"Wir Verleger und Buchhändler der Deutschen Demokratischen Republik, im Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, begrüßen und unterstützen […] von ganzem Herzen die Maßnahmen unserer Regierung zur Sicherung der Staatsgrenze in Berlin".
Die Buchmesse fand seit 1945/46 wieder statt, und zwar zusammen mit anderen Branchen im Rahmen der Leipziger Messe im Frühjahr und im Herbst. Ihr Organisator war das Leipziger Messeamt. Daneben übernahm der ostdeutsche Börsenverein von Anfang an viele branchengebundene Messeaufgaben. Nicht zuletzt über die Aktivitäten rund um die Handelsveranstaltung fand er Mitte der 1950er-Jahre aus seinem Schattendasein wieder zu konkreten Aufgabenfeldern: die feierliche Eröffnung der Buchmesse, die dazugehörige Pressekonferenz, deutsch-deutsche und internationale Empfänge sowie die Ausstellung der"Schönsten Bücher der Welt". Es handelte sich vornehmlich um Veranstaltungen, auf denen er Öffentlichkeitsarbeit für das DDR-Buch nach innen und nach außen betrieb, wobei insbesondere die Pflege der Beziehungen nach Westdeutschland in den Mittelpunkt rückte. Die Organisation der Leipziger Buchmesse lag immer in den Händen mehrerer Institutionen: Neben dem Messeamt und dem Börsenverein fiel die Zuständigkeit für den geschäftlichen Teil dem 1953 gegründeten Deutschen Buch-Export und -Import zu, der das Außenhandelsmonopol vertrat und dem Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel unterstellt war. Darüber hinaus zeichnete das Ministerium für Kultur – mit der Abteilung Wissenschaften des SED-Zentralkomitees im Hintergrund – für die Bücherschau verantwortlich. Bis die Zentralisierung des DDR-Verlagswesens ab 1963 mit der Gründung der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel abgeschlossen war, erfolgte die Buchmesseorganisation auf staatlicher Ebene zweigleisig: durch die Abteilung Literatur und Buchwesen sowie durch die Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Verlage. Spätestens seit Ende der 1950er-Jahre rang die Leipziger Bücherschau um Attraktivität, weil sie neben den europäischen Messekonkurrenten provinziell und profilarm wirkte. Dazu trug die räumliche Beengung des Hansahauses bei, eines der für Leipzig typischen Messehäuser in der Innenstadt, wo die Buchmesse seit 1949 ihr Domizil gefunden hatte. An diesem Krisenzustand etwas zu ändern, war ein zäher Prozess, der sich über Jahre hinzog und erst mit dem Umzug in das neu erbaute Messehaus am Markt ein vorläufiges, aber wenig zufriedenstellendes Ende fand. Dieses Gebäude war bis zum Ende der DDR die Heimstatt der Bücherschau, und seine Eröffnung im Herbst 1
Das Leipziger Messehaus am Markt im Herbst 1965. (© Bundesarchiv, Bild 183-D0903-0091-009; Foto: Heinz Koch)
Das Leipziger Messehaus am Markt im Herbst 1965. (© Bundesarchiv, Bild 183-D0903-0091-009; Foto: Heinz Koch)
963 half, die massive Krise zu mindern, die in Bezug auf die deutsch-deutschen Kontakte durch die Auswirkungen des Mauerbaus entstanden war.
Vorgeschichte: Die deutsch-deutschen Buchhandelsbeziehungen auf der Messe
Obwohl das Berliner Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR den Weg für offizielle Handelskontakte im Verlagsbereich schon Anfang der 1950er-Jahre geebnet hatte, zeichnete sich erst in der Mitte des Jahrzehnts ein Ausstellerzuwachs aus Westdeutschland auf der Buchmesse ab: 1954 waren es zunächst acht Firmen, 1960 schließlich rund 20. Bis dahin bildete die Präsenz der Kommissionäre das wichtigste Bindeglied im verschärften Kalten Krieg. Dabei handelte es sich um auf den Interzonenhandel spezialisierte Firmen, die jeweils mehrere Unteraussteller präsentierten. Der mächtigste Partner darunter war KAWE, der auf rund 100 Quadratmetern bis zu 200 Verlage vertrat und mit dem Buchexport Geschäfte in Höhe von einer Million DM allein mit Sortimentsexport machte.
