Sterben in der DDR
Das Sterben in seiner Gesamtbedeutung als Bezugsebene für die DDR-Gesellschaft haben insbesondere die marxistisch-leninistischen Philosophen in ihren Schriften aufgegriffen. Sie waren es, die den Mainstream im Umgang mit Sterben und Tod prägten und ein eigenes Deutungsschema entwarfen, in der eine absolute Diesseitsbezogenheit die entscheidende Rolle spielen sollte.
Die folgenden Ausführungen liefern einen Beitrag zu einer Debatte, welche bereits von Jane Redlin
I. Historischer Verlauf der Diskussion zur Todesfrage
in der DDR
Unmittelbare Nachkriegszeit bis Anfang der 70er-Jahre: Orientierungslosigkeit und Verweigerung
Die Wortmeldungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit zum Thema "Sterben und Tod" fielen eher zurückhaltend aus. Als ethisch-medizinische Grundlage, vor allem für Jungmediziner, galt in diesen Jahren ein Prinzip, das von Albert Schweitzer maßgeblich geprägt und in der 1949 gegründeten DDR rezipiert wurde: "Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen."
Die Frage, welchen Beitrag die Religion für die Sterbeethik leisten könnte, blieb in der unmittelbaren Nachkriegszeit jedoch unbeantwortet. Die wenigen Wortmeldungen stammten überwiegend von Medizinern und Philosophen.
In den 1960er- und 70er-Jahren kam verstärkt die marxistisch-leninistische Ideologie bei der Klärung ethischer Probleme und des Umgangs mit der Todesfrage zum Zuge. Religiösen Vorstellungen wurde bewusst der sozialistische Fortschrittsglaube entgegengesetzt. Religiöser Glaube bedeutete demnach einen Rückschritt.
Als Wortführer etablierten sich Philosophen mit marxistisch-leninistischer Weltanschauung. Vor allem ihnen, und nicht etwa den Medizinern und Theologen, traute man zu, auf die Existenzfragen des Lebens kompetente Antworten zu geben. Als Grund dafür wurde angeführt, dass Ärzte immer noch in der Gefahr stünden, überkommene bürgerliche Ansichten zu vertreten und die sozialistische Denkweise im Sinne eines 'wahrhaft humanen' Denkens noch nicht verinnerlicht zu haben: "Es ist wohl sicher anzunehmen, dass die Stellungnahmen erfahrener Mediziner zum Problem der Krankheitserlebnisse in ihrem subjektiven Ausgangspunkt von humanistischen Zielen getragen sind. Trotzdem führen diese auf falschen philosophischen Ansichten aufbauenden Gedanken zu letzten Endes schädlichen Ergebnissen. [...] Daraus folgt die philosophische Ablehnung aller pessimistischen und resignativen Tendenzen in der Haltung auch des Kranken und die Notwendigkeit einer Teilnahme des Arztes an der eventuell nötigen Ausformung einer richtigen Einstellung [...]."
Hans Steußloff, Professor für Historischen und Dialektischen Materialismus in Leipzig, äußerte sich in seiner Habilitationsschrift noch konkreter: "Wir geben uns nicht der Illusion hin, den Tod beseitigen zu können. [...] Vielmehr geht es darum: solche objektiven und subjektiven sittlichen Werte zu schaffen und zu entwickeln, daß der Tod 1. aufhört, ein soziales Übel zu sein und daß 2. dank dieser sozialen Veränderungen und dank der neuen sittlichen Qualitäten der sozialistischen Persönlichkeit, der Einzelne instandgesetzt wird, mit dem individuellen Problem des Todes wirklich fertigzuwerden, es zu bewältigen, ohne eines religiösen Trostes zu bedürfen."
Der Kapitalismus wurde für die Verschärfung des "Todesproblems" verantwortlich gemacht. Als Lösung wurde nun der Hinweis auf die gesellschaftlichen Verdienste des Betroffenen propagiert. Darin äußere sich ein neuer, objektiver sozialethischer Wert, der wiederum eine neue Dimension im Umgang mit dem Tod eröffne, da auf die "Aufgaben des Lebens" anstatt auf den Tod abgestellt werde: "Welche veränderte Stellung das Todesproblem dadurch erhält, ist im praktischen Leben der Mehrheit der Bürger unserer Republik deutlich erkennbar. Denn mit der Überwindung der für die Klassengesellschaft kennzeichnenden sozialen Existenzunsicherheit für die Massen der Bevölkerung hat auch die Ideologie der Todesangst entscheidend an Boden verloren. Dementsprechend gibt es im Sozialismus keinen ideologischen Kult des Todes, keine Ideologie der Todesangst. Nicht vom Tod, sondern von den Aufgaben des Lebens wird das gesellschaftliche Bewußtsein des Menschen bestimmt."
