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Die (Ohn-)Macht der Bürgerkomitees | Stasi | bpb.de

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Die (Ohn-)Macht der Bürgerkomitees Die Rolle spontan engagierter Bürger bei der Entmachtung der Stasi 1989/90

David Gill

/ 18 Minuten zu lesen

Ab Dezember 1989 übernahmen Bürgerkomitees die Macht in zahlreichen Dienststellen der DDR-Geheimpolizei Stasi. Ihr Ziel war es, darauf zu achten, dass die Entmachtung des Ministeriums für Staatssicherheit friedlich und geordnet verläuft und keine Stasi-Akten mehr vernichtet werden - was das MfS anhaltend versuchte. Ein Rückblick von David Gill, der im Januar 1990 zum Koordinator des Bürgerkomitees in der Berliner Normannenstraße gewählt wurde.

15. Januar 1990 in der Berliner Normannenstraße. Demonstranten brechen die nächstgelegenen Türen der Stasi-Zentrale auf - sie führen aber nur in den Versorgungstrakt. (© wir-waren-so-frei.de / Jürgen Nagel)

Es begann Anfang Dezember in regionalen Bezirksstädten der DDR, wie Erfurt, Leipzig und Rostock. Noch weniger als zwei Monate zuvor hatte das DDR-Regime anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR mit einer großen Jubelveranstaltung in Ostberlin Normalität und Stärke demonstrieren wollen und mit großer Härte auf Bürgerproteste reagiert. Das Entsetzen über die volksferne Staatsführung wuchs. Nun gingen landesweit Millionen auf die Straße, um gegen die Diktatur zu protestieren, die Führung wurde panisch ausgewechselt, aber bot wenig Hoffnung auf reale Veränderungen, die Proteste intensivierten sich, hektische Reformen begannen in deren Folge auch die Berliner Mauer fiel.

Nun wurde auch die lange Zeit gefürchtete Geheimpolizei Stasi infrage gestellt. Im Zuge dieser Friedlichen Revolution bildeten sich freiwillige Bürgerkomitees, die die Auflösung der Bezirksverwaltungen des Ministeriums für Staatssicherheit kontrollieren und vorantreiben wollten. Ihnen war es vor allem ein Anliegen, die vermutete und teilweise auch anhand qualmender Schornsteine und reger Papiertransporte offensichtlich werdende Vernichtung von Stasi-Akten, also des „Beweismaterials“ staatlicher Unterdrückung und Rechtsstaatsignoranz, zu stoppen.

Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung in Frankfurt (Oder) am 5.12.1989 durch Mitglieder der Bürgerbewegung Neues Forum und Vertreter des örtlichen Bürgerkomitees (© Hartmut Kelm)

Die vielerorts spontan gebildeten, ehrenamtlich agierenden Bürgerkomitees wurden zu einem Symbol für die Entschlossenheit eines großen Teils der DDR-Bevölkerung, dem Treiben der DDR-Geheimpolizei unumkehrbar ein Ende zu setzen, beginnend am Morgen des 4. Dezember 1989 in Erfurt durch eine Gruppe couragierter Frauen und schon am Folgetag fortgesetzt in zahlreichen Bezirksstädten der DDR. Auch in der Berliner Stasi-Bezirksverwaltung bildete sich im Dezember 1989 ein solches Bürgerkomitee. Umso erstaunlicher ist es aus heutiger Sicht, das wiederum in der Zentrale des Ministeriums, in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg, eine solche Kontrollinstanz Anfang Januar 1990 noch fehlte. Lediglich fanden hin und wieder Besuche von Abordnungen des Runden Tisches oder des Bürgerkomitees aus der MfS-Bezirksverwaltung statt.

Doch das Thema Stasi war um den Jahreswechsel 1989/1990 auch ein permanenter Tagesordnungspunkt am Zentralen Runden Tisch, an dem Vertreter aller größeren und neuen Interessengruppen in der DDR versuchten, den politischen Alltag in der DDR neu zu prägen und die Regierung zu kontrollieren. Inkompetent wirkende Regierungsvertreter prüften die Geduld seiner Mitglieder, nachlesbar in zahlreichen Dokumenten des Runden Tischs, die mittlerweile online im Externer Link: Bundesarchiv einsehbar sind. Der Versuch der Regierung, der Stasi durch einen Namenswechsel von „Ministerium für Staatssicherheit“ (MfS) in „Amt für Nationale Sicherheit“ (AfNS) eine Art patriotischen Anstrich zu geben und sie so in die neue Zeit zu retten, erzürnte die demokratischen Parteien und Gruppierungen ebenso wie Pläne, die einmütig geforderte ersatzlose Auflösung des AfNS durch die Neugründung eines „Verfassungsschutzes“ zu umgehen. Und sogar Ministerpräsident Hans Modrow wurde wegen der Geheimniskrämerei und der offensichtlichen Verschleppung der Auflösung der Stasi vor den Runden Tisch zitiert.

