Einleitung
Die Verfolgung von Kriegsverbrechern in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der frühen DDR ist als Thema in der Öffentlichkeit kaum präsent. In der Wissenschaft, ob bei Historikern oder Juristen, ob Ost oder West, ist dieser Themenbereich lange Zeit unter eigenen Vorstellungen und Maßstäben beiderseits als homogener Forschungsgegenstand aufgefasst worden. Für die einen war das Thema Ausdruck des Antifaschismus und des Bruches sowie des korrekten Umgangs mit der NS-Vergangenheit.
Der vorliegende Beitrag nähert sich einzelnen Teilbereichen des Themas und zeigt diese in einer differenzierten Darstellung auf. Dabei ist speziellen Problemen nachzugehen, die in der Forschung immer noch kontrovers diskutiert werden, etwa die Fragen des Personals und dessen Besetzung in den Gerichten. Dabei wird einerseits die Auffassung widerlegt werden, dass die SED immer Einfluss auf Justizwesen gehabt habe. Andererseits wird auf die Mängel in den Ermittlungen und in den Strafverfahren gegen Kriegsverbrecher hingewiesen, wobei der Widerstreit Anwendung von Amnestie und kollektiver Schuldzuweisung für die Verfolgung von Kriegsverbrechen eine bedeutsame Rolle spielt. Der Konflikt darum wurde in Justiz und SED unterschiedlich wahrgenommen.
Im Mittelpunkt der Darstellung stehen die "Hauptverhandlungen der ersten Nachkriegsjahre"
1. Internationale Rechtsbestimmungen zum Ziel der Kriegsverbrecherverfolgung
Der (Vernichtungs-)Krieg, den die Deutschen vor allem im Osten führten, verstieß gegen alles bis dahin geltende Kriegsrecht, wie es in der Haager Landkriegsordnung 1907 und in der Genfer Konvention 1929 kodifiziert worden war. Seit 1942 tauschten sich die Alliierten untereinander aus, wie man mit den Hauptkriegsverbrechern und deren ausführenden Organen umgehen sollte. Zentrale Verlautbarungen für das Verfahren in diesen Sachen finden sich in der Moskauer Erklärung vom 30. Oktober 1943, im Potsdamer Abkommen und im Londoner Vier-Mächte-Abkommen, die beide Anfang August 1945 verabschiedet wurden.
Nach der Moskauer Erklärung sollten die Kriegsverbrecher an den jeweiligen Ort ihrer Taten zurückgebracht und von dortigen Gerichten verurteilt werden.
Die Potsdamer Konferenz bekräftigte die Verfolgung der Kriegsverbrecher als ein zentrales Ziel der Besatzung Deutschlands und weitete die Täterkategorien aus. Neben Kriegsverbrechern sollten Parteiführer der NSDAP, einflussreiche Anhänger der Nazis vor allem in der Wirtschaft sowie Personen in Ämtern und Unterorganisationen der Nazis verurteilt werden. Sie sollten nicht nur wegen der Kriegsverbrechen in Europa verfolgt werden, sondern auch weil diese Gruppen als Gefährdung des Friedens in Europa angesehen wurden.
Die Kategorien für Straftatbestände und Täter sollten nach dem Willen der US-Amerikaner zur Strafverfolgung, Prozessordung und Strafmaßfestlegung in einem Gesetzt zusammengefasst werden, doch wollten Sowjets und Briten in ihrer Strafverfolgung unabhängig bleiben, da sie eigene Interessen damit verbanden. Uneins waren die Alliierten aber auch in der Frage, wann und wie sie die deutschen Gerichte mit der Strafverfolgung von Kriegsverbrechen betrauen wollten. Wahrscheinlich wegen des hohen Arbeitsdruckes der Besatzergerichte sicherte der Alliierte Kontrollrat am 20. Dezember 1945 mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 (KRG 10) den deutschen Gerichten in speziellen Punkten der Kriegsverbrecherverfolgung Verantwortung und Zuständigkeit zu.
Durch das KRG 10 konnten nun deutsche Gerichte in den besetzten Zonen offiziell Verfahren wegen Verbrechen einleiten, die Deutsche an Deutschen oder Staatenlosen begangen hatten – und zwar nach einheitlichen Strafmaßen und Tatbeständen, die ebenfalls im KRG 10 benannt wurden.
