Einleitung
Die Vorentscheidung zur Vergabe der X. Weltfestspiele nach Ost-Berlin fiel bereits im September 1971 anlässlich einer Exekutivtagung des Weltbundes der Demokratischen Jugend (WBDJ) in Valparaiso (Chile). Am 19. und 20. Januar 1972 wurde die Wahl offiziell. Der Koordinierungssekretär der IX. Weltfestspiele, Jean Diard, schlug in Sofia auf einer konstituierenden Tagung des Internationalen Vorbereitungskomitees (IVK) der Weltfestspiele die DDR als nächsten Veranstaltungsort vor. Die Vertreter aus 47 Ländern nahmen die Idee einhellig an.
Für das X. Festival wurde die Losung "Für antiimperialistische Solidarität, Frieden und Freundschaft" ausgegeben. Ziele der kommunistischen Veranstaltung waren unter anderem die Demonstration der internationalen Solidarität mit dem "heldenhaften Kampf der Völker Vietnams, Laos und Kambodscha", die Forderung nach einem Rückzug der Amerikaner aus Indochina und die Einstellung ihrer Unterstützung für die politischen Regime in Saigon, Vientane und Phnom Pen. Des Weiteren sollten die Weltjugendfestspiele die Solidarität mit sozialistischen Befreiungsbewegungen in arabischen Ländern, in Afrika, Lateinamerika und Asien, sowie mit den "bedeutenden Kampfaktionen der Jugend und Studenten in den kapitalistischen Ländern gegen die Ausbeutung durch Monopole, Unterdrückung, für die Durchsetzung ihrer Rechte und Bestrebungen, für tiefgreifende ökonomische und soziale Veränderungen und für Demokratie" zum Ausdruck bringen.
Nicht weniger wichtig als diese Zielsetzungen war die einmalige Gelegenheit für die SED-Führung, die DDR auf internationaler und nationaler Ebene als weltoffenes und selbstbewusstes Land zu präsentieren, deren Bürger scheinbar fest hinter "ihrem" politischen System standen.
Wenige Wochen nach der Exekutivtagung des WBDJ gründete sich das Nationale Vorbereitungskomitee (NVK) in Ostdeutschland.
Die ideologische Vorbereitung der Teilnehmenden
Die "Parteikommission zur Vorbereitung und Durchführung der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973", das Sekretariat des Zentralrats der FDJ und das Organisationskomitee übernahmen die Organisation des Festivals. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) begann mit der Vorbereitung von Maßnahmen zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit.
Die Hauptaufgabe des Zentralrats bestand in der Vorbereitung und Auswahl der Teilnehmer der Jugendorganisation der SED. Zu diesem Zweck wurde das am 27. April beginnende "Studienjahr der FDJ 1972/73" auf das Festival ausgerichtet.
Für die Auseinandersetzung mit westdeutschen Besuchern wurde das Wissen über das kommunistische Manifest von Karl Marx aufgefrischt, Zahlen und Fakten der DDR gelernt, die Statuten der Jungen Union, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) und der Jungsozialisten durchgenommen sowie die gesamten Passagen des Grundlagenvertrages behandelt.
Im Anschluss an die Auswahl der Teilnehmer fanden im Mai und Juni 1973 spezielle Lehrgänge für die Leiter der Bezirksdelegationen (22.5.1973), die offizielle Festivaldelegation (25.6. -30.6.1973) und der Gruppen- und Blockleiter (28.5. -10.6.1973 u. 30.5. 1973) statt. In den Schulungen der FDJ-Kader nahm die Ostpolitik der Sozialdemokratie einen besonders großen Raum ein. Die Position der Konservativen zur DDR kam nur am Rande vor.
Die Auswirkungen der Begegnung von DDR-Bürgern mit sozialdemokratischen Jugendverbänden wurden als wesentlich gefährlicher eingeschätzt als die Konfrontation mit konservativen Jugendorganisationen. Man fürchtete die "innere Aufweichung" des Sozialismus durch die Sozialdemokraten weit stärker als die Folgen der konservativen Politik des "heißen und kalten Krieges".
"Wir haben keine Illusionen, was die Rolle und Funktion des Sozialdemokratismus betrifft und wissen, dass die rechten SPD-Führer äußerst geschickt und oftmals raffinierter als die CDU/CSU-Führer als Sachverwalter des westdeutschen Monopolkapitals fungieren. (...)Will die CDU/CSU weiter den Kurs des heißen und kalten Krieges fahren, sieht die SPD-Führung größere Chancen für den Imperialismus über die Anpassung and das neue Kräfteverhältnis in der Welt und die innere Aufweichung des Sozialismus."
