Sammelrezension zu:
Almuth Zwengel (Hg.): Die "Gastarbeiter" in der DDR. Politischer Kontext und Lebenswelt (Studien zur DDR-Gesellschaft; XIII), Berlin: LIT 2011, 318 S., € 29,90, ISBN: 9783643106407.
Wolf-Dieter Vogel, Verona Wunderlich: Abenteuer DDR. Kubanerinnen und Kubaner in der DDR, Berlin: Karl Dietz 2011, 183 S., € 16,90, ISBN: 9783320022501.
Mike Dennis, Norman Laporte: State and Minorities in Communist East Germany (Monographs in German History; 33), Oxford/New York: Berghahn 2011, 236 S., $ 100.00/£ 62.00, ISBN: 9780857451958.
Ende 1989 lebten in der DDR 191.000 Ausländer. Deren Anteil von 1,2 Prozent an der Bevölkerung nimmt sich – verglichen mit dem in der Bundesrepublik von 7,7 Prozent – bescheiden aus. Hinzu kamen 360.000 in der DDR stationierte Soldaten der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland und deren 200.000 Angehörige. Unter den Ausländern befanden sich Diplomaten, Studenten, Lehrlinge, Vertragsarbeiter in "volkseigenen" Industriebetrieben und Asylanten. Obwohl die DDR nicht der UNO-Flüchtlingskonvention von 1951 beigetreten war, gewährte sie ab den 50er-Jahren Verfolgten Asyl, so einigen Tausend Griechen, Spaniern und Chilenen, Mitgliedern der PLO und afrikanischer Befreiungsorganisationen.
Als einer der am höchsten entwickelten Industriestaaten des Ostblocks bot die DDR jungen Leuten aus "Bruderländern" und aus jungen Nationalstaaten eine Berufsausbildung. Diese Hilfe wurde propagandistisch zur Veranschaulichung des "proletarischen Internationalismus" herangezogen. Dabei betonte man die internationalistische Pflicht zur Unterstützung anderer Völker bei der Befreiung vom "Joch des Imperialismus" und zur Unterstützung wirtschaftlich schwacher junger Nationalstaaten. Doch nicht zuletzt spielte auch der sich ab Mitte der 60er-Jahre verstärkende Arbeitskräftemangel in der DDR eine Rolle für die Entscheidung, ausländische Jugendliche zu Facharbeitern auszubilden und zu beschäftigen.
Zuerst schloss die DDR 1967 ein diesbezügliches bilaterales Regierungsabkommen mit Ungarn ab. Dieses war das Muster für die folgenden Abkommen mit Polen, Algerien, Kuba, Mosambik, Vietnam, der Mongolei, Angola und China. Bereits ein Jahr vor dem Vertrag mit Ungarn wurde 1966 ein Abkommen mit Polen geschlossen, das polnischen Pendlern erlaubte, in grenznahen Betrieben der DDR zu arbeiten. Im gleichen Jahr kam es zur Vereinbarung über die Ausbildung mehrerer Tausend Facharbeiter aus Nord-Vietnam. Nach der Wiedervereinigung Vietnams 1975 setzte die DDR ihren Solidaritätsbeitrag fort, legte aber größeres Gewicht auf den gegenseitigen ökonomischen Vorteil. Nachdem Ungarn Mitte der 70er-Jahre die Entsendung von Vertragsarbeitern drosselte, wurden mit Algeriern und Kubanern erstmals nicht-europäische Vertragsarbeiter in die DDR entsandt. Die Anwesenheit der Algerier erwies sich durch ihre Streikbereitschaft und gewalttätige Auseinandersetzungen mit Einheimischen als problematisch, sodass das Regierungsabkommen nach zehn Jahren beendet wurde. Ab 1987 wurde die Entsendung einer größeren Anzahl vietnamesischer und mosambikanischer Arbeiter in die DDR vereinbart. Sie stellten zum Ende der DDR das Gros der Vertragsarbeiter. Die Wirtschaft war mittlerweile auf diese Beschäftigungsverhältnisse angewiesen, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern.
