Sandra Meenzen: Konsequenter Antifaschismus? Thüringische SED-Sekretäre mit NSDAP-Vergangenheit, Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen 2011, 74 S., € 5,–, ISBN: 9783937967820.
Dietmar Remy, Axel Salheiser (eds./Hg.): Integration or Exclusion: Former National Socialist in the GDR/Integration oder Ausgrenzung: Ehemalige Nationalsozialisten in der DDR (Historical Social Research/Historische Sozialforschung; 35 [2011] 3), Köln: Quantum 2011, 432 S., € 12,–, ISSN: 0172-6404.
Harry Waibel: Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR, Frankfurt a. M.: Lang 2011, 390 S., € 49,80, ISBN: 9783631635421.
Konsequenter Antifaschismus?
In einer populären Darstellung geht Sandra Meenzen auf den Umgang der SED mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern ein. Sie präsentiert beispielhafte biografische Skizzen von "Pgs" (NSDAP-"Parteigenossen"), die erste und zweite SED-Sekretäre in Thüringen waren.
Sie unterstellt damit eine Vergleichbarkeit. Aber im Unterschied zu den einfachen Mitgliedern hatten die SED-Sekretäre eine "wichtige Rolle im Herrschaftsgefüge der DDR" (6) und waren an die Weisungen übergeordneter Stellen gebunden. Sie gehörten – anders als die einfachen Genossen – zur "regionalen Machtelite, die wesentlich zur Herrschaftssicherung der SED beitrugen. (60) Bei ihnen war das Verschweigen der NSDAP-Vergangenheit für die Karriere sicherlich zweckdienlich.
Meenzen kommt zu dem Schluss, dass in der Anfangszeit der SBZ/DDR die "braune Vergangenheit" häufig relativiert wurde: "Da die Partei für den Aufbau ihrer politischen Strukturen Aufbauhelfer benötigte, musste ein fließender Übergang unter Verwendung der vorhandenen personalen Kräfte in das neue System hergestellt werden." (59) Später setzte sich ein einvernehmliches Verschweigen durch, welches bis 1989 eine gegenseitige Loyalität gewährleistete.
Integration oder Ausgrenzung
HSR 35 (2011) 3: Integration or Exclusion (© ZHSF)
HSR 35 (2011) 3: Integration or Exclusion (© ZHSF)
Sandra Meenzen ist mit ihrem Thema auch in dem zweisprachigen Band "Integration or Exclusion/Integration oder Ausgrenzung" des Journals "Historical Social Research/Historische Sozialforschung" vertreten. Bei ihrem wissenschaftlichen Beitrag handelt es sich offenbar um die Ausgangsbasis der angesprochenen populären Publikation, was allerdings unerwähnt geblieben ist. Meenzen hat wie die anderen Beiträger in dem Sonderforschungsbereich "Gesellschaftliche Veränderungen nach dem Systemumbruch" der Universität Jena mitgearbeitet, dessen Ergebnisse den Schwerpunkt dieser Zeitschriftenausgabe bilden.
In acht Aufsätzen werden – nach einer Einleitung von Dietmar Remy und Axel Salheiser zu "Integration or Exclusion: Former National Socialists in the GDR" – verschiedene Aspekte dieses Themas angesprochen. Es geht um NS-Unterlagen im Berlin Document Center (Heinz Fehlauer) und die Formierung sozialistischer Eliten in der DDR (Heinrich Best). Hier wird daran erinnert, dass "in 1952 about 100,000 former NSDAP members were members of the SED" (39), was etwa acht bis zehn Prozent ausmachte. Diese Tatsache stellte "a provocation for the veterans from former workers' party and the communist opposition groups of the Weimar Republic" dar. Die "avant-garde of anti-fascist Germany was recruited from the rearguard of the NS regime." (41)
Hieran schließt sich die erwähnte wissenschaftliche Darstellung von Sandra Meenzen an, bevor Jens Gieseke den Zusammenhang zwischen DDR, Ministerium für Staatssicherheit und NS-Tätern untersucht, eines der "umstrittensten Themen der Aufarbeitung" (79). Der Autor weist auf die Einbindung des MfS in die Kampagnenpolitik der DDR hin und kritisiert den späten Beginn systematischer Ermittlungen. Zu der "geheimen Vergangenheitspolitik der SED" werden vom Autor neue Fragen aufgeworfen und beantwortet: "Es gab offensichtlich in der DDR viel mehr NS-Täter, die dort unbehelligt leben konnten, als jemals sichtbar wurde." (91)
In den weiteren Beiträgen wird auf ehemalige Nationalsozialisten in Regierungsstellen (Jens Kuhlemann), auf Karrieremuster von DDR-Wirtschaftseliten (Axel Salheiser), auf konkurrierende Netzwerke von SED und der alten Intelligenz in der DDR-Industrie (Armin Müller) sowie abschließend auf das kollektive Gedächtnis und die Opfer des Kommunismus (Ronald Gebauer) eingegangen. Man darf auf weitere Publikationen der Mitarbeiter und der Mitarbeiterin des Forschungsprojektes gespannt sein.
