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Erben der DDR-Bürgerbewegung? | Stasi | bpb.de

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Erben der DDR-Bürgerbewegung?

Corinna Haas

/ 10 Minuten zu lesen

Weltweit gründen Bürgerinitiativen "Snowden-Archive". Sie halten Geheimdienstdokumente, die der Whistleblower Edward Snowden öffentlich gemacht hat, zugänglich. Stasi-Besetzer der Gegenwart?

Viele einstige Besetzer der Stasi-Dienststellen arbeiten seit dem Ende der DDR in der Aufarbeitung, sei es in Gedenkstätten, Forschungseinrichtungen, Museumsvereinen oder anderen Institutionen mit historischem Aufklärungsanspruch, darunter der Berliner Havemann-Gesellschaft, der Runden Ecke Leipzig oder der Erfurter Bildungsstätte Andreasstraße. Andere arbeiten nicht nur an ihren 'alten' Themen, sondern sind ihrem Engagement aus dem Herbst 1989 auf vielfältige Weise gegenwartsbezogen treu geblieben. Sie beschäftigen sich in Bürgerinitiativen oder kleinen politischen Netzwerken auch weiterhin öffentlich mit Fragen, wie: Welche Bürgerrechte haben Bürger, wie weit darf Überwachung gehen, wie offen muss ein Staat oder Geheimdienst über seine Arbeit Auskunft geben? Mit ihren Forderungen und Fragestellungen aus dem Jahr 1990 haben die einstigen DDR-Bürgerrechtler aber auch Nachahmer in der Gegenwart inspiriert. Zu ihnen zählen die Initiatorinnen und Initiatoren von "Snowden-Archiv-Initiativen", die seit 2013 entstanden sind. Ihr Ziel: Geheimdienstakten, die der 1983 geborene US-Amerikaner Edward Snowden 2013 als "Whistleblower" publik werden ließ, öffentlich zugänglich und verständlich zu machen.

Beim ersten Treffen der Snowden-Archiv-Initiativen unter dem Dach der Berliner Online-Kulturveranstaltung "Transmediale" im Februar 2016. (© Andi Weiland und Norman Posselt)

Kurz nach der ersten Welle seiner Enthüllungen im Sommer 2013 regten sich erste Initiativen zur Archivierung der geleakten Geheimdienst-Dokumente. Worüber viele zuvor nur gemutmaßt hatten, wird aus ihrer Sicht auf die enthüllten Dokumente augenscheinlich: Dass sich Alltag quasi unter dem Mikroskop von Geheimdiensten abspielt – mit weitreichenden Risiken für Freiheit und Demokratie.

Gemäß ihrem Selbstverständnis wollen die Snowden-Archiv-Initiativen diese Praxis nicht passiv hinnehmen: Geleakte Dokumente zu archivieren, ist für sie zu einer Form des Widerstands gegen eine demokratische Schieflage geworden – gegen Geheimdienste, die aus ihrer Sicht ohne ausreichende öffentliche Kontrolle handeln. Sie sehen die Gefahr eines "digitalen Totalitarismus" oder auch "digitalen Stalinismus", der öffentlich unkontrollierbar wird. Als Form des Widerstandes gegen Massenüberwachung durch Geheimdienste betrachten sie es, deren Vorgehen öffentlich zu machen – und die Dokumente, die davon zeugen zu archivieren. Dieser Vorsatz weist Parallelen auf zum Engagement jener DDR-Bürgerrechtler, die 1990 dafür Sorge trugen, die Stasi-Akten öffentlich-zugänglich zu sichern - sie leisteten damals DDR-weit eine wagemutige Pionierarbeit. Heute arbeiten ihre "Erben" weltweit verteilt.