Der 15. Januar 1990

Vor diesem Hintergrund rief die oppositionelle Bürgerplattform "Neues Forum" für den Abend des 15. Januar 1990 zu einer Demonstration vor den Toren der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg auf. Gefordert wurden Transparenz und Konsequenz bei der Beendigung der Stasi-Aktivitäten. Die Teilnehmenden wurden aufgerufen Ziegelsteine mitzubringen – nicht etwa, um diese nach Stasi-Leuten oder Polizisten zu werfen, sondern um das Tor des großen Geländes symbolisch zuzumauern, nach der Devise: „Wenn ihr nicht rauskommt, mauern wir euch ein.“ Tausende kamen und gaben letztlich das Fanal für die Gründung eines Bürgerkomitees auch in der Zentrale der Stasi.

Am Abend des 15. Januar 1990 in der Normannenstraße (© Havemann-Gesellschaft)

Die Mehrheit hielt allerdings vom Zumauern wenig. Im Laufe der Demonstration drängten zahlreiche Menschen auf Teile des Stasigeländes, machten sich ein Bild davon, wie es hinter den geheimnisvollen Mauern aussah und ließen teilweise auch ihre Wut über das Regime an der Einrichtung vor allem des Versorgungstraktes der Stasizentrale aus. Die Berichte über den Tag lesen sich sehr unterschiedlich, das Innenministerium berichtete von einer generell Externer Link: "aggressiven Stimmung", die Initiatoren der Bürgerrechtsbewegung "Neues Forum" betonten, dass Externer Link: "Neugierde" die meisten Demonstranten ins Innere trieb. In dieser Situation taten sich spontan Bürgerinnen und Bürger zusammen, die für Deeskalation sorgen und perspektivisch eine kontinuierliche Kontrolle des Auflösungsprozesses sicherstellen wollten. Vorbild für die Organisation und Schwerpunktsetzung sollte in den darauffolgenden Tagen und Wochen die bereits erfolgte Konstituierung der Bürgerkomitees in den DDR-Bezirken werden, auf deren schon sechswöchige Erfahrung zurückgegriffen werden konnte.

Viele tausend Menschen engagierten sich während der Friedlichen Revolution in den unterschiedlichsten Gruppierungen, an lokalen Runden Tischen, in einer Vielzahl neuer Bürgerinitiativen und Parteienbündnisse und nun auch in den Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi. Und wenn auch das Bürgerkomitee Normannenstraße vielleicht nicht zu einem ganz repräsentativen Querschnitt durch die Gesellschaft darstellte – dafür war das Engagement in einem solchen Komitee für viele DDR-Bürger noch zu unheimlich und auch wenig mainstream – dennoch fand sich dennoch auch hier eine bunte Mischung von Menschen aus unterschiedlichen Professionen, Altersstufen und Überzeugungen zusammen. Da arbeiteten Taxifahrer, Ingenieure, Erzieherinnen, ein Kameramann und Studierende, Akademikerinnen und Schauspieler, Bauarbeiter und Hausfrauen Hand in Hand zusammen.

Während in einigen Bezirken die Mitglieder der Bürgerkomitees durch eine politischen Partei oder Gruppierung entsandt wurden, entstanden in anderen Bezirken und in der Zentrale mehr oder weniger zufällige Zusammenschlüsse von Menschen, die Verantwortung an einer wichtigen Stelle der Friedlichen Revolution und des Übergangs übernehmen wollten. In Berlin-Lichtenberg trugen sich in den ersten Tagen Mitte Januar 1990 einige Hundert in die Listen des Bürgerkomitees in der Stasi-Zentrale ein. Als am 13. Februar die Satzung des Bürgerkomitees Normannenstraße verabschiedet wurde, waren davon etwa 80 übrig geblieben, die sich mit ihrer Unterschrift zur Mithilfe verpflichteten.

"Das war für mich das Signal"

Ich selbst studierte damals erst seit kurzem an einer kirchlichen Hochschule in Ost-Berlin Theologie, hatte mich in den Monaten zuvor an der einen oder anderen Demonstration beteiligt und nahm Anteil an kommunalpolitischen Diskussionen einer Gruppe von „Demokratie Jetzt“. Zum sich bildenden Bürgerkomitee stieß ich erst einen Tag nach der Erstürmung der Stasi-Zentrale, einem spontanen Entschluss folgend: In den Abendnachrichten des DDR-Fernsehens lief ein Bericht über einen Streik Ost-Berliner Müllfahrer, in welchem auch ein Gespräch mit einem Vertreter der Opposition gezeigt wurde. Dieser empfahl den Streikenden, ihre Arbeitsniederlegung mit der Unterstützung des Bürgerkomitees in der Berliner Normannenstraße zu verbinden, dort brauche man jede helfende Hand. Das war für mich das Signal.