Subjektiv-menschliche, individuelle Wahrnehmungen des Todes, gerade auch die Angst des Betroffenen, blieb weitestgehend unberücksichtigt. Diskussionsbeiträge von Ärzten stießen auf wenig Resonanz, und diese gerieten zunehmend ins Spannungsfeld zwischen philosophisch-sozialistischer Theorie und erlebter Praxis mit den Patienten. Einige Mediziner forderten einen offeneren Umgang mit der Todesfrage. Das Prinzip der konsequenten Verheimlichung und Täuschung über den Zustand der Patienten müsse ein Ende haben. Patienten müssten realistisch, wenngleich schonend über ihren Zustand und die Möglichkeit eines nahenden Todes aufgeklärt werden. Doch mussten viele Mediziner in ihrer Berufswirklichkeit weiterhin mit der Erkenntnis leben, wie wenig das offizielle philosophische Rüstzeug in der Auseinandersetzung mit den ethischen Herausforderungen half, die das Sterben eines Patienten an sie stellte. Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis führte oft zu Unsicherheit im Umgang mit dem Betroffenen oder zu Haltungen, die eine emotionale Anteilnahme verweigerten.
Die 70er- und 80er-Jahre: geistige Fragen und Aufbruch
Anfang der 70er-Jahre formierten sich erste Widerstände gegen die marxistisch-leninistische Sterbeethik. Zunächst beteiligten sich daran Ärzte aus jenen Fachbereichen, in denen eine häufige Auseinandersetzung mit den Fragen des Sterbens unumgänglich war. Es kam die Forderung nach einer gezielten, praxisorientierten Weiterbildung auf diesem Gebiet auf. Diskussionsbeiträge erschienen in der Zeitschrift "Das Deutsche Gesundheitswesen". Sie diente als erste Plattform zum Thema Sterben und Tod.
Allerdings wurden der Entwicklung dieser Position alsbald Grenzen gesetzt. So wurden die Zeitschrift wie auch weitere Arbeiten zur Thematik des Sterbens staatlicherseits mit einem Sperrvermerk versehen; somit waren sie nur noch Eingeweihten zugänglich. Folglich wurden auf diesem Weg die klinisch tätigen Ärzte kaum erreicht.
Der Ton verschärfte sich seitens der Ärzte schließlich massiv. So forderte der Mediziner Peter Rochler eine umfassende philosophische Neuausrichtung der Denkweise über den Tod, nachdem er eine Umfrage unter Ärzten durchgeführt hatte: "Eine wichtige Ursache dafür, daß sich bei den Ärzten überwiegend Hemmungen und Furcht breitgemacht haben, über das Sterben und den Tod mit den Patienten zu sprechen, ist unsere materialistisch-atheistische Weltanschauung. Woran sollen sich die Patienten klammern in ihrer Verzweiflung? Zu dieser Frage müßten sich unsere Philosophen einmal ernsthaft Gedanken machen."
Nicht nur in der Medizin regte sich Widerstand. Auch Künstler griffen das Thema immer wieder auf – auch und gerade deshalb, weil Politik und Philosophie sich diesen Fragen immer wieder entziehen wollten. Vor allem Maxie Wander ging in ihren Veröffentlichungen immer wieder auf Sinnfragen ein. In ihren 1979 erschienenen Tagebuchaufzeichnungen "Leben wär' eine prima Alternative"
1982 erschien das vielbeachtete Buch "Swantow" von Hanns Cibulka. Er beschreibt die Umstände im klinischen Alltag eines Patienten auf dem Sterbebett. "Beistand leisten, Sterbehilfe geben, wer kann das heute noch in unseren Kliniken? Es wird eine Zeit kommen, da werden sie den Sterbenden am Fußende noch einen Farbfernseher hinstellen, damit er von seinem eigenen Sterben abgelenkt wird, damit er sich bis zum letzten Atemzug mit den oberflächlichen Dingen des Lebens befassen kann. [...] Glaub mir, der Tod ist für uns alle zu einer großen Verlegenheit geworden. Haben wir nicht alles, was uns an das Sterben erinnert, an die Peripherie des Lebens gelegt? Weder im geschriebenen noch im gesprochenen Wort unserer Staatsmänner hat der Tod einen Platz."
