Repression durch Stasi-Haft
Die Arbeit der Abteilung XIV „U-Haft/Strafvollzug“ des MfS
Johannes Beleites
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Ohne gesetzliche Grundlage verfügte das MfS über 17 eigene Untersuchungshaftanstalten, in denen Inhaftierte oft wochenlang isoliert blieben und zermürbt werden sollten.
„Jedes Land hat einen Geheimdienst, die Bundesrepublik sogar mehrere.“ So lautet ein beliebter Satz ehemaliger Stasi-Mitarbeiter. Er soll suggerieren, dass die Stasi quasi ein Geheimdienst, wie der Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst oder der Militärische Abschirmdienst in der Bundesrepublik gewesen sei. Sicher gibt es in mancher Arbeitsweise und auch in einigen Zielen Ähnlichkeiten oder auch grundsätzliche Übereinstimmungen.
Es gibt jedoch für die Betroffenen der geheimdienstlichen Arbeit einen wesentlichen Unterschied: Die Stasi hatte die Befugnisse einer ohne rechtsstaatliche Kontrolle arbeitenden Geheimpolizei und betrieb dafür 17 eigene Gefängnisse, für die eine gesetzliche Grundlage fehlte. In jeder Bezirksstadt der DDR gab es eine Untersuchungshaftanstalt auf Ebene der jeweiligen Bezirksverwaltung für Staatssicherheit (BVfS), in Berlin zusätzlich noch zwei, die direkt dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), wie die Stasi offiziell hieß, unterstanden. Nach rechtsstaatlichen Prinzipien handelten sie nicht.
Willkürlich ausgedehnte Untersuchungshaft
In der Regel kamen dort Menschen "zur Klärung eines Sachverhalts" zunächst in Einzelhaft und ohne einem Untersuchungsrichter vorgeführt zu werden. Sie bleiben ohne genaue Kenntnis, wo sie sich befanden, für wie lange und warum und ohne Kontaktmöglichkeit zu ihren Familien, zunächst auch nicht zu einem Anwalt. Dem MfS kam es auf die Zermürbung der dort Inhaftierten an. Häftlinge sollten an die Grenze der psychischen Belastbarkeit geführt werden, um zu Geständnissen und verwertbaren Aussagen von ihnen zu kommen. Intern wurde "vernehmungstaktisches Einwirken" geschult. Dass vor einer richterlichen Verurteilung Beschuldigte als unschuldig zu gelten hat - dieses Rechtsstaatsprinzip war ausgehebelt. Hier wurden Inhaftierte von vornherein so behandelt, als trügen sie Schuld, auch in den Verhörsituationen. Der oder die Vernehmer blieben lange Zeit die einzige Ansprechperson eines Gefangenen, auch um nach einer Phase der Strenge zu dessen Vertrauensperson zu werden und ihn so zu öffnen.
Bei der Betrachtung des Stasi-Gefängnissystems ist die Unterscheidung zwischen Untersuchungshaft und Strafvollzug wichtig, weil die Stasi nur über Untersuchungshaftanstalten (UHA) verfügte. Erst nach einer Verurteilung wurden Inhaftierte in normale DDR-Strafvollzugsanstalten überführt, andere direkt aus der DDR ausgewiesen. Für die Stasi als politische Geheimpolizei waren vor allem die Untersuchungsgefangenen von Bedeutung. Ihnen konnten noch Informationen entlockt werden, sie waren leichter manipulierbar. Schließlich wussten sie genau, dass nicht unabhängige Gerichte, sondern die SED und letztlich in deren Auftrag die Stasi über ihr Schicksal entscheiden wird. Und die Stasi konnte das Ermittlungsverfahren und damit die Zeit der Ungewissheit der Gefangenen vor einer Verurteilung nahezu beliebig ausdehnen.
