951 zeigte sich, auch verstärkt durch den mittlerweile ergangenen DDR-Volkskammerappell für gesamtdeutsche Wahlen, ein starkes Interesse an seiner Arbeit. BMG-Staatssekretär Thedieck und der Vorsitzende des Gesamtdeutschen Bundestagsausschusses, Wehner, lobten die Initiative aus Königstein.
Am 27. September 1951 zeigten Regierung und Opposition im Bundestag, mit Ausnahme der KPD, große Einigkeit und drängten auf die rasche Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen. Bundeskanzler Adenauer verkündete, dass die Regierung nun selber eine Wahlordnung vorlegen werde. Diese sollte im Wesentlichen auf 14 grundsätzlichen Punkten basieren. Im Vorfeld dieser Bundestagssitzung und der Regierungserklärung spielte der KK-Entwurf als mögliche Antworten auf den Volkskammer-Appell eine außerordentlich große Rolle bei Beratungen im Bundeskabinett und im Bundestagsausschuss für gesamtdeutsche Fragen. Die von Adenauer verkündeten 14 Punkte – Schutz der politischen und persönlichen Rede-, Presse-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit zwischen den Besatzungszonen für die Kandidaten sowie Schutz des Wahlgeheimnisses – waren identisch mit denen des KK-Gesetzentwurfs. Diese Übernahme war öffentlich bekannt und der Königsteiner Kreis wurde als Expertenorganisation gelobt.
Die Ausarbeitungen des KK hinterließen einen starken Eindruck. Die bundesdeutschen Stellen waren erleichtert, mit dem Entwurf etwas Konkretes in der Hand zu halten. Die Bundesregierung sah sich nun in der Lage, den Hohen Kommissaren bald eine Wahlordnung zuzuleiten.
Zur Konkretisierung von Bestimmungen zur internationalen Mitwirkung und Kontrollstatuten bei der Wahldurchführung, die im bald folgenden Wahlgesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen waren, arbeiteten das Ministerium und der Verfassungsausschuss des KK in dieser Sache bis 1953 weiterhin zusammen. Der Verein betonte hierbei, seine Arbeit auf die Grundlage der Expertise seiner Mitglieder und externer Referenten zu stellen. Die dabei herangezogenen Wissensbestände waren wissenschaftlicher, insbesondere aber auch erfahrungsbasierter Art. Der "Tatzeuge" Dr. Ulitz berichtete zum Beispiel im Zuge der Erörterung von Möglichkeiten bei der Zusammensetzung von Kontrollorganen von seinen eigenen Durchführungserfahrungen bei der Oberschlesienabstimmung 1921. Er war dem KK als "Experte" für Modalitäten internationaler Wahlkontrolle empfohlen worden. Das Ministerium, das wegen des von den Westmächten für Oktober 1953 geplanten Außenministertreffens in Lugano unter Zeitdruck geraten war, bestand bei der Zusammenarbeit darauf, dass die von ihm mit dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium gemachten Vorüberlegungen durch Verhandlung im VA ergänzt und vertieft werden müssten. So war der Verfassungsausschuss beteiligt an konkreten, ausdrücklich mit Geheimhaltungspflicht versehenen, Wiedervereinigungsplanungen der Bundesregierung.
BMG-Referent Kunisch dankte für die Zusammenarbeit. Die gewonnenen Ergebnisse trügen bei den Bundesressorts zu einem nun viel plastischeren Bild von der Möglichkeit einer gesamtdeutschen Wahl bei. Trotz dieser Vorarbeiten wurde das Vorhaben niemals umgesetzt.