Reges Treiben empfing mich am Abend des 16. Januar im Eingangsgebäude der Stasi-Zentrale. Die einen versuchten den Einlass zu regeln, die anderen registrierten Menschen, die ihre Mitarbeit anboten und wieder andere saßen beieinander um Struktur und Arbeitsweise des Bürgerkomitees zu entwickeln, die künftige Arbeit konkret vorzubereiten. In diese Gruppe lud man mich ein. Am Ende eines zweitägigen Diskussionsprozesses, als es um die personelle Frage der Leitung von Arbeitsgruppen ging, schlug man mich für die Gesamtkoordination des Bürgerkomitees vor. So wurde ich - für mich durchaus überraschend - gewissermaßen über Nacht dessen Vorsitzender. Eine Dynamik, wie sie nur in solchen revolutionären Umbruchzeiten möglich sein dürfte.

Genug gespitzel jetzt - Besetzer-Graffiti in einem der Korridore des Berliner Stasiarchivs 1990 (© Holger Kulick)

Die ersten Gänge über das Gelände der Stasi-Zentrale – einer Ansammlung von Büro- und früheren Wohnhäusern, die einen ganzen Block umfasste und ein wenig wie eine Trutzburg wirkte – erzeugten eine Mischung aus Genugtuung, ungläubigem Staunen und auch Einschüchterung, war es doch erst wenige Wochen her, dass das Regime zu fallen begann und die Zukunft eher unklar war.

Freundlichkeit als Taktik?

Die hochrangigen Stasi-Offiziere und Generäle mit denen wir fortan zu tun hatten, waren häufig anders als wir sie erwartet hatten – und als sie es gewesen wären, hätten sie weiterhin die Macht im Lande gehabt. So begegneten sie uns zumeist sehr höflich, schienen uns die nötigen Informationen zu liefern und zeigten sich kooperativ. Dass dies zumindest auch Teil einer „Strategie“ war, um unsere Entscheidungen und Diskussionen beispielsweise zur Vernichtung von Akten beeinflussen zu können, schwante uns erst später.

Nichts weniger als die vollständige Auflösung des Stasi-Apparates, von der Entlassung der Stasi-Mitarbeiter über die Sicherung der Akten bis hin zur Übergabe von Stasi-Immobilien an neue Nutzer, das war die Mammutaufgabe vor der sich die Bürgerkomitees sahen. Dass sie dazu nicht allein fähig waren, konnte nur diejenigen überraschen, die die Omnipräsenz der Stasi in der DDR und damit ihre Größe bis dato nicht wahrgenommen hatten oder nicht wahrhaben wollten. So war es wichtig, die eigene Rolle genau zu definieren bzw. sich dieser bewusst zu sein.

Eine kontrollierende Rolle war es, die mangels einer demokratischen Institution, die legitimiert gesellschaftliche Kontrolle ausübt, zumindest temporär von den Bürgerkomitees wahrgenommen werden musste. Denn das DDR-Parlament, die Volkskammer, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht frei gewählt worden. Und so verstanden sich diese Komitees häufig auch als „vor-parlamentarische“ Kontrollinstanz, deren Legitimation sich aus den friedlichen Demonstrationen so vieler Bürger gegen die Staatssicherheit ableitete.

Am Prozess der Auflösung der Stasi beteiligt waren allerdings weit mehr Institutionen, manchmal kooperativ mit den Bürgerkomitees zusammen arbeitend und offen ihnen gegenüber, manchmal aber auch abweisend und von oben herab, an deren Legitimation zweifelnd, sie als Ruhestörer ablehnend:

Zunächst wurden neben dem offiziell ernannten Regierungsbeauftragten für die Auflösung der Stasi, dies war ein Generaloberst der Zivilverteidigung der DDR, drei Regierungsbevollmächtigte eingesetzt, die den Auflösungs-Prozess überwachen sollten. Dazu zählten ein Vertreter der Blockparteien aus kommunistischer Zeit, ein Vertreter der neuen, demokratischen Parteien und Initiativen sowie ein Vertreter der evangelischen Kirche, die wegen der Unterstützung der Opposition in der DDR und als Mittler in schwierigen Situationen besonderes Vertrauen genoss. Angesichts der ähnlichen Aufgaben im Auflösungsprozess arbeiteten diese – wenn es auch in Nuancen unterschiedliche Auffassungen gab – recht offen mit uns im Bürgerkomitee zusammen.

Neben dem Bürgerkomitee ein staatliches Auflösungs-Komitee

Deutlich schwerer fiel die Kooperation mit einer weiteren staatlichen Institution, die im Februar 1990 vom Ministerpräsidenten für die technische und organisatorische Auflösung des Stasiapparates eingesetzt wurde. Schon die Namensgebung war genau genommen eine Provokation: „Komitee zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS“. Die Modrow-Regierung wollte der Öffentlichkeit offenbar suggerieren, es handele sich bei dieser Institution um so etwas ähnliches wie die populären Bürgerkomitees, also Zusammenschlüsse mutiger Bürger, die in der Bevölkerung großes Vertrauen genossen, weil sie für die endgültige Abschaltung der Stasi und für eine konsequente Sicherung der Akten eintraten.

Doch das neue „staatliche Komitee“ war alles andere als eine Bürgervertretung. Es war eine zentral geleitete staatliche Institution, und schon wegen ihrer personellen Zusammensetzung kein Garant für einen transparenten und demokratisch legitimierten Prozess der vollständigen Auflösung der Stasi. An der Spitze standen Funktionäre des DDR-Regierungsapparates, die zum Teil – wie sich später herausstellte – selbst für das MfS tätig gewesen waren. Ein Großteil der Mitarbeiter wurde aus dem Personalbestand der Staatssicherheit rekrutiert und aus anderen staatlichen Institutionen, die lange Zeit Garanten des SED-Regimes waren. Selbst einige Stasi-Generäle fungierten innerhalb der Institution als „Beratergruppe“.

Das MfS in der Endphase 1989/90, schon als AfNS. Die Partei noch dabei: Regierungschef Hans Modrow (SED) mit der neuen Geheimdienstspitze. (© BStU,MfS, BdL, Fo 0206, Bild 0290)

Die Umgehung der Kontrolle durch die Bürgerkomitees gehörte zum Alltag, sei es in Berlin oder in den DDR-Bezirken. Archivrecherchen wurden entgegen den Absprachen ohne Beteiligung des Bürgerkomitees durchgeführt und immer wieder stellten wir Siegelbrüche in sensiblen Bereichen fest. Oft verweigerte man den Bürgerkomitees Zugang zu wichtigen Informationen und stellte ganz generell deren Legitimation in Frage. Besonders enttäuschend war ab dem Frühjahr 1990, dass diese Attitüde insbesondere der Leitung des Staatlichen Komitees gegenüber den Bürgerkomitees nicht etwa mit der Einsetzung der neuen, aus einer demokratischen Wahl hervorgegangenen Regierung aufgegeben wurde.

Ganz im Gegenteil, die staatlichen "Auflöser" machten sich lieb Kind bei den neu gewählten Regierungsvertretern, und dies mit Erfolg: Als Mitte April 1990 der nunmehr zuständige neue Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel, zum ersten Mal in das ehemalige Stasihauptquartier kam, stattete er der Leitung des Staatlichen Komitees, dem Regierungsbeauftragten und den Regierungsbevollmächtigten einen ausführlichen Besuch ab, hielt es aber nicht für nötig, sich auch mit Vertretern des Bürgerkomitees zu treffen. Partei- und Regierungsfunktionäre der alten DDR schienen ihm offensichtlich geeigneter für sein Vorhaben einer geräuschlosen weiteren Auflösung der Stasi unter Schonung der ehemaligen Aktionäre zu sein, als Bürgerkomiteeler, die zu kritischen Fragen neigten und Transparenz in den Prozess bringen wollten.

Stasi-Bedienstete als Auflöser des MfS? Eine Dauerdiskussion

Selbstverständlich mussten die Bürgerkomitees, musste die Regierung sich auch vieler Stasi-Mitarbeiter bedienen, von Generälen bis hin zu einfachen Archivmitarbeitern. Ihre Kenntnis wurden benötigt, um Strukturen des MfS zu verstehen, Richtlinien und Dienstanweisungen zu deuten, Akten im Archiv zu finden und auch konspirative Orte der Stasi aufzudecken. Denn kaum jemand von uns, der nun plötzlich zum Auflöser eines Geheimdienstes geworden war, hatte sich zuvor theoretisch und strukturell mit einem solchen beschäftigt, schon gar nicht mit der Stasi. Bei zu genauem Hinsehen wäre das Risiko zu groß gewesen, selbst ins Visier der Stasi zu geraten.

Einem war es jedoch in den Jahren zuvor gelungen, mehr über die Stasi in Erfahrung zu bringen: Karl-Wilhelm Fricke, leitender Redakteur beim Deutschlandfunk, selbst in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts von der Stasi aus Westberlin in die DDR entführt und dort über Jahre inhaftiert. Er hatte in den achtziger Jahren eine tiefgehende Darstellung der Strukturen der Stasi erstellt. Sein 1982 in der Bundesrepublik erschienenes Sachbuch „Die DDR-Staatssicherheit“ wurde in den ersten Wochen als unabhängige Quelle ein ständiger Begleiter der Bürgerkomitees.

Aber ehemalige Stasi-Mitarbeiter waren nicht nur als "Kenner der Materie" in den Auflösungsprozess eingebunden, sondern wurden auch als einfache Arbeitskräfte benötigt, die dabei halfen, die in tausenden Büros verstreuten Akten zu sichern und für den Transport in das zentrale Archiv des MfS vorzubereiten. Letzteres war zunächst vor allem auch eine logistische Herausforderung, existierten doch allein in Berlin einige Hundert Objekte der Stasi – vom großen Bürokomplex bis hin zu Werkstätten und einem ausgedehnten Netz kleiner konspirativer Wohnungen.

Die Stasizentralen waren jedermann bekannt, nicht aber die konspirativen Stasi-Wohnungen und Büros des MfS. Hier eine Karte von Stasitreffpunkten im Berliner Prenzlauer Berg, ausgestellt im Stasimuseum in Berlin-Lichtenberg. (© Holger Kulick)

Angesichts dieser Dimension, war eine flächendeckende Kontrolle der Auflösungsarbeiten durch das Bürgerkomitee kaum zu sichern. Es fehlte an Personal, Fachkompetenz und auch an Durchsetzungsmöglichkeiten. Überdies drängte die Zeit, denn binnen weniger Monate sollte und musste dieser Prozess abgeschlossen werden. So waren eine Reihe großer Hauptabteilungen gleichzeitig abzuwickeln, jeweils unter Einsatz von vielen Dutzend ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, die sich phasenweise auf über tausend summierten. Diesen standen weniger als 80 Mitglieder des Bürgerkomitees – so viele hatten das Statut im Februar 1990 unterzeichnet – gegenüber, bei schwindender Tendenz. Gänzlich zu verhindern war also auch in dieser Phase nicht, dass einzelne Akten verschwanden oder noch vernichtet wurden.

Auch führte die tägliche Zusammenarbeit dazu, dass Mitglieder der Bürgerkomitees sich den Argumenten der Stasi-Mitarbeiter für eine Vernichtung von Akten oder Datenträgern bisweilen mit einem gewissen Verständnis öffneten, zumal man uns voller Überzeugungskraft gegenüber trat und zielbewusst manche unserer Entscheidungen beeinflusste, die dann von falschen Voraussetzungen ausging, weil wir von unseren Gegenübern schlicht betrogen wurden oder wir deren oft clevere Argumentation nicht rechtzeitig durchschauten. Gleichwohl: eine ungehinderte, massenweise Fortsetzung der systematischen Akten-Vernichtung war mit der Arbeitsaufnahme der Bürgerkomitees erfolgreich beendet worden. Auf diese Weise hatte Bürgerengagement den Grundstock für die Arbeit der späteren Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) gelegt, mit der Sicherung und Konzentration zahlloser Akten, Fotos und Videos im Archiv. Heute ist von insgesamt 111 Kilometern erhalten gebliebener Stasi-Akten im Archiv des Externer Link: BStU die Rede, 43 Kilometer Material aus dem Ministeriumsstandort Berlin und ca. 68 Kilometer Material aus den Bezirksverwaltungen (BV) der Staatssicherheit - ein maßgeblicher Erfolg von DDR-Bürgerbewegung und Bürgerkomitees.

Doch die Akten und ihre Sicherung war 1990 nur der eine – wenn auch wichtigste – Teil der Arbeit jener Komitees. In insgesamt sieben Arbeitsgruppen kümmerten sich deren Mitglieder um die weiteren Aspekte des komplexen Auflösungsprozesses. Eine Arbeitsgruppe Gebäude/Inventar befasste sich mit Fragen der künftigen Nutzung der Stasi-Liegenschaften, wobei versucht wurde, diese vor allem Initiativen und Institutionen der neu entstehenden Zivilgesellschaft zur Verfügung zu stellen. Gleiches galt für die Mobilien aus dem Bestand der Stasi, war sie doch für DDR-Verhältnisse mit Autos und Bürotechnik bestens ausgestattet. Schon diese Dimensionen waren gewaltig. So verfügten die Bezirksverwaltungen der Stasi allein über 2.065 "Objekte", also Liegenschaften und 7.355 Kraftfahrzeuge unterschiedlichster Größe. Hinzu kamen noch einmal hunderte bzw. tausende in der Zentrale. Besonders in der Anfangszeit galt es überdies auch die tausenden von Waffen des MfS einzusammeln und zu sichern.

Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit Stasi-Technik und der Sicherung von Inhalten der elektronischen Datenverarbeitung, eine andere in Zusammenarbeit mit der Volkspolizei um die sogenannte Objektsicherung, also um Einlass- und Auslasskontrollen sowie die Begleitung von Aktentransporten. Auch hier musste sich das Bürgerkomitee auf die Einhaltung von Absprachen und die Aufrichtigkeit der Polizeiführung verlassen, konnten wir mit unserem wenigen Personal doch nicht gleichzeitig an allen Stellen sein. Und Menschen gingen in den verschiedenen Liegenschaften der Stasi massenweise aus und ein. Nicht nur um aufzuräumen, Akten für den Transport in das Zentralarchiv vorzubereiten oder die Büros für Nachnutzer zu reinigen, sondern auch beispielsweise, um ihre Entlassungspapiere abzuholen. So wurden in den ersten Monaten des Jahres 1990 täglich 500 – 600 Stasi-Mitarbeiter entlassen – allein in Berlin. Ein in diesem Ausmaß weltweit einzigartiger Prozess der gewaltfreien Auflösung einer Geheimpolizei - friedlich von den Bürgern der DDR durchgesetzt.