Beispielsweise blieb der Schriftsteller Jürgen Fuchs nach seiner Inhaftierung 1976 sogar 281 Tage im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen inhaftiert, seine Frau wurde nicht über seinen Verbleib informiert. Am Ende zwang die Stasi Fuchs ohne Prozess zur Ausreise in den Westen. Sein Vernehmer gab ihm noch mit auf den Weg: "Legen Sie sich später nicht mit uns an. Wir finden Sie überall. Auch im Westen. Autounfälle gibt es überall." Fuchs prägte sich alle Verhöre aus dieser Zeit ein, in West-Berlin schrieb er sie in seinem Buch "Vernehmungsprotokolle" nieder, eine extrem lehrreiche Lektüre über das Machtinstrument Stasi-Haft.
"Zelleninformatoren" als Spitzel
Innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit war es die selbständige Abteilung XIV, die für die Gefängnisse verantwortlich zeichnete. Sie war direkt dem Minister für Staatssicherheit nachgeordnet. In den Bezirksverwaltungen waren es ebenfalls die Abteilungen XIV, denen die Gefängnisse unterstanden. Zuständig waren sie lediglich für den Betrieb und die Unterhaltung der Haftanstalten, die Unterbringung, Sicherung und Versorgung der Gefangenen, nicht aber für deren Vernehmungen, nicht für die Durchführung der Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten. Dafür waren die Hauptabteilung IX auf Ministeriumsebene und die Abteilungen IX zuständig, die Untersuchungsabteilung des MfS. Dort lag auch die Verantwortung für die inoffizielle Arbeit mit Untersuchungshäftlingen, das zum Teil systematische Abhören von Zellen und Besucherräumen sowie weitere „politisch-operative Maßnahmen“ gegenüber Inhaftierten.
Das Ausmaß der gegenseitigen Bespitzelung wurde bislang am intensivsten in Rostock erforscht. Dort wurden 292 in den Stasi-Akten nachweisbare Zelleninformatoren (ZI) gezählt, bei ca. 4.900 Inhaftierten in den Jahren 1960-1989.
Das bekannteste Stasi-Gefängnis, die Haftanstalt Bautzen II, diente dem MfS jedoch nicht als Untersuchungshaftanstalt, sondern als eine Snoderstrafvollzugsanstalt für politische Gefangene. Hier waren, wie in anderen Einrichtungen auch, psychischer Terror und Isolation der Häftlinge an der Tagesordnung. In dem früheren Gerichtsgefängnis in der Bautzener Innenstadt saßen politische Gefangene nach ihrer Verurteilung und verbüßten ihre Freiheitsstrafe. Bautzen II war Haftort für – in den Augen des MfS – besonders bedeutsame politische Gefangene sowie für Westdeutsche und andere Ausländer. Zuständig war hier formal die Verwaltung Strafvollzug des MdI der DDR. Tatsächlich liefen hier aber alle Fäden bei der Stasi zusammen, nicht aber bei der Abteilung XIV, sondern bei der Hauptabteilung IX.
Das Lager X - ein Arbeitslager für Strafgefangene
Es gab noch zwei weitere Ausnahmen für die Unterbringung von Strafgefangenen im Stasi-Untersuchungshaftsystem. In jeder MfS-Untersuchungshaftanstalt existierte ein sogenanntes Strafgefangenenarbeitskommando (SGAK), in welchem in der Regel zwischen zehn und 20 verurteilte Gefangene tätig waren. Und schließlich befand sich in Berlin-Hohenschönhausen, in unmittelbarer Nachbarschaft zur UHA I des MfS – der heutigen Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen –, von Anfang der 50er bis Mitte der 70er Jahre das sogenannte Lager X. Hier handelte es sich um ein geheimes Arbeitslager für Strafgefangene, die – ähnlich wie die Gefangenen in den Strafgefangenenarbeitskommandos in den UHA – Tätigkeiten in MfS-eigenen Werkstätten zu verrichten hatten. Im Lager X und in den SGAK befanden sich jedoch nicht nur politische Häftlinge. Die Gefangenen wurden hier primär nach beruflicher Qualifikation und – um allzu hohe Fluktuation zu vermeiden – nach der Höhe des Strafmaßes ausgewählt.