Gemeinsamer Schnittpunkt der drei hier besprochenen Bücher ist die eben skizzierte Thematik, der sie sich mit jeweils anderen Gewichtungen und anderer Sichtweise widmen.
Die "Gastarbeiter" in der DDR
15 Autoren schreiben über die soziale Lage von Vertragsarbeitern nicht-europäischer Herkunft in der DDR – über Vietnamesen, Kubaner, Algerier, Mosambikaner und Angolaner, über die Einstellung von DDR-Bürgern zu ihnen, über die Rolle von Betreuern und Dolmetschern aus den Herkunftsländern, über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, über die Unterbringung in Wohnheimen sowie das Engagement für Ausländer durch Mitglieder christlicher Kirchen. Die Beiträge basieren teils auf Interviews, Fallstudien und Informationen offizieller DDR-Stellen, die nur wenige Monate nach dem Mauerfall zugänglich waren. Die Lage der ehemaligen Vertragsarbeiter nach dem Zusammenbruch der DDR wird am Schluss behandelt.
Der Band von Almuth Zwengel beginnt mit der Erinnerung an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Ostdeutschland Anfang der 90er-Jahre. Verwiesen wird auf Debatten über die historischen Ursachen und auf die Frage, ob diese im Transformationsprozess oder in der DDR-Vergangenheit zu suchen seien. Begriffe wie "Sozialistische Revolution" sowie "Volkstum" und "völkisch" werden zueinander in Verbindung gesetzt. Leider wird die Zuständigkeit für die Volkswirtschaft bei der Staatssicherheit zweimal falsch verzeichnet, statt richtig mit Hauptabteilung XVIII, und das Staatssekretariat für Arbeit und Löhne wird zweimal fälschlicherweise in ein Ministerium umgewandelt. Der Tenor des Buches liegt in dem Hinweis, dass man in der Bundesrepublik und in der DDR durch Begriffe wie "Gastarbeiter" oder "Qualifizierungswerktätige" versuchte, sich von der Zwangsarbeiterpolitik der NS-Diktatur abzusetzen.
Die Beliebtheit der DDR-Arbeitsplätze bei den vietnamesischen Vertragsarbeitern und deren Arbeitsethos bewirkten, dass sie die Normen ihrer deutschen Kollegen oft übererfüllten. Das strenge Reglement in den Wohnheimen bestimmte den Lebensalltag wie halblegale gewerbliche Nebentätigkeiten, die Sorge um die Familie daheim, die sie mit den Erträgen ihrer Arbeit und Freizeitarbeit in der DDR durch Warensendungen unterstützten.
Kubanische Vertragsarbeiter, die ihre Arbeitsnormen oft nicht erreichten, mussten 60 Prozent des Arbeitslohnes in ihr Heimatland transferieren. Ähnliche Verträge Kubas bestanden mit anderen "Bruderstaaten". Breiten Raum nimmt immer wieder die Aufzählung fremdenfeindlicher Vorkommnisse ein.
Am umfangreichsten und anschaulichsten wird die Situation algerischer Vertragsarbeiter, ausschließlich Männer, dargestellt. Voraussetzung für ihre Qualifizierung war eine vierjährige Schulbildung, die mitunter nicht erfüllt war. Trotzdem erhielt über die Hälfte der Algerier einen Facharbeiterbrief, fast alle anderen eine andere Qualifizierung. Obwohl sie geringer bezahlte Arbeiten verrichteten, beurteilten Zurückgekehrte ihre Arbeitsbedingungen in der DDR meist positiv. Alkohol und sexuelle Freiheiten waren ungewohnt. Der gegen Algerier gerichtete Rassismus wurde von den befragten Vertragsarbeitern kaum erwähnt. Ehrverletzungen lösten oftmals gewalttätige Auseinandersetzungen aus. In solchen Fällen bestand traditionell eine Solidaritätsverpflichtung unter Algeriern. Sie galten als streikbereit.