Internationales Netzwerk

Anfangs noch ohne voneinander zu wissen, begannen die Online-Aktivisten im Jahr 2013 in Toronto, New York, London und Berlin digitale Snowden-Archive aufzubauen. Seitdem versuchen sie, die bislang geleakten Dokumente zusammenzuführen, um einem Missstand entgegenzutreten, der durch die Art der bisherigen Veröffentlichungen entstanden ist: Edward Snowden vertraute seine NSA-Dokumente nur einer Handvoll Journalisten an, die sie dann stückweise über einige wenige Medien lancierten. Nicht immer wurden dabei Quellen offen gelegt und zugänglich gemacht. So kennen wir oft nur das journalistische Substrat der Dokumente, aber nicht sie selbst. Zudem sind sie über verschiedene Plattformen verstreut und damit schwer zu finden. Hinzu kommt ihr ungesicherter Status: Niemand hat sich bisher um die Sicherung und Langzeitverfügbarkeit der Snowden-Files gekümmert. Denn selbst Dinge, die Google heute noch findet, können schon morgen wieder aus dem Netz verschwunden sein.

Whistleblower-Ikone der Gegenwart: Der US-Amerikaner Edward Snowden, der im Sommer 2013 nach seinen Enthüllungen aufgrund einer Strafanzeige gegen ihn wegen Diebstahl von Regierungseigentum und Spionage nach Russland floh. (© Robert Gent/shoutoutuk.org)

Die Archiv-Initiativen haben, wie der Medientheoretiker Geert Lovink konstatiert, die politische und zeitgeschichtliche Bedeutung der Snowden-Enthüllungen erkannt. Sie wollen die geleakten Dokumente für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich machen, sichern und so aufbereiten, dass sie mit all ihren Implikationen für ein breites Publikum verständlich werden. Journalisten, Akteure der politischen Bildung, Wissenschaftler, Aktivisten, Bürgerinitiativen, Anwälte und andere Gruppen sollen in den Dokumenten stöbern und damit arbeiten können. Nicht zuletzt werden solche Archive für die Zukunft eingerichtet – zur Sicherung historischer Belege.

Um die genannten Missstände zu beheben, haben sich die Initiativen traditionelle Aufgaben von Archivaren und Bibliothekaren zu eigen gemacht: Quellen und publiziertes Material zu sammeln, zu erschließen, zu vermitteln und zu bewahren. Sie führen die verstreuten Dokumente zusammen und verknüpfen sie mit Sekundärquellen, wie z. B. Medienberichten. Sie entwickeln Kategorien, nach denen sie die Dokumente klassifizieren und indexieren, und machen sie mit verschiedenen Such- und Filteroptionen recherchier- und durchsuchbar. Um den Benutzern der Archive den Zugang zu erleichtern, legen sie Glossare und User Guides an. Zur Sicherung der Archive werden Mirror-Sites aufgesetzt und je nach Möglichkeit Offlineversionen gepflegt.

Öffentliche Datenbänke für geheime Dokumente

Obwohl alle Archiv-Initiativen ähnliche Ziele verfolgen, sind sie sie in ganz unterschiedlichen Kontexten und aus unterschiedlichen Interessen entstanden. Das Archiv "Snowden Document Search" (Externer Link: https://search.edwardsnowden.com) etwa wird als umfassende Datenbank der Snowden-Dokumente von der "Courage Foundation" betrieben – einer internationalen Stiftung, die sich der legalen und medialen Vertretung von Whistleblowern angenommen hat. Courage-Foundation-Mitarbeiterin Naomi Colvin hat das Archiv gemeinsam mit dem Programmierer und Aktivisten M.C. MacGrath aufgesetzt. Die Plattform pflegt laufend eine Liste der Enthüllungen und ermöglicht ihren Usern, die Dokumente mit Hilfe verschiedener Filteroptionen zu erkunden.

