Sammelrezension zu:
Ute Daniel, Axel Schildt (Hg.), Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts (Industrielle Welt; 77), Köln u.a.: Böhlau 2010, 440 S., € 44,90, ISBN: 9783412204433.
Werner Faulstich, Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts, München: Verlag 2012, 461 S., € 49,90, ISBN: 9783770552689.
Paulina Gulińska-Jurgiel, "Die Presse des Sozialismus ist schlimmer als der Sozialismus". Europa in der Publizistik der Volksrepublik Polen, der ČSSR und der DDR, Bochum: Winkler 2010, 328 S., € 38,50, ISBN: 9783899111316.
Tim von Arnim: "Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen". Der Unternehmer Axel Springer, Frankfurt a. M.: Campus 2012, 410 S., € 34,90, ISBN: 9783593396361.
Mittlerweile ist es geradezu zwingend, Massenmedien im europäischen Kontext als eigenständige historische Größe zu betrachten. So kann nachvollzogen werden, wie moderne Gesellschaften im 20. Jahrhundert nicht nur von ihnen immer dichter durchdrungen, "medialisiert" wurden, ihr Beitrag zu grenzüberschreitender kultureller "Entgrenzung" im Erfahrungshorizont dieser Gesellschaften kann schärfer in den Blick genommen werden. Sicherlich kann damit auch zur Historisierung der Diskussion über die europäische Integration beigetragen werden.
Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts
Die Beiträge dieses Bandes kreisen, so die Herausgeber Ute Daniel und Axel Schildt, um die "Signaturen des 20. Jahrhunderts", dieses Säkuluums der elektronischen Massenmedien (9). Der Band versteht sich als "Einstiegshilfe in das noch unzureichend vermessene Gebirge" der europäischen Mediengeschichte als Teil von dessen allgemeiner Geschichte (25f). Inhaltlich sind die Beiträge aufgegliedert nach der homogenisierenden bzw. differenzierenden Rolle der Medien ("Massenmediale Vergesellschaftung") sowie nach den gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, in deren Kräftefeldern die Medien stehen und nach zentralen Themenbereichen ("Medienthemen – Medien als Thema").
Dass Massenmedien, wertneutral betrachtet, zur Vergesellschaftung beitrugen und beitragen, erläutern etwa der Beitrag von Jörg Requate zur "Amerikanisierung" als Grundzug europäischer Medienentwicklung oder Jan C. Behrends Skizze der Öffentlichkeit in der Sowjetunion und Osteuropas von 1917 bis 1991, mit dem – kaum überraschenden – Resultat defizitärer moderner Mediennutzung und breitflächigen Abwehrverhaltens der Konsumenten in den staatssozialistisch gelenkten Gesellschaften. Inge Marszolek und Adelheid von Saldern zeichnen die mediale gesellschaftsstabilisierende Durchdringung am Beispiel des Mediums "Radio" als historischer Konstituante in drei politisch gegensätzlichen Systemen des Nationalsozialismus, der Nachkriegs-Bundesrepublik und der DDR nach. Insgesamt wird in den Beiträgen eher eine Bestandsaufnahme der laufenden Forschung denn eine zielgerichtete Öffnung neuer Horizonte geleistet. Technische, wirtschaftliche und medienrechtliche Aspekte bleiben in den Beiträgen eher unterbelichtet, weshalb besonders auf die Beiträge von Wolfgang König zur technischen Entwicklung der Massenmedien (59-83) und von Friedrich Kübler zur Entfaltung des Medienrechts nach 1945 (255-276) hingewiesen werden soll. Gleichwohl wird durch die Einbettung der Beiträge in den zeithistorischen Rahmen deutlich, wie unverzichtbar mittlerweile Mediengeschichte als integraler Bestandteil von Geschichtsforschung ist.
Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts
(© Fink Verlag)
(© Fink Verlag)
Werner Faulstich ist den Weg zu einer integralen Mediengeschichte
Die zehn unterschiedlich gewichteten Kapitelteile werden jeweils in einem kleinen Überblick zusammengefasst. Mit dem pointiert ausgewählten Bildmaterial versteht sich dieser Überblicksband als Beleg zunehmender massenmedialer Verdichtung moderner Gesellschaften.