Bürgerkomitees als Vertrauensbildner

Um die Information der Öffentlichkeit kümmerte sich schließlich eine Arbeitsgruppe Medien. Denn eine wichtige Rolle des Bürgerkomitees war es, Transparenz in den Auflösungsprozess zu bringen. Die Öffentlichkeit wollte darauf vertrauen können, dass das alte Regime mit seinem Machtsicherungsapparat unwiederbringlich abgewickelt wird. Eben dafür standen als Vertrauenspartner auch wir Mitglieder der Bürgerkomitees.

Der Autor David Gill im April 1992. Damals war er Pressesprecher der Zentralen "Gauck-Behörde" in Berlin, die drei Monate zuvor eröffnet worden war. Seinerzeit waren bereits 300.000 Anträge auf Überprüfung auf eventuelle IM-Tätigkeit eingegangen. (© picture-alliance / ZB-Fotoreport - Klaus Franke)

Zum Informations- und Erfahrungsaustausch sowie zur Koordination der Arbeit trafen sich die Bürgerkomitees aus den Bezirken und der Zentrale regelmäßig in Berlin. Dabei spielte auch immer wieder die künftige Nutzung der MfS-Akten eine Rolle. Anfänglich fand die Diskussion vor allem unter dem Eindruck statt, dass deren Inhalt enormen gesellschaftlichen Sprengstoff enthielte. Würden die Hintergründe und Einzelheiten, vor allem aber die Personen, die hinter Denunziationen, Karrierebrüchen, politischen Strafurteilen und sogenannten Zersetzungsmaßnahmen standen oder durch ihre Informationen dazu beigetragen haben, bekannt, so werde es zu Selbstjustiz, manche sprachen auch von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“, kommen. Mit diesem Tenor wurde seinerzeit viel Stimmung gemacht, auch via Medien. Überdies war die Sorge verbreitet, dass die schriftlichen Hinterlassenschaften der Stasi anderen Geheimdiensten in die Hände fallen könnten, sei es, um herauszufinden, was die Stasi über ihre Aktivitäten gewusst hatte, sei es, um die gesammelten Informationen für die eigene Tätigkeit zu nutzen. Dies sollte unbedingt verhindert werden, handelte es sich bei den Akten doch um unrechtmäßig erhobene Daten.

Vor diesem Hintergrund fand in den ersten Monaten des Jahres 1990 in den Bürgerkomitees wie am Runden Tisch eine intensive Debatte über Bewahrung oder Vernichtung der Stasi-Unterlagen statt. Wenn auch im Nachhinein festgestellt wurde, dass in Bürgerkomitees und an Runden Tischen vereinzelt ehemalige inoffizielle Mitarbeiter der Stasi tätig waren, die eine für uns damals unbekannte Agenda verfolgten, so lag die Motivation der großen Mehrheit der Aktiven nicht darin, ehemalige Stasi-Mitarbeiter davonkommen zu lassen. Vielmehr empfanden sie ein ehrliches Verantwortungsgefühl für das Wohl und Wehe des gesellschaftlichen Friedens. Und sie wollten einem weiteren Missbrauch der Akten zu geheimdienstlichen Zwecken entgegentreten. In einem Papier des Bürgerkomitees Schwerin von Anfang Februar 1990 wurde sogar ein dezidierter Plan zur Vernichtung von Karteien, die zum Auffinden einzelner Akten benötigt wurden, vorgelegt, der die Nutzung der Stasi-Hinterlassenschaft unmöglich gemacht hätte. Doch damit wäre die faktische Vernichtung des gesamten Aktenbestandes verbunden gewesen.

Überlistung des Bürgerkomitees bei der Aktenvernichtung

Dieses weitreichende Szenario wurde glücklicherweise nicht umgesetzt, allerdings kam es zu zwei grundlegenden Entscheidungen, die aus heutiger Sicht selbstverständlich nicht mehr so gefallen wären. Denn sie haben teilweise zu einer unwiederbringlichen Vernichtung etlicher Informationen geführt und andererseits den Aufarbeitungsprozess verlangsamt:

Am 19. Februar 1990 beschloss der Runde Tisch auf Vorschlag seiner "Arbeitsgruppe Sicherheit" und mit Zustimmung aus den Bürgerkomitees die vollständige Vernichtung der elektronischen Datenträger des MfS, insbesondere der Zentralen Personendatenbank (ZPDB) und der elektronischen Fassung der sogenannten F16 Kartei, einer Klarnamendatei, die einen Schlüssel zum Auffinden konkreter Akten im Stasiarchiv darstellte. Diese elektronischen Datenträger erschienen als besonders gefährdet, manipulationsanfällig und vor allem leicht missbrauchbar, weil sie in relativ kurzer Zeit abrufbar, kopier- und nutzbar gewesen wären.