Landolf Scherzer widmete sich nach einem Mosambik-Aufenthalt den Lebensbedingungen mosambikanischer Vertragsarbeiter. Die Interviews mit DDR-Bürgern veröffentlichte er bereits 2002. Thematisiert werden Wohn-, Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, soziale Kontakte sowie alltägliche Rassismus-Erfahrungen. Seine zu DDR-Zeiten zensierten Protokolle finden hier Verwendung.
In einer Betriebszeitung betonten afrikanische Gruppenleiter häufig Lernbereitschaft und Dankbarkeit. Deutsche zeigten in Interviews Ressentiments gegenüber ihren afrikanischen Kollegen. Die Autorin Annegret Schüle stellt eine paternalistische Haltung der Deutschen gegenüber den Vertragsarbeitern fest.
Nach dem Beitritt der DDR zur Genfer Flüchtlingskonvention im Sommer 1990 durfte das Asylrecht wegen der bevorstehenden Wiedervereinigung nicht mehr angewandt werden. Die Umstellung auf die Marktwirtschaft verschlimmerte die wirtschaftliche Lage. Eine Änderung der Regierungsverträge wurde notwendig. Gemäß den neuen Verträgen wurde eine Kündigung der Vertragsarbeiter aus zwingenden Gründen möglich.
Die Hälfte des Buches widmet sich der Zeit nach 1990. Almuth Berger erörtert ausländerpolitische Vorstellungen des Zentralen Runden Tisches. Allerdings wurde zeitgleich auch die Rückkehr ehemaliger Vertragsarbeiter noch vor der deutschen Währungsunion vorbereitet.
Tamara Hentschel als ehemalige Betreuerin in einem Wohnheim ist Geschäftsführerin und Mitbegründerin des Vereins Reistrommel e. V. , einer Migrantenselbsthilfeorganisation. Im April 1990 erfuhr sie auf einer Tagung von bundesdeutschen Teilnehmern, dass bei einer Wiedervereinigung von Seiten der Bundesregierung vorgesehen war, dass die Ausländer der DDR Deutschland verlassen sollten.
Karin Weiss beleuchtet die soziale Arbeit mit und für Vietnamesen in Ost-Berlin sowie die Schaffung von vietnamesischen Selbstorganisationen in enger Kooperation mit Ostdeutschen. Hilfestellung boten die Ausländerbeauftragten, Kirchenvertreter, Privatpersonen wie die ehemaligen ostdeutschen Betreuer.
Abenteuer DDR
© Karl Dietz Verlag, Berlin. (© Karl Dietz Verlag )
© Karl Dietz Verlag, Berlin. (© Karl Dietz Verlag )
Anders als im Band von Almuth Zwengel liegt im Interviewband Wolf-Dieter Vogels und Verona Wunderlichs mit Kubanerinnen und Kubanern aus ihrer Zeit im deutschen Sozialismus der Tenor weniger in der Suche nach den Wurzeln fremdenfeindlicher Gesinnung. Hier geht es um persönliche Erlebnisse und Einzelschicksale, die in Kuba erfragt wurden, bei Studenten, Patienten, Künstlern, Intellektuellen, Arbeitern. Die Kubaner stellten am Ende der DDR nach den Vietnamesen und Mosambikanern die drittgrößte Gruppe unter den Vertragsarbeitern. Viele betrachten Deutschland bis heute als ihre zweite Heimat. Einige kamen in den 60er-Jahren per Schiff über Rostock oder Polen in die DDR, andere erlebten hier die Wendezeit. Die Interviews wurden 2009 überwiegend auf Spanisch geführt. Erstmals vorgestellt wurde die spanische Originalausgabe des Buches 20 Jahre nach dem Mauerfall in Mexiko Stadt, 2010 wurde es auf der Messe in Havanna präsentiert. Die Publikation enthält keine wissenschaftliche Aufarbeitung des Erinnerungsfundus, sie ist eher "Rohmaterial" für die Wissenschaft und füllt eine Lücke in der Erinnerungsliteratur ausländischer Studierender, Lehrlinge und Vertragsarbeiter in der DDR. Ein guatemaltekischer Fotograf begleitete das Buchprojekt ebenso zurückhaltend wie professionell mit der Kamera und gab den Protagonisten ein Gesicht.