Bezüglich der sozialdemokratisch orientierten Verbände wurde davon ausgegangen, dass sie in politischen Seminaren und Foren, den "realen Sozialismus" in seiner Theorie und Praxis in den sozialistischen Staaten angreifen würden. Das Ministerium für Staatssicherheit erwartete Diskussionen rund um die Schlagwörter "Pluralistische Gesellschaft", "Demokratischer Sozialismus", "Bürgerlicher Freiheitsbegriff" und "Bürgerliche Definition von der Einheit der Nation".
Das Sekretariat des Zentralrats gab auf vielen Veranstaltungen den FDJlern "Argumentationshilfen" zum Umgang mit diesen kritischen Punkten. Beispielhaft hierfür waren die "Argumentationshinweise für die Mitgliederversammlung der FDJ im März 1973".
Die bundesdeutsche Sozialdemokratie war in diesem Erklärungsmodell eine Spielart der "bürgerlichen Ideologie" und wurde mit dem herab setzenden Begriff "Sozialdemokratismus"
Maßnahmen der Nachrichtendienste
Die Festivalveranstalter sorgten nicht nur für eine theoretische Vorbereitung der jungen DDR-Bürger auf den Kontakt mit der westdeutschen Delegation, sie bereiteten auch praktische Maßnahmen vor, um "kritische Situationen", welche medienwirksam für die westlichen Journalisten sein konnten, gar nicht erst entstehen zu lassen.
Das MfS verhinderte bis zum 28. Juni 1973 die Reise von 2 720 sogenannter "negativer Personen" nach Ost-Berlin. Gegen 2 073 Personen wurde Haftbefehl erlassen, insgesamt 800 Menschen mussten die "Hauptstadt der DDR" verlassen oder hatten eine Aufenthaltsbeschränkung erhalten.
Die Behörde Erich Mielkes nahm während der als Aktion "Banner" bezeichneten, nachrichtendienstlichen Festivalarbeit entscheidenden Einfluss auf die Kandidatenauswahl. Personen, die nach Ansicht der Staatsschützer nicht Gewähr dafür boten, die Republik "würdig" zu vertreten, wurden abgelehnt. Zu den Gründen für eine Absage gehörten kriminelle Delikte, "mangelnde politische Zuverlässigkeit", "dekadentes Auftreten" und "unmoralisches oder rowdyhaftes Verhalten".
Zur "Sicherstellung" der Überlegenheit der ostdeutschen Jugendlichen bei kontroversen Diskussionen wurden als FDJler verkleidete Mitarbeiter des MfS eingeschleust, die bei kritischen Situationen "konsequent" die Politik der Partei und der Regierung der DDR zu vertreten hatten.
Die Veranstalter vetraten die Einschätzung, dass die vermeintlich von dem SPD-Parteivorstand gelenkten "sozialdemokratischen Kräfte" die westdeutsche Festivaldelegation in den Griff bekommen wollten und sie im Sinne ihrer sozialdemokratischen Politik zum Nachteil der "marxistisch-leninistischen Kräfte" in der Bundesrepublik zu instrumentalisieren beabsichtigten.
Die bundesdeutsche Delegation
Die offizielle bundesdeutsche Delegation mit 800 Teilnehmern wurde von dem "Initiativausschuss X. Weltfestspiele" (IA) vertreten.
Das Programm für über 300.000 Teilnehmende
Die bundesdeutschen Delegierten nahmen zusammen mit 25.646 ausländischen Gästen und ca. 333.000 offiziellen Teilnehmern aus der DDR am Festival teil.
Am jeweiligen Motto des Tages orientierten sich die "Zentrale Veranstaltung des Tages" und die Konferenzen und Seminare. Stand ein bestimmtes Land oder eine geographische Region im Vordergrund, so wurde ein "Massenmeeting" mit den zum Land zugehörigen Delegierten angeboten. Die politischen Programmpunkte wurden begleitet von landestypischen Kulturveranstaltungen, wie Festen oder Musikkonzerten. Neben den täglich wechselnden Programmpunkten gab es die "Ständigen Einrichtungen und kulturellen Veranstaltungen". Klubs und Begegnungszentren waren bestimmten Interessengruppen oder politischen Themen gewidmet.