Die MfS-Untersuchungshaftanstalten in den Bezirken und auf Ebene des Ministeriums in Berlin ähnelten sich grundsätzlich. Zwar waren sie unterschiedlich groß, es gab alte, noch aus der Kaiserzeit stammende Gefängnisse und es gab in der DDR errichtete Neubauten, so beispielsweise in Rostock, Berlin-Hohenschönhausen, Frankfurt (Oder) und Neubrandenburg.
Manche Gefängnisse hatten besondere Aufgaben: In Karl-Marx-Stadt wurden alle Häftlinge in den letzten Tagen vor ihrem Freikauf in die Bundesrepublik konzentriert. In Neubrandenburg saßen besonders viele Gefangene, die selber Angehörige staatlicher Organe waren und der Militärgerichtsbarkeit unterstellt werden sollten. In der Berliner Magdalenenstraße, der UHA II des Ministeriums, wiederum fanden die Besuchstermine für sämtliche ausländischen Stasi-Gefangenen, die sogenannten Diplomatensprecher, statt.
Doch die Organisation der für die jeweiligen Haftanstalten zuständigen Abteilungen XIV glich sich weitgehend. Sie gliederten sich in sieben Referate: In den Referaten 1–4 („Sicherung und Kontrolle“) waren die sogenannten Schließer, die Wachposten für innen und außen tätig. Zahlenmäßig war das der größte Bereich; an die Mitarbeiter wurden keine allzu großen Anforderungen hinsichtlich Vor- bzw. Ausbildung gestellt. Ihnen oblag ein grundsätzliches Kommunikationsverbot mit den Inhaftierten. Tatsächlichen Kontakt mit den Häftlingen hatten die Mitarbeiter des Referates 5 („Operativer Vollzug“). Sie waren für die Aufnahme, Durchsuchung, Unterbringung und Verlegung von Gefangenen zuständig, außerdem auch für alle Vollzugsaufgaben im Bereich der Strafgefangenenarbeitskommandos.
Mitarbeiter dieses Referates war auch der Vorführoffizier, von den Gefangenen in der Regel als Läufer bezeichnet, der die Häftlinge in die Vernehmungszimmer der jeweiligen Abteilung IX führte. Das Wegesystem wurde so angelegt, dass Gefangene auf dem Weg zur Verhör nie einem Mitgefangenen begegneten, auch nicht beim Hofgang. In der Regel wurden in den Gefängnishöfen kleine ummauerte "Tigerkäfige" angelegt, in denen sich Häftlinge kurze Zeit isoliert an der frischen Luft bewegen durften. Außerdem gab es noch die Stasi-Referate 6 („Transport“) und 7 („Materielle Sicherstellung“) der Abteilung IX. Die Referate 5 und 7 unterstanden dem Abteilungsleiter, die anderen seinem Stellvertreter. In Neubrandenburg und Suhl gab es zusätzlich je ein Referat 8, das in Neubrandenburg für das dort besonders große Strafgefangenenarbeitskommando und in Suhl für den – letztlich erst nach 1989 bezogenen Neubau der Haftanstalt in Suhl-Goldlauter zuständig war. Die Abteilungen XIV in den Bezirken unterstanden der Befehlsgewalt und Weisungsbefugnis des jeweiligen Chefs der Stasi-Bezirksverwaltung. Die fachliche Anleitung und Kontrolle wiederum nahm die Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) der selbständigen Abteilung XIV des Ministeriums vor.
Auch IM in den Arbeitskommandos
MfS-intern genossen die Mitarbeiter der Abteilungen XIV nur wenig Ansehen, handelte es sich hier doch nicht um eine operative, geheimdienstlich tätige Diensteinheit. Erst Ende der 80er Jahre erhielten sie die offizielle Befugnis zum Führen eigener Inoffizieller Mitarbeiter (IM) unter den Strafgefangenen der jeweiligen Arbeitskommandos. Und auch bei der Kaderauswahl spiegelte sich der schlechte Ruf der Abteilungen XIV wider: Insbesondere die Wachschichten waren eine beliebte Erstverwendung für junge, neueingestellte Mitarbeiter. Wer sich unter entsprechender Beobachtung hier bewährte, gelangte meist recht schnell in andere Diensteinheiten. Andersherum fanden sich problematische Mitarbeiter, solche mit Alkoholproblemen oder Bildungsdefiziten in ihrer rückwärts gerichteten Karriere zum Schluss oft in den Wachschichten der Gefängnisse wieder.