Maria Xynou vom Projekt Surveillance without borders (© Andi Weiland und Norman Posselt)

Maria Xynou, eine Mitarbeiterin der Non-Profit-Organisation "Tactical Technology Collcetive", lancierte ein weiteres Projekt: "Surveillance Without Borders" (Externer Link: https://github.com/surveillance-without-borders). Sie zeigt plastisch, wie man solch ein Archiv nutzen kann. Auf Grundlage der Snowden-Dokumente illustriert ihr Projekt, wie Überwachung weltweit funktioniert: Anhand von Global-Data-Maps wird visualisiert, welche Art der Überwachung jeweils für welches Land spezifisch ist.

Das "Snowden Digital Surveillance Archive" (Externer Link: https://snowdenarchive.cjfe.org/greenstone/cgi-bin/library.cgi) wiederum ist in Universitäts- und Journalistenkreisen in Kanada ins Leben gerufen worden. Sein Initiator Andrew Clement, Professor emeritus an der Universität Toronto, forscht als Informationswissenschaftler seit mehr als drei Dekaden zum Thema Überwachung und kann neben seinem Kollegen David Lyon zu den Begründern der Surveillance Studies gezählt werden.Das Archiv wurde in Kooperation mit dem Verband "Canadian Journalists for Free Expression" (CJFE) gegründet, der es auch hostet. Alle veröffentlichten Snowden-Dokumente werden dort laufend eingepflegt und nach verschiedenen Suchkategorien erschlossen. Ein Glossar erleichtert das Lesen der Dokumente. Es gibt mittlerweile auch eine Offline-Version davon, das "Snowden Archive-in-a-Box" (Externer Link: https://snowdenarchive.cjfe.org/greenstone/collect/snowden1/portablearchive.html). Entwickelt hat es der kanadische IT-Spezialist Evan Light im Rahmen eines Post-Doctoral Fellowships an der Concordia University (Montreal). Seine Box bietet geschützten, da anonymen Zugang zu den Snowden-Dokumenten.

Ein weitere Initiative mit ähnlichen Ansprüchen ist "Cryptome.org" (Externer Link: http://cryptome.org/), eine Plattform die sich für uneingeschränkte Meinungs-und Informationsfreiheit einsetzt. Das Projekt gilt als Vorläufer von WikiLeaks und somit als die "Mutter" der digitalen Leaking-Plattformen. John Young und Deborah Natsios, zwei Architekten aus New York, betreiben Cryptome.org seit mehr als 25 Jahren in ihrer Freizeit. Sie sind digitale Aktivisten der ersten Stunde mit einem starken Fokus auf Transparenz-Forderungen im Hinblick auf Geheimdienste. Anders als die anderen Archiv-Initiativen verstehen sie sich nicht nur als Sammler, Aufbewahrer und Vermittler, sondern fordern auch vehement den offenen Zugang zu dem gesamten Fundus der von Snowden geleakten Dokumente. Gegenwärtig, im Sommer 2016, sind schätzungsweise nur 10 Prozent des Materialbestands veröffentlicht worden.

Veröffentlicht wurde hier auch die Software "The Tally Update". Sie bietet zwar keine Suchfunktion, dafür aber eine besondere Systematik zur Erschließung von Snowden-Dokumente. Sie werden chronologisch nach Medien, und damit nach Veröffentlichungsorten, geordnet. Verglichen mit den anderen, bietet dieses Archiv wahrscheinlich die schnellste Erfassung von Dokumenten und damit auch die authentischsten Akten. Denn es ist davon auszugehen, dass Dokumente, selbst wenn sie als Quelle einmal veröffentlicht worden sind, machmal im Nachhinein "redacted", also geschwärzt, und dann erneut als Quelle hochgeladen werden. Darüber hinaus bietet "The Tally Update" eine Reihe von vermittelnden Features: Wie lange wird es dauern bis alle Snowden-Dokumente verfügbar sind? Welches Alter werden alle Beteiligten dann haben? Zu solchen Fragen erstellen John Young und Deborah Natsios Informationsgrafiken.

