Kein einfacher Vergleich. Beide Geheimpolizeien agierten jenseits des Rechts und schüchterten ein. Die Radikalisierung der Gestapo war aber ungleich größer. Sie wurde zum Teil des nationalsozialistischen Vernichtungssystems.
Vorbemerkung – Historische Vergleiche
Der geheimpolizeiliche Staatsschutz – wie die Geheime Staatspolizei (Gestapo) im Nationalsozialismus und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, Stasi) in der DDR – hat in Diktaturen ähnliche Strukturen: Die Trennung von Nachrichtendienst und Polizei ist aufgehoben. Die Staatspolizei kann Observationen, Verhaftungen, strafprozessuale Ermittlung und eine eigene U-Haft verhängen. Die Monopolisierung von Entscheidungsmacht in Führungszirkeln, keine institutionelle Kontrolle und Revisionsmöglichkeit von außen sind ebenfalls Wesensmerkmale von Geheimpolizeien. Durch sie wird die unbegrenzte Reichweite des politischen Systems letzten Endes auf die Verfügungsgewalt über die Lebenschancen eines Einzelnen ausgeweitet.
Zum Verständnis des Agierens der Geheimpolizeien in unterschiedlichen diktatorischen Systemen müssen die einzelnen historischen Perioden für sich genau untersucht und in den gesellschaftspolitischen Kontext gestellt werden. Nur so können die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede festgestellt und daraus Handlungsanweisungen für heute gewonnen werden.
Zu den Untersuchungsgebieten gehören die historischen Zusammenhänge der Gründung, die Verzahnung der Geheimpolizeien mit anderen Staatsorganen, die Reaktionen der Gesellschaft auf deren Aktivitäten, ebenso die Beurteilung der Personalstrukturen sowie die ideologische Beschreibung der Gegner und deren Verfolgung durch die Geheimpolizeien. Auch die Aufklärung über die Staatsverbrechen nach dem Ende der diktatorischen Herrschaft ist für die rückwirkende Bewertung der Verfolgung von großer Bedeutung.
Gegner
Die Stasi hatte das Ziel, Gruppen von Dissidenten zu zersetzen und deren Mitglieder zu brechen. Vom MfS wurden zwischen 1952 und 1988 registriert 8.900 strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen "feindlich-negative" Personen angestrengt. Außerdem haben Ermittlungen des MfS in 3.700 Fluchtversuchen ("ungesetzliche Grenzübergriffen") stattgefunden. Seit Mitte der 1970er Jahre haben pro Jahr etwa 3.000 Menschen wegen politischer Delikte in Haft verbracht. Insgesamt bis zu 200.000 DDR-Bürger waren der politisch motivierten Strafverfolgung ausgesetzt. Eine Besonderheit der Opposition gegenüber der DDR-Diktatur war, dass die meisten den Staat reformieren, aber nicht grundsätzlich abschaffen wollten.
Die Anzahl der Todesopfer der DDR-Staatsgewalt ist schwierig zu beziffern, sie kann mit wenigen Tausend angegeben werden. An der Grenze zum Westen sind etwa 900 Personen erschossen worden.
Die Tätigkeit der Geheimen Staatspolizei war ebenfalls gegen die politischen Gegner gerichtet. In den ersten beiden Jahren wurden etwa 35.000 Menschen in von SA-, SS- und Gestapo-Haftanstalten gefoltert, hunderte von ihnen getötet. Mit dem Ende Februar 1933 wesentlich verschärften Instrument der "Schutzhaft" war es der Gestapo möglich, Gegner unbegrenzt in Konzentrationslager einzuweisen. Dies betraf zunächst die als staatsfeindlich angesehenen Parteien, seien es Kommunisten oder Sozialdemokraten sowie Gewerkschaftler, darüber hinaus von Beginn an aber auch Juden.