Die Schilderungen sind Einzelfälle und scheinen nur für sich zu sprechen. Doch lassen sie auch Typisches erkennen. Eine heutige Tänzerin, Theaterkritikerin und Lebenskünstlerin kam im zarten Alter von sieben Jahren in die DDR, um ihre spastische Lähmung behandeln zu lassen. Hier wurden durch die orthopädische und psychologische Betreuung ihre Liebe zum Tanz geweckt und ihre beruflichen Weichen gestellt. Zurück in Kuba hatte sie es nicht leicht, sich ihren Berufswunsch zu erfüllen, doch über Umwege gelang ihr dies. Selbstbewusst ihre Rechte einzuklagen, so sagt sie, gehöre zum Wichtigsten, was sie in der DDR gelernt habe. Der Mauerfall hatte Konsequenzen für sie: War sie bisher regelmäßig von ihrem deutschen Arzt zur Behandlung eingeladen worden, deren Kosten die ostdeutsche Regierung trug, so konnte die Behandlung durch den radikalen Wandel in der DDR nicht abgeschlossen werden. Nur mit Schwierigkeiten gelang es ihr auf einer Tournee in Österreich mit Hilfe des österreichischen Choreografen, ihren ehemaligen Arzt wenigstens wiederzusehen. Für sie ein wunderschönes Erlebnis.
Ein ehemaliger Student in der DDR Anfang der 60er, heute zurück in Kuba, hat einen Sohn mit einer deutschen Frau. Er ließ ihn als Kleinkind zurück, hielt Kontakt zu ihm, doch Kuba konnte der Junge erst nach der "Wende" sehen. In den 60ern untersagte die Botschaft ihren Landsleuten, Kinder zu zeugen, Abtreibungen waren verboten, es gab keine Pille. Der Student verschwieg das Kind, und die Botschaftsmitarbeiter sahen darüber hinweg, als sie von ihm erfuhren. So hätten es viele gemacht, meint der Interviewte. Zurückgeschickt nach Kuba wurden dafür nur wenige. Im Oktober 1989 nahm er an den Demonstrationen teil und sprach mit Sympathisanten vom Neuen Forum. Zu seinen Eindrücken eines Besuches 1991 in Ostdeutschland äußert er sich ernüchtert.
Ein ehemaliger kubanischer Student der Musikwissenschaft in Berlin erhielt 1977 für seine Arbeiten als erster Lateinamerikaner den Alexander-von-Humboldt-Preis. Zwei Jahre darauf wurde er in Berlin promoviert. Wesentliche Dinge habe er bei seinem Aufenthalt in Deutschland von der deutschen Mentalität bewusst übernommen und gelernt – nicht nur Fachliches. Sein Aufenthalt in der DDR habe ihn von Grund auf geprägt.
Auch Vertragsarbeiter kommen zu Wort. Eine damals 18-Jährige erinnert sich an die heimliche Vorbereitung ihres Einsatzes in der DDR, von dem die Eltern nichts wissen sollten. Ein Arbeiter kam anfangs mit dem Arbeitstempo nicht klar, doch schließlich lernte er sogar polnische Arbeiter an. Wenn Deutschland wieder Hilfe brauche, sagt er, komme er gern zurück. Eine Facharbeiterin verlor in der Wendezeit ihren Job, lange bevor ihre deutschen Kollegen arbeitslos wurden. Dabei ging es ihr mit ihrem Einzelzimmer im Wohnheim gut. Nach der Grenzöffnung besuchte sie den Westen Deutschlands, zwei Monate waren die Kubanerinnen ohne Arbeit und Geld, Neonazis marodierten, dann zog die kubanische Regierung die Vertragsarbeiter zurück. Sie bezeichnet die Zeit in der DDR als die schönsten Jahre ihres Lebens, voller Exotik aus ihrer kubanischen Sicht. Schwer gewöhnte sie und andere junge Kubaner sich an das strenge Regime im Wohnheim, das oft geschickt umgangen wurde. Während einige dunkelhäutige Kubaner meinen, wegen ihrer Hautfarbe schief angesehen zu werden, erzählen andere vom Gegenteil, von der Bewunderung des Exotischen durch deutsche Kollegen. Ihren Aufenthalt in Deutschland halten die Befragten für eine wichtige und lehrreiche Zeit, die sie nicht missen wollen.