Selbst im Theater brachte man das Thema Sterben gelegentlich auf die Bühne. So wurde 1981 das Drama "Ärztinnen" von Rolf Hochhuth uraufgeführt. Im Vorfeld erklärte der Intendant des Rostocker Volkstheaters Hanns Anselm Perten in einer Diskussionsrunde: "Man müßte den Menschen mehr über den Tod sagen, allen jenen, die keinen religiösen Trost haben, es werden ja immer mehr bei uns [...]. Wir haben eine ganz merkwürdige Art, die mich stört. Sicher, der Optimismus ist der Grundzug unserer Gesellschaft, aber ich muß doch den Menschen auch offen sagen, wie ergeht es dir, wie widerstehst du den Ängsten, wie ist das Hinübergleiten, wenn einmal deine biologische Grenze erreicht ist? Das kann ich nicht verstehen. Ich höre schon die alten Kommunisten sagen: 'hm, hm, ach was, Arschbacken zusammenkneifen und Zähne zusammendrücken [sic.!] und dann mutig ...' und dies und das. Das reicht mir nicht. Der sogenannte Heldentod ist nicht ausreichend."
Friedhof der Berliner Sankt-Nikolai-Gemeinde, 1984. (© Bundesarchiv, Bild 183-1984-1121-026, Foto: Andreas Kämpe)
Friedhof der Berliner Sankt-Nikolai-Gemeinde, 1984. (© Bundesarchiv, Bild 183-1984-1121-026, Foto: Andreas Kämpe)
Anfang der 80er-Jahre tauschten sich evangelische Theologen häufiger mit Vertretern der marxistisch-leninistischen Philosophie aus. Obwohl es letztlich zu keiner Annäherung kam, sprach sich die marxistische Philosophin Hannelore Volland für eine Fortsetzung der Diskussion aus: "Der bestehende weltanschauliche Gegensatz von Kommunisten und Christen bei der Bewertung des Todes und dem, was vom Menschen danach bleibt, darf nicht dazu führen, die religiöse Sterbeseelsorge insgesamt zu ignorieren. Vielmehr ist der praktischen Frage nachzugehen, welche Hinweise durch die moderne protestantische Sterbeseelsorge für die Betreuung Sterbender verallgemeinerungsfähig sind und wie bereits vorliegende Erfahrungen sinnvoll genutzt werden können."
Das Zitat illustriert sehr deutlich, dass gerade die 80er-Jahre durchaus von einem Prozess der Korrektur und des Umdenkens seitens der Vertreter der marxistisch-leninistischen Philosophie geprägt waren. Positionen, die von den 60ern bis zur Mitte der 70er-Jahre über jeden Zweifel erhaben waren, wurden zum Teil revidiert. Dennoch: Immer mehr Ärzte ignorierten zwischenzeitlich die Beiträge der Philosophie zu diesem Thema. Dies hatte seinen Grund: Von einer Entwicklung hin zu sterbeethischen Positionen, die religiöse Antworten hätten ersetzen können oder gar religiösen Zuschnitts waren, konnte keine Rede sein. Nach wie vor galt es der Gefahr vorzubeugen, dass sich die Gesellschaft in dieser Frage "rückentwickelte". So schreibt Hannelore Volland: "Ein bloßer Rückzug der Philosophie aus den Problemen von Sterben und Tod des Menschen enthält stets die Möglichkeit, in komplizierten Situationen doch auf die noch weit verbreiteten und von einer größeren Zahl von Menschen auch akzeptierten religiösen Vorstellungen wieder zurückzugreifen. Damit wäre objektiv eine Situation geschaffen, die die Menschen in einer bestimmten Lebenssituation [...] wieder in Abhängigkeit von Irrationalismus und Mystik führen würde. Darum müssen Hilfen für diejenigen gegeben werden, die es auch sonst gewohnt sind, sich an der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse zu orientieren."
Die Grundtendenz der Philosophie der 80er-Jahre war dessen ungeachtet von einem Bruch mit fundamentalen marxistisch-leninistischen Denkweisen geprägt. Der Wunsch nach einer grundlegenden Veränderung beim Umgang mit der Thematik des Todes war unverkennbar. Dies äußerte sich nicht zuletzt in der Fülle der Publikationen, die sich nun zunehmend auch der Praxisrelevanz widmeten. Das Themenspektrum war vielfältig und reichte von im Sterben liegenden Kindern bis zur Betreuung der Angehörigen Sterbender. Es sollte offensichtlich zu einem bewussteren Nachdenken über den Tod angeregt werden.