Für den internationalen Rechtsrahmen, in dem sich die Strafverfolgung auch auf deutscher Seite bewegte, sind weitere Faktoren, wie das Nürnberger Urteil und die Kontrollratsdirektive Nr. 38 (KRD 38), von entscheidender Bedeutung.
Strafprozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg: Urteilsverkündung am 30. September 1946. (© Bundesarchiv, Bild 183-H27798)
Strafprozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg: Urteilsverkündung am 30. September 1946. (© Bundesarchiv, Bild 183-H27798)
Mit dem Urteil im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess vom 30. September/1. Oktober 1946 wurden NSDAP, Gestapo, SS und SD nun offiziell als verbrecherische Organisationen definiert. Die Kollektivschuldannahme, die die US-Amerikaner hatten damit für die Angehörigen dieser Organisationen durchgesetzt hatten, diente später aber vor allem den Sowjets als Grundlage für politisch motivierte Prozesse.
Auch die KRD 38 vom 12. Oktober 1946 bot weiten Raum für Interpretationen, die später in der Justiz der Kriegsverbrecherverfolgung der SBZ zu Konflikten und zum Missbrauch führte. Zunächst aber legte die KRD 38 Täterkategorien in fünf Stufen und für jede dieser Kategorien genaue Sühnemaßnahmen fest. Außerdem diente die Direktive zur Entnazifizierung in der deutschen Verwaltung, Justiz, Medizin und Wissenschaft, wo aktive Nazis mit Berufsverboten belegt wurden. Andererseits sollte die Direktive nominellen Nazis die Integration in die Gesellschaft ermöglichen.
Zwar gaben die internationalen Abkommen einen Rahmen für die Kriegsverbrecherverfolgung vor, der aber nicht einheitlich ausgefüllt wurde. Dies galt weder für die Alliierten selbst und noch für die deutschen Gerichte – vor allem in der SBZ, deren Justiz bis 1947 noch wesentlich von der Sowjetunion beeinflusst wurde.
2. Aufbau und Organisation der Justiz zur Kriegsverbrecherverfolgung in der SBZ
2.1 Einfluss der SMAD
Unmittelbar nach der Zerschlagung des "Dritten Reiches" begannen die Sowjets mit der Verfolgung von Kriegsverbrechern und mit der Entnazifizierung zur Zerschlagung der nationalsozialistischen Staatsstruktur. Sie waren der Ansicht, dass alle Ämter und Einrichtungen des Staates, insbesondere Wehrmacht, Polizei und natürlich auch die Justiz, auf den Zweck des faschistischen Eroberungswillens ausgerichtet waren, sodass diese Bereiche der Gesellschaft besonders scharf zu entnazifizieren waren.
Am 9. Juni wurde die Sowjetische Militäradministration eingerichtet, die die Leitungs- und Gesetzgebungskompetenz besaß. Auf Länder und Kreisebene waren ihr Sowjetische Militärabteilungen (SMA) für die Administration vor Ort unterstellt. Für die Verfolgung von Kriegsverbrechen zwei Abteilungen beauftragt: die Rechtsabteilung der SMAD, die unter Leitung von Professor Jakow A. Karassew für die gesamte Justiz in der SBZ verantwortlich war, und das Sowjetische Militärtribunal (SMT), zuständig für die Ahndung von Kriegsverbrechen.
Zentrales Organ für die Kriegsverbrecherverfolgung auf deutscher Seite war die Deutsche Zentralverwaltung für Justiz (DJV), die aber extrem abhängig war von der Rechtsabteilung der SMAD. Die DJV setzte anfangs die Politik der SMAD mit durch, hatte aber ebenso wenig Weisungs- und Verordnungsbefugnis an die Landgerichte, wie sie ein deutsches Oberstes Gericht gehabt hätte, auf dessen Einrichtung die Sowjets verzichtet hatten und das die Auslegung von KRG 10 und KRD 38 auf Seiten der deutschen Strafverfolgung hätte vereinheitlichen können.
