Einmal Stasi - immer Stasi?
Wann vergeht Vergangenheit? Der Fall des entlassenen Berliner Staatssekretärs Andrej Holm und der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Stasi-Aufarbeitung
Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk
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Darf ein ehemaliger hauptamtlicher Nachwuchsmitarbeiter der Stasi 27 Jahre nach dem Untergang des MfS Staatssekretär werden? Ein Fall, der im Dezember 2016 und Januar 2017 in Berlin für politischen Streit sorgte. Nur fünf Wochen nach seiner Ernennung entließ Berlins Senat Holm wieder aus seinem Amt. Und auch die Humboldt-Universität plante zeitweise die Entlassung des Dozenten.
Nach nur fünfwöchiger Amtszeit erklärte der parteilose Berliner Staatssekretär im Ressort Bauen und Wohnen, Dr. Andrej Holm, am 16. Januar 2017 seinen Rücktritt. Einen Tag später entließ ihn der Senat auf Vorlage der zuständigen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) aus dem Beamtenverhältnis auf Probe, da sich ein Beamter nicht selbst entlassen kann. Darüber hinaus kündigte die Humboldt-Universität Holms Entlassung als wissenschaftlichen Mitarbeiter an, wandelte sie aber nach anhaltenden Studentenprotesten drei Wochen später in eine Abmahnung um.
Vorangegangen war eine intensive Debatte um Holms Grundausbildung beim MfS 1989, die er in einem Fragebogen der Humboldt-Universität bei seiner Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter nicht zutreffend angekreuzt hatte. Zehn Tage zuvor, am 6. Januar 2017 hatte sich der Betroffene auf einer Diskussions-Veranstaltung Fragen des DDR-Historikers Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk gestellt. Ort der Debatte war der überfüllte Saal des Kultur- und Bildungszentrums Sebastian Haffner im Prenzlauer Berg, Veranstalter war die Externer Link: Robert-Havemann-Gesellschaft, die Kowalczuks einleitende, unvoreingenommene Reflexion über die Stasi-Verbindung Holms der bpb zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt und außerdem Externer Link: Holms Stasi-Akte als PDF veröffentlicht hat. Hier Kowalczuks Rede-Text:
"Wieder einmal entzweit eine geschichtspolitische Kontroverse die Gesellschaft. Es geht darum, ob Vergangenheit vergehen muss, nie vergeht oder nie vergehen darf, also darum, wie wir Vergangenheit erinnern – der Zukunft zuliebe. Wie viele andere habe auch ich in den letzten Wochen viele Gespräche darüber geführt. Es waren Gespräche, in denen wir uns über vieles einig waren, aber fast nie über die Schlussfolgerungen und Konsequenzen. Da gingen und gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Um es gleich vorweg zu sagen: ich habe weder vor, hiermit einen Konsens stiften zu wollen, noch beabsichtige ich, irgendeine einfache Lösung, womöglich eine, die einem bestimmten politischen Lager zum Munde spricht, zu favorisieren.
Im Folgenden spreche ich einige Aspekte der Debatte an. Ich nehme drei Punkte in den Blick:
1. Was für eine biographische Geschichte diskutieren wir? 2. Wie wird mit Verwicklungen in die SED-Diktatur umgegangen? 3. Wer instrumentalisiert Geschichte?
Ich bin dabei nicht in der Lage, meine Vorannahmen, mein historisches Wissen, meine Prägungen durch die letzten Jahrzehnte auszublenden und mir einfach nur diesen so genannten „Fall Holm“ anzuschauen. Daher ist es gerade in dieser Debatte sehr wichtig, etwas über die Biographie des jeweils Sprechenden zu erfahren: vor welchem biographischen Hintergrund argumentiere ich also?
Ich bin nur wenig älter als Andrej Holm (3,5 Jahre), ich wuchs wie Andrej in einem Elternhaus auf, dass ich als staatsnah, aber systemimmanent kritisch beschreiben würde. Mein Großvater ist wie sein Ur-Großvater verfolgt worden. Meiner wurde als Kämpfer für eine freie, unabhängige Westukraine 1919 verfolgt und zum Tode verurteilt, aber kurz vor der Hinrichtung 1921 befreit und außer Landes gebracht. Andrejs Ur-Opa gehörte zur kommunistischen Elite seit 1921, war dann nach 1933 in halb Europa aktiv, wurde im Auftrag der Komintern norwegischer Staatsbürger, wurde in Oslo 1943 verhaftet, kam ins KZ Sachsenhausen, ist von dort im April 1945 nach Schweden entlassen worden, blieb im Parteiauftrag in Norwegen bis 1948 und kam dann in die SBZ/spätere DDR zurück, wo er 1952 aus der SED ausgeschlossen wurde. 1956 erfolgte die Rehabilitierung, der Ur-Großvater blieb kritisch, das MfS ermittelte umfänglich in einem OV gegen den Ulbricht-Kritiker.
Mein katholischer Vater konvertierte 1961 zum Kommunismus, wollte zur Stasi, die nahm ihn aber nicht. Andrejs Vater machte Karriere in der Abt. XX der BV Berlin des MfS, einem Zentrum zur Bekämpfung kritischer und oppositioneller Menschen. Mein Vater wurde SED-Mitglied, war in den 1960er Jahren ein paar Jahre lang IM.