Der Ausstellerzuwachs in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre stand in Verbindung mit der kulturpolitischen Öffnung gen Westen und mit der "gesamtdeutschen Arbeit", die die staatliche Literaturbehörde mithilfe des Börsenvereins forcierte. Damit gelang es, zahlreiche renommierte westdeutsche Wissenschafts- und Fachverlage wie De Gruyter, Springer und Langenscheidt als regelmäßige Einzelaussteller zu gewinnen. Einen besonderen Erfolg verbuchten die Messeorganisatoren 1958 mit dem Besuch Ernst Rowohlts, der nicht nur eine überaus bekannte Verlegerpersönlichkeit war, sondern auch dem westdeutschen Börsenverein mit Skepsis gegenübertrat.
Ende der 1950er-Jahre schwächten das Ende des "Tauwetters" und die Ideologische Offensive der SED auf dem Gebiet der Kultur das rege Engagement der westdeutschen Aussteller vorübergehend. Sie blieben wegen des unerträglich politisch aufgeladenen Klimas der Buchmesse fern. Die Vertreter der Verlage wurden zu allen Gelegenheiten in politische Gespräche hineingezogen, sodass kaum mehr Personal für Leipzig gefunden werden konnte. Solches Verhalten auf DDR-Seite vergiftete die Atmosphäre und stellte eine Beteiligung des bundesdeutschen Buchhandels an der Leipziger Messe in Frage.
Hinzu kam die Drosselung des Literaturbezugs aus der Bundesrepublik, die den westdeutschen Verlagen und dem dortigen Börsenverein ernsthafte Sorgen bereitete.
Für den Buchhandel kann nicht bestätigt werden, was für den innerdeutschen Handel im Allgemeinen angenommen wird, nämlich dass sich seine Rahmenbedingungen Ende der 1950er-Jahre grundlegend von einem "emotionalisierten, politisch aufgeladenen Handlungsfeld zu einem nüchternem Forum deutsch-deutscher Kontakte"
Das Gerangel um die Messepräsenz des Ostens in Frankfurt hatte eine Vorgeschichte:
Erst ab 1958 tolerierte der Frankfurter Börsenverein nach zähen Verhandlungen schließlich mit gewissen Einschränkungen eine unmittelbare und selbstständige Ausstellung von Ost-Verlagen auf seiner Messe. Allerdings war die DDR nicht mit der Bezeichnung "Bücher aus dem innerdeutschen Handel" zufrieden. Deswegen kam es im Jahr darauf zum Eklat, der damit endete, dass die ostdeutschen Verlage ihre Ausstellung vorzeitig abbrachen. Bis 1967 ein erneuter Vorfall für Furore sorgte, stellten die DDR-Firmen schließlich unter ihren Verlagsnamen aus – eine für beide Seiten mehr oder weniger praktikable Lösung. Die Starre des Frankfurter Börsenvereins war trotzdem allzu deutlich erkennbar. Im Gegensatz zu den sich ab 1962/63 verändernden internationalen und nationalen Rahmenbedingungen des deutsch-deutschen Handels erwies sich der Verband bis in die späten 1960er-Jahre als unzeitgemäß konservativ, was sich nicht zuletzt darin ausdrückte, dass sein Vorsteher offizielle Kontakte oder Zusammentreffen noch immer ablehnte, um damit nicht staatliche Anerkennung zu signalisieren.
Generalprobe: Erfahrungen aus der Kündigung des Berliner Abkommens
Im Prinzip hatte die Deutschlandpolitik für die Buchmesse eine Art Generalprobe angesetzt, auf der sich zeigte, wie schwierig es sein würde, die Auswirkungen des Mauerbaus auf die Aussteller abzufangen: die Kündigung des Berliner Abkommens am 30. September 1960.