II. Bedürfnis nach menschenwürdigem Sterben
Sterbebegleitung als Lebenshilfe
Die Sterbebetreuung in der DDR beruhte demnach im Wesentlichen auf einer fundamentalsozialistischen Ideologie. Von religiöser Seelsorge sollte, gerade auch angesichts einer gewissen Wehrlosigkeit des Betroffenen, ganz abgesehen werden. Der Schwerpunkt der Betreuung lag zwar auf der Befindlichkeit des Menschen, doch sollte diese mit den Idealen der sozialistisch-atheistischen Philosophie im Einklang stehen. Immer wieder kam "das Prinzip Hoffnung" zum Zuge. Der Patient sollte bis zum Schluss darin bestärkt werden, die Verarbeitung seines Schicksals im passenden ideologischen Rahmen zu leisten und sich ganz am Ende seines Lebens nach wie vor oder wieder dem Sinn seines Lebens zuzuwenden: seinen Platz im sozialen Gefüge zu finden.
Eine Untersuchung von Petra Hillebrand zeigt, dass nur sehr wenige Sterbende mit ihren Pflegern oder ihren nächsten Angehörigen konkret über den Tod gesprochen haben. Indirekte Äußerungen bezogen sich meist auf die Sorge des Todgeweihten, noch Unerledigtes aufarbeiten zu müssen. Dabei standen materielle Anliegen und die Versorgung der Angehörigen im Vordergrund.
Die Hospizarbeit etablierte sich in der DDR erst ab Mitte der 80er-Jahre. Heinrich Pera, der in Halle das erste Hospiz gegründet hatte, beklagte: "Die nicht selten nur einmaligen Kontaktmöglichkeiten mit Patienten – vor allem mit jenen, die physisch und psychisch schwer zu leiden haben – erschienen mir mehr und mehr als unzureichend."
Gespräche über den Tod mit Sterbenden und Hinterbliebenen
Die konkrete Gesprächsführung über das Ausmaß der Krankheit und den nahenden Tod folgte in der DDR einem Konzept, das man – je nach eigener Haltung – als eines der Rücksichtnahme oder als eines der Verdrängung bezeichnen kann. So sprach sich Rolf Emmrich gegen die klare Benennung einer unheilbaren Krankheit aus. Er erklärte 1962: "Schwer und für den Arzt dennoch befriedigend ist es, einen Kranken über den Schrecken eines wirklichen Krebsleidens hinwegzubringen. So offen und ehrlich der Arzt seinen Patienten gegenüber sein soll, so hat er doch weder das Recht noch die Pflicht, dem Kranken die Diagnose Krebs mitzuteilen. [...] Allen unheilbar Kranken gegenüber bedarf es der unverrückbaren Zuversicht des Arztes; er muß eine gewisse freudige Heiterkeit ausstrahlen, immer wieder Hoffnung erwecken und einen Optimismus an den Tag legen, der alles Schreckliche und alle trübe Stimmung überwindet."
Der sozialistischen Gesellschaft sollte Zukunftsorientierung und Optimismus vermittelt werden; dies galt sogar noch für einen sterbenden Menschen. In diesem Kontext steht auch die Tatsache, dass immer wieder die großen Erfolge der Medizin betont wurden. Der Tod wurde bis zum Schluss verdrängt und, wenn er dann eintrat, als unvermeidliches Übel in Kauf genommen.
Die Gründe für und wider eine Sterbebetreuung und einen offenen Umgang mit der Tatsache des nahenden Todes machen sehr deutlich, wie weit die Meinungen auseinandergingen: Die Gegner argumentierten, dass der Patient die Wahrheit des nahenden Todes nicht ertragen könne und das Sterben somit schwerer werde, aber auch, dass ein Todgeweihter die Wahrheit eigentlich gar nicht wissen wolle. Mit dem Anerkennen der Tatsachen verliere er jede Hoffnung oder diese werde durch die Sterbebetreuung und wegen der ständigen Erinnerung an den nahenden Tod immer wieder aufs Neue unterdrückt. Die Befürworter gaben zu bedenken, dass der Patient in Kenntnis seines Zustands die eigenen Angelegenheiten noch ordnen könne. Zudem würden eventuell Widerstandskräfte gegen die Krankheit mobilisiert.
De facto setzte sich die Ansicht durch, dass bis zum Schluss "gelebt" werden solle. 1977 erfuhren lediglich 16 Prozent der Verstorbenen in einem Gespräch von dem möglicherweise negativen Ausgang ihrer Krankheit. Im Jahr 1979 waren nur 20–30 Prozent der Mediziner bereit, Krebskranke über ihren Zustand aufzuklären.
Ebenso sollte die Bestattungs- und Trauerzeremonie möglichst frei von religiösen Anklängen sein. Besonders in der sich immer weiter verbreitenden Urnenbestattung sah die DDR-Führung eine wünschenswerte Verdrängung religiöser Bestattungsriten: "[...] die Propagierung und Einführung neuer sozialistischer Traditionen und Bräuche wie der Urnenbestattung sind wichtig und lassen immer weniger Raum für religiöse Feste, Bräuche und Rituale."