Von Ende November 1989 - als absehbar wurde, dass die Stasi keine Nachfolgeorganisation mehr bekommen soll - bis in den Februar 1990, gingen zahlreiche Akten durch die Reißwölfe der Stasi - bis die Geräte heißgelaufen waren und nicht mehr funktionierten. (© BStU Außenstelle Leipzig)

Die Zustimmung zu ihrer Vernichtung wurde u.a. deshalb gegeben, da uns versichert worden war, dass die in diesen Datenbanken befindlichen Informationen vollständig auch in Papierform vorlägen, Daten also – zumindest quantitativ – nicht verloren gingen. Dass diese Annahme nicht in Gänze zutraf, stellte sich erst im Nachhinein heraus.

Überaus bedauerlich ist auch die Sonderrolle der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS (HVA). Mit Billigung von Rundem Tisch und Bürgerkomitees durfte sich diese im Wesentlichen selbst auflösen. Lediglich einige Mitarbeiter der AG Sicherheit des Runden Tisches unternahmen hin und wieder Kontrollbesuche. Auch hier war die Argumentation aus damaliger Sicht schlüssig, aus heutiger eher schwer verständlich: Verfügte nicht jeder – auch jeder demokratische – Staat über einen Auslandsgeheimdienst und müsste dann die HVA nicht wie jede andere vergleichbare Institution behandelt werden? Überdies wollten die DDR-Bürger doch vor allem das aufdecken, was die Stasi gegen ihr eigenes Volk unternommen hatte und nicht in anderen Staaten. Und schließlich appellierten hochrangige Offiziere der HVA an die Stasi-Auflöser, das Leben ehemaliger „Kundschafter“, wie sie ihre Spione nannten, zu schonen. Sollte nämlich ein solcher Kundschafter durch unkontrolliertes „Abschalten“ oder weil Akten in die Öffentlichkeit gerieten, auffliegen, drohe ihm nicht nur Gefängnis sondern angeblich in vielen Ländern auch die Todesstrafe. Dafür wollte man als Demokrat und human eingestellter Mensch doch nicht verantwortlich sein. Und so konnte die HVA ihre Hinterlassenschaft ungestört „ordnen". Am Ende wurden nur einige Meter Aktenkonvolut hinterlassen, die vor allem ein positives, „erfolgreiches“ Bild des HVA-Apparates zeichneten. Nur Zufallsfunde erhellen mittlerweile auch ein anderes Gesicht.

Hier wie bei der Entscheidung zur Vernichtung der ZPDB zeigte sich einmal mehr, wie sehr wir, die bei der Stasi-Auflösung Aktiven, argumentativ auch in den täglichen Gesprächen mit ehemaligen Stasioffizieren geschickt beeinflusst und beeindruckt wurden – nicht zuletzt immer auch verbunden mit einem Appell an unser Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gesellschaft. Erst später wurde uns Akteuren vollends bewusst, dass natürlich auch die HVA in Gänze in den Unterdrückungsapparat des MfS eingebunden war, so beispielsweise bei der Ausspähung der Westkontakte von Dissidenten und Oppositionellen aus der DDR.

Angemerkt sei, dass gegen dieses Sonderverfahren, das ja im Hinblick auf das Haupteinsatzgebiet der HVA in Westdeutschland vor allem Bundesbürger traf, auch seitens der Bundesregierung kein Einwand erhoben wurde – anders beispielsweise bei späteren Entscheidungen zur künftigen Nutzung der Akten. Offensichtlich bestand in Bonn kein gesteigertes Interesse daran, die Öffentlichkeit über die Aktivitäten der Stasi auch im politischen Bonn zu informieren, möglicherweise auch aus Sorge, dass unangenehme Dinge zutage gefördert werden könnten.

Allmähliches Auseinanderdriften

Bereits angedeutet habe ich, dass die Volkskammerwahl am 18. März 1990, also der landesweite Einzug der Demokratie in Ostdeutschland, den Bürgerkomitees nicht etwa einen Schub gab. Unsere personelle Situation wurde immer schwieriger, Das Zahlenverhältnis im Auflösungsprozess veränderte sich zusehends zu Ungunsten der Bürgerkomitees. Mehr und mehr Mitstreiter, die anfänglich von ihren Arbeitgebern für die Mitarbeit im Bürgerkomitee freigestellt wurden, mussten an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Während die Mitarbeiter des Staatlichen Komitees über reguläre, ordentlich bezahlte Arbeitsplätze verfügten, erhielten die Mitglieder der Bürgerkomitees, die über keinerlei Einkünfte verfügten, lediglich eine kleine Aufwandsentschädigung von einigen hundert Mark. Und auch die Legitimationsfrage wurde den Bürgerkomitees insbesondere von Vertretern des Staatlichen Komitees und des Innenministeriums immer öfter entgegengehalten, was nicht nur unverschämt war, sondern auch viele Mitstreiter mehr und mehr frustrierte.

