Im Laufe der Jahre hat das Ministerium für Staatssicherheit immer mehr Funktionen übernommen. Den Kern bildete die Rolle als politische Geheimpolizei, also ein Geheimdienst mit exekutiven Befugnissen, der missliebige Personen verhaftete, von ihnen in Verhören Geständnisse zu erzwingen versuchte und nach den "Gummi-Paragrafen" des politischen Strafrechts vor Gericht stellte. Dazu betrieb es eigene Untersuchungsgefängnisse in Berlin-Hohenschönhausen und den 15 Bezirksstädten.
Zum Schutz des Staats und nicht der Bürger
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DDR-Bürger nahmen sie wahr, wie "ein kratzendes Unterhemd", andere als "Angsterzeuger". Doch welche Funktionen erfüllte die Stasi genau?
In den fünfziger Jahren waren die eigenmächtigen Verhaftungen die Hauptmethode der Staatssicherheit, sich Respekt zu verschaffen und Menschen einzuschüchtern. Diese Grundfunktion blieb bis zum Schluss erhalten – in den siebziger und achtziger Jahre richtete sie sich überwiegend gegen Menschen, die aus der DDR flüchten oder ihre Ausreise durch öffentliche Proteste erreichen wollten.
Von Anfang an gehörten aber auch die Spionageabwehr und (ab 1953) die Auslandsspionage zu den Aufgaben der Staatssicherheit. Offiziell blieb die Suche nach feindlichen Spionen immer die Hauptaufgabe der Staatssicherheit und diente zur Rechtfertigung der weitreichenden Überwachung. Tatsächlich stellten Spione, die nachweislich für westliche Geheimdienste gearbeitet hatten, jedoch nur einen geringen Teil der Verhafteten dar.
Überwachungs- und Kontrollfunktion
Für die Überwachungs- und Kontrollfunktion in der Gesellschaft hatte das MfS Dienstzweige, die jeweils einem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet waren: Armee, Polizei, Wirtschaft, Staatsapparat, Kirchen usw. Außerdem gab es in allen Bezirken und Kreisen eigene Dienststellen, die die Lage dort unter Kontrolle zu halten hatten. Nur der Parteiapparat der SED war von dieser flächendeckenden Aufteilung in "Sicherungsbereiche" ausgenommen. Damit verlagerte das MfS seit Ende der fünfziger Jahre seine Tätigkeit immer weiter in das Vorfeld der unmittelbaren Verfolgung von politischen Gegnern. Zu dieser Überwachungsfunktion gehörten eine Vielzahl von Diensteinheiten, zuständig zum Beispiel für Observation, Postkontrolle, das Abhören von Telefonen usw..
Seismographen- und Schutzfunktion
Seit dem Juni-Aufstand 1953 hat die Staatssicherheit zudem regelmäßig an die politische Führung über die Stimmungslage der Bevölkerung und sicherheitsrelevante Ereignisse berichtet. In den ersten Jahren ging es dabei um direkte Aufstandsverhütung, später dienten die Berichte dazu, Unruheherde in der Bevölkerung frühzeitig zu erkennen und z.B. durch sozialpolitische Maßnahmen (Rentenerhöhungen, Wohnungsbau, Preissenkungen) zu entschärfen.
Daneben hatte das MfS von Anfang an zusätzliche Funktionen: So war es z.B. seit 1950 für die persönliche Sicherheit der führenden DDR-Politiker verantwortlich und stellte neben den Leibwächtern später das gesamte Personal der Politbürosiedlung Wandlitz und aller Freizeitwohnsitze der Spitzenfunktionäre. Auch die Passkontrollen an den Grenzen übernahm das MfS 1962. Es hatte eine eigene militärische Einheit, das Wachregiment "Feliks Dzierzynski" und mehrere Spezialtruppen für geheime Einsätze an der Grenze und im Feindesland.
Wo griff die Staatssicherheit in den Alltag gewöhnlicher DDR-Einwohner ein?
Es gab eine Fülle von Handlungsfeldern, die die Staatssicherheit auf den Plan riefen:
Im Zentrum standen natürlich staatsfeindliche Äußerungen oder Tätigkeiten. Bis zum Mauerbau 1961 gab es in der DDR noch relativ häufig Protestakte wie das Schreiben von Parolen gegen die SED-Herrschaft. In den sechziger Jahren trocknete die Staatssicherheit diese Szene weitgehend aus. Seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre entwickelte sich im Umfeld der evangelischen Kirche eine Szene von staatskritischen Jugendgruppen.