Faulstichs Ziel ist es, unter anderem aus den verfügbaren Forschungsbeiträgen (er nennt weit über 4.000), eine Zwischenbilanz heutigen Wissens über die Medienentwicklung des vergangenen Jahrhunderts zur Verfügung zu stellen (13). Im Teil 6 etwa beschreibt der Autor "das Mediensystem der Nationalsozialisten". Seine Begründung für diese Paraphrasierung/Deutung liegt vor allem darin, dass er das totalitäre Regime von einem allumfassenden Zugriff von Beginn an begreift, sowohl auf die "archaischen" Medien wie etwa das Fest, Theater, Aufmärsche etc. als auch die modernen und neuen Medien (133). Er findet dort noch Forschungsbedarf, etwa hinsichtlich der Fotografie und des gezielten propagandistischen Einsatzes von Briefen sowie zum "Blatt", was Flugblätter, Bildpostkarten oder Kalender einschließt.
Faulstich verweist auch auf andere Leerstellen in der Forschung und liefert Anhaltspunkte für weiteres Nachdenken. Auch wenn manches dabei neben fast zwangsläufig sich ergebenden Redundanzen und Verkürzungen (etwa in der Darstellung der Leitmedien) eher stichpunktartig vermittelt wird, bleibt der große Gewinn des trotz seiner Detailfülle gut lesbaren Bandes. Denn gerade die solcherart geleistete Zusammenschau macht Zäsuren und Entwicklungssprünge in ihrer kulturgeschichtlichen Breiten- und Tiefenwirkung letztlich greifbar. Der kulturelle Bezugspunkt dieses Überblicksbandes bleibt dabei weitgehend der mitteleuropäisch-atlantische Raum, wobei Werner Faulstich die spezifisch deutsch-deutsche Entwicklung ausgeblendet hat.
"Die Presse des Sozialismus ist schlimmer als der Sozialismus"
(© Verlag Dr. Winkler)
(© Verlag Dr. Winkler)
Unter dem polemischen Zitatfragment, das auf den polnischen Publizisten Stefan Kisielewski zurückgeht, werden die Ergebnisse einer Studie aus dem von der VolkswagenStiftung geförderten Projekt "Europa im Ostblock. Vorstellungswelten und Kommunikationsräume im Wandel" angekündigt. Mit Hilfe eines kulturwissenschaftlichen Ansatzes in einer mehrschichtigen Diskursanalyse hat Paulina Gulińska-Jurgiel die Europa-Bilder in der Presse der ČSSR, der Volksrepublik Polen und der DDR herausgearbeitet und dafür einen recht kurzen Zeitraum gewählt, nämlich das ereignisreiche Jahrzehnt von 1965 bis 1975. Beides scheint zunächst erklärungsbedürftig, zum einen der kurze Untersuchungszeitraum, zum anderen der mögliche Einwand, ob die Geschichte des ehemaligen "Ostblocks" überhaupt mit dem Europagedanken in einer produktiven Weise verbunden werden kann. So legt die Studie nahe, dass es angesichts der Frage nach einer gelungenen Osterweiterung der EU ratsam ist, sich den herrschenden Denktraditionen vor 1989 genauer zu widmen. Wie die Autorin gelungen nachweist, diente "Europa" durchaus als Gegenstand und Bezugspunkt des Denkens und Handelns des "Ostblocks", um sich einerseits vom Westen abzugrenzen und andererseits, etwa in der weltpolitischen Sicherheitsdebatte um die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte, eine eigene Sinnwelt von "Europa" zu schaffen, die über den gesamten Zeitraum dynamisch weiterentwickelt wurde.
In einem weiteren Schritt untersucht sie in verschiedenen Periodika erschienene Karikaturen zu "Europa" (151ff). Damit betrat die Autorin Neuland, leider auf einem doch eher kurz ausgeschrittenen Weg, indem sie versuchte, Visualisierungen von Europakonstruktionen im Ostblock aus den satirischen Blättern "offizieller Satire" ("Eulenspiegel", "Szpilki", "Dikobraz") zu destillieren.