Die Vermittlung von Hoffnung während der Bestattungszeremonie bezog sich im Wesentlichen auf die Diesseitigkeit des Lebens. Auf Jenseitsvorstellungen wurde nicht eingegangen. "Die Kontrolle der Emotionen ist darin zu sehen, daß im sozialistischen Begräbnis die Realität des Todes voll anerkannt wird, indem keine Hoffnung auf ein Leben jenseits des Todes zum Ausdruck gebracht wird. Der Mensch stirbt unwiderruflich und für immer und muß dem Grabe freigegeben werden. Die Freigabe des Toten wird dadurch erleichtert, daß die sozialistische Gesellschaft den Hinterbliebenen ihre Solidarität bezeugt, indem sie auf den sinnvollen Lebensinhalt des Verstorbenen hinweist."
Auf die Frage, welche Veränderungen der Tod eines Angehörigen bei den Hinterbliebenen hervorgerufen hat, antworteten gemäß einer Publikation von Gilbert Mury die meisten, dass die Lebensqualität sich maßgeblich verschlechtert habe. Aber vor allem die Organisation der "Volkssolidarität" habe geholfen, den Schmerz zu überwinden und die Krisensituation zu bewältigen. Lediglich zwei Prozent der Hinterbliebenen überwanden die Trauer, weil ihnen der christliche Glaube Hoffnung gab. Diese Personengruppe war es auch, die zur Verarbeitung des Todes eines Angehörigen Kirchenvertreter aufgesucht und von ihnen Hilfe in Anspruch genommen hatte.
Bei den meisten befragten Hinterbliebenen rief der Tod eines nahestehenden Menschen Angst vor dem eigenen Sterben hervor. Lediglich in einem Prozent der Fälle hieß es, dass man sich wieder verstärkt um Religion, im Besonderen um den christlichen Glauben, kümmern werde. Allerdings gaben 25 Prozent an, dass ein starker religiöser Glaube durchaus dabei hilfreich sein könne, dem Sterben würdevoll zu begegnen.
III. Resümee
Bis Anfang der 1960er-Jahre gab es in der DDR nur sporadische Beiträge zur Ethik des Sterbens. Erst später stieß das Thema auf ein breiteres Interesse, wobei es in erster Linie sozialistische Philosophen waren, die sich mit ethischen Problemen im Kontext von Sterben und Tod auseinandersetzten. Dabei wurde die Sterbebegleitung allerdings nur am Rande thematisiert und wahrgenommen.
Ende der 70er-Jahre begann sich eine neue Denkweise durchzusetzen, in erster Linie angeregt von verschiedenen Künstlern. Aber auch Ärzte aus betroffenen Fachbereichen formulierten ihre Unsicherheiten und stellten ihren bisherigen Umgang mit den ethischen Problemen infrage. Dies veranlasste die ideologischen Meinungsführer der DDR zu neuen Überlegungen.
In der Diskussion um Fragen nach dem Lebenssinn zeigte sich, dass die sozialistisch-atheistische Philosophie kaum in der Lage war, Fragen des Sterbens und des Todes zu erhellen. Das grundlegende Problem bestand darin, dass es eine breite Kluft zwischen dem Stand der theoretischen Diskussionen und der Umsetzung dieser Erkenntnisse in der praktischen Sterbebegleitung gab.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es in der DDR schwach und unzureichend ausgeprägte Ethikvorstellungen zum Umgang mit dem Tod gab; dieser wurde sogar regelrecht tabuisiert. Folgen dieser Tabuisierung waren weitverbreitete Berührungsängste und Verunsicherungen.
Bei der Verarbeitung des Todes ist ebenfalls auffällig, dass nur in wenigen Fällen religiöser Beistand erbeten wurde. Generell machte die Konfrontation mit dem Tod eines Angehörigen die Hinterbliebenen nicht religiöser.
Die Notwendigkeit vielfältiger Gesprächsangebote für den Sterbenden und seine Angehörigen sowie später für die Hinterbliebenen wurde in den letzten Jahren der DDR durchaus erkannt. Religiöses Gedankengut blieb allerdings in diesen Bestrebungen außen vor. Dagegen gab es eine gesellschaftliche Tendenz, sich für das "Danach" nicht zuständig zu fühlen und bewusst diejenigen zu ignorieren, die aus religiöser Sicht etwas dazu beitragen konnten, dass es eine Hoffnung nicht nur im Leben, sondern auch im Sterben geben könnte.