Der Experte als Interessenvertreter: Wirken zum Bundesvertriebenengesetz 1950–1961
Für eine bundeseinheitlich geregelte Bewältigung des Zuzugs der Millionen von Heimatvertriebenen und des Zustroms von Flüchtlingen aus der DDR entstand das "Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge" (BVFG). Während des Gesetzgebungsprozesses zwischen 1950 und 1953 waren die Trennung von Flüchtlingen und Vertriebenen und die Größe des Berechtigtenkreises auf Anerkennung als Flüchtling stets umstritten. Eine große Rolle spielte dabei die Ausgestaltung des § 3, der die Definition des Sowjetzonenflüchtlings enthielt.
Auch der KK versuchte über mehrere Wege auf die Ausgestaltung des BVFG Einfluss zu nehmen. Neben den eigenen Mitgliedern fasste der Vorstand unter dem berufsständischen, sozialen Vereinsziel wie selbstverständlich bald auch die Belange aller Flüchtlinge. Hierbei richtete der Verein sein Augenmerk insbesondere auf das für die Flüchtlingsfrage zuständige Bundesvertriebenenministerium (BMVt). Vertreter des KK nahmen laufend an Beratungen im BMVt teil und hatten die Möglichkeit, eigene Vorschläge einzubringen. Ebenso trat der Verein öffentlich als Fürsprecher der Flüchtlinge auf. Im Februar 1953 veranstaltete er eine Sondertagung in Frankfurt am Main zur sozialen und rechtlichen Lage der Flüchtlinge, die bewusst keine Arbeits-, sondern eine öffentliche Tagung sein sollte. Als Ergebnis übergaben die Tagungsteilnehmer einen Änderungsvorschlag zum damaligen Entwurf des § 3 an diverse für das BVFG einschlägige Stellen und an die Presse mit der Begründung, dass der Paragraph "noch nicht hinreichend den Verhältnissen in der Sowjetzone Rechnung" trage.
Allerdings fand dieser Entwurf, der den Kreis der Berechtigten für die Anerkennung als DDR-Flüchtling erheblich erweitert hätte, indem er die Tatsache der Flucht und nicht deren Gründe als Anerkennungsgrundlage heranzog, keinen Niederschlag im Gesetz. Der Königsteiner Kreis trat hier in der Rolle einer Interessengruppe im Beratungsprozess auf und rechtfertigte sein Wirken mit Wissensbeständen über die Verhältnisse in der DDR. Anders als beim Wahlgesetz konnte er sich hier jedoch nicht durchsetzen.
Nach Erlass des BVFG sahen die Königsteiner ihre Aufgabe darin, auf eine großzügige und einheitliche Auslegung des Gesetzes hinzuwirken, um für einen möglichst großen Kreis die Anerkennung als Flüchtlinge zu erreichen. Sie traten an die Landes- und Kommunalbehörden heran, die für die Ausstellung von Ausweisen zum Nachweis der Flüchtlingseigenschaft zuständig waren. Angesichts der großen Zahl von Anträgen auf Anerkennung als Flüchtling argumentierte der KK, werde es sich alsbald als "notwendig" erweisen, in den Behörden Personen einzustellen, die neben umfangreicher rechtlicher Erfahrung auch aus eigener Anschauung Kenntnisse der Entwicklung in der "Sowjetzone" besäßen.
Bei den zuständigen Kommunalbehörden stockte die Ausweisausstellung, da sie tatsächlich Probleme bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaften hatten. Flüchtlingsbehörden aus dem ganzen Bundesgebiet richteten in der Folge Anfragen zur Begutachtung von Flüchtlingsanwärtern an die Geschäftstelle des Vereins. Wegen der sich daraus ergebenden, zunehmenden Belastung kritisierte der KK, dass die Landesflüchtlingsverwaltungen mit der Anerkennung schlichtweg überfordert wären. Rückblickend bedauerte er es daher, dass seiner Anregung, die Flüchtlingsanerkennung wie bei den Notaufnahmelagern Gutachterausschüssen zu übertragen, die aus "Experten" mit persönlicher Erfahrung mit den Verhältnissen der SBZ bestehen sollten, nicht entsprochen worden sei.