Lektüre mit Überwachungsrisiko?

Alle Archiv-Initiativen sind bemüht, heterogene Dokumente zusammenzuführen und so aufzubereiten, dass Nutzer Zugang dazu haben und sie verstehen können. Teilweise besteht noch technischer Entwicklungs- oder Änderungsbedarf. Da alle Archive außer "Snowden Archive-in-a-Box" online sind, teilen sie vor allem ein Sicherheitsproblem: Es ist nicht möglich, ohne Überwachungsrisiko auf sie zuzugreifen. Ein wichtiges Desiderat ist daher die Entwicklung von User Guides mit Sicherheitstipps, sowie alternativer Zugänge, offline oder auch über gedrucktes Material. Sämtliche Initiativen eint auch das Unbehagen, weder belastbare Kriterien für die Authentizität von Dokumenten zu haben – was an der Art ihrer Veröffentlichung liegt – noch ein Gefühl für die Sammlung als Ganzes. Zu viele Dokumente fehlen noch - im Unterschied zum mittlerweile gut erschlossenen Stasi-Unterlagen-Archiv.

Doch anhand mehrerer Tausend Dokumente bereits veröffentlichter Dokumente lässt sich bereits ein Bild davon machen, wie das vollständige Snowden-Archiv in mehreren Jahren aussehen könnte. Die Dokumente sind sehr heterogen; sie enthalten Präsentationsfolien, gekritzelte Graphiken, Listen, Texte und andere Unterlagen. Sie wimmeln von unverständlichen Begriffen und Abkürzungen. Namen von Unternehmen, die für die NSA arbeiten sind codiert. Um ein Verständnis für diese Materialien zu entwickeln, braucht es neben Suchwerkzeugen eine Recherche- und Lesestrategie. Aber welche ist die richtige?

Professor Andrew Clement vom Digital Surveillance Archive

Professor Andrew Clement von der Universität Toronto empfiehlt einen punktuellen Einstieg: früher oder später gerate man an ein Dokument, dass einen fasziniere, könne dann mit Hilfe des Glossars Codes entschlüsseln und sich nach und nach intensiver mit den Dokumenten beschäftigen (Externer Link: https://vimeo.com/155383767).

Zu einer breit angelegten Recherche rät wiederum die britische Journalistin und führende Mitarbeiterin von WikiLeaks, Sarah Harrison. Statt zunächst nach spezifischen Themen zu suchen, also "Text Mining" zu betreiben, sollte man ein Gespür dafür entwickeln, mit was für Materialien man es zu tun hat. Es kann sich um interne Kommunikation oder Korrespondenz mit Geschäftspartnern handeln, also um Nebenprodukte der täglichen Vorgänge und Operationen. Sie sollten als Updates oder Vorgängerpapiere zu anderen Dokumenten gesehen werden, tragen also episodischen Charakter und sind immer Teil einer Abfolge von Dokumenten. Ihnen liegt viel implizites Wissen zu Grunde, d. h. beim Adressaten wird Vorwissen voraus gesetzt. Man sollte also um ein Thema, das einen besonders interessiert breit "herumlesen", um mit seinem dokumentarischen Kontext so vertraut wie möglich zu werden.

Ziel publikumsfreundliche und ideologiefreie Archivierung

Wichtig sei auch, so Harrison, eine kritische Distanz zu wahren – viele Darstellungen entsprächen vermutlich einer bestimmten, vorherrschenden Sichtweise der Beteiligten. Es empfehle sich, auf der Hut vor ideologisch gefärbten Darstellungen zu sein – dazu zählten Euphemismen, Klischees und das Umschiffen oder auch Weglassen umstrittener Fragen. Um ein bestimmtes Dokument genau zu lesen, müsse man auf die Metadaten achten, also darauf, was das Dokument über sich selbst erzählt (wie z.B. das Datum seiner Veröffentlichung). Harrison bezieht diese Hinweise zwar auf einen anderen Aktenkorpus, nämlich die "Public Library of US Diplomacy" (PlusD), doch sind sie auch auf das Studium der Snowden-Dokumente hilfreich. Vielleicht werden die Initiatoren der Snowden-Archive ähnliche Hinweise in ihre User-Guides aufnehmen.

Solche Bemühungen zur Erschließung sind der Schlüssel für den Erfolg der Archive. Denn was ist eine wichtige, ja, historische Ressource wert, wenn sie sich einem breiten Zugang versperrt? Auf Experten kann man die Arbeit hier nicht abwälzen. Dann müsste man die Angelegenheit an die Geheimdienste delegieren – nur sie verstehen die Sprache, die in den Dokumenten zum Einsatz kommt und wissen genau, wovon dort jeweils die Rede ist. Also muss man die Archive einem breiteren Kreis von zivilgesellschaftlichen Akteuren gewissermaßen "publikumsfreundlich" öffnen und entsprechend aufbereiten.

Selbst entwickelte Erschließungsmethoden und Suchwerkzeuge tragen dazu bei, die Snowden-Archive userfreundlich zu gestalten. Indices und Metadaten etwa erleichtern den Einstieg. Außerdem werden Originaldokumente mit sie betreffenden Nachrichten und Medienberichten verlinkt. Ein Glossar, das z. B. die Codenamen von Unternehmen entschlüsselt sowie umfassende Suchmöglichkeiten helfen, staatliche Überwachungsprogramme in ihrer ganzen Tragweite besser zu verstehen. Denn die Archive richten sich an Forscher und Journalisten, aber auch an eine breite Öffentlichkeit.

Teil des "Commons", des Gemeinguts werden

Das bereits erwähnte "Snowden Archive-in-a-Box" will besonders userfreundlich sein. Als Offline-Archiv soll es sicheren Zugang ohne Überwachungsrisiko gewährleisten. Außerdem lässt sich die Box fast überall installieren und an verschiedenen Orten einsetzen. Das Archiv ist auf einem Minicomputer (Rasberry Pi) gespeichert und kostengünstig reproduzierbar. Alles zusammen – Recherchefeatures, Offlinezugang und Mobilität – ermöglichen es laut seinem Entwickler, dem IT-Experten Dr. Evan Light, das Archiv aus den Aktivisten- und Expertenkreisen in eine breitere Öffentlichkeit zu bringen.

Der Entwickler des Snowden Archive-in-a-Box, Dr. Evan Light.

Es kann in Ausstellungen, Schulen und Institutionen der politischen Bildung eingesetzt werden und in öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken Platz finden. So könnte es, hofft sein Entwickler, Eingang in die Popkultur finden und zum "Commons", zum Gemeingut werden, so wie es vor 26 Jahren durch Bürgerengagement die Stasi-Akten geworden sind.

Die Zugänglichkeit für das Publikum soll auch durch visuelle Mittel verbessert werden, wie etwa die interaktiven Karten, die auf der Seite des Projekts "Surveillance Without Borders" weltweite Überwachung zeigen. Interessant ist aber besonders auch die Organisation des Materials. "Surveillance Without Borders" klassifiziert die Dokumente anhand von Personengruppen, die Objekte oder Akteure von Überwachung sind, und leitet daraus sechs Kategorien ab: "Führende Politiker", "Unternehmen", "Zusammenarbeit von Unternehmen und Geheimdiensten", "Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten weltweit", "Massenüberwachung von Bürgern" und "gezielte Überwachung von Bürgern" bzw. einzelner Gruppen oder Personen.