Das Haftregime des MfS wurde von den Mitarbeitern der Abteilungen XIV geprägt. Will man allerdings die tatsächlichen Auswirkungen auf die Situation der Häftlinge erfassen, ist das nicht ohne die Einbeziehung der (Haupt-)Abteilungen IX, den Untersuchungsabteilungen des MfS, möglich. Dort wurden die wesentlichen Entscheidungen über die Gefangenen getroffen, die sich selbstverständlich auch direkt auf die Haftbedingungen der Gefangenen auswirkten. Aus Sicht der Gefangenen wiederum war es nicht wahrzunehmen, dass man es hier mit zwei sehr unterschiedlichen und mitunter auch sich misstrauisch begegnenden Diensteinheiten des MfS zu tun hatte. Für die Häftlinge war das MfS ein großer, monolithischer und übermächtiger feindlicher Apparat, der gerade durch die Existenz seiner Untersuchungsgefängnisse seinen Charakter als Geheimpolizei unterstrich.
Erst am 14. Dezember 1989 endete die Geschichte der Untersuchungshaftanstalten des MfS und deren zeitweiliger Nachfolgeinstitution AfNS (Amt für Nationale Sicherheit). Der DDR-Ministerrat beschloss auf Druck der demokratischen Bürgerbewegung und unter dem Einfluss des Zentralen Runden Tisches die Auflösung des AfNS und damit aller seiner Untersuchungsgefängnisse. Die Gefängnisabteilungen gingen in die Verwaltung des Ministeriums des Innern der DDR über. Einige der ehemaligen Haftanstalten wurden nach der deutschen Wiedervereinigung zu Gedenkstätten umgebaut. Einen Überblick gibt die Website www.orte-der-repression.de der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Studie über U-Haftanstalt Rostock
In Rostock wurde 2012 der Alltag in der dortigen MfS-Untersuchungshaftanstalt Rostock wissenschaftlich untersucht. Auch unterhalb der Schwelle körperlicher Gewalt übten in der Ära Honecker psychologisch geschulte Vernehmer in den Verhören enormen Druck aus. Sie behaupteten beispielsweise wahrheitswidrig, Mitbeschuldigte hätten bereits gestanden, die Indizien seien erdrückend oder die Zwangsadoption der Kinder drohe. So wurde das Geständnis der Beschuldigten erpresst und die Unschuldsvermutung ins Gegenteil verkehrt. Auch die Rolle der Zelleninformatoren wurde untersucht. Wurden sie zur Spitzeltätigkeit nicht eher gezwungen - und wie schnell "fielen" sie "um"? Die BStU-Broschüre von Jenny Schekahn und Dr. Tobias Wunschik gibt es Externer Link: hier zum Download . Bild- und Textreportagen über den Alltag in der Externer Link: Haftanstalt Bautzen hat der MDR online gestellt.
geb. 1967 in Halle (Saale), Studium in Göttingen und Berlin, Mitarbeit bei der Stasi-Auflösung und an der gesetzlichen Regelung des Zugangs zu den Stasi-Unterlagen. Freiberufliche Tätigkeit u.a. in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, in der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagen-Behörde, Redakteur der Aufarbeitungszeitschrift "Horch und Guck" und Studienleiter an der Evangelischen Akademie Thüringen. Lebt in Großkochberg (Thür.) als freiberuflicher Publizist und Projektkoordinator, seit 2015 Vorsitzender des Beirats zur Versöhnung und Aufarbeitung der Evang. Kirche in Mitteldeutschland. Für die BStU erstellte er 2004 die Publikation „MfS-Handbuch Haftvollzug“.
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