Sammelrezension zu:
Hanns Leske: Fußball in der DDR. Kicken im Auftrag der SED, Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen 2010, 143 S., € 5,–, ISBN: 9783937967691.
Kai Reinhart: "Wir wollten einfach unser Ding machen". DDR-Sportler zwischen Fremdbestimmung und Selbstverwirklichung (Campus Forschung; 945), Frankfurt a. M./New York: Campus 2010, 424 S., € 45,–, ISBN: 9783593391861.
Ferdinand Kösters: Verschenkter Lorbeer. Sportpolitik in Deutschland zur Zeit der Wende 1989/90 (Edition Octopus), Münster: Monsenstein und Vannerdat 2009, 209 S., € 20,50, ISBN: 9783865829726.
Mike Dennis, Jonathan Grix: Sport under Communism. Behind the East German 'Miracle' (Global Culture and Sport), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, 261 S., £ 55.00, ISBN: 9780230578197.
René Wiese, Jutta Braun: Ästhetik und Politik. Deutsche Sportfotografie im Kalten Krieg, Begleitbuch zur Ausstellung, Hildesheim: Arete 2010, 130 S., € 24,95, ISBN: 9783942468015.
Fußball in der DDR
Einem Thema, bei dem fast jeder Bürger unseres Landes mitredet und dennoch zumeist nur ein anekdotisches Wissen seiner Entwicklung hat, wendet sich Hanns Leske zu: dem Fußball. Der Autor, der bereits verschiedene Bücher zu dieser Sportart vorgelegt hat, versucht in seiner Schrift, die Geschichte des DDR-Fußballs knapp und informativ vor allem für die Zwecke der politischen Bildung darzustellen. Es gelingt ihm, alle wesentlichen Zusammenhänge des Sportsystems der DDR darzulegen und auf die wichtigen Ereignisse des Fußballsports in diesem Land einzugehen. Er beschreibt die Übernahme des sowjetischen Sportmodells durch die DDR, die Rolle der SED und natürlich den Einfluss der Staatssicherheit. Der Leser erfährt manches über die großen Mannschaften, ihre Erfolge und die deutsch-deutschen Begegnungen auf dem Rasen.
Das Buch hat allerdings einen Mangel, denn im Blick des Autors steht überwiegend der Spitzensport. Zu wenig wird dargestellt, was Fußball als Breitensport in der DDR bedeutete. Erinnert sei nur an den ständigen Mangel an Sportgeräten und Material. Fast alle, die im sozialistischen deutschen Staat dem Ball nachjagten, streckten sich in der Mangelwirtschaft auch nach den Bällen. Im Jahre 1973 bilanzierte die Abteilung Sport des ZK der SED selbst eine "sortimentsgerechte Abdeckung des Bedarfs an Fußbällen" von nur 60 Prozent. Im Dokument liest sich der Zustand so: "Für das kommenden Jahr steht dem angemeldeten Bedarf von 180.000 Bällen z. Z. ein Angebot von 120.000 Stück aus eigener Produktion und Import gegenüber."
Auch auf die Fanszene des DDR-Fußballs geht der Autor nicht ernsthaft ein. Doch gerade ihre Entwicklung verweist auf die systemimmanenten Defizite des Staates. SED und Stasi wollten und konnten mit einer selbstbestimmten, sich ständig wandelnden Fußball-Kultur nicht leben. Im Gegenteil, sie kriminalisierten vor allem jugendliche Fans und ihre Gruppen. Es ging soweit, dass zum Beispiel der Besuch eines Fußballspiels der polnischen Nationalmannschaft gegen die DFB-Auswahl in Warschau 1971 zu Exmatrikulierungen und schwerwiegenden Karrierebrüchen der Sportbegeisterten führten. Und wie sehr die Staatssicherheit auch die Fanszene mit inoffiziellen Mitarbeitern (IM) durchsetzte, ist in fast endlosen Aktenmetern im Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) belegt. Für den Zweck der politischen Bildung scheint gerade die Geschichte der DDR-Fans aus Sicht des Rezensenten sehr geeignet, denn sie berührt die Alltagserfahrung der heutigen Fußballbegeisterten weit mehr als die Spitzeltätigkeit in den Kabinen der Oberligamannschaften.
Trotz dieser Kritik ist die Publikation von Hanns Leske empfehlenswert. Schulen sollten von diesem Buch regen Gebrauch machen und es im Unterricht einsetzen, denn viele Jugendliche hören im Fach Geschichte schnell weg; doch wenn es um Fußball geht, sind sie wieder aufmerksam.