Eine heutige Historikerin äußert, sie habe nach Abschluss des Studiums nicht viele Freunde in der DDR zurückgelassen, doch diese wenigen habe sie für immer ins Herz geschlossen. Sie heiratete einen Kubaner in der DDR und bezog ein gemeinsames Zimmer mit ihm, in dem ihre Tochter geboren wurde. Bei der Kindererziehung habe sie deutsche und kubanische Traditionen vermischt. Ihr gefiel, dass die Kinder in der DDR auch Kinder sein durften und die Männer weniger machistisch waren. Nach dem Fall der Mauer habe sich da einiges geändert. Wie viele Deutsche mit kubanischem Blut es gebe, fragt sie sich, es seien sicherlich eine Menge. Negativ erinnert sie sich an eine besonders scharfe Wohnheimbetreuerin, die den Spitznamen "Frau Buchenwald" bekommen hatte.
50.000 Menschen in Kuba sprechen, lesen und schreiben perfekt Deutsch, das sind mehr als in allen anderen iberoamerikanischen Ländern, erklärt ein ehemaliger Sportstudent in Leipzig, heute Leiter der deutsch-kubanischen Begegnungsstätte Cátedra Humboldt mit einem großen Fundus deutscher Literatur.
Kubaner erlebten einen Kulturschock durch Fasching, FKK und den freieren Umgang der Geschlechter miteinander. Zurück in Havanna mussten sie sich wieder an die einheimischen Sitten gewöhnen. Pünktlichkeit und Organisation empfanden viele als hart. Inzwischen seien sie den Deutschen dankbar. Nach ihrer Rückkehr freuten sich die Kubaner auf ihre Familien, doch mit der Zeit kam die Sehnsucht. Eine heutige Ärztin, ehemals Studentin in Berlin, wo sie ein Kind zur Welt brachte, träumt sich täglich mehrmals in diese Zeit zurück, sehnt sich nach Schnee, dem Geruch nach Kohle und nach der deutschen Sprache. 1994 staunte sie in Berlin, dass sie weiterlaufen konnte, wo einst die Mauer stand. Die Meinung ihrer Freunde zu den Entwicklungen sei geteilt.
Ein ehemaliger Ökonomie-Student in Berlin lebt seit 2008 mit Frau und Mutter im Schwarzwald, verkauft Havanna-Zigarren und genießt, was es in Kuba nicht gibt: Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter.
State and Minorities in Communist East Germany
© Berghahn Books, Oxford, New York. (© Berghahn )
© Berghahn Books, Oxford, New York. (© Berghahn )
Der Band von Mike Dennis und Norman Laporte thematisiert das Verhältnis des Staates DDR zu Minderheiten. Genauer untersucht wird das im Falle der Juden, der Zeugen Jehovas, asiatischer und afrikanischer Vertragsarbeiter, jugendlicher Subkulturen wie Fußballfans, Hooligans, Punks, Gothics und Heavy Metals sowie der von der SED eindeutig als "feindlich negativ" eingestuften Skinheads und Rechtsextremisten. Die Beiträge des Bandes sind durchweg sorgfältig bis in Details recherchiert, die genannten Themen werden präzise bearbeitet und dargestellt. Sie sind überzeugend in den historischen Kontext gesetzt und entbehren der Einseitigkeit des hier an erster Stelle besprochenen Buches. Ihre hohe Professionalität und die runde Darstellung empfehlen sie dem deutschen Leser. Die Kapitel des Buches zeigen, dass die DDR kein einheitlicher Monolith war. Trotz des hohen Grades politischer Organisation und Mobilisation war die Gesellschaft nicht vom Staat absorbiert und auch nicht verkümmert. Die Gesellschaft differenzierte sich im Gegenteil nach Status, Geschlecht, Ethnizität, Alter und weiteren Gesichtspunkten. Sie war gekennzeichnet durch eine Vielzahl an informellen Netzwerken. Eine adäquate Würdigung des Bandes ist im engen Rahmen dieser Rezension nicht möglich, doch sollen wenigstens ein paar Aspekte im Folgenden angedeutet werden.