Offenbar sind wir ähnlich erzogen worden: im treuen Glauben an den Kommunismus und den SED-Staat. Mit 12 Jahren – Sie haben richtig gehört – verpflichtete ich mich auf Anraten meiner Eltern, Offizier der NVA zu werden. Mit 14 wurde ich wie Andrej Mitglied eines FDJ-Bewerberkollektivs für militärische Berufe. Und nun scheinen die Erinnerungen auseinander zu gehen: Andrej sagt in Interviews, da sei jemand zu ihm nach Hause gekommen, er hätte unterschrieben und das war’s.
Dagegen sage ich, der Sinn eines FDJ-Bewerberkollektivs war keinesfalls ein: „Und das war’s.“ Man wurde auf Trab gehalten, es gab gemeinsame Fahrten, um die Identität zu stärken, man wurde als Vorbild gehandelt, jedermann wusste um die Berufsentscheidung. Vielleicht hat sich das bei mir auch anders eingeprägt, weil ich mit 14,5 Jahren den Mut fand, Nein zu sagen zum Offiziersberuf, Nein zu meinem Vater und letztlich Nein zum SED-Staat.
Es dauerte etwa 1,5 Jahre, ehe man mich aus den Klauen entlassen hatte, in denen ich mich Woche für Woche, Monat für Monat vor Lehrern, Offizieren von NVA und Stasi, vor SED-Funktionären überwiegend ohne jeden Beistand im kindlichen Alter zu rechtfertigen hatte und an deren Ende man mir prophezeite: Das war’s für Dich! – ich war 15 Jahre alt, war vom hoffnungsvollen Nachwuchskader zum Abtrünnigen - man nannte mich Staatsfeind - mutiert, nichts war mehr so wie zuvor, meine Zukunft lag mit 15 Jahren hinter mir: meine Welt lag in Trümmern.
Ich wusste mit 14 und 16 und 18 ganz genau, was ich tat. Vielleicht erinnere ich mich deshalb auch anders an die DDR als Andrej Holm, vielleicht erinnere ich mich deshalb anders an die Stasi, die seit meinem 14. Lebensjahr für mich eine unangenehme Rolle spielte, ich kann das nicht ausschließen, aber so wie nicht alle meine Erinnerungen nachträgliche Rekonstruktionen sein können - so können es auch nicht die von Andrej Holm durchweg sein.
Erst wenn man älter wird und womöglich Kinder in diesem Alter hat, weiß man, wie jung man mit 14, 16, 18 wirklich war. Entscheidungen in diesem Alter dürfen daher gar nicht lebensbestimmend sein, keine Frage! Mir hingen Entscheidungen in diesem Alter unerbittlich und überall in der DDR bis 1989 nach, das war Unrecht. Andrej Holm sollen nun Entscheidungen aus diesem Alter noch 27 Jahren später unerbittlich und überall nachhängen – das ist nicht gerecht.
1. Was für eine biographische Geschichte diskutieren wir?
Vor dem Hintergrund der angedeuteten Familienbiographie ist es nicht verwunderlich, dass Andrej Holm bei der Stasi landete. Aus solchen Familien-Kontexten rekrutierte die Geheimpolizei vorzugsweise ihre Nachwuchskader im Jugendalter. Denn so absurd es sich anhört: niemand wurde von der Stasi so intensiv überwacht wie die Stasi-Mitarbeiter selbst, niemand so dauerhaft ideologisch infiltriert. Und sie wussten das, was ihr Sozialverhalten, ihre Psyche und Mentalität nachhaltig prägte. Andrej unterschrieb mit 14, das war 1985, 1983 hatte er bereits seine Bereitschaft dazu erklärt – und ist damit zunächst ein Opfer des SED-Regimes, denn wer mit 13, 14 zu solchen weitreichenden Entscheidungen genötigt wird, ist ein Opfer der Umstände: des Staates und der Eltern.
Nun war es aber nicht so, dass Andrej Holm erst am 1. September 1989 wieder – womöglich überraschend - etwas von seinem künftigen Arbeitgeber hörte, ganz im Gegenteil. In den folgenden fünf Jahren kümmerte sich das MfS intensiv um ihren künftigen Offizier – und zwar nicht nur lautlos, sondern für jeden Bewerber aktiv miterlebbar; es sollte ja niemand mehr abspringen, es sollte sich ein Sonderbewusstsein der künftigen Offiziere ausprägen. Dazu gehörten normalerweise auch Gespräche über Erlebtes und Gesehenes oder kleine Aufträge, wie z.B. in getarnten FDJ-Sicherheitsgruppen bestimmte Ereignisse mit abzusichern oder zu Konzerten oder Veranstaltungen zu gehen, im Stasi-Jargon hießen dies „gesellschaftliche Kräfte kamen zum Einsatz“.
Mit anderen Worten: die getroffene Entscheidung des Bewerbers wurde immer und immer wieder dem künftigen Offizier aktiv aufs Neue abverlangt. Jeder junge Mann, der in der DDR in den 1970er und 1980er Jahren aufwuchs, weiß genau, was Militarisierung der Gesellschaft hieß, wenn er sich denn erinnern mag. Das war eine Alltagserfahrung. Und jeder, der Offizier werden wollte, weiß genau, worin die Unterschiede zu einem normalen Grundwehrdienst bestanden. Niemand kannte den Unterschied nicht.
Andrej Holm, der vier Jahre herausgehobener FDJ-Funktionär war (1985-1989, Grundorganisationsleitung GOL) und auch als solcher geschult worden ist, wurde 1988 SED-Mitglied, auch dies eine bewusste Entscheidung, die niemanden nebenbei mit 18 abverlangt wurde und die ebenfalls mit vielen Ritualen befrachtet war, - er rückte dann mit fast 19 Jahren zum 1. September 1989 als Offiziersschüler mit einem Sold von 675 DDR-Mark in die Kaserne ein. Der war etwa vier Mal so hoch, wie ihn ein normaler Soldat erhielt, was auch jedermann in der DDR wusste. Holm war nun Offiziersschüler, der ab 1. September 1991 in Leipzig im Auftrag der Stasi Journalismus studieren sollte.
Er absolvierte aber zunächst eine sechswöchige obligatorische Militärausbildung in der Berliner Wach- und Sicherungseinheit des MfS, deren Angehöriger Holm strukturell nicht war. Diese Wacheinheit gehörte übrigens nicht zum Wachregiment „Feliks Dzierzynski“.
Holm war seit 1.9.1989 Mitarbeiter der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) der Bezirksverwaltung (BV) Berlin. Seine Grundausbildung endete nach Aktenlage offiziell am 6. Oktober 1989. In diesen Tagen waren die Offiziersschüler des MfS in höchste Einsatzbereitschaft versetzt worden – wie auch alle anderen Angehörigen in MfS, NVA und Polizei. Sie wurden in Ost-Berlin, Leipzig, Dresden, Plauen und 50 weiteren Orten eingesetzt. Andrej Holm nicht, wie er sagt. Er saß nun oder später, das wird nicht so deutlich, in der AKG und las Betriebsberichte, wie er sagt. Ja, das war u.a. eine Aufgabe der AKG, dem Kopf der Abt. XX. Aber auch die AKG-Mitarbeiter waren in diesen Wochen und Monaten von Oktober bis Dezember 1989 im operativen Einsatz unterwegs: etwa am 7. bis 9. Oktober rund um die Gethsemanekirche oder wenn es bis zum Jahresende darum ging, die Veranstaltungen der vielen neuen Gruppen zu observieren, einschließlich der Großdemo am 4.11.1989.
Vertrackt ist auch, dass Holm als künftiger Führungsoffizier nicht irgendwelche Berichte las, sondern auch IM-, also Spitzelberichte: das war nun einmal die Aufgabe der AKG. Und natürlich las er sie nicht um des Lesens willen; es sollte ihm obliegen, Rückschlüsse zu ziehen und daraus Maßnahmen und Handlungen vorzuschlagen. Verwirrend ist, dass die Linkspartei und auch er bislang so taten, als wäre dies weniger problematisch als Spitzelberichte zu verfassen. Historisch-strukturell gesehen ist es genau andersherum einzuschätzen.
Es bleiben viele Fragen offen, aber auch wenn sich herausstellen sollte, dass die Tätigkeiten bei der Stasi etwas anders aussahen als Andrej Holm sie heute schildert, bleibt der Umstand, dass er jung war und dass für ihn nach wenigen Monaten die Dienstzeit beendet war, weil er von der Gesellschaft aus dieser Verpflichtung befreit wurde. Zurück bleibt jedoch der Eindruck, dass Staatssekretär Holm Erinnerungslücken besitzt, die diese Vergangenheit in einem nicht gerade konsistenten Lichte erscheinen lassen.
2. Wie wird mit Verwicklungen in die SED-Diktatur umgegangen?
Hier fängt das eigentliche Gegenwartsproblem der aktuellen Debatte an. Denn natürlich muss man immer wieder betonen, dass es nicht allein um die Frage geht, was vor mehr als 25 Jahren geschah. Im Kern geht es darum, wie wir als Berliner, wie die Landesregierung und wie ein Staatssekretär heute damit umgehen, was in einer kommunistischen Diktatur, die diese Stadt prägte, geschah. Und hier habe ich eine klare Meinung: Staatssekretär Holm hat nicht das geleistet, was von einem Mann in seiner Position zu erwarten ist.
Doch das Problem ist weitaus komplizierter. Zwischen 1990 und 1992 kam eine merkwürdige Allianz mit sehr fragwürdigen Suggestionen zustande, die uns bis heute beschäftigen: die Staatssicherheit wurde zum historischen Sündenbock erklärt. Fast jeder kennt die Rede vom „Schild und Schwert der Partei“, das MfS war Schild und Schwert, die SED die Partei, also Arm, Hand und Kopf, die das Schild hielt und das Schwert führte. Wenn wir das ernst nehmen, müssen wir doch feststellen, dass unentwegt Schild und Schwert im Fokus standen, Arm, Hand und Kopf aber kaum beachtet wurden.
Das hatte eine gesellschaftliche Entlastungsfunktion. Eine vergleichsweise kleine Gruppe wurde verantwortlich dafür gemacht, was eine viel größere Gruppe zu verantworten hat. Konkret: Jeder kleine IM wurde gejagt, hauptamtliche Mitarbeiter hatten gar keine Chance in der Öffentlichkeit, hauptamtliche SED-Funktionäre hingegen, die sprichwörtlichen Auftraggeber der Stasi, die konnten mehr oder weniger weitermachen – bis zum heutigen Tage.
Wenn Ministerpräsident Ramelow dieser Tage erklärte, eine solche Personalie wie Holm wäre mit ihm in Thüringen nicht möglich, so ist dies nur eines von vielen Beispielen, wie auch die Linkspartei immer noch versucht, die Stasi als das eigentliche Übel hinzustellen. Tatsächlich aber war die SED in jeder Hinsicht verantwortlich, also auch für die Stasi. In Ramelows Landtagsfraktion oder in Wagenknechts Bundestagsfraktion sitzen frühere SED-Kader, die weitaus mehr auf dem politischen Verantwortungskerbholz haben als z.B. der Jungerwachsene Andrej Holm. Hinzu kam in den 1990er Jahren, dass die viel beschworene Einzelfallprüfung zu einem effektiven Mittel wurde, den nötigen Personalabbau mittels Stasiakten voranzutreiben. Die Stasi-Akten hatten ihre Kraft auch nach 1989/90 nicht verloren. Um nicht missverstanden zu werden: natürlich war es richtig, belastete Personen aus öffentlichen Ämtern, aus der Lehre, aus der Medizin bei Patientenverrat etc. zu entfernen. Das habe ich als Mitglied verschiedener Kommissionen an der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) selbst mit betrieben.
Aber dieser vergleichsweise kleinen Gruppe stand eine größere gegenüber, die ohne sonderliche Belastungen, nur weil sie mal mit der Stasi kooperiert hatte, entlassen wurden. Und so konnte auch in den 1990-er Jahren kaum jemand in den öffentlichen Dienst, also z.B. an Universitäten, aufgenommen werden, wenn er mal bei der Stasi war, zumal als Hauptamtlicher. Für hauptamtliche SED-Funktionäre war das kein Problem. Schon hier waren die Maßstäbe völlig verrutscht.
Da ich weder nachvollziehen noch glauben kann, dass Andrej Holm nicht genau erinnerte, dass er als Offiziersschüler hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter gewesen war, stand er bei dem Ausfüllen von Personalfragebögen vor einem schier unlösbaren Problem: die Wahrheit sagen und den Job nicht bekommen, oder den Job bekommen und dafür lügen. (Rechtlich dürfte es unerheblich sein, was er glaubte, gewesen zu sein. Interessant wäre zu erfahren, was in Holms Rentenversicherungszeiten steht, denn anders als die HUB sind Rentenversicherungsträger nicht mit Selbstaussagen zufrieden zu stellen.)
Ich kann dennoch gut verstehen, dass Andrej Holm sich für die zweite Alternative entschied. Der jetzige Staatssekretär hatte praktisch keine andere Wahl, weil Hauptamtliche MfS-Mitarbeiter im Gegensatz zu IM bei der Einstellung im gehobenen öffentlichen Dienst in Berlin nie eine Chance hatten.
Andrej Holm traf eine individuelle Entscheidung, an deren Ende jetzt seine Ernennung als Staatssekretär steht. Dass er im privaten Kreise oder im Umfeld seiner politischen Tätigkeitsfelder über seine Biographie anders gesprochen habe, ist anerkennenswert, aber für die Beurteilung irrelevant. Auch in dem taz-Interview 2007 sagte er nicht die Wahrheit, sondern erinnerte sich in dem Erzählmuster, das Ende 2016 zum Skandalon wurde: tatsächlich war er von Anfang an als Offiziersschüler bei der AKG strukturell angebunden.
Es bleibt, dass seine Biographie und seine Erzählungen darüber in einem Diskurszusammenhang debattiert werden, in dem es seit 1990 kaum Platz für Differenzierungen und Grautöne gab, gerade wenn es um Personalentscheidungen ging. Holm geriet in Umstände, die er nicht konstruiert hatte. Er suchte einen Platz, seinen Platz, in diesem Fall war die abverlangte Lüge strukturell bedingt. Doch darf dieser Weg zu einer Karriere als Regierungsmitglied führen? Und wäre das gerecht gegenüber jenen, die die SED und Stasi verfolgte und schadete; oder gegenüber jenen, die dafür Verantwortung übernehmen mussten oder ihre Fragebögen wahrheitsgetreu ausfüllten? Oder ist seine Notlüge einer verzeihlichen Zwangssituation entsprungen, die ihm nicht angelastet werden sollte?
3. Wer instrumentalisiert Geschichte?
Die Frage lässt sich ganz einfach beantworten: alle tun das. Fangen wir bei der Linkspartei an: sie beruft Andrej Holm zum Staatssekretär, wohl auch, weil sie die Privatisierung von Wohnungsbaugenossenschaften in Berlin (und übrigens nicht nur dort) unter ihrer Verantwortung vergessen machen und mit Holm potentiell neue Wählergruppen gewinnen will. Das ist Politik. Aber zugleich erneuert die Partei ihren Ruf, ein problematisches Verhältnis zur eigenen Geschichte zu haben. Dass sie sich als Interessenvertreterin der alten DDR-Eliten versteht, ist nachvollziehbar, dass sie aber Andrej Holm mit dem Argument zu schützen sucht, er habe als hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter ja nicht gespitzelt, ist schon sehr verwegen und historisch ekelhaft. Die Linkspartei ist von der Wucht der Debatte einmal mehr unvorbereitet getroffen worden. Da kann man nur verwundert den Kopf schütteln. Hauptsache Macht? - muss man fragen. Und wie sieht es mit der Aufarbeitung der eigenen DDR-Wohnungspolitik aus? Gleicher Wohnraum für alle damals? Manche waren gleicher; viele lebten unter unwürdigen Umständen in den einstigen Ruinenlandschaften in Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, die die SED-Diktatur hinterlassen hatte.
Die Linkspartei, Staatssekretär Holm und die Berliner Landesregierung wären gut beraten, wenn sie eine aktive und offensive Erinnerungspolitik in ihre Agenda aufnähmen – dies würde den Fehlstart der Koalition vielleicht zum Ausgangspunkt einer die facettenreiche Geschichte Berlins in den Blick nehmenden Geschichtspolitik werden lassen. Da gibt es wahrlich viel zu tun, selbst für Städtebauer. Immerhin hat das Abgeordnetenhaus vor Jahren einmal eine Initiative zur Errichtung eines Begegnungs- und Forschungszentrums für Freiheit und Zivilgesellschaft begrüßt und als Absichtserklärung angenommen - es wäre höchste Zeit, diesen Worten Taten folgen zu lassen! Dann würde u.U. bald auch unsere heutige Debatte in einem anderen Licht erscheinen, wenn nämlich Geschichte und Vergangenheit als Basis unserer Gegenwart und Teil unserer Zukunft offensiv anerkannt würde, in die alle Biographien gleichermaßen und unabhängig von ihrer Herkunft gehören.
Mit der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sieht es nicht viel besser aus. Politik ist einerseits Machtstreben, wie uns Max Weber vor 100 Jahren lehrte, aber andererseits baut Politik in der Demokratie nach einer Wahl maßgeblich auf einem Vertrauensvorschuss auf, der sich aus angenommener Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit speist. Offenbar hat die SPD angesichts der sagenhaften 25 Staatssekretäre den Überblick verloren – nur selten hat sich eine neue Regierung so schnell in Schwierigkeiten gebracht, weil ihr der Kompass abhanden kam, wie man mit Geschichte umgehen könnte. Es zeugt von einer grotesken unpolitischen Herangehensweise, wenn die Landesregierung eine politische Entscheidung – Entlassung Holms oder nicht – aufschiebt mit der Begründung, man wolle die Verwaltungsentscheidung der HUB abwarten. Mir fehlen dazu jedenfalls die richtigen Worte.
Dass die Oppositionsparteien den Fall geschichtspolitisch, d.h. instrumentell nutzen, liegt in der Natur der Sache. Aber so richtig gut zu Gesicht steht das der FDP und CDU nicht, die AfD lasse ich außen vor, weil zu dieser Truppe anderes zu sagen wichtiger wäre. CDU und FDP vereinnahmten 1990 DDR-Blockparteien: die Ost-CDU sowie die LDPD. Sie machten das nicht wegen des Geldes, das ohnehin überwiegend an den Staat abfloss, sondern weil sie flächendeckende Infrastrukturen und Personalnetze übernahmen, die der CDU im Osten viele Jahre Macht und Einfluss garantierte. Das waren SED-Agenturen, die nie wirklich skandalisiert worden sind. Heute tun viele so, als seien diese Blockparteien Nester des Widerstands und der Selbstbehauptung gewesen. Das waren sie, aber nur wenn man anerkennt, dass es solche Nester auch bei der SED und sogar im MfS gab.
Aber um die Verhältnismäßigkeit im Fall Holm noch besser einschätzen zu können, braucht man sich nur die Personalie Schabowski anzuschauen. Dieser war in den 1980er Jahren als ND-Chefredakteur, als Politbüromitglied und als Chef der SED-Bezirksleitung Berlin einer der wichtigsten Scharfmacher und Einpeitscher des SED-Regimes. Als Chef der Berliner Bezirkseinsatzleitung war er – dies ist kein Abstraktum – der dritthöchste Vorgesetzte von Andrej Holm, darüber standen nur noch Egon Krenz und Erich Honecker.
Schabowski wurde Ende der 1990er Jahre als einer der verantwortlichen Mauermörder zu einer lächerlichen Haftstrafe verurteilt. Ihm hatten mittlerweile viele vergeben, allen voran viele hochrangige Mitglieder der CDU, denn Schabowski hatte seit 1990 genauso harsch und demagogisch sein einstiges Tun in der DDR verteufelt wie er es bis 1989 mit seinen damaligen politischen Gegnern getan hatte. Hinzu kommt, dass er irrtümlich in der Öffentlichkeit als Maueröffner gilt. Dies führte nun 2000/01 sogar dazu, dass der damalige Berliner CDU-Spitzenkandidat Steffel Schabowski für den CDU-Wahlkampf einspannte. Mit anderen Worten: die CDU hat durchaus bewiesen, dass sie christlich verzeihen und vergeben und vergessen kann. Ist Andrej Holm tatsächlich mit Schabowski vergleichbar, kann für Schabowski etwas gelten, was man Holm nicht zugesteht?
Doch nicht nur die Parteien instrumentalisieren. Bis auf wenige Ausnahmen haben die Medien, eine merkwürdige Rolle gespielt. Sehr auffällig war, wie wenig sachkundig Journalisten und Journalistinnen gerade in den ersten Tagen der Affäre ihre Beiträge verfassten. Die Kommentare landauf, landab strotzten nur so von Unkenntnis, alte Ressentiments feierten fröhliche Urstände, die Stasi schien lebendig wie lange nicht. Aber auch die Medien, die Holm zur Seite standen, scherten sich wenig um reale Hintergründe, sondern betrieben Meinungsmache in eigener Sache. Alle nahmen sich aus den Töpfchen, was ihnen passte, und unterschlugen, was dagegensprechen könnte.
Da standen auch Initiativen, Offene Briefe, Aufrufe etc. nicht zurück. Anonyme Redakteure vom „telegraph“ versicherten, Holm sei offen mit seiner Biographie umgegangen, tatsächlich stünde er für eine Politik, die nicht zum Zuge kommen sollte – moralisches Gewicht erhielt die Erklärung, weil die telegraph-Redakteure erklärten, sie kämen aus der DDR-Opposition. Leider erfährt man nicht, wer nach diversen Abspaltungen bei den aktuellen telegraph-Leuten noch dabei ist, nicht viele werden tatsächlich aus der DDR-Opposition kommen. Und einen Freifahrtschein, Hüter der Moral zu sein, hat niemand. In der Öffentlichkeit aber wird so getan, als spräche hier ein Gremium, das über Vergebung zu entscheiden habe.
Auch ein weithin beachteter Aufruf von hunderten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen kocht auf eigener Flamme. Denn die Initiatoren und Initiatoren tun so, als ginge es um den Wissenschaftler Holm und nicht den künftigen Politiker. Und dass Mieterinitiativen und andere mit Wohnraum befasste für Holm Partei ergreifen und dabei die Geschichtsfakten unzulässig stark beugen, erscheint fast nachvollziehbar.
Dass in den sozialen Medien Tausende so tun, als lebten wir nicht in einem Land mit repräsentativer Demokratie, sondern in einem Land, in dem die lautesten Schreihälse Recht hätten, sie selbst also, kennen wir bereits von AfD und Pegida. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass sich natürlich auch Stimmen aus der DDR-Aufarbeitungslandschaft meldeten, die reflexhaft sagten, was sie eben immer so sagen: nämlich im Prinzip: einmal Stasi, immer Stasi!
Ich hatte nicht versprochen, eine Lösung anzubieten und eine der im Raum stehenden Alternativen: Rücktritt, Entlassung oder Beibehaltung des Status Quo zu favorisieren, alle drei Varianten hätten Vor- und Nachteile für die politische Kultur und den Aufarbeitungsdiskurs. Die schlechteste Lösung ist die, die ich bereits ansprach, nämlich ausgerechnet der Humboldt-Universität (HUB) die Lösung zu überlassen: Es geht hier um eine politische Entscheidung, die HUB aber fällt nur eine Verwaltungsentscheidung".
Zur weiteren Entwicklung des Falls und der Diskussion darüber
Unmittelbar nach dem hier abgedruckten Einführungsvortrag von Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk fand eine öffentliche Diskussionsrunde der Havemann-Gesellschaft mit Andrej Holm statt. Ihren Verlauf dokumentiert ein Externer Link: Beitrag des rbb-Berlin vom 6.1.2017. Im Nachhinein wurde auch debattiert, ob der Fragebogen öffentlicher Einrichtungen über eine ehemalige Stasi-Mitarbeit von Stellenbewerbern heute überhaupt noch zeitgemäß sei (siehe Externer Link: Tagesspiegel vom 10.1.2017). Am gleichen Tag erschien in der taz eine Externer Link: arbeitsrechtliche Einschätzung des Falls. Die Havemann-Gesellschaft veröffentlichte indessen die Externer Link: Stasiakte Holms, aus der hervorgeht, dass der Offiziersanwärter am 1.1.1989 seine Ausbildung beim MfS begann, am 30.9.1989 vereidigt wurde und infolge der Auflösung der DDR-Staatssicherheit am 30.1.1990 aus seinem Dienst verabschiedet worden ist.
Am 14.1.2017 entschied sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller die zuständige Senatorin Katrin Lompscher zu bitten, Holm zu entlassen. Die WELT veröffentlichte am 14.1. eine Externer Link: dementprechende Erklärung. Danach erörterten Berliner Medien intensiv das Pro und Contra dieser Entscheidung, beispielsweise Externer Link: taz-online vom 15.1.2016 beide Positionen. Unser Beitragsautor, der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk gab am selben Tag der Süddeutschen Zeitung ein Interview, in dem er formulierte: "Die Entlassung von Staatssekretär Holm durch die Landesregierung war absehbar. Sonst wird die Skandalisierung dieses Falls nie aufhören. Für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte wäre es hingegen gut gewesen, er wäre im Amt geblieben. Wer mit Geschichte ehrlich umgehen will, muss anerkennen, dass sie voller Widersprüche steckt, sie verläuft fast nie so, wie es uns in den Kram passt. Das muss eine offene Gesellschaft aushalten, solange es nicht um Verbrechen geht. Und Holm ist kein Verbrecher. Er steht stellvertretend für die widersprüchlichen Biografien vieler, natürlich längst nicht aller, Ostdeutscher"; (veröffentlicht auf Externer Link: www.sueddeutsche.de am 15.1.2017).
Am 16.1.2017 erklärte Holm selber seinen Rücktritt, stellte in Externer Link: seinem Statement allerdings wohnungspolitische Gründe in den Mittelpunkt: "Die Polemik derer, die mich als Staatssekretär verhindern wollten, zeigt, dass es bei der Entlassungsforderung nicht nur um meine Zeit bei der Stasi und um falsche Kreuze in Fragebögen ging, sondern vor allem um die Angst vor einer Wende im Bereich der Stadt- und Wohnungspolitik... Entgegen der Darstellung vieler Medien habe ich mich nicht nur in den letzten Wochen bemüht, offen und selbstkritisch mit meiner Biographie umzugehen. Das war schmerzhaft für viele Opfer der DDR-Diktatur und das war auch schmerzhaft für mich. Die letzten Wochen hinterlassen bei mir den Eindruck, dass es auch im medialen Raum nur eine begrenzte Bereitschaft für die Wahrnehmung von Zwischentönen in DDR-Biographien gibt". Die Externer Link: formale Entlassung Holms vollzog Berlins Senat tags darauf.
Das Echo auf diese Entwicklung war vielfältig. Überraschend nahm auch der Ministerpräsident Thüringens, der LINKEN-Politiker Bodo Ramelow, Stellung. In einem Interview mit der Externer Link: Thüringer Allgemeinen vom 17.1.2017 forderte er seine Partei bundesweit zu einem anderen Umgang mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern auf. Bei seiner Regierungsbildung 2014 habe er bereits durchgesetzt, dass Politiker mit Stasi-Vergangenheit nicht für Regierungsämter zugelassen werden. Niemand der "in irgendeiner Weise" für die Staatssicherheit der DDR gearbeitet habe, dürfe heute ein Regierungsamt ausüben, eingeschlossen sei "ausdrücklich auch der Wehrdienst im Wachregiment der Staatssicherheit". Seine Partei die Linke müsse bei diesem Thema sensibler werden. Es seien immer "noch viele Menschen von dem Unterdrückungs- und Bespitzelungsapparat Staatssicherheit" Interner Link: traumatisiert. Man dürfe sich hierbei "nicht in einer Grauzone" bewegen.
Die Berliner Humboldt-Universität musste sich indessen mit der Frage befassen, ob sie arbeitsrechtliche Konsequenzen aus dem bezüglich seiner Stasi-Mitarbeit falsch angekreuzten Fragebogen bei der Anstellung Andrej Holms zieht. Am 18.1.2017 teilte die Universitätsleitung in einer Externer Link: Presseerklärung ihrer Präsidentin mit, "das Arbeitsverhältnis mit Herrn Dr. Holm ordentlich zu kündigen". Diese Kündigung beruhe nicht auf seiner Tätigkeit für das MfS, "sondern einzig darauf, dass Herr Dr. Holm die HU hinsichtlich seiner Biographie getäuscht und auch an dem wiederholt vorgebrachten Argument der Erinnerungslücken festgehalten" habe. Hätte er "seine Biographie bei der Einstellung offen gelegt, wäre eine Einstellung auch nach den aktuell vorliegenden Informationen möglich gewesen", heißt es in der Erklärung von HU-Präsidentin Prof. Dr. Sabine Kunst, die auch beklagt, dass Holm in seiner Stellungnahme gegenüber der HU "mit keinem Wort ein Bedauern zu den Falschangaben" habe erkennen lassen: "Die Falschangaben, das fehlende Bedauern und sein Beharren auf „Erinnerungslücken“ haben mich zu der Entscheidung gebracht, das Arbeitsverhältnis zu beenden". Studierende erklärten daraufhin das Institut für Sozialwissenschaften der HU für Externer Link: besetzt und Externer Link: Holm selbst kündigte am gleichen Tag an, "beim Arbeitsgericht Klage zu erheben", sowie die angekündigte Kündigung bei ihm eintreffe. Am 21.1.2017 gab er der Externer Link: Süddeutschen Zeitung ein erläuterndes Interview, in dem er betonte, er habe in der Debatte um seine Vergangenheit immer gesagt, dass das MfS Teil eines Repressionssystems war, "dass ich mich schäme, dass ich ein Teil davon war, und dass ich weiß, dass ich viel Schuld auf mich geladen hätte, wenn die Wende nicht gekommen wäre".
Die Debatte ging indessen weiter, sei es an der Externer Link: Universität oder in Externer Link: Medien . Beispielsweise kommentierte Jens Schneider am 23.1.2017 in der Süddeutschen Zeitung: "Nach der Wende wollten viele Menschen im Osten unter den neuen Verhältnissen erst einmal bestehen. Das Thema Stasi störte. So steht der öffentliche Dialog über die DDR noch weitgehend aus. Im Westen betrachtet man derweil die Stasi oft als düstere Folklore aus der unappetitlichen DDR, begnügt sich mit Schlagwörtern. So gab es über die Jahre oft Aufregung um Stasi-Fälle, aber es fehlt an Wissen und Interesse, gerade bei Jüngeren. Es war schon irritierend, mit welch Leichtigkeit manch junge Unterstützer von Holm die Sache als nichtig abtaten. Wer sich aber um die eigene Geschichte nicht gekümmert hat, dem fehlen die Kategorien, wenn es zu unterscheiden gilt zwischen üblen Schergen und all den anderen mit ihren unterschiedlichen Lebensläufen".