Das häufigste Feld von Stasi-Aktivitäten im DDR-Alltag betraf alles, was mit Reisen in den Westen zusammenhing, bzw. mit dem Versuch, per Flucht über die Grenze oder durch einen Antrag auf genehmigte Ausreise das Land zu verlassen. So entschied die Staatssicherheit über Reisegenehmigungen und spürte Menschen mit Fluchtabsichten auf.
Darüber hinaus galten die seit den frühen siebziger Jahre wieder stark zunehmenden Kontakte zu Westdeutschen grundsätzlich als verdächtig, insbesondere bei Leitungspersonal in Staat und Wirtschaft, den vielen "Geheimnisträgern" oder den Propagandisten der Parteiideologie, wie z.B. Journalisten und Lehrer. Überall fürchtete die Staatssicherheit die geistigen Einflüsse der "politisch-ideologischen Diversion".
Häufig kam die Staatssicherheit auch ins Spiel, wenn es in der DDR "Vorkommnisse", z.B. Maschinenschäden in Industriebetrieben, gab. Sie ermittelte dann, ob politische Sabotageabsichten dahinter standen und versuchte sich auch an Mängelanalysen bei veralteten Produktionsanlagen usw.
Auf allen diesen Feldern holten die Offiziere der Staatssicherheit Erkundigungen ein, z.B. durch Gespräche mit Vorgesetzten oder SED-Funktionären im Betrieb, Nachbarn oder den Volkspolizisten vor Ort (den so genannten Abschnittsbevollmächtigten, ABV). Eine wichtige Rolle spielte natürlich die Anwerbung von Informanten (die "Inoffiziellen Mitarbeiter"), um sich über die Lage vor Ort ein Bild zu machen und, wenn nötig, einzugreifen.
Wie sichtbar war die Staatssicherheit im Alltag der DDR-Bevölkerung?
Heutzutage wird häufig kontrovers diskutiert, welche Rolle die Staatssicherheit im Alltag aus der Sicht der "gewöhnlichen DDR-Bevölkerung" in der DDR spielte. Ging die Stasi nicht nur die wenigen Oppositionellen an? Einige behaupten, sie hätten gar nichts über die Staatssicherheit gewusst, andere sagen, sie hätten persönlich mit der Stasi niemals zu tun gehabt, da sie sich politisch unauffällig verhalten hätten.
In der Öffentlichkeit trat das Ministerium für Staatssicherheit nur selten hervor. In den Zeitungen der DDR tauchte es meistens nur zu Feiertagen als "Schild und Schwert der Partei" auf, als Schutzorgan, das die friedliebende DDR vor Spionen, alten Nazis und anderen Feinden zu schützen hatte. Es gab Filme in Fernsehen und Kino, in denen Agentenjäger der Staatssicherheit ihre Leben aufs Spiel setzten, um Anschläge gegen die DDR-Bevölkerung zu verhindern oder in die Kreise von NS-Verbrechern in der westdeutschen Regierung einzudringen. Bei offiziellen Anlässen erschienen der Minister Erich Mielke und seine Stellvertreter in Anzug oder Uniform; das Wachregiment "Feliks Dzierzynski" paradierte gemeinsam mit den Truppen der Nationalen Volksarmee. Öffentlichkeitswirksam gab es in den fünfziger Jahren auch noch Schauprozesse gegen "Staatsfeinde" und Ausstellungen des MfS, doch in späteren Jahren gab es nur noch gelegentlich Kurzmeldungen über die Erfolge der "zuständigen Organe" bei der Enttarnung von Agenten.
Ganz versteckt war die Staatssicherheit nicht: die großen Gebäudekomplexe in Ostberlin und den Bezirksstädten waren zwar gut bewachte Sperrgebiete, aber im Stadtbild nicht zu übersehen. Auch die Dienststellen in den Kreisstädten waren bekannt und sichtbar. Die Stasi-Verwaltungen standen sogar in den Telefonbüchern der DDR. Immer wieder riefen DDR-Bürger dort an, um vermeintlich staatsfeindliche Aktivitäten zu melden, die sie irgendwo aufgeschnappt hatten – manchmal gab es auch anonyme Drohanrufe. Im Herbst 1989 wich die Angst vieler Bürger, die Stasi auch offen am Telefon zu beschimpfen, halten Gesprächsmitschnitte fest.
In der Regel verdecktes Auftreten
Was die Staatssicherheit in ihrem alltäglichen Dienst tat, war nicht offen erkennbar, sondern sprach sich nur durch Gerüchte und Hörensagen herum. In Berichten des Westfernsehens stand meistens die Verfolgung von Oppositionellen durch die Staatssicherheit im Mittelpunkt. Da war von Verhaftungen im Morgengrauen die Rede, von Abhörgeräuschen beim Telefonieren, oder von Bespitzelung unter Nachbarn und Kollegen. Darum umgab das Auftreten im DDR-Alltag eine Aura des Geheimnisvollen, die von der Staatssicherheit geschürt wurde. Auch wenn die Offiziere der Staatssicherheit direkt jemanden ansprachen, traten sie meist nicht als Mitarbeiter ihres Ministeriums auf, sondern gaben sich z.B. als Kriminalpolizisten, Mitarbeiter der örtlichen Verwaltung, Post oder Energieversorgung aus. Selbst die Passkontrolleure an den Grenzen trugen zur Tarnung Uniformen der Grenztruppen der DDR, obwohl sie ebenfalls zum MfS gehörten.
Offen als MfS-Mitarbeiter traten die Offiziere dann auf, wenn sie z.B. Leitungspersonal in Betrieben ansprachen, um mit dessen Unterstützung Informationen zu erlangen. Auch wenn sie Personen als Informanten anwerben wollten, ließen sie früher oder später erkennen, dass sie von der Staatssicherheit kamen. Und schließlich konnte das MfS auch offen auftreten und wies sich demonstrativ mit Klappausweisen aus - auch, um auf einschüchternde Weise mit direkter Verfolgung oder Nachteilen im persönlichen Leben, z.B. den Verlust des Arbeits- oder Studienplatzes, zu drohen.
"Wie ein kratzendes Unterhemd"
Der Bürgerrechtler Jens Reich hat 1988 das Gefühl für die Allgegenwärtigkeit der Staatssicherheit beschrieben: Man habe nicht ständig an sie gedacht, aber sie sei "wie ein kratzendes Unterhemd" im Unterbewusstsein verankert gewesen. Gewöhnliche DDR-Bürger ohne politische Interessen konnten die Angst vielleicht noch besser ausblenden. Das Gemenge von westlichen TV-Berichten, weiter getragenen Geschichten und persönlichen Erlebnissen über das Auftreten der Stasi bildete einen eigenen Mythos, ein waberndes Halbwissen über die Möglichkeiten des MfS zur Überwachung, Kontrolle und Verfolgung, um die man besser einen großen Bogen machte. Dazu gehörte auch ein Gespür, was "gerade noch" erlaubt war: Hatte man in den fünfziger Jahren noch mit Zuchthausstrafen für einen politischen Witz zu rechnen, so lockerte sich die Atmosphäre später: unter Kollegen oder Nachbarn machte man sich schon mal lustig über die Parteiführung, ohne ständig mit einer Verhaftung zu rechnen.
In der Öffentlichkeit hingegen verstand die Staatsmacht bis zuletzt keinen Spaß, das wussten alle DDR-Einwohner, Demonstrationen, Graffiti und Protestplakate wurden geahndet und ein öffentlich erzählter Witz, zum Beispiel bei einer Karnevalsveranstaltung, konnte nach wie vor ernste Konsequenzen haben.
Greifbar wurde das versteckte Wissen über die Staatssicherheit im Herbst 1989. Die Demonstrationen der aufgebrachten Bürger richteten sich schnell gegen die Dienstgebäude der Staatssicherheit, wie in Leipzig, wo die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit direkt am Innenstadtring lag. Die Demonstranten forderten "Stasi in die Produktion" und "Schluss mit der Spitzelei" und wollten schließlich auch wissen, was in den Akten über ihr persönliches Leben gesammelt war. Ab Anfang Dezember besetzten deshalb Gruppen von Bürgern die Dienststellen, um weitere Aktenvernichtungen zu verhindern – und um die einschüchternde Arbeit der Stasi zu beenden.
Der Historiker Jens Gieseke ist seit 2008 Projektleiter der Abteilung "Kommunismus und Gesellschaft" am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Er ist Verfasser des Buchs "Die DDR-Staatssicherheit: Schild und Schwert der Partei" der Bundeszentrale für Politische Bildung. Seine jüngste Publikation zum Thema MfS-Aufarbeitung: The History of the Stasi, East Germany's Secret Police, 1945-1990, New York 2015.
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