Im Unterschied zum MfS hatte sich die Gegnerdefinition im Nationalsozialismus rasch ausgedehnt. Im Rahmen der "völkischen Polizei" wurde die Gestapo auch für die "rassische Generalprävention" (Ulrich Herbert) zuständig. Ohne irgendeine Aktion getätigt zu haben, konnten Menschen zu "objektiven" Gegnern werden. Bis 1938 wurden Homosexuelle, Menschen die Arbeitslos waren, als Bettler über Land zogen, oder die mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, aber auch Zeugen Jehovas verfolgt und in Konzentrationslager (KZ) gesperrt. Deren Anzahl hat vor dem Zweiten Weltkrieg zeitgleich etwa 25.000 Personen betragen. Nach der "Kristallnacht" im November 1938 wurden zudem über 30.000 Juden für mehrere Wochen in KZ inhaftiert, um sie zur Ausreise zu drängen. Auch beim anschließenden Raub jüdischen Eigentums war die Gestapo intensiv beteiligt.
Gegnerbekämpfung im Zweiten Weltkrieg
Der bedeutendste Unterschied zwischen der Stasi und der Gestapo liegt in der Gewaltexplosion im zweiten Weltkrieg. Es ist schwer, eine genaue Zahl der Todesopfer zu beziffern, die auf Gestapo-Handeln zurückzuführen sind. Sicherlich kam eine mittlere einstellige Millionenzahl von Menschen durch den Terror der Gestapo ums Leben. Vor allem Slawen, Juden, politische Gegner in den besetzten Ländern, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter stellen die großen Gruppen der Opfer.
Im zweiten Weltkrieg war die Gestapo in die Besatzungsregime der von der Wehrmacht eroberten Gebiete eingebunden. Sie war für die Verfolgung von politischen Gegnern, Erschießungsaktionen, vor allem von Geiseln, den Mord an Juden in Gaswagen verantwortlich. Ein eigenes Referat in der Berliner Gestapo-Zentrale unter Adolf Eichmann ordnete die Deportationen in Gettos und Vernichtungslager an und organisierte deren Durchführung.
Auch im Deutschen Reich erhielt die Gestapo im Rahmen verschiedener Kriegssonderrechte größere Aufgabenbereiche und Vollmachten. Bis zu 20.000 Kranke, arbeitsunfähige aber auch jüdische Häftlinge aus den Konzentrationslagern wurden ab 1940 ausgesondert und im Rahmen der "Euthanasie" ermordet. Ab Herbst 1941 wurden politische Funktionäre der Roten Armee, die sich in Kriegsgefangenlagern im Deutschen Reich gefangengesessen hatten, unter Mitwirkung von Gestapo-Beamten zu zehntausenden zur Ermordung in Konzentrationslagern überstellt.
Die Gegenwart von Millionen von Zwangsarbeiterinnen und Arbeiters in Deutschland im Laufe des zweiten Weltkriegs brachte wiederum neue Aufgaben für die Gestapo mit sich. Mit der Gründung von 29 Arbeitserziehungslagern und anderen Haftstätten im Machtbereich der Gestapo sollten vor allem Polen und Menschen aus der besetzen Sowjetunion diszipliniert werden. Darüber hinaus wurden Beziehungen von ihnen mit Deutschen verfolgt und drakonisch bestraft, bis hin zu Todesurteilen.
Zu Kriegsende wurde die Befehlsgewalt dezentralisiert und die einzelnen Leitstellen der Gestapo erhielten weitgehende Vollmachten, selbst über Verfolgungsmaßnahmen zu entscheiden. Gerade die ohne zentrale Koordination begangenen Kriegsendverbrechen macht deutlich, wie sehr die Gestapo und andere Polizei- und Armeeeinheiten den Massenmord als zulässig akzeptiert hatten.