Diener vieler Herren
Harry Waibel, Diener vieler Herren (© Peter Lang)
Harry Waibel, Diener vieler Herren (© Peter Lang)
Eine sehr informative Ergänzung zum Thema stellt das Personenlexikon "Diener vieler Herren" von Harry Waibel dar. Die von ihm zusammengestellten Kurzbiografien umfassen "Personen aus wichtigen gesellschaftspolitischen Berufen, wie Politiker, Soldaten und Polizisten, Ärzte, Mediziner, Wissenschaftler, Manager, evangelische Theologen und Pfarrer, Künstler und Sportler." (11) Waibel hat Personennachschlagewerke ausgewertet und mit der Überlieferung des Berlin Document Center verglichen. Die wichtigsten Kriterien für die Aufnahme in sein Handbuch bildeten die Geburtsjahrgänge 1880–1925 und berufliche Aktivitäten und politische Mitgliedschaften in der NS- und SBZ/DDR-Zeit. Ausgeschlossen geblieben sind wegen ihrer NS-Vergangenheit verurteilte Personen.
Die insgesamt erfassten fast 1 500 Personen lassen sich in sieben Rubriken aufteilen: Wissenschaft (500), Kultur (290), Politik (250), Medizin (160), Medien (120), Manager (120) und Militär (50). Sie waren "sowohl für Nazi-Deutschland als auch in der SBZ/DDR aktiv" (12). In manchen Fällen erschließt sich die Bedeutung der NS-Aktivitäten und des SED-Engagements nicht ohne Weiteres, wie am Beispiel von Max Elten hinterfragt werden soll. Dieser Mann gehörte seit 1935 der NSDAP an und war von 1934 bis 1970 Chefbühnenbildner an der Städtischen Oper in Leipzig, "Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg" und in britischer Kriegsgefangenschaft. Einen möglichen Widerspruch zu der bereits genannten Information wirft die Aussage auf: "Nach 1945 war er an der Leipziger Oper als Bühnenbildner und Maler tätig." (79) Es ist unklar, welche Funktion Elten in der NS-Zeit bekleidete, ob er Bühnenbildner oder Chefbühnenbildner war, welche Funktion er im Krieg ausübte und welchen Stellenwert seine SED-Mitgliedschaft hatte. Dies wird sicherlich auf fehlenden Informationen beruhen.
Die Zusammenstellung Harry Waibels zeugt von einem immensen Fleiß und einer Menge Arbeit. Sie ist eine aktuelle Erweiterung bestehender biografischer Nachschlagewerke und regt zu weiterführenden Untersuchungen an. Dazu könnte die Frage gehören: Wie viele der Leute gingen in den Westen und erhöhten damit die Anzahl der ehemaligen NS-Funktionäre in Westdeutschland?
Leider erschweren wiederholte, langweilige und stereotype Formulierungen und häufige Rechtschreibfehler die Lektüre. Falls es zu einer korrigierten Neuauflage dieser sehr verdienstvollen Dokumentation kommen sollte, ist unbedingt ein Lektorat anzuraten.