Obwohl der innerdeutsche Handel während dieser Zeit nicht zum Erliegen kam und alle Genehmigungen ihre Gültigkeit behielten, zeigten sich die Auswirkungen auf die Frühjahrsmesse 1961 allzu deutlich. Beide deutsche Staaten hatten sich Ende Dezember 1960 obendrein darauf geeinigt, das Abkommen mit dem Beginn des folgenden Jahres wieder in Kraft zu setzen. In einem dazugehörigen geheimen Ergebnisprotokoll verpflichtete sich die Bundesregierung unter anderem, das Verbot zur Beteiligung an der Leipziger Messe aufzuheben, und die DDR sicherte im Gegenzug die Freiheit des Berlinverkehrs zu. Trotzdem hatten viele Firmen ihre Verträge mit dem Messamt bereits storniert. Es schmerzte die Buchmesse, dass mühevoll akquirierte namhafte Häuser absprangen wie der Medizinverlag Urban & Schwarzenberg (München/Berlin) sowie Vieweg & Sohn (Braunschweig), Verlag von Naturwissenschaften, Technik und Mathematik. Trotz allem war der Frühjahrstermin im Hansahaus noch glimpflich verlaufen.
Debakel: Die Herbstmesse 1961
Als Walter Ulbricht am 15. Juni 1961 ungefragt die Absicht leugnete, eine Mauer errichten zu wollen, leistete das den Spekulationen zu baldigen Veränderungen an der innerdeutschen Grenze Vorschub. So rechnete auch das Leipziger Messeamt seit Juli damit, dass sich die Lage verschärfen würde, und stellte sich auf erneute Boykotte der Bundesrepublik oder aller NATO-Staaten ein. Deswegen verlegte es zum Beispiel die Plakat- und Anzeigenwerbung in der Bundesrepublik zeitlich vor und plante die Umleitung des Messegut- und Personenverkehrs.
Auch der Verlagsbereich war im Sommer 1961 alarmiert: Bereits Ende Juli lagen in der ZK-Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel Pläne vor, wie man dem Nichterscheinen der westdeutschen Firmen begegnen könne, also welche ihrer Stände geschlossen oder anderweitig belegt würden. Etwa zwei Wochen später erfolgte die Abriegelung West-Berlins, und die Bundesbürger verliehen ihrer Empörung darüber unter anderem dadurch Ausdruck, dass sie Plakate der Leipziger Herbstmesse herunterrissen. Weitere drei Wochen später fand die Buchmesse statt.
Da es das erwähnte Geheimprotokoll zum erneuerten Handelsabkommen mit der DDR so vorschrieb, konnte die Bundesregierung selbst nichts gegen die Beschickung der Leipziger Messe durch bundesdeutsche Firmen unternehmen, wenn sie den Zugang zu West-Berlin nicht gefährden wollte. Statt offizieller Sanktionen beschränkte sie sich nach dem Mauerbau darauf, die Beteiligung an der Messe moralisch zu verurteilen. Dabei kam ihr die Empörung der westdeutschen Medien entgegen, die den öffentlichen Druck auf die Aussteller aus dem eigenen Land erhöhten, indem sie einen Feldzug gegen jene führten. Den tatsächlichen Boykott organisierte die Bundesregierung aber auf anderem Wege; sie bediente sich einerseits der Arbeitsgemeinschaft Interzonenhandel und andererseits wiederum gezielt der Wirtschaftsverbände, allen voran des BDI.
Während die Unternehmen zur Absage gedrängt wurden, ließ das Bundeswirtschaftsministerium die vertraglichen Verpflichtungen des innerdeutschen Handels weiterlaufen. Bereits Anfang Dezember 1961 ermächtigte es die Treuhandstelle, wieder mit dem DDR-Handelsministerium in Verbindung zu treten. Bonn bemühte sich also jenseits der Rhetorik um Deeskalation und unterließ alles, was den innerdeutschen Handel und die Leipziger Messe hätte ernsthaft gefährden können.
Ein Kommissionär wie KAWE, der bis zu 200 westdeutsche Verlage in Leipzig vertrat, hielt auf der Buchmesse direkt nach dem Mauerbau die Stellung. (© BStU, MfS, HA XX 7400, Bl. 84.)
Ein Kommissionär wie KAWE, der bis zu 200 westdeutsche Verlage in Leipzig vertrat, hielt auf der Buchmesse direkt nach dem Mauerbau die Stellung. (© BStU, MfS, HA XX 7400, Bl. 84.)