Die Nationalsozialistische Partei (NSDAP) hatte Anfang 1933 die Regierungsmacht im Deutschen Reich übernehmen können. Die Nationalsozialisten hatten von Anfang an beabsichtigt, diese Macht zukünftig mit diktatorischen Mittel zu sichern. Die ab Frühjahr 1933 neu geschaffene Geheime Staatspolizei (Gestapo) war für die Umsetzung eine zentrale Behörde. Allerdings war es zu Beginn unklar, ob und wie dieses Ziel erreicht werden kann.
Zur Zeit der Gründung der DDR 1949 waren durch die Sowjetische Besatzungsmacht die Herrschaftsverhältnisse eindeutig geklärt. Zudem war der Justizapparat bereits in den Jahren 1947/48 gleichgeschaltet worden. Daher ist das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, Stasi) im Februar 1950 in einer gesellschaftspolitischen Situation gegründet, in der die Herrschaftssicherung der DDR-Diktatur vollzogen war.
Struktur von Gestapo und MfS
Gemeinsam war beiden Geheimpolizeien die Loslösung von rechtlichen Bindungen. Sie waren entweder eine Führer- (Nationalsozialismus) oder eine Parteiexekutive (DDR). Die Stasi als "Schild und Schwert der Partei" war der SED-Führung unterworfen. Als Organ des Ministerrats war das MfS dem Politbüro, letztlich dem Generalsekretär des Zentralkomitees der SED rechenschaftspflichtig. Die Stasi war darüber hinaus für Post- und Telefongeheimnis als auch die Überwachung der Grenzen und der Ausreisen zuständig. Für den Fall eines Notstandes wurden ihr auch militärische Führungsgewalt zugestanden. Ende der 1980er Jahre wurden noch Pläne entwickelt, nach denen 13.000 Personen in diesem Konfliktfall in Interner Link: Isolierungslagern inhaftiert werden sollten. Die Stasi hatte in der Überwachung aller Leitungsfunktionen, der Mitwirkung bei der Kaderauslese und der präventiven Gesinnungs- und Sozialkontrolle eine wichtige Rolle für die Kaderschmiede in der DDR.
Die Kontrolle und Steuerung von Seiten des MfS wurde durch hauptamtliche "Offiziere im besonderen Einsatz" sowie durch angeworbene und vertraglich verpflichtete "Informelle Mitarbeiter" bewerkstelligt. 1989 verfügte sie über 60 Diensteinheiten, bis hin zum Sportverein Dynamo. Es war in der Bevölkerung wenig verankert und konnte auch auf keine umfängliche Kollaboration der Bevölkerung hoffen. Das MfS war für sich von anderen staatlichen Exekutivorganen abgegrenzt. Auch hatte es nie eine Zugriffsmöglichkeit auf die Volkspolizei, die formal dem Innenministerium unterstand.
In den gut zwölf Jahren ihres Bestehens war die Gestapo Bestandteil eines außerordentlich dynamischen Terrorapparates. Am Anfang der NS-Zeit haben die staatliche Geheimpolizei und der Sicherheitsdienst (SD) als parteieigener Nachrichtendienst der SS nebeneinander gearbeitet. Erstere war für die exekutiven Maßnahmen zuständig, letzterer für die nachrichtendienstliche Aufklärung. Der Verschmelzungsprozess der beiden Institutionen war spätestens 1936 vollzogen. Um die Überwachung weiter zu intensivieren wurden die Kriminalpolizei und Geheime Staatspolizei zur Sicherheitspolizei zusammengefasst und gemeinsam mit der Ordnungspolizei dem Oberbefehl von Heinrich Himmler unterstellt, der zugleich auch Führer der SS war. Einher mit diesen Umstrukturierungen wurden die Möglichkeit von außen, etwa durch Verwaltungsgerichte, auf die Maßnahmen der Gestapo einzuwirken, endgültig abgeschafft.
Dank der Kollaboration und des Verrats von Seiten der Bevölkerung, die in hohem Maße erfolgt ist, konnte die Gestapo ihre Wirkung erreichen.