Die sowjetische Besatzungsmacht und die deutschen Ländern ihrer Zonen zeigten 1947 Bestrebungen, die Strafverfolgung und Aburteilung der Kriegsverbrecher einheitlich zu gestallten. Die deutschen Gerichte wollten ein gewisses Maß an Unabhängigkeit für die Strafverfolgung erreichen und Anfragen über ihre Zuständigkeit vermeiden. Dies gelang mit den SMAD-Befehl Nr. 201 vom 16. August 1947 (worauf später noch eingegangen wird: Kapitel 2.3), doch bis dahin war der Einfluss der Besatzungsmacht auf die deutschen Gerichte ganz erheblich, mussten die sich nach sowjetischer Meinung doch erst an die "demokratischen Verfahrensweisen" herantasten. Allerdings wurde dadurch die Verfolgung von Kriegsverbrechen gehemmt, sodass bis Ende 1947 gerade mal 744 Personen von deutscher Seite verurteilt wurden.
2.2 Anfänge
Erste Prozesse fanden noch vor dem Erlass des KRG 10 vom 20. Dezember 1945 in Sachsen und Thüringen statt. Im Zuge der Entnazifizierung der Ämter erfolgte auch der Umbau der Justiz und Strafverfolgung in Sachsen. Bereits am 30. Juli 1945 bildete die Landesverwaltung sogenannte Volksgerichte, die speziell politische motivierte Verbrechen aus den Jahren 1933–1945 ahndeten. Bis Dezember 1945 wurden allerdings nur wenige Verfahren dem Dresdner Volksgericht durch die SMA zugeteilt, doch sind dabei eigene Strafkategorien und Tätergruppen erstellt worden. Das Gericht bestand aus zwei Berufs- und drei Laienrichtern, die aus dem Antifaschistischen Block der Parteien (KPD, SPD, CDU und LDP[D]) und Gewerkschaften stammten. Im September 1945 führten sie einen Prozess gegen zwei Gestapo-Männer und einen Schutzpolizisten wegen Misshandlung und Mordes an ausländischen Zwangsarbeitern und verhängten zwei Todesstrafen und eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Danach flaute das Interesse der SMAD ab, deutsche Gerichte an der Kriegsverbrecherverfolgung zu beteiligen. In Sachsen fand deshalb erst im August 1946 wieder ein Kriegsverbrecherprozess vor einem deutschen Gericht statt.
In Thüringen gab es zwar auch Pläne zur Errichtung von Volksgerichten. Anfangs sollte der Generalstaatsanwalt über die Zuweisung der Verfahren an die Volksgerichte entscheiden, doch verordnete der Präsident des Landes Thüringen, dass das Strafgesetzbuch vom 31. Dezember 1932 in Strafrecht und der Strafprozessordnung anzuwenden sei. Bis Herbst 1947 fanden deshalb Prozesse in Thüringen auf Grundlage des deutschen Rechtes statt.
Eugen Schiffer (1860–1954) war Chef der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz. Aufnahme aus der Zeit der Weimarer Republik, in der Schiffer zunächst Reichsfinanz- und dann Reichsjustizminister gewesen war. (© Bundesarchiv, Bild 183-R72916)
Eugen Schiffer (1860–1954) war Chef der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz. Aufnahme aus der Zeit der Weimarer Republik, in der Schiffer zunächst Reichsfinanz- und dann Reichsjustizminister gewesen war. (© Bundesarchiv, Bild 183-R72916)
Nach dem Erlass des KRG 10 gab es zwar Richtlinien für die Justiz in den Zonen, aber die Gerichtsstruktur, die Ermittlungen, die Prozessordnungen und die Auslegung des Strafmaßes wurden von der deutschen Justiz in der SBZ bis 1947 föderal und damit sehr unterschiedlich ausgelegt. In Brandenburg verhandelte man vor Schöffengerichten und ab Frühjahr 1947 vor Schwurgerichten. In Sachsen gab es grundsätzlich Schwurgerichte, vor denen in Mecklenburg lediglich schwere Fälle verhandelt wurden. Leichte Fälle gingen hier vor Strafkammern der Schöffengerichte, die bis dahin auch mit unterschiedlich vielen Schöffen besetzt waren.