Am 10. Februar 2017 machte die Humboldt-Universität einen überraschenden Rückzieher und zog Holms Kündigung zurück, sie werde in eine Abmahnung gewandelt. Holm habe in einer Erklärung gegenüber der HU erstmalig zugegeben, Falschangaben gemacht zu haben und dies bedauert, begründete die HU laut Externer Link: Tagesspiegel die Entscheidung in einer Mitteilung. Holm wird darin mit dem Worten zitiert: „Ich bin mir heute bewusst, dass ich gegenüber der HU objektiv falsche Angaben hinsichtlich meiner Tätigkeit für das MfS gemacht habe. Ich bedauere das und ebenso, dies nicht sofort gegenüber der HU zum Ausdruck gebracht zu haben.“ Vor dem Hintergrund dieser Klarstellung sehe die Uni-Leitung nun das Vertrauensverhältnis zwar weiter als gestört, „aber nicht mehr als vollständig zerstört“ an, sagte HU-Präsidentin Sabine Kunst dem Tagesspiegel.
Am 17. März 2017 plädierte der Externer Link: Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk in der taz dafür, als Konsequenz aus der Holm-Debatte die Einzelüberprüfungen Einzelner auf eine frühere Stasi-Mitarbeit einzustellen. "Ich bin der Meinung, dass es mit der Stasi-Überprüfung vorbei sein muss", plädierte er in der Zeitung, 28 Jahre nach der Wende sei es "Zeit, die DDR zu historisieren".
Am 26. November 2017 zieht Holm ein ausführliches Resümee der Debatte, diesmal unter der Überschrift "Externer Link: Ich war Teil eines Repressionsapparats" in der ZEIT. Der Text ist Vorabdruck aus einem Buch Holms mit dem Titel "Kommen. Gehen. Bleiben". Am Ende heißt es: "Ich habe die Debatte als relativ erbarmungslos empfunden. Es ging weniger um eine differenzierte Aufarbeitung von Geschichte und Verantwortung als vielmehr um eine dämonisierende Stigmatisierung. Die Havemann-Gesellschaft hat es mit ihrem Veranstaltungstitel ganz gut auf den Punkt gebracht: "Einmal Stasi – immer Stasi?" Immerhin mit Fragezeichen. Die Frage wurde leider in der aufgeheizten Atmosphäre der Diskussion nicht wirklich geklärt, und die Medienberichterstattung im Dezember und Januar hat ihre eigene, sehr eindeutige Antwort gegeben. Wenn der Stasi-Vorwurf im Raum steht, kommt das auch 27 Jahre nach der Wende einer Vorverurteilung gleich."
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- Auch in anderen Fällen versuchte die Stasi gezielt, ihr verlässlich erscheinende Jugendliche als spitzelnde IM und als künftige Mitarbeiter zu gewinnen. In einem Text für die bpb (Interner Link: "Verführung zu Feindbildern") schildert die ehemalige Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Angela Marquardt, wie das MfS in ihrem Fall vorging und wie sie dies beendet und inzwischen aufgearbeitet hat.
Historiker, geb. 1967; Projektleiter/Fachkoordinator im Fachbereich 1 der Abteilung Bildung und Forschung der Stasi-Unterlagen-Behörde und assoziierter Forscher der Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin.
1995-1998 Mitglied der vom 13. Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit". Arbeitsschwerpunkte: Geschichte von Opposition und Widerstand 1949-1989 / Universitätsgeschichte / Historiographiegeschichte / 17. Juni 1953, Revolution 1989 / vergleichende Widerstands- und Revolutionsgeschichte.
Veröffentlichungen u.a.: - (Hrsg. zus. mit R. Eckert und U. Poppe) Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR, Berlin 1995; - (Hrsg.) Politischer Samisdat in der DDR 1985 bis 1989, Berlin 2001; 17. Juni 1953 - Volksaufstand in der DDR. Ursachen - Abläufe - Folgen. Bremen 2003, 311 S. und Audio-CD; - Das bewegte Jahrzehnt. Geschichte der DDR von 1949 bis 1961. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2003, 164 S.; - Kontraste: Auf den Spuren einer Diktatur. Begleitheft zur gleichnamigen DVD-Edition (3 DVD). Bundeszentrale für politische Bildung und Rundfunk Berlin-Brandenburg. Bonn 2005, 78 S.; - Volkserhebung gegen den SED-Staat. Eine Bestandsaufnahme zum 17. Juni 1953. Göttingen 2005, 478 S., Hg. (mit Roger Engelmann); - Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. 602 S., 2., durchgesehene Aufl. München 2009 (außerdem Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2013). - Fasse Dich kurz! Der grenzüberschreitende Telefonverkehr der Opposition in den 1980er Jahren und das Ministerium für Staatssicherheit (Analysen und Dokumente. Wissenschaftliche Reihe des BStU; Band 41). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, 1059 S., Hg, (mit Arno Polzin).
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