Bezeichnend für die unterschiedlichen Aktivitäten der beiden Geheimdienste ist zudem ihr Verhältnis zur Bevölkerung. Der NS-Staat hat nach der raschen Ausschaltung der politischen Opposition sehr starke Tendenzen einer selbstüberwachenden Denunziationsgesellschaft. Die DDR ist gekennzeichnet durch eine formalisierte Fremdüberwachung mit Hilfe eines flächendeckenden Netzes von Spitzeln, den inoffiziellen Mitarbeitern (IM).
Entwicklung
Bei der Staatssicherheit der DDR kam es in den knapp vier Jahrzehnten ihres Bestehens zu einer Scheinliberalisierung der Maßnahmen. Zunehmende interne Normierungen und Verrechtlichungen grenzten den Handlungsspielraum ein. Auch die dank verbesserter Technik immer umfassendere flächendeckende Überwachung verringerte die Bedeutung von reinen Terrormaßnahmen. Zudem hat der Systemkonflikt, die Entwicklung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und die diplomatische Rücksichtnahme von Regierungsseite dazu beigetragen, dass offensichtlicher Terror gegenüber Einzelnen immer unangebrachter erschien. Das MfS hat keine maßlosen Gewaltverbrechen verübt. Eher im Gegenteil kam es durch die zunehmende Informationsflut an die Grenzen der Effizienz seiner Überwachungsmaßnahmen.
Die Gestapo hat sich im Laufe ihres Bestehens in ihren Aktionen im deutschen Reich bis zum Zweiten Weltkrieg immer weiter radikalisiert.
Durch die Schaffung der Posten der "Befehlshaber (oder Kommandeure) der Sicherheitspolizei" hatte die Gestapo gute Durchgriffmöglichkeiten auf die anderen Verfolgungsbehörden in den besetzten Ländern. Dies führte zu einer "kumulativen Radikalisierung" (Hans Mommsen), die nur mit Eigeninitiative vor Ort und der Mithilfe von anderen deutschen und einheimischen Institutionen funktionieren konnte. Im Laufe des Krieges, mit der stärkeren Beteiligung an der Ermordung der europäischen Juden und dem ideologisch bedingten besonders brutalen Vorgehen in der Sowjetunion war die Gestapo auf die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht, gerade dem Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos, als auch der Geheimen Feldpolizei angewiesen. Bataillone der Ordnungspolizei mussten mitwirken, um Erschießung von etwa zwei Millionen Menschen, zumeist Juden, durchführen zu können. Mit diesen "Einsatzgruppen", bereits 1939 im besetzten Polen, ab Sommer 1941 in der Sowjetunion, hat eine enorme Radikalisierung der geheimpolizeilichen Behörde stattgefunden, die auch bei den einzelnen Beamten Spuren hinterließ.
Im Rahmen der polizeilichen Generalprävention nahm der Aktionsrahmen der Gestapo nochmals enorm zu. Neben den rassistischen Verbrechen gegen Juden, auch gegenüber Sinti und Roma – wofür der Kriminalpolizeiliche Zweig der Sicherheitspolizei hauptverantwortlich war – wurde im Zusammenhang mit dem Krieg eine SS- und Polizeigerichtsbarkeit neu eingeführt, der ab 1940 auch alle Gestapobeamte unterlagen. Nachdem der Einsatz von ausländischen Arbeitskräften in der Rüstungsindustrie immer wichtiger wurde und man sich aus NS-Sicht den Feind ins eigene Land holen musste, wurde deren Überwachung durch die Gestapo von immer größerer Bedeutung.
Auch wurden die Institutionen, die der Gestapo zuarbeitenden im Zweiten Weltkrieg immer umfangreicher. Nicht nur die Waffen-SS, sondern auch die dem Innenministerium unterstehende Feuerwehr und das „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“, das die antijüdische und antislawische Politik ankurbelte, arbeiteten mit der Gestapo zusammen.
Personal
Ein Unterschied zwischen der Geheimen Staatspolizei und dem Ministerium für Staatssicherheit bestand in der Auswahl und Anzahl des Personals.