Unter diesem Eindruck und weil wir uns doch selbst als vorparlamentarisches Kontrollgremium verstanden, wandte sich das Bürgerkomitee Normannenstraße bereits zwei Tage nach der Volkskammerwahl, am 20. März 1990, an die Fraktionen des neu gewählten Parlaments mit der dringenden Bitte, einen Ausschuss einzusetzen, der künftig die Kontrolle der Auflösung der Stasi übernehmen solle. Zwar zollten in ihren Antwortschreiben alle Fraktionen dem Bürgerkomitee großen Respekt und ermunterten zu einer Weiterarbeit. Doch erst im Juni 1990 wurde ein solcher Ausschuss vom Parlament gebildet.

Rund 30 dem Neuen Forum, der Vereinigten Linken und der Umweltbibliothek angehörende Personen sowie unabhängige Bürger besetzten im September 1990 das Haus 3 der Zentrale des früheren Ministeriums für Staatssicherheit in der Normannenstraße. (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0904-020, Foto: Hanns-Peter Lochmann)

Mit der Einsetzung des "Sonderausschusses der Volkskammer zur Auflösung des MfS/AfNS" endete formal auch die Arbeit des Bürgerkomitees in der Stasi-Zentrale. Eine Reihe von Mitgliedern aus verschiedenen Bürgerkomitees bildete eine Art Arbeitsstab, der die Abgeordneten im Ausschuss bei ihrer zum Teil auch sehr operativen Arbeit unterstützte. Zum wesentlichen Erfolg dieses Ausschusses wurde am 24. August 1990 die Verabschiedung des Gesetzes über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit / Amtes für Nationale Sicherheit". Es bildete später die Grundlage für das im November 1991 vom gesamtdeutschen Bundestag verabschiedete sogenannte Stasi-Unterlagen-Gesetz, das den Anspruch einer juristischen, politischen und persönlichen Aufarbeitung der Vergangenheit als erklärtes Ziel der Gesetzgebung formulierte. Doch dass es dazu und zum Aufbau einer eigenständigen Behörde für die Stasi-Akten in einem geeinten Deutschland kam, war noch einmal kurzzeitig gefährdet, denn die Bonner Verhandler erachteten dieses Kapitel im deutsch-deutschen Einigungsvertrag nicht für wichtig.

Es bedurfte erst einer erneuten Interner Link: Besetzung der Stasi-Zentrale durch Bürgerrechtler im September 1990, um die Sonderbehandlung des Stasi-Erbes im Einigungsvertrag festzuschreiben. Die Grundlagen für die damit endgültig eröffnete Möglichkeit zur Aufarbeitung des wichtigsten Machtinstruments der SED, dem MfS, wie sie nun schon über Jahrzehnte geleistet wird, legten also mutige Bürger und die Bürgerkomitees. Sie taten es, indem sie dafür sorgten, dass die Vernichtung der Akten gestoppt und diese in wesentlichen Teilen hierfür bewahrt und gesichert wurden. Trotz mancher Fehler und Unzulänglichkeiten in diesem Prozess waren sie es, die gesiegt haben. Nicht die Stasi.

Ergänzender Film zum Thema:

Der Stasi-Staat. Interner Link: Eine Reportage von SPIEGEL-TV über die Arbeit der ersten Bürgerkomitees.

Weitere Texte:

- Interner Link: Stasi? Was war das überhaupt? - Wer war Interner Link: Erich Mielke? - Interner Link: Der Sturm auf die Stasi. Geschichte ohne Masterplan. - Interner Link: Der 15. Januar 1990 - Kein Bürger- sondern ein Stasi-Erfolg? - Fotoreportage: Angst auf beiden Seiten. Interner Link: Die Stasi-Entmachtung in Suhl

Fussnoten

David Gill, Jahrgang 1966, wuchs in einem Pfarrhaus in Herrnhut in Ostsachsen auf. Staatliches Abitur und Universitätsstudium waren ihm aus politischen Gründen verwehrt. Nach eine Klempnerlehre begann er eine kirchliche Ausbildung, ab 1988 ein Theologiestudium in Ostberlin. Nach dem 15. Januar 1990 wurde er zunächst Koordinator/Vorsitzender des Bürgerkomitees Normannenstraße (Stasi-Zentrale, Berlin) und dann Sekretär des Sonderausschusses zur Auflösung des MfS/AfNS der Volkskammer. Er war Referatsleiter und erster Pressesprecher der Stasi-Unterlagen-Behörde unter Joachim Gauck bevor er Jura studierte u.a. in Philadelphia, USA. Nach beruflichen Stationen im Bundesinnenministerium und beim Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit war er für acht Jahre im Verbindungsbüro der EKD zur Bundes- und Europapolitik tätig. Während der Amtszeit von Bundespräsident Gauck (2012-1017) war er als Staatssekretär Chef des Bundespräsidialamtes. Seit August 2017 ist er deutscher Generalkonsul in New York.