Die Deutsche Zentralverwaltung der Justiz selber war zusammen mit anderen Verwaltungsorganen mit dem SMAD-Befehl Nr. 17 am 27. Juli 1945 ins Leben gerufen worden. Ihr Präsident war Eugen Schiffer (LDP), der schon in der Weimarer Republik für die DDP Justizminister gewesen war.
Dresdner Ärzteprozess gegen Mediziner wegen sog. "Euthanasie"-Verbrechen 1947. (© Bundesarchiv, Bild 183-H26186)
Dresdner Ärzteprozess gegen Mediziner wegen sog. "Euthanasie"-Verbrechen 1947. (© Bundesarchiv, Bild 183-H26186)
Verhandelt wurden bis Herbst 1947 an deutschen Gerichten hauptsächlich Verfahren zu Zwangssterilisation, Denunziation, Tötung "lebensunwerten Lebens" ("Euthanasie") und zu Verbrechen der Unterorganisationen der NSDAP, die entsprechend KRG 10 an Deutschen begangen worden waren.
Zwar kontrollierte die SMAD in den ersten Prozessjahren von 1945–1947 die Gerichte, doch nahm sie kaum Einfluss auf die Ermittlungen und auf die Urteilsfindung in den einzelnen Prozessen. Die erste Phase der deutschen Kriegsverbrecherverfolgung verlief nicht systematisch gesteuert, sondern sie folgte eher föderal unterschiedlichen Wegen. Probleme bereiteten hier eher die unterschiedliche Neuorganisation der Gerichte und damit Unterschiede in deren Kompetenzen und Zuständigkeiten. Die Klagen der Sowjets konzentrierten sich in dieser Zeit vor allem auf zu milde Urteile, wie der Verbindungsoffizier der SMAD zur DJV, Oberstleutnant Abdul-Schagi A. Jakupow, immer wieder vortrug.
2.3 SMAD-Befehl Nr. 201
Am 16. August erließ die Sowjetische Militäradministration in Deutschland ihren Befehl Nr. 201.
Hilde Benjamin, damals Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR (M.), als Zuhörerin bei den Waldheimer Prozessen, 23. Juni 1950. (© Bundesarchiv, Bild 183-S98280)
Hilde Benjamin, damals Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR (M.), als Zuhörerin bei den Waldheimer Prozessen, 23. Juni 1950. (© Bundesarchiv, Bild 183-S98280)
Dessen Ziele und Zwecke fasste die Vizepräsidentin der DJV, Hilde Benjamin (SED), dahingehend zusammen, das erstens zu unterscheiden sei zwischen nominellen und aktiven Nazis und erstere ihr passives und aktives Wahlrecht wieder erlangen und sich auch in anderen Bereichen der Gesellschaft wieder integrieren könnten. Zweitens seien die Verwaltung und Behörden nach der Kontrollratsdirektive Nr. 24 zu entnazifizieren und drittens die Verfolgung von Kriegsverbrechen in der SBZ nach der KRD 38 zu vereinheitlichen.
Mit den SMAD-Befehl 201 erfuhren die ostdeutschen Gerichte und Ermittlungsbehörden eine enorme Aufwertung. Die Sowjets erachteten die Verfolgung von Kriegsverbrechen und die Entnazifizierung in den Westzonen als zu langwierig und zu umständlich. Dort wurden die Kontrollratsdirektiven 38 und 24 vor Sonderspruchkammern und nicht vor Gerichten verhandelt. Auch wuchs die Zahl der erfassten Vergehen und der Beschuldigten nach diesem Vorgehen in die Millionen, sodass man mehrere Jahre für die Aufklärung benötigt hätte.
Der entscheidende Unterschied von KRD 24 und 38 lag nun darin, dass die KRD 24 für die Entnazifizierung eigene Ermittlungskommissionen (EK) in den Länder, Kreisen und Städten vorsah. Die EK dienten zur Ermittlung von Nutznießern des Krieges und der Naziherrschaft in Ämtern, Verwaltung und Behörden. Wer seine Macht zu seinen Vorteil missbraucht und dabei verbrecherisch gehandelt hatte, sollte aus seinen Ämtern entfernt werden.