Die eigene DDR-Erfahrung war hier für den KK der zentrale Legitimationsgrund, gutachtlich zur Frage der Flüchtlingsanerkennung wirken zu können. Allerdings betonte er, sich nicht "als Interessenvertreter" zu beteiligen, sondern "als Sachverständige" aufzutreten, "um der Gesamtheit der Sowjetzonenflüchtlinge mit dieser Arbeitsweise am besten helfen" zu können. Einige staatliche Behörden sahen in den Gutachten wertvolle Entscheidungsgrundlagen und einige Rechtsanwälte im KK eine sachverständige Instanz. Sie erkannten seine Expertise also an. Allerdings hegten andere Stellen Zweifel an dem postulierten interessenlosen Sachverstand. Staatsanwaltschaften einiger Verwaltungsgerichte wollten von ihm keine Gutachten mehr anfordern, da sie diese für interessengebunden hielten.
Auch der Rechtsausschuss befasste sich bis 1962 auf fast jeder Sitzung mit Fragen der Rechtsprechung zum BVFG und geriet hier bisweilen heftig mit dem Vertriebenenministerium aneinander. Bei vielen Gerichtsurteilen zur Flüchtlingsanerkennung bemängelte er die fehlenden Kenntnisse über die Situation in der DDR.
Schluss
Seine größte Bekanntheit erlangte der Königsteiner Kreis Anfang der 1950er-Jahre mit dem Wahlgesetzentwurf als einem wichtigen Bestandteil des heute weitgehend vergessenen Versuchs über gesamtdeutsche Wahlen die Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen. Seit den 1960er-Jahren verlor der Verein langsam an Bedeutung für die Bundesressorts. Gründe dafür waren der sinkende Mitgliederstand und das hohe Alter der meisten Mitglieder. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 blieb der erhoffte "nichtabreissende[…] Strom der Flüchtlinge aus der SBZ" aus und das Problem verschärfte sich weiter. Das Gesamtdeutsche Ministerium problematisierte 1969, dass zahlreiche Mitglieder vor mehr als 20 Jahren in der SBZ/DDR gewirkt hatten. Seit 1967 richtete Minister Herbert Wehner das BMG als Impulsgeber für einen entspannungspolitischen Kurs gegenüber der DDR neu aus, nahm Strukturveränderungen in der Zusammenarbeit mit den privaten Vorfeldorganisationen vor und kürzte dem Verein die finanziellen Mittel, da er ihn für "nicht mehr up to date" hielt.
Der Status des KK als Organisation von Experten in seiner Hochphase beruhte auf einer Gemengelage von wissenschaftlich-theoretischen, berufspraktischen und erfahrungsbasierten Wissensbeständen. Beim Wahlgesetz berief sich der Verfassungsausschuss auf wissenschaftliche Ausarbeitungen, aber auch auf Erfahrungen aus der Verwaltungspraxis der KK-externen Mitarbeiter. Beim Bundesvertriebenengesetz verstand sich der Verein ausschließlich als Erfahrungsexperte. Er stützte sich sehr häufig und entschieden auf das eigene Wissen über die SBZ/DDR.
Mit Übergang in die 1970er-Jahre lässt sich beobachten, dass der KK stärker als zuvor mit Wissenschaftlichkeit argumentierte und diese auch mit ihm assoziiert wurde. Die Bedeutung der SBZ-Erfahrung erlebte in diesem Zusammenhang eine Transformation. Sie war nicht mehr primäres Argument für Handlungsanleitungen, sondern sollte im Sinne des zweiten Vereinsziels für wissenschaftliche Zwecke an nachfolgende Generationen weitervermittelt werden.
Der vorliegende Beitrag basiert auf der Magisterarbeit d. Vf., Universität zu Köln 2010 (Betreuer: Ralph Jessen).
M.A., Historiker, Mitarbeiter im Zentrum für LehrerInnenbildung an der Universität zu Köln.
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