Die Auswirkungen des Mauerbaus auf die Herbstmesse 1961 waren katastrophal. In der letzten Woche vor Messebeginn gingen in Leipzig täglich Absagen westdeutscher Firmen ein; noch am Tag der Eröffnung, am 3. September, erreichte das Messeamt die Absage des Landwirtschaftverlags Paul Parey. Dabei sagte nur ein Viertel der Aussteller überhaupt ab. Darunter befanden sich Rowohlt und der Fremdsprachenverlag Assimil, die beide keinen Grund für ihr Fernbleiben angaben; der Verlag Georg Westermann und derKommissionär KAWE verwiesen auf die allgemeine politische Situation; nur Carl Hanser begründete als einzige aller Firmen konkret mit "Berlin".
Zehn Tage vor Messebeginn hatten sich alle Institutionen, die die Buchmesse organisierten, erneut getroffen, um die Regulierung zu besprechen: Falls einen Tag vor Messeeröffnung um 14 Uhr keine Exponate bereit stünden, müssten die volkseigenen Verlage einspringen und die leeren Stände belegen: Von den 70 Quadratmetern der von Westdeutschland unbelegten Stände schloss man die Hälfte, den restlichen Platz erhielt die VVB Verlage. Die große Fläche von KAWE, des wichtigsten Partners im innerdeutschen Buchhandel, belegten die Organisatoren mit den beiden DDR-Kunstverlagen Seemann und Verlag der Kunst. Diese Veränderungen erforderten im überschaubaren Rahmen der Buchmesse nur vergleichsweise geringen Aufwand, da der Westen vorrangig Kleinflächen mietete. Trotzdem stellten sie die gesamte Organisation auf eine harte Probe, und das Resultat fiel sogar den ostdeutschen Kollegen als "Verlegenheitslösungen" ins Auge – vor allem weil an drei Ständen "Taschenbücher aus Verlagen der DDR" gezeigt wurden.
Nach dem Mauerbau wurde die Buchmesse zum Loch in der Mauer für die Leser. Gedränge am Stand eines westdeutschen Verlags. (© Historisches Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, Fotoarchiv des Börsenblatts Leipzig)
Nach dem Mauerbau wurde die Buchmesse zum Loch in der Mauer für die Leser. Gedränge am Stand eines westdeutschen Verlags. (© Historisches Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main, Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, Fotoarchiv des Börsenblatts Leipzig)
Das Hansahaus bot ein trauriges Bild: Statt der 16 westdeutschen und West-Berliner Verlage, die sich ursprünglich angemeldet hatten, stellten nur drei aus: der Musikverlag Bärenreiter sowie der West-Berliner Kommissionär Helios und dessen Schwesterfirma Verlag Radio-Foto-Kinotechnik. Es lässt sich erahnen, wie diese Stände bestürmt wurden. Der Helios-Geschäftsführer beschwerte sich, "dass es nicht mehr erträglich ist, wie man ihn zu dieser Messe belästigt. Journalisten, Korrespondenten und Mitarbeiter sonstiger Dienststellen sprechen laufen[d] bei ihm vor, um sich über seine politische Meinung zu informieren. Er wünscht nicht, als Aushängeschild benutzt zu werden".
Diese beiden Berliner Schwesterfirmen hielten die Stellung im Hansahaus. Alle anderen regelmäßigen Aussteller, die man in den 1950er-Jahren mühsam angeworben hatte und die trotz des Boykotts in Verbindung mit dem gekündigten Interzonenhandelsabkommen Leipzig die Treue gehalten hatten, brachen nun komplett weg.
Auch der wissenschaftliche Springer Verlag, der seit Mitte der 1950er-Jahre mit einem eigenen Stand ausstellte, kam seit Herbst 1961 nicht mehr nach Leipzig. Er ignorierte das Boykottschreiben des Börsenvereins dann jedoch und stellte im Herbst 1963 wieder aus. (© Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (StA-L), 20202 Leipziger Messeamt I (Teil Fotos), 17930)
Auch der wissenschaftliche Springer Verlag, der seit Mitte der 1950er-Jahre mit einem eigenen Stand ausstellte, kam seit Herbst 1961 nicht mehr nach Leipzig. Er ignorierte das Boykottschreiben des Börsenvereins dann jedoch und stellte im Herbst 1963 wieder aus. (© Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (StA-L), 20202 Leipziger Messeamt I (Teil Fotos), 17930)
Erst zur Herbstmesse 1963 stellten wieder neun West-Verlage aus, was aber vor allem auf den Umzug in das neue Messehaus am Markt und dessen Anziehungskraft zurückzuführen war.
Auswirkungen: Die folgenden Messen
Besonders schwierig ließ sich die Messe im März 1962 an. Erneut organisierte das Bundeswirtschaftsministerium einen wirksamen inoffiziellen Boykott. Aus der Not heraus teilte das Messeamt den sozialistischen Verlagen diesmal deutlich mehr Raum zu. Es vermietete der ČSSR eine außerordentlich große Fläche, sodass der Prager Verlag Artia zusammen mit dem Stand des Verlags der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften fast eine halbe Etage des vierstöckigen Hansahauses einnahm. In der Tat stellte es damit die gesamte politische Gewichtung des Ostblocks auf den Kopf, weil jetzt die Proportionen in den Ausstellungen der sozialistischen Länder nicht mehr gewahrt waren und die Sowjetunion mit einem weitaus kleineren Stand als gewohnt Vorlieb nehmen musste – er war sogar kleiner als der Polens.
Auch der Frankfurter Börsenverein begann, sich aktiv am Boykott zu beteiligen. Nach den Ereignissen im Sommer 1961 nahm er zunächst lediglich mit einem kleinen Ausschnitt aus dem Protokoll der Vorstandssitzung offiziell dazu im Börsenblatt Stellung.
Die Frankfurter Buchmesse, die im Oktober im Anschluss an die Leipziger Buchmesse ins Haus stand, erforderte ebenfalls eine einheitliche Positionierung gegenüber den ostdeutschen Verlagen. 41 von ihnen hatten rechtsverbindliche Mietverträge abgeschlossen. Der Interzonenhandelsausschuss lehnte eine "einseitige Verweigerung" ab, so sehr "gefühlsbestimmte Überlegungen" eine Vertragskündigung gerechtfertigt erscheinen ließen. Dabei dachte er an den Rechtsstreit, auf den es der Deutsche Buch-Export hatte ankommen lassen und dessen Wiederholung man vermeiden wollte.
Darüber hinaus nahm der Frankfurter Verband den Mauerbau zum Anlass, endlich die "Abwehr östlicher Unterwanderung durch billige Bücher" vor allem im Lehr- und Fachbuchbereich zu verstärken. Verlage wie Harry Deutsch, die sich eine goldene Nase mit dem Fortdruck ostdeutscher Titel verdienten, waren ihm ein Dorn im Auge. Solche Bücher waren nur durch die abweichende Verlagsangabe äußerlich als Produkt westlicher Verlage gekennzeichnet. Die Schwierigkeit bestehe allerdings darin, nicht den Eindruck zu erwecken, der westdeutsche Buchhandel weise aus wirtschaftlichen Gründen auf die Gefahren der fast ausnahmslos politisch gefärbten Literatur hin.
Wie groß die Angst vor Unterwanderung und Infiltration unter den Verbandsakteuren war, zeigte ein rigider, streng vertraulicher Maßnahmenkatalog, der auf den Überlegungen dieser Sitzung des Interzonenhandelsausschusses basierte und die Abschottung gen Osten vorantrieb: keine Koproduktion mit ostdeutschen Verlagen außer bei theologischer, geisteswissenschaftlicher und streng wissenschaftlicher Literatur, keine Rezensionen, kein Vertrieb ostdeutscher Verlagserzeugnisse, keine Belegexemplare an die Deutsche Bücherei in Leipzig, keine Lizenzverträge und – keine Beteiligung an der Leipziger Messe.
Nach der Herbstmesse 1961 ließ der Frankfurter Börsenverein die Teilnahme in Leipzig zunächst offen und knüpfte eine etwaige Empfehlung an seine Mitglieder daran, ob Verhandlungen der Warenlisten für 1962 stattfinden würden. Als die Leipziger Messe ihre Pforten geschlossen hatte, wandte er sich ratsuchend an die Treuhandstelle für den Interzonenhandel, die allerdings befremdet zu verstehen gab, dass andere Wirtschaftsverbände gegenüber ihren Mitgliedern keine Stellung zum Mauerbau bezogen hätten.
Das Podium auf der Pressekonferenz der Leipziger Buchmesse – das Barometer der Befindlichkeiten – hatte zur Herbstmesse 1961 noch vergleichsweise verhalten reagiert. Doch schon bald schoss die DDR mit Propaganda zurück. Klaus Gysi, Aufbau-Verleger, Vorsteher des ostdeutschen Verbands und später DDR-Kulturminister, sprach von Täuschungsmanövern des bundesdeutschen Börsenvereins und verlas dessen Boykottschreiben. Indem er verhindere, dass die Verleger Leipzig besuchten, trage er zur Spaltung Deutschlands bei. Außerdem wies Gysi erbost auf das dreisprachige Büchlein mit dem Titel "Prozess gegen Leser" hin, das der westdeutsche Verband herausgegeben und verschickt hatte und dessen Vorwort den Namen des Vorstehers Werner Dodeshöner trug. Gysi schloss mit einer Drohgebärde in Richtung westdeutscher Buchmesse: "Ich möchte ganz offen sagen, dass eine solche Politik uns gegenüber den internationalen Charakter der Frankfurter Buchmesse auf das allerschärfste bedrohen muss."
Fünf Jahre später spielte die DDR diese Karte erneut – und zog jetzt alle Konsequenzen: Die Frankfurter Buchmesse hatte ihre Ausstellungsbedingungen verschärft und gab erst auf sowjetischen Druck nach, als Moskau ankündigte, der Messe fernzubleiben.
Diese Art von Stimmungsmache betrieb die DDR-Seite auch zu den folgenden Messen, da der Frankfurter Verband sein Boykottschreiben 1962 und 1963 erneuert hatte. In der zweiten Jahreshälfte 1963 lieferte die DDR ihm jedoch einen neuen Grund, warum er seinen Mitgliedsverlagen weiterhin – mit Erfolg – von einer Messebeteiligung in Leipzig abriet. Diesmal nahm er die Anordnung des Ministers für Kultur vom Sommer des Jahres zum Anlass, die den geschenkweisen Empfang von Büchern und Zeitschriften aus dem Westen von einer ministeriellen Genehmigung abhängig machte. Erst im Herbst 1964 zog er schließlich sämtliche Einwände gegen die Leipziger Messe zurück.
Fortan entwickelte sich die Menge der westdeutschen Verlage nach dem kurzen Höhenflug zur Eröffnung des Messehauses am Markt wieder merklich positiv. Aus den drei bis vier Einzelausstellern waren Anfang der 1970er-Jahre mehr als 40 geworden. Außerdem brachen sich mit Luchterhand und
Der Stand des Suhrkamp Verlags, der seit Herbst 1965 wieder in Leipzig ausstellte, aufgenommen vom MfS. (© BStU, MfS HA XX 12614, Bl. 301.)
Der Stand des Suhrkamp Verlags, der seit Herbst 1965 wieder in Leipzig ausstellte, aufgenommen vom MfS. (© BStU, MfS HA XX 12614, Bl. 301.)
Suhrkamp, die seit der Nachkriegszeit 1965 wieder Stände in Leipzig bespielten, die einflussreichen belletristischen und geisteswissenschaftlichen Verlage als neue Ausstellergruppe eine Bahn. Diese Entwicklung stand im Zusammenhang mit einem Einstellungswandel der westdeutschen Buchhändler und Verleger gegenüber ihrer Branchenvereinigung, die sich seit Mitte des Jahrzehnts zunehmender Kritik stellen musste. Dazu gehörten auch die Verleger, die sich mit Nachdruck für die Vermittlung von DDR-Literatur in der Bundesrepublik einsetzten. Da deren Programme auch Titel von Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse & Co. beinhalteten, stießen sie auf ein gesteigertes Interesse bei den Lesern im Osten, für die die Buchmesse nach der Grenzschließung ein wichtiges Loch in der Mauer wurde.
Mitten in der Messekrise 1961/62 war jedoch ein interessanter Widerspruch zu beobachten gewesen: Obwohl der Anteil der westdeutschen Aussteller drastisch sank, blieb die vermeldete Gesamtzahl der Buchmesse-Aussteller überraschenderweise konstant, knapp unter der 150er-Marke. Der wesentliche Grund dafür war die steigende Beteiligung von Ausstellern aus dem westlichen Ausland, die die entstandene Lücke gern nutzten. Beispielsweise stellten Academic Press aus New York und die Akademische Verlagsanstalt aus Graz im Frühjahr 1962 erstmals in Leipzig aus. Bis auf den Boykott einiger Schweizer Verlage verzeichnete das Hansahaus aus den westlichen Industrieländern keinerlei Schwund.
Dieser Trend hatte schon während des gekündigten Handelsabkommens begonnen: mit Pergamon Press (London), dem Pariser Wissenschaftsverlag Hermann oder Arnoldo Mondadori (Mailand). Im Frühjahr 1961 hatte die Branche sogar Stanley Unwin begrüßt, Ehrenpräsident der Internationalen Verlegerunion, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Leipzig gelernt hatte und bis 1911 zu den Kantateveranstaltungen, dem Vorläufer der modernen Buchmesse, gekommen war. Ein solch angesehener Gast goss natürlich Wasser auf die Mühlen der De-facto-Anerkennungspolitik.
Verlage aus dem „kapitalistischen Ausland“ wie die englische Oxford University Press füllten die Lücke der westdeutschen Verlage, die im Messehaus seit dem Mauerbau entstanden war. (© Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (StA-L), 20202 Leipziger Messeamt I (Teil Fotos), 12843)
Verlage aus dem „kapitalistischen Ausland“ wie die englische Oxford University Press füllten die Lücke der westdeutschen Verlage, die im Messehaus seit dem Mauerbau entstanden war. (© Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (StA-L), 20202 Leipziger Messeamt I (Teil Fotos), 12843)
Der Zuspruch des "kapitalistischen Auslands" im Hansahaus und im Gegensatz zum Boykott Westdeutschlands verdeutlichen, wie weit die Ostpolitik der Bundesrepublik und die der westlichen Verbündeten auseinanderdriftete. Neben ihrem Betreiben auf nationaler Ebene war es der Bundesregierung nicht gelungen, unter den westlichen Partnern Befürworter zu finden, da sie Berlin als Sonderproblem ansahen, das nicht als Maßstab ihres neuen ostpolitischen Konzepts galt. Obwohl der NATO-Rat auf Anregung der Bundesregierung 1961/62 seinen Mitgliedsländern schließlich empfahl, nicht nach Leipzig zu fahren, fand dies innerhalb der Wirtschaft der anderen westlichen Industrieländer keine Beachtung.
Stattdessen registrierte das Messeamt für zahlreiche Firmen aus den Bündnisländern der Bundesrepublik neue Aussteller oder erweiterte Flächen, sodass die SED-Führung die Herbstmesse 1961 als außenpolitischen Erfolg verbuchen konnte. Letztlich verhalf diese Entwicklung auch der Leipziger Buchmesse zu einem zweiten Internationalisierungsschub. Nachdem Anfang der 1950er-Jahre ein erster auf sie zugekommen war, wuchs die Präsenz nun nicht in die Breite, sondern in die Tiefe: Nicht die Menge der Länder erhöhte sich, aber die Menge der Aussteller pro Nation.
Fazit
Die ostdeutschen Messeorganisatoren hatten schon verschiedene Erfahrungen gesammelt, die zeigten, dass der Erfolg der Leipziger Veranstaltung stark an die deutsch-deutschen Befindlichkeiten gekoppelt war. Der Bau der Berliner Mauer schwächte die ohnehin in dieser Zeit instabile Buchmesse ernstlich und eindrücklich. Gleichwohl hatte die Bücherschau diese Phase durch die rege Teilnahme von Verlagen aus dem westlichen Ausland besser als erwartet überstanden, und die Ausstellerzahlen und -flächen blieben tatsächlich konstant. Vor allem aber darf eine Feststellung nicht übersehen werden: Auch wenn sich die westdeutsche Beteiligung insgesamt mager ausnahm, wollten viele Verlage nicht auf die Leipziger Buchmesse verzichten. Sie kamen zwar nicht als Einzelaussteller, aber über einen Kommissionär oder durch Prokuristen, die jenseits einer offiziellen Präsenz ausgesandt wurden. Es war dem Frankfurter Börsenverein mit seinen Kampagnen also nicht gelungen, in dieser Frage alle seine Mitglieder vollständig hinter sich zu bringen. Einzelne Verlage behaupteten ihr Entscheidungsrecht fernab der verordneten Linie, was den Stellenwert der Buchmesse als deutsch-deutsches Handelsforum unterstreicht – auch in politisch höchst angespannten Zeiten.