"Wir wollten einfach unser Ding machen"
(© Campus Verlag)
(© Campus Verlag)
Kai Reinhart legt mit seinem Buch die überarbeitete Fassung seiner Dissertation vor. Der Autor untersucht den gesellschaftlichen Kontext zweier Sportarten, die am Rande des Sportbetriebs in der DDR standen und höchst unterschiedliche Entwicklungen aufweisen: das (traditionsreiche) sächsische Bergsteigen
Reinharts Buch zeigt, wie sehr eine gewählte Sportart Ausdruck von alternativen Lebensvorstellungen sein kann und somit in einer Diktatur auch politisch wird. "Die Individualisten in der Bergsteiger- und Skaterszene waren zwar letztlich der Stasi ausgeliefert, …doch ihre Wehrlosigkeit darf nicht mit Wirkungslosigkeit gleichgesetzt werden. Die gesuchte und praktisch erworbene Freiheit in der DDR, … bestand nicht nur in der Überwindung selbstgewählter, sportlicher Herausforderungen, sondern war Teil einer eigenen Ästhetik der Existenz. Indem sich beide Gruppen "der Fürsorge des Staates entzogen und für sich selbst Sorge trugen, lebten und waren sie anders als die Bürger der Normalisierungsgesellschaft". (326)
Verschenkter Lorbeer
(© Verlag Monsenstein und Vannerdat)
(© Verlag Monsenstein und Vannerdat)
Der Sportpolitik in den Monaten der Friedlichen Revolution und der Vereinigung Deutschlands geht Ferdinand Kösters in seinem Buch nach, das durch den Titel "Verschenkter Lorbeer" schon die Richtung der Darstellung weist. Der Autor erlebte die Phase des sportlichen Zusammenwachsens als Mitarbeiter der Sportabteilung des Bundesministeriums des Innern in Bonn. Seine Ausführungen sind nicht allein der Versuch einer Rekonstruktion des politischen Geschehens, sondern auch persönliche Reflexion. Darin liegt der Reiz des Buches, zumal man seinen Bewertungen nicht immer folgen muss.
Zur Debatte regt zumindest Kösters' Fazit an: In dieser einmaligen und faszinierenden historischen Situation des deutschen Sports, in der es zwei gegensätzliche Sportsysteme zu vereinen und den Sportlern Perspektiven zu schaffen galt, sei weniger gelungen, als möglich war. "Es enthält aber einen großen Teil Tragik, wenn alle unsere Bemühungen zum einen durch von vornherein fehlende Reglungen im Einigungsvertrag und zum anderen durch handwerkliche Fehler und mangelnde Sensibilität nicht den Erfolg gebracht haben, den wir ursprünglich alle erhofft hatten. Es ist nicht gelungen, die positiven Errungenschaften des DDR-Sports in unser System herüber zu retten." (VIII)
Sport under Communism
(© Palgrave Macmillan)
(© Palgrave Macmillan)
Die Erfolge des DDR-Sports in den 1970er- und 80er-Jahren fanden in der ganzen Welt Beachtung. In den großen Sportnationen galt die erstaunliche Leistungsdichte in dem vergleichsweise kleinen Staat als ein Wunder, obwohl sich schon unter den damaligen Zeitgenossen erste Zweifel regten. Auch lange nach dem Zusammenbruch der DDR wenden sich Historiker und Sportwissenschaftler anderer Länder immer wieder dem Phänomen zu, dass die DDR fast gleichauf mit den USA und der UdSSR eine Weltmacht des Sports war. Die Briten Mike Dennis und Jonathan Grix beschreiben in ihrem Buch die wichtigen Zusammenhänge und die Geschichte des DDR-Sports, wollen aber keine umfassende Darstellung der Ereignisse, Institutionen oder Methoden vorlegen. Den Autoren geht es um die Systemzusammenhänge und – mit Blick auf die Gegenwart – um aktuelle Fragestellungen: "we have attempted to show the relevance of historical precedents for the understanding of elite sport development today … we discuss our findings and the key characteristics of GDR 'model' in relation to modern advance capitalist model of sport". (XI)
Ästhetik und Politik
Das Zentrum deutsche Sportgeschichte e. V. ist seit Jahren eine der wichtigsten und produktivsten Institutionen, die sich mit dem DDR-Sport auseinandersetzen. In verschiedenen Ausstellungen – auch zur Geschichte des Sports in der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus – thematisieren die Akteure des Vereins immer wieder den Zusammenhang von Sport und Politik. Diese Grundidee liegt auch der Ausstellung "Ästhetik und Politik" zugrunde, die über die DDR hinausgeht und die Sportfotografie beider deutschen Staaten im Vergleich bzw. in ihrer gegenseitigen Bezogenheit präsentiert.
(© Arete Verlag)
(© Arete Verlag)
Der Begleitband zur Ausstellung von den Kuratoren René Wiese und Jutta Braun bietet einen Rückblick, in dem nicht nur wichtige Ereignisse widergespiegelt, sondern auch ihr konkreter zeithistorischer Kontext beleuchtet werden.
Der Rezensent hätte sich in dem Band noch stärker die Perspektive der Fotografen gewünscht. Interessant wäre zum Beispiel die Sicht von Christoph Höhne: Der beachtete Sportfotograf wurde 1968 Olympiasieger und erlebte als Sportler und als Berichterstatter die Entwicklungen. Angemerkt sei zu dem gelungenen Band von Wiese und Braun kritisch, dass der Titel überzogen ist; ein Wechsel von Haupt- und Untertitel wäre angemessen gewesen und würde falsche Erwartungen ausschließen.
Die Geschichte des Sport in der DDR wird sicherlich noch eine längere Zeit Autoren zu Büchern anregen. Die fünf besprochenen Publikationen verdeutlichen, dass es viele Zugänge zum Thema gibt. Wichtig wird es aber auch künftig sein, die gesellschaftlichen Zusammenhänge des sozialistischen Sportsystems in den Mittelpunkt zu rücken. Die genaue Kenntnis des DDR-Sports über die Medaillenflut hinaus ist nicht nur eine Frage für Zeithistoriker.