Deutlich werden die national bezogenen Interessen der kommunistischen Machthaber, die immer in die blockinternen Abstimmungsprozesse einflossen, also so eine spezifische Diskursfähigkeit hervortrat (78ff). Es ging der Autorin auch darum zu zeigen, dass "Öffentlichkeiten" in diesen gelenkten Gesellschaften zwar nicht pluralistisch sein konnten wie die westlicher Gesellschaften, dabei aber auch keineswegs monolithisch verfasst waren (27 u. 32ff). Es waren jenseits trockener Parteistatements Verstärker vonnöten, die diese Gedanken- und Identifikationswelt gesellschaftlich emotional nachvollziehbar machen sollten. Aus nahe liegenden Gründen zog Gulińska-Jurgiel für ihre Untersuchung "Flaggschiffe" der gelenkten Presse heran: die wöchentlich erscheinenden kulturpolitisch ausgerichteten Zeitungen "Wochenpost" aus der DDR, die heute noch erscheinende "Polityka" aus Polen und "Tvorba" aus der ČSSR. Leider ging sie dabei nur partiell auf die Zielgruppen dieser Blätter ein, um diesem Begründungszusammenhang mehr Tiefe zu geben. Das wird vor allem am Beispiel der in Krakau erschienenen Wochenzeitschrift "Tygodnik Powszechny" deutlich, die einen gewichtigen Teil der Untersuchung einnimmt. Indem die Autorin sich eingehend mit dem zeitweilig führenden Redakteur der Zeitschrift, Stefan Kisielewski, befasst, einem der Mitbegründer der oppositionellen linkskatholischen Klubs der polnischen Intelligenz (KIK), kann Paulina Gulińska-Jurgiel gerade an diesem Beispiel das differenzierte Wechselverhältnis von Teilöffentlichkeiten im "Ostblock" deutlich machen. Gleichzeitig scheinen mit dieser Personalisierung auch die Grenzen oppositioneller Äußerungen im Rahmen dieses Geflechts auf: Kisielewski, der sich 1968 mehrfach zu Verbotspraktiken der "Diktatur der Dummköpfe" geäußert hatte, wurde daraufhin nicht nur brutal zusammengeschlagen, sondern auch mit einer massiv diffamierenden Pressekampagne überzogen (255f).
"Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen"
(© Campus Verlag)
(© Campus Verlag)
Etwas irritierend ist es schon … Nimmt man das Buch zur Hand, ist man geneigt zu denken, dass über Axel Springer und sein Presseimperium doch schon ausreichend geschrieben worden sei.
Durch die Dichte des verwendeten Materials stellt diese Unternehmerbiografie im Verständnis des Autors einen erfreulichen Beitrag zur Mediengeschichte sowie zur Kulturgeschichte Deutschlands dar. Denn wie kaum ein anderer bundesrepublikanischer Unternehmer war Springer in den 1960er-Jahren "Projektionsfläche von Angst und Bewunderung, von Hass und Sympathie, von Agitation und Vereinnahmung" geworden (11). Von Arnim bemüht sich in diesem recht übersichtlichen Band (267 Seiten Darstellung) gerade um die Herausarbeitung dieser Spannung zwischen unternehmerischem Handeln des gelernten Buchdruckers und dessen politisch-weltanschaulichen Ambitionen. So werden seine innovativen Ambitionen von den "Nordwestdeutschen Heften" oder "Kristall" bis zu "Bild“ in den 60er-Jahren wohltuend sachlich gewürdigt und dabei auf seine mitunter frag- und kritikwürdige Personalpolitik hingewiesen (38).
In dem umfangreichsten Teil zwei steht diese Profilierung zum politischen Verleger sehr überzeugend im Vordergrund, besonders nach Springers krankheitsbedingten Lebenskrise 1957/58. Springer hielt sich zwar von revisionistischen Kreisen fern und machte sich für eine deutsch-jüdische Aussöhnung stark, wurde aber in seinem Engagement für die Aufhebung der staatlich-politischen Teilung zu einem nahezu missionarisch eifernden Verfechter der deutschen Einheit und zu einem rigiden Antikommunisten. Gleichzeitig wird mit der Biografie aus der Feder von Arnims auch deutlich: Springer war dabei immer ein rational denkender Verlegerunternehmer, mit wenigen, allerdings folgenschweren Ausnahmen: So engagierte er sich bereitwillig, wie andere führende Verlegerpersönlichkeiten auch, für das Projekt eines kommerziell arbeitenden Fernsehens in den 60er-Jahren, ohne grundsätzlich gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen eingestellt gewesen zu sein. Von Arnim zeichnet akribisch den Weg bis zu Springers Rückzug "von der fernsehpolitischen Bühne" nach und lässt erkennen, dass Springer wohl als Unternehmer wie als politischer Mensch damit eine schwere Niederlage erlitten hatte: "So erwies sich das fernsehpolitische Engagement nicht zuletzt als 'Büchse der Pandora' mit verhängnisvollen Konsequenzen für den Verlagskonzern" (200).
Einmal mehr verdeutlicht diese Biografie prononciert, dass Axel Springer in die Riege europäischer "Medientycoons" wie Rupert Murdoch und andere eingereiht werden sollte. Das Buch Tim von Arnims bietet eine wichtige Lektüre zur Betrachtung eines der weltweit führenden Medienkonzerne mit über 10.000 Beschäftigten und einem milliardenschweren Umsatz.