Erich Mielke, Aufnahme von 1954. (© Bundesarchiv, Bild 183-26755-0002A)
Erich Mielke, Aufnahme von 1954. (© Bundesarchiv, Bild 183-26755-0002A)
Die Hauptverantwortung für die Verfahren nach KRD 38 lag bei dem Vizechef der Deutschen Verwaltung des Inneren (DVdI), im August 1947 Erich Mielke, beim Chef der DVJ sowie den Justiz- und Innenministern der Länder.
Sowohl die Richter als auch die Staatsanwälte durften nicht Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Unterorganisationen gewesen sein, und die Schöffen sollten mit gewissen politischen und moralischen Qualifikationen ausgestattet sein, um von den "antifaschistisch-demokratischen" Parteien anerkannt und von der Landesregierung bestätigt zu werden. Mit ihrer Hilfe sollte eine "demokratische" Rechtsprechung entstehen. Der Beklagte bekam das Recht zur Revision an das nächsthöhere Gericht und erhielt einen Verteidiger zugesprochen, allerdings nicht in der Ermittlungsphase, sondern erst für die Hauptverhandlung. Probleme, Fehlentwicklungen und Mängel ließen die 201er-Verfahren, also die Prozesse nach dem SMAD-Befehl 201, durchaus erkennen, das erkannten schon damalige Juristen.
3. Legenden, Konflikte und Mängel der Strafverfolgung
Probleme der Einflusszunahme der politischen Parteien auf die Besetzung der Juristen, Konflikte bei der Eingliederung der nominellen Nazis in die Gesellschaft gab es durchaus. Sie sind wie auch die gleichzeitige Kollektivschuldzuweisung des SMAD-Befehls 201 und der KRD 38 gegenüber den Hauptschuldigen und den Angehörigen der verbrecherischen NS-Organisationen ebenso differenziert zu betrachten wie die Einflussnahme und die Mängel der DVdI und der K5 bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern in der SBZ und der frühen DDR.
3.1 Versuche der Einflussnahme durch die SED
Die Versuche der SED, Einfluss auf die Kriegsverbrecherverfolgung zu nehmen, divergieren zeitlich sehr. Mitte 1947 nutzte der SED das Thema weniger in der Öffentlichkeit, es eignete sich nicht dazu, einen machtpolitischen Vorteil zu erringen.
Bei der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten kamen automatisch personalpolitische Gründe zum Tragen, die für die Entnazifizierung der Justiz durch die KRD 24 und den SMAD-Befehl 49 festgelegt worden waren. Für die Auswahl von Justizbeamten wurden die antifaschistischen Parteien von der Besatzungsmacht hinzugezogen. Richter, Staatsanwälte und Schöffen waren von den Justizministerien der Länder und den Präsidenten der Oberlandesgerichte im Einvernehmen mit den SMA der Länder zu ernennen. Die SED versuchte hierbei stets, parteikonforme Juristen vorzuschlagen und mit der von ihr dominierten DVdI auf die Besetzung der Ämter und auf deren Zentralisierung einzuwirken.
Tatsächlich aber gelang es der SED lange Zeit nicht, die Gerichte mit Richtern ihres Vertrauens zu besetzen und die Justiz und damit auch die Kriegsverbrecherverfolgung nach ihrem Sinne auszurichten. Von den meisten der bis 1948 amtierenden 911 Richter war der größte Anteil parteilos – nämlich 383 –, der SED gehörten 264 an, der LDP(D) 147 und der CDU 117. Zudem blieben hohe Ämter Juristen anderer Parteien nicht verschlossen, von 24 Landesgerichtspräsidenten waren sechs Mitglieder der CDU und sechs gehörten der LDP(D) an.
Allgemein fanden die 201er-Verfahren bei den Richtern keinen großen Anklang, auch wenn sie bis Mitte/Ende 1948 auch bei Weiten nicht nach dem Willen der SED verliefen.
Bis dahin waren durch das Entnazifizierungsprogramm für die Verwaltung und die Justiz nach den SMAD-Befehlen Nr. 49, 201 und 204 ca. 8.169 Justizbeamte entlassen worden. Das entsprach etwa 80 Prozent des gesamten Justizpersonals.