Das Buch konzentriert sich auf die zweite Hälfte der DDR-Geschichte – auf die Phase des Post-Totalitarismus, von der Konsolidierung der SED-Herrschaft ab Mitte der 60er-Jahre bis zum Fall der Berliner Mauer. Einige Minderheiten der DDR genossen von Anfang an eine hohe staatliche Förderung, wie die 60.000 Sorben mit ihrer eigenen kulturellen Institution, der Domowina, die gleichzeitig der SED als Transmissionsriemen diente. Bei anderen war die Lücke zwischen Rhetorik und Realität augenscheinlich, so bei der kleinen religiösen Minderheit der Zeugen Jehovas oder bei den Resten des Judentums in Deutschland. Beide Gruppen waren nach einer kurzen Periode der Tolerierung nach 1945 erneut der Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Die Lage der kleinen jüdischen Gemeinden besserte sich nach dem Ende der antisemitischen Kampagnen des Regimes Mitte bis Ende der 50er-Jahre, obwohl sie weiterhin von der Stasi infiltriert und nachteilig betroffen waren von der Feindschaft der SED gegenüber dem Staat Israel. Ab Mitte der 80er-Jahre unterstützte die SED die jüdischen Gemeinden, die mittlerweile auf eine alternde Gemeinschaft von 350 Mitgliedern geschrumpft war. Die SED hoffte auf ein positives Echo aus den USA und für den Handel auf die Meistbegünstigungsklausel. Die 22.000 Zeugen Jehovas wurden nach den Versuchen in den 50er- und 60er-Jahren, ihre Organisation zu zerstören, auch danach stark unterdrückt, überlebten jedoch in den Nischen der Familie und der religiösen Gemeinschaft. Die jüdischen Gemeinden und die der Zeugen Jehovas wurden von der SED als Instrumente des Imperialismus angesehen. Auch jugendliche Subkulturen ab den 80ern wie Skinheads, Hooligans, kleine exotische Gruppen von Punks und Gothics, die aus der Ödnis der offiziellen Jugendbewegung flüchteten, brachte die SED mit angeblichen subversiven Aktivitäten feindlicher westlicher Imperialisten in Verbindung.
Von den Vertragsarbeitern in der DDR werden im Band die beiden größten Gruppen Ende der 80er-Jahre ausführlich und treffend beschrieben: Vietnamesen und Mosambikaner. Der Wert der Arbeitsleistung von Vertretern aus beiden Staaten wurde nach Abzug der von der DDR übernommenen Kosten wie Unterbringung, Interkontinentalflüge, kulturelle und Sozialleistungen, Trennungsgeld, Ausbildung, Kleidung und anderem jeweils mit 15.910 Mark bzw. 7.025 Mark angegeben. Der entsprechende Durchschnittswert der Leistung eines DDR-Bürgers betrug 22.000 Mark. Nach den Worten des DDR-Außenministers stellte das Jahr 1987 einen Wendepunkt in der Beschäftigung von Vertragsarbeitern dar: Von nun an würden diese Arbeiter dringend gebraucht.
Als Quellen für die Studien benutzt wurden ausgiebig die Akten des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), des Bundesarchivs, der Regionalarchive in Leipzig und Merseburg und des Deutschen Rundfunkarchivs in Potsdam-Babelsberg. Als unabkömmlich erwiesen sich die Untersuchungen des 1966 gegründeten Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ).