Ob für Möbelhäuser wie IKEA, Versandhäuser wie Quelle oder Chemieriesen wie die Hoechst AG, BASF und Bayer. In der DDR mussten Strafgefangene Zwangsarbeit leisten und waren damit an der Herstellung von Exportprodukten beteiligt, insbesondere für den Westen. Die Stasi-Unterlagen-Behörde schätzt, dass im deutsch-deutschen Ost-West-Handel jährlich mindestens 200 Millionen DM mit Waren umgesetzt wurden, die auf Häftlingsarbeit beruhten.
Verschleierte Zwangsarbeit für westliche Firmen
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Der SED-Staat hatte aus mehreren Gründen kein Interesse daran, Details über die Zwangsarbeit von Häftlingen des Strafvollzuges sowie der Insassen von Jugendwerkhöfen bekannt werden zu lassen. Dem MfS waren bei der Vertuschung mehrere Aufgabebereiche zugewiesen. Es war als „Schild und Schwert der Partei“ aber nur ein Teil des Schweigesystems.
Im Strafvollzug der DDR wurde allerdings nicht von Zwangsarbeit gesprochen. Die Anwendung von Zwangsarbeit widersprach den marxistisch-leninistischen Prinzipien vom Aufbau der sozialistischen Gesellschaft, wonach sich der „sozialistische Mensch“ freiwillig und mit maximalem Einsatz am Aufbau der neuen Gesellschaft beteiligte. Bereits in der frühen Sowjetunion wurde versucht, den Widerspruch zwischen der Propaganda und der Praxis der Zwangsarbeit durch eine Sprachregelung zu bewältigen. In der Sowjetunion tauften die Machthaber Zwangsarbeit in Besserungs- oder Pflichtarbeit um.
Furcht vor öffentlicher Diskussion
Der wichtigste Grund, die Anwendung von Zwangsarbeit vor der westlichen Welt zu verbergen, war wirtschaftlicher Natur. Die DDR war über den gesamten Zeitraum ihrer Existenz auf eine wohlwollende Förderung des innerdeutschen Handels angewiesen. Sie verfügte nicht ausreichend über hochqualitative Produkte und bewegte sich bei ihren Exporten überwiegend in den heiß umkämpften Sektoren billiger Massenware und Halbprodukte. Eine öffentliche Debatte um die DDR-Zwangsarbeit im Westen konnte sich unmittelbar schädigend auf den Absatz der Produkte auswirken.
Die Geheimhaltung der Zwangsarbeit in der DDR war umfassend und nicht nur das MfS war daran beteiligt. Die Strafgefangenen sowie das eingesetzte Wach- und Anleitungspersonal waren zu absolutem Schweigen verpflichtet. Insbesondere Häftlinge, die vom Westen freigekauft werden sollten, wurden unter Druck gesetzt, nichts über ihre Erfahrungen verlauten zu lassen. Das zivile Personal, das die Produktion beaufsichtigte, wurde vom MfS nach besonderen Kriterien ausgewählt und überwacht. Fast ausnahmslos (außer Steinkohle- und Kupferbergbau) waren Produktionsstätten der Häftlinge und der zivilen Arbeiter hermetisch voneinander abgeschottet. Wenn möglich, errichteten Betriebe nicht sichtbare Produktionsstätten auf dem Gelände von Haftanstalten. Auch innerhalb der DDR achtete die Geheimpolizei darauf, die Herkunft der Produkte zu verschleiern. So wurde beispielsweise auf einem Schuhkarton der Aufdruck „Betriebsteil Bützow-Dreibergen“ verändert, weil er allzu offensichtlich auf den dortigen Strafvollzug verwies.
Verhandlungen stets mit Zwischenhändlern
Dem westlichen Ausland – dazu zählte nach DDR-Auffassung auch die Bundesrepublik – wurde nach Möglichkeit keinerlei Einblick in die DDR-Wirtschaft gestattet. Dies gilt auch für Produkte, an deren Herstellung keine Häftlinge beteiligt waren. Bis auf einige unumgängliche Fälle verhandelten westliche Firmen nie direkt mit den produzierenden DDR-Betrieben, sondern mit Zwischenhändlern, die das Außenhandelsmonopol der DDR-Regierung verkörperten. Diese sogenannten Außenhandelsbetriebe (AHB) präsentierten Waren auf westlichen Messen und verhandelten mit den westlichen Käufern über Menge, Qualität und Preis der zu importierenden Produkte. Oftmals gab es auch weitere in der Bundesrepublik ansässige Zwischenhändler, an deren Firmen mitunter die DDR oder auch das MfS verdeckt beteiligt waren. Ob Produkte oder Teile derselben von Häftlingen in der DDR produziert wurden, war von westlichen Käufern auf diesem Wege kaum zu erfahren.
Wie eine Fülle von Dokumenten belegt, überwachte das MfS die Export-Importwege und griff ein, wenn Informationen nach außen drangen. Oftmals gab es dabei eine stille Übereinstimmung mit den Interessen westlicher Firmen, die vor einer Beteiligung von Zwangsarbeitern lieber die Augen schlossen oder sie in Abrede stellten. So erklärte die Westberliner Importfirma Beroflex nach einem Pressebericht über die Beteiligung von Häftlingen aus der Haftanstalt Cottbus an der Produktion von Kameras 1976 wahrheitswidrig: „Im Pentacon-Werk produzieren keine Häftlinge. Die Arbeitsbedingungen sind dort mindestens genauso gut wie in westdeutschen Betrieben.“
Im Mai 1988 teilte ein ehemaliger Häftling wiederum Beroflex mit, dass Häftlinge an der Produktion von Pentacon-Kameras aus der DDR beteiligt waren und forderte die Firma auf, den Import einzustellen. Daraufhin sandte Beroflex eine Kopie der Information an den DDR-Betrieb Jenoptik versah sie mit dem Kommentar: „Wir von Beroflex haben nicht die Absicht, darauf zu reagieren.“ Von Jenoptik gelangte die Information über einen Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS an die Bezirksverwaltung des MfS Gera, die den Autor des „Hetzbriefes zur Störung des Außenhandels der DDR“ als Mitglied der „Feindorganisation“ Internationale Gesellschaft für Menschenrechte identifizierte. Die Bezirksverwaltung des MfS gab die Information an den Leiter der Zentralen Koordinierungsgruppe des MfS, Generalmajor Gerhard Niebling weiter, um Schritte gegen den Autor und dessen Organisation im Westen einzuleiten.
Gezielter IM-Einsatz in Ostbüros westlicher Handelspartner
Weitere Steuerungsmöglichkeiten ergaben sich für das MfS im Ostberliner Internationalen Handelszentrum. Dort waren in den 1980er Jahren Büros westlicher Konzerne angesiedelt. Firmen mit Sitz in der Bundesrepublik konnten diese Möglichkeit auf Grund der deutsch-deutschen Gegebenheiten nicht wahrnehmen. In diese Büros wurden vom Dienstleistungsamt für ausländische Vertretungen (DAV) der DDR, das eng mit dem MfS zusammenarbeitete, ergänzendes Personal vermittelt, das den Informationsfluss überwachte und nach Möglichkeit steuerte.
Deutlich werden die Einflussmöglichkeiten am Büro von IKEA. Es verfügte 1987 über drei Mitarbeiter aus Schweden und acht aus der DDR. Trotz verschiedener Sicherheitsmaßnahmen – bestimmte Telefongespräche wurden aus Westberlin geführt – zeigte sich die Staatssicherheit über die Ansichten des schwedischen IKEA-Büroleiters wohlinformiert, als ihm zur Kenntnis gelangte, dass Häftlinge an der Möbelproduktion beteiligt waren. In Absprache mit der Staatssicherheit, der die hochemotionalen Äußerungen des IKEA-Büroleiters gegen die Zwangsarbeit bekannt waren, versprach ein Mitarbeiter des zuständigen Außenhandelsbetriebes, IKEA würde keine von Häftlingen hergestellte Waren mehr erhalten. Nach diesem Versprechen, das nicht eingehalten wurde, aber auch nicht überprüft werden konnte, beteiligte sich IKEA in der westlichen Welt an der Eindämmung des Skandals.
Dennoch flackerte die Diskussion um mögliche Häftlingsarbeit im Ostberliner IKEA-Büro immer wieder auf. Die Gefahr für die DDR-Wirtschaft beschrieb die im IKEA-Büro installierte IM „Ilona Henke“ folgendermaßen: „IKEA geht nicht von der Vermutung ab, daß genanntes Modell [„Klippan“ / CS] in Waldheim eben von Haftinsassen nach wie vor produziert werden könnte. […] Da dieses Modell in den IKEA-Versandhäusern mehrerer Länder vertrieben wird, wäre es echt nicht angebracht, es zu irgendeinem Zeitpunkt zum Nachweis kommen zu lassen, daß an der Produktion dieses Modells evtl. Haftinsassen beteiligt sind. Es bedarf sicher keiner Polemik darüber, daß es als ein gefundenes Fressen für hochstilisierte politische Spektakel, nicht nur gegen den Industriezweig Möbel, sondern gegen die Politik der DDR ausgeschlachtet würde.“
Unterwanderung wachsamer Menschenrechtsorganisationen
Trotz dieser Einflussnahme des MfS gelangten immer wieder Informationen über die DDR-Zwangsarbeit in die Bundesrepublik. Amnesty International hatte bereits 1967 eine Informationsschrift veröffentlicht, in der die Zwangsarbeit in der DDR thematisiert wurde. Bis zum Ende der DDR erreichten Regierungsstellen in der DDR tausende Briefe der Menschenrechtsorganisation, die auf die Zustände in den Haftanstalten hinwiesen, im Jahr 1987 alleine 977.
Trotz der insgesamt immer noch unbefriedigenden Forschungslage lässt sich feststellen, dass das Schweige- und Einflusssystem des MfS zur Verschleierung der DDR-Zwangsarbeit zwar umfassend geplant, aber nicht lückenlos realisiert werden konnte. Wer in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1989 etwas über die Zwangsarbeit in der DDR erfahren wollte, hatte durchaus die Möglichkeit dazu.
Weiterführende Links:
Dr. Christian Sachse: Das System der Zwangsarbeit
Externer Link: http://www.ddr-zwangsarbeit.info/20141113_System_Zwangsarbeit.pdf
Berichte des ARD-Magazins Report zum Thema Zwangsarbeit in der DDR
Externer Link: http://www.swr.de/report/report-mainz-suchergebnis/-/id=233454/cf=42/did=15427510/nid=233454/1vzha7g/index.html?query=DDR+zwangsarbeit&restriction=%2Freport
Der 1954 in Halle/Saale (DDR) geborene Politikwissenschaftler und Theologe lebt als freier Publizist in Berlin. Bis 1990 war er Pfarrer in Torgau und Gründungsmitglied des oppositionellen Netzwerkes Arbeitskreis Solidarische Kirche [AKSK]. 1998 promovierte er über Wehrerziehung in der DDR an der FU Berlin. Es folgten Forschungsprojekte zur Wehrerziehung in der DDR, zur politischen Biographie von Bischof Gottfried Forck, Expertisen und Veröffentlichungen zu DDR-Spezialheimen, Jugendwerkhöfen und neuere Forschungsarbeiten zur Zwangsarbeit von DDR-Häftlingen und zur Zwangsadoption. Er ist zudem Forschungs-Beauftragter der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft e.V. (UOKG) für die Aufarbeitung der DDR-Zwangsarbeit und verantwortlich für die Website Externer Link: http://www.ddr-zwangsarbeit.info/.
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