Alle Dokumente sind diesen sechs Kategorien zugeordnet und darüber hinaus nach Ländern erschlossen. So lässt sich gezielt nach Objekten und Akteuren von Überwachung in bestimmten Ländern oder Regionen suchen. Dieser Ansatz macht Personengruppen, Länder und Überwachungsprozesse sichtbar und bietet so einen lokalen Einstieg und die Möglichkeit, auf lokaler Ebene aktiv zu werden. Dieses Ziel hebt Initiatorin Maria Xynou hervor: Gruppen, die gegen Überwachung aktiv werden wollen, in ihrer Arbeit und Zusammenarbeit zu unterstützen (Externer Link: https://vimeo.com/155370681).

Snowden und die politischen Folgen

Mindestens ein Archiv fehlt noch in dieser Reihe: Ein Archiv der Dokumente der Europäischen Union über "Snowden und die Folgen". André Rebentisch, Softwareentwickler und zeitweise Sprecher europäischer Softwarefirmen in der EU, weist auf Protokolle von Debatten des EU-Parlaments zu Massenüberwachung und Spähprogrammen hin, sowie auf Dokumente, die über politische Reaktionen der EU auf die Snowden-Enthüllungen informieren (Externer Link: https://vimeo.com/146362950). Diese offiziellen Materialien liegen öffentlich zugänglich auf dem EU-Parlamentsserver PalTrack. Doch selbst in Aktivistenkreisen fänden sie wenig Beachtung. Netzaktivisten, so fordert Rebentisch, sollten sich nicht nur mit dem Snowden-Leak beschäftigen, sondern auch legal publiziertes Material wie die EU-Dokumente auf ParlTrack in den Blick nehmen. Diese Zeugnisse und historischen Dokumente zur Diskussion über Massenüberwachung durch Geheimdienste und global agierende Unternehmen würden nämlich bisher überhaupt nicht ausgewertet und gesammelt.

Bei der Berliner Präsentation des Projekts Snowden-Archiv-in-a-Box 2016 (© Andi Weiland und Norman Posselt)

Vor 26 Jahren war an solche Formen von Onlinearchiven zur Geheimdienstkontrolle und zur Diskussion darüber noch nicht zu denken. Die Geschichte des Internets stand erst noch bevor. Aber auf ihre Weise haben die Besetzer der Stasi-Archive aus dem Jahr 1990 eine Vorbildfunktion gehabt, die papiernen Akten einer Geheimpolizei zu sichern und durchzusetzen, dass sie öffentlich zugänglich geworden sind. "Genug gespitzelt jetzt", lautete damals eine der Parolen. Und: "Rechtssicherheit spart Staatssicherheit". Beide Slogans sind aktuell geblieben. Sie treiben die weltweit verstreuten Erben der DDR-Bürgerbewegung an. Die digitalen Snowden-Archive sind ein Ausdruck davon.

Literatur:

Sarah Harrison (2015): Indexing the Empire. In: Julian Assange, The Wikileaks Files: The World According to US Empire. Verso 2015, pp. 145-158

Links:

Video-Dokumentation der Berliner Gazette zur Jahreskonferenz 2015 Un/Commons: Snowden-Files for All?
Externer Link: https://vimeo.com/146362950

Externer Link: http://irights-media.de/webbooks/komplizen/chapter/gegen-den-digitalen-stalinismus-warum-wir-in-der-freien-welt-neue-komplizenschaften-brauchen/

Externer Link: https://theintercept.com/2016/05/16/the-intercept-is-broadening-access-to-the-snowden-archive-heres-why/

ist Wissenschaftliche Bibliothekarin am Forschungs- und Kulturinstitut ICI Berlin und Fachautorin für das Thema digitale Bibliotheken. Seit 2014 ist sie auch als Moderatorin für das Online-Journal "Berliner Gazette" tätig. Ihr Beitrag entstand im Rahmen der Berliner "transmediale 2016", bei der mehrere Snowden-Archiv-Initiativen erstmals aufeinander trafen. Die Diskussionen finden sich als Audio-files unter: Externer Link: https://2016.transmediale.de/content/tacit-futures-diving-into-snowden-archives