Dieser zweite Wechsel wurde durch die Volksrichterausbildung ermöglicht, die von der SED als kommunistische Alternative zum tradierten universitären Jurastudium initiiert worden war.
3.2 Integration und kollektive Schuld
Im Zusammenhang mit der Kriegsverbrecherverfolgung in der SBZ und der DDR wird der SED attestiert, dass sie bei der Integration nomineller NSDAP-Mitglieder und bei den Verurteilungen auf der Basis einer kollektiv Schuldzuweisung nach der Kontrollratsdirektive 38 immer ihrem machtpolitischen Kalkül gefolgt sei. Der Entscheidungsprozess innerhalb der SED wird dabei so dargestellt, als sei er stets konfliktfrei abgelaufen.
Tatsächlich aber bewegte sich die SED aus Sicht ihrer Anhänger auf einem recht schmalen Grat. Ihre Glaubwürdigkeit stand im Spannungsfeld zwischen der Propagierung der kollektiven Verurteilung aktiver Nazis, die laut den Nürnberger Urteil und der KRD 38 verbrecherischen Organisationen angehörten,
Der Wille zur Integration nomineller NSDAP-Mitglieder kam in der SED-Führung schon sehr früh auf. Bereits im Januar 1946 notierte der SED-Vorsitzende Wilhelm Pieck, man solle zum Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung "nominelle Mitglieder der Nazipartei heranziehen, ihnen sagen, daß bei loyalem Verhalten auf unsere Unterstützung [zu] rechnen" sei.
Es gab daneben auch reichlich rechtliche Probleme im 201er-Befehl und der darin enthaltenen Täterkategorisierung laut KRD 38. Die Kontrollratsdirektive 38 hatte die Möglichkeit eröffnet, die Hauptschuldigen, Belasteten und Minderbelasteten allein wegen ihrer Position in den zu verbrecherischen Organisationen erklärten Verbänden der NSDAP, SS, SD und Gestapo sowie Staatsanwälte oder Richter zu verurteilen, die umfassend an der Terrorherrschaft des "Dritten Reiches" beteiligt waren. Strittig war aber international, ob auch Träger niederer Funktionen und nominelle Mitglieder der NSDAP verurteilt werden konnten. Von der Sowjetmacht sind bis Ende 1948 die meisten Führungsspitzen des NS-Staates verurteilt worden, nur einen geringen Prozentsatz davon hatte die deutsche Strafjustiz in der SBZ erfasst.
Genau das Gegenteil galt bei der Verfolgung der Minderbelasteten und der Mitläufer. Mit dem SMAD-Befehl 201 konnten gerade Personen der untersten Kategorien nach KRD 38, die Mitläufer, auf eine Amnestie und das Wiedererlangen ihrer bürgerlichen Rechte hoffen. Für die Minderbelasteten war fortan zur Verurteilung der Nachweis individueller Schuld erforderlich. Kritik daran übte die DJV, da ihr die Kriterien für diese Kategorie, etwa die Geburt nach dem 1. Januar 1919 oder der Eintritt in die NSDAP oder andere Organisationen nach dem 1. Mai 1937, ebenso willkürlich gesetzt erschienen wie die Entlastungskriterien, etwa ein erzwungener Eintritt in die SS.
Parteipolitisch wurde der Konflikt um Integration und kollektive Schuld der nominellen Nazis genutzt, um die Minderbelasteten in Partei und Gesellschaft einzugliedern. Sie wurden von einer Mitschuld öffentlich freigesprochen, wodurch sich auch das Täterbild des propagierten Antifaschismus verengte.
Juristisch negativ wirkte sich auch die wirtschaftliche Ausnutzung der Umsetzung von KRD 38 aus. Hauptschuldigen und Belasteten konnte das Vermögen entzogen und als Volkseigentum der SBZ und später der DDR zugesprochen werden. Dies wurde ab 1949 durch die politisch motivierte Strafjustiz weidlich ausgenutzt und dabei die Vorgabe der KDR missbraucht, wonach jemand als Naziaktivist einzustufen sei, der den Frieden durch Nazipropaganda und Gerüchte bedroht hatte.
3.3 Beeinflussungsversuche durch die DVdI und Kompetenzprobleme
Im SMAD-Befehl 201 erkannte die SED auch die Möglichkeit, zunehmend Einfluss auf die Steuerungsmöglichkeiten der Justiz zu gewinnen. Als Instrument diente ihr hierbei die DVdI, deren Präsident und Vizepräsidenten allesamt SED-Mitglieder waren. Erich Mielke, zuständig für die Durchführung des Befehls 201, war dabei der Ansicht, dass die Justiz lediglich ein ausführendes Polizeiorgan sei, das den Ermittlungsergebnissen zuzustimmen und die Verurteilungen schnell und hart zu vollziehen habe.
Auf die Ermittlungen selbst versuchte die DVdI mit dem ihr unterstellten Untersuchungsorgan, der K5, Einfluss zu nehmen. Seit 1946 ermittelte die K5 in verschiedenen Ländern der SBZ und in den Landeskriminalämtern der DVdI verankert. Unter Anleitung des sowjetischen Geheimdienstes war die K5 als politische Polizei konzipiert, mit überaus großen Befugnissen ausgestattet und befand sich in einem stetigen Wachstum. Ihre Befugnisse der K5 bestanden in der Einleitung und Durchführung der Ermittlung, im Erlass des Haftbefehls, in der Beweisführung und der Verfassung der Anklageschrift samt Kategorisierung der Beklagten nach KRD 38.
Die Gerichte reagierten ähnlich. Von 14.536 Anklagen ließen sie bis Dezember 1948 nur 10.190 zu und gaben von diesen nochmals 2.418 Fälle an die Untersuchungsbehörden zurück oder ließen sie ganz fallen.
4. Fazit
Die Hauptverhandlungsphase gegen Kriegsverbrecher in den ersten Nachkriegsjahren, 1945–1950, in der SBZ und frühen DDR zeigt ein sehr differenziertes Bild. Das Personal der Gerichte und vor allem der Richter war bis Ende 1948 parteipolitisch heterogen. Der SED war durchaus bewusst, dass die Verfolgung von Kriegsverbrechern anfangs nicht ohne die Reaktivierung der alten bürgerlichen Eliten zu bewältigen war. Die Behauptung, dass die SED schon 1947/48 die Gerichtsbarkeit beherrschte,
Zudem befand sich die SED zu dieser Zeit in einem Konflikt um Integration und kollektive Schuld einstiger Nazis. In der Partei, in der Justiz und bei der Besatzungsmacht existierten verschiedenste Ansichten zur Frage, wie man mit nominellen und aktiven Nazis umgehen sollte. Machtpolitische Erwägungen spielten hier auch eine Rolle, blieben aber in den Reihen der SED nicht ohne Widerspruch.
Am Weg der wichtigsten Ermittlungsbehörde wird sichtbar, in welche Richtung sich die Justiz und mit ihr die Kriegsverbrecherverfolgung entwickelten. Die K5 wurde Anfang der 1950er-Jahre aufgelöst, ihre Kompetenzen wurden aufgeteilt. Die Verfolgung von Delikten nach KRD 38 oblag nun dem Ministerium für Staatssicherheit, zu dessen Chef Erich Mielke wenige Jahre später aufstieg. Zunehmend wurde die Kontrollratsdirektive missbraucht, um gegen politische Oppositionelle vorzugehen und sie wie angeblich aktive Nazis zu enteignen. Das Feindbild von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten wurde auf die westdeutsche Gesellschaft projiziert, die vom Kapital beherrscht und mit dem Faschismus gleichzusetzen sei. Allerdings wurde durch die propagandistische Ausnutzung der Kriegsverbrecherprozesse die ursprüngliche Absicht der Kriegsverbrecherverfolgung geschwächt. Deutlich wird die Wende in der Kriegsverbrecherverfolgung in der DDR an den Waldheimer Prozessen von 1950. Vom Bestreben der Justiz, ihrer Pflicht zur Verfolgung von Kriegsverbrechen war bei diesen politischen Strafprozessen nichts geblieben.