Das Personal der Gestapo rekrutierte sich zunächst aus Polizeibeamten der Weimarer Republik. Es handelte sich um ausgebildete Kriminalisten, die der Mittelschicht entstammten. In Preußen, dem größten Staat Deutschlands, wurden im Jahr 1933 2.668 von 85.000 Polizeibeamten aus politischen Gründen entlassen, was einer Quote von etwa 3 Prozent entsprach.
Nur 25 Prozent der Gestapomitarbeiter waren bis zum Zweiten Weltkrieg NSDAP-Mitglieder. Es wird die Zahl von 3.000 Gestapo-Beamten angegeben, die in der gesamten NS-Zeit auch SS-Mitglieder waren. Dies war eine Minderheit, die allerdings in den Führungspositionen stark vertreten war.
Die Gestapo hatte 1935 – bis hin zu den Schreibkräften – weniger als 4.000 Mitarbeitende. Im Jahr 1942 waren in den zentralen Berliner Dienststellen etwa 3.300 Personen beschäftigt. Für Februar 1944 kann die Zahl von 31.400 Tätigen im Deutschen Reich und den besetzen Gebieten errechnet werden. Wenn man die Kriminalbeamten und die Männer des Sicherheitsdienstes der SS hinzurechnet, kommt man auf knapp über 50.000 Personen.
Der Überwachungsgrad im Deutschen Reich dürfte er bei 1:10.000 gelegen haben. Mit der Abordnung zahlreicher Beamter in die während des Zweiten Weltkriegs besetzen Gebiete wurde dieser Personalschlüssel weiter überdehnt. Mit dem zunehmenden Personalbedarf ab 1939 änderte sich die Behördenidentität der Gestapo. Durch radikale Quereinsteiger ohne polizeiliche Ausbildung forciert sich die weltanschauliche Radikalität und schaffte ein neues Klima in den Staatspolizei-Stellen, in denen eine Dequalifizierung des Personals mit einer Radikalisierung der Maßnahmen einherging.
In der DDR wurden die Stasi-Mitarbeiter nach ihrer als proletarisch bezeichneten Herkunft und ihrer staatsergebenen politischen Überzeugung ausgewählt. In der Regel hatten sie bei Dienstantritt keine polizeilichen Kenntnisse. Zu Entstehungsbeginn kam ein Stasi-Mitarbeiter etwa auf 10.000 DDR-Bürger. Die Anzahl der Angestellten im MfS nahm im Laufe der Zeit enorm zu: Vor allem durch den Ausbau in den 1970er und 1980er Jahren waren über 91.000 Personen hauptamtlich beschäftigt. Bei einer Gesamtbevölkerung in der DDR von etwa 16,4 Millionen kam statistisch ein Mitarbeiter auf 180 Staatsbürger.
Das wichtigste Überwachungsinstrument der Stasi war die Verpflichtung „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM). Anfang der 1970er Staaten stieg deren Zahl enorm an. Bis 1989 werden in den Statistiken bis zu 200.000 Personen pro Jahr angegeben. Somit waren alle Bereiche des Lebens in der DDR mit einer Quote von einem IM auf weniger als 70 Staatsbürger überwacht.
Aufarbeitung
Der zweite Weltkrieg wurde durch die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches von außen beendet. In Ostdeutschland wähnte man sich von Staats wegen vor einer Widererstarkung eines faschistischen Regimes sicher. Kommunistische Widerstandkämpfer wurden gesellschaftlich hofiert. Die übrigen Gruppen von NS-Verfolgen gerieten in Vergessenheit und wurden teilweise weiter diskriminiert. In Westdeutschland wurde die Ermordung der europäischen Juden von Beginn an als Staatsverbrechen von Regierung und Medien benannt.
Das Bekenntnis zu diesen Verbrechen von Seiten der Bundesrepublik war für die Wiederaufnahme in die internationale Völkergemeinschaft unabdingbar. Antikommunismus und vielfältige Vorurteile gegenüber den übrigen NS-Verfolgten herrschten jedoch fort. Erst fast vier Jahrzehnte später entwickelte sich in Westdeutschland ein „negatives Gedächtnis“ (Reinhard Kosseleck), das zur langsamen gesellschaftlichen Anerkennung aller Gruppen der NS-Opfer und später zur selbstkritischen Hinterfragung nach der Täterschaft und Mitwirkung in der NS-Zeit führte.
Mit dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten wurde die westdeutsche Erinnerungskultur das Modell für die Aufarbeitung der NS-Zeit auch in den neuen Bundesländern. Zugleich wurde in den neuen Bundesländern über die Strukturen der Staatssicherheit und der SED-Nomenklatura intensiv geforscht. Die öffentliche Brandmarkungen von Stasi-IM, vor allem wegen der Niedertracht des zwischenmenschlichen Verrats, stand dabei im Zentrum. Es wurden Institutionen zur Aufarbeitung und Förderung von gesellschaftlichen Institutionen im Umgang mit der DDR-Diktatur gegründet: als größte die Behörde des Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Im Allgemeinen ist im Vergleich der Aufarbeitungen der NS- und der DDR-Diktatur festzustellen, dass hinsichtlich des Nationalsozialismus in den 1980er Jahren umfassender gesellschaftlicher Diskurs über die Vernachlässigung der Opfer auf der einen Seite und die Mitwirkung in vielen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen sowie den gesellschaftlich und individuell Grauzonen der Verantwortung an den NS-Verbrechen auf der anderen Seite begonnen hat.
Die Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur hat unmittelbar nach deren Ende begonnen. Sie ist konzentriert auf die Dichotomie zwischen DDR-Nomenklatura als Täter und Oppositionellen als Opfer. Gerade die Befassung mit den gesellschaftspolitischen Implikationen der Diktatur, die hinsichtlich der NS-Zeit mit dem Impetus der kritischen Selbstreflexion der eigenen Gesellschaft untersucht werden, fehlt hinsichtlich der DDR.
Fazit
Eine streng quantifizierbare Gegenüberstellung beider Geheimpolizeien aus der NS- und DDR-Diktatur erweist sich als nicht durchführbar. Während man es in der Entwicklung der Gestapo mit einer kumulativen Entgrenzungsdynamik und zunehmender Eskalation der Gewalt zu tun hat, ist in der DDR die Geheimpolizeiaktivität durch eine sukzessive Begrenzung gekennzeichnet (Jens Gieseke).
Den Menschheitsverbrechen der Gestapo, mit Millionen Toten, zum überwiegenden Teil von Ausländern, steht im Vergleich bei dem Ministerium für Staatssicherheit die massenhaft Überwachung der eigenen Gesellschaft als Wesensmerkmal gegenüber. In der DDR-Diktatur war das Sanktionspotential gegenüber dem "inneren Feind" wegen Rücksicht auf den Westen, abnehmend. Nur so war die ideologische und politische Koexistenz möglich.
Weiterführende Literatur:
Dams, Carsten, Michael Stolle: Die Gestapo. Herrschaft und Terror im Dritten Reich, München 2012 (3)
Gieseke, Jens: Die Stasi 1945 – 1990, München 2012 (3)
Paul, Gerhard, Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Die Gestapo. Mythos und Realität, Darmstadt 1995
Paul, Gerhard, Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. "Heimatfront" und besetztes Europa, Darmstadt 2000
Dr. Thomas Lutz ist Politikwissenschaftler und Leiter des Gedenkstättenreferats der Stiftung Topographie des Terrors. Zudem ist er Autor zahlreicher Fachaufsätze über die Entstehungsbedingungen von demokratischen Gesellschaften nach dem Ende von Diktaturen und die Erinnerungskultur, u.a. Argentinien, Ruanda, Südafrika, Südkorea und den Neuen Bundesländern.
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