Der erste Blick auf die Staatssicherheit ist heute noch immer von den Verhältnissen der achtziger Jahre geprägt, so wie sie sich nach der Erstürmung der Dienststellen im Herbst 1989 und der folgenden Aktenöffnung darstellten: der riesige Apparat mit seinen grauen Betonburgen, die Bekämpfung der prominenten Oppositionellen wie Bärbel Bohley oder Wolfgang Templin, die Massenüberwachung mit ihren Karteikarten und Akten zu Millionen von Menschen.
Im Rückblick auf die viereinhalb Jahrzehnte, von den ersten Vorläufern über die Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit am 8. Februar 1950 bis zur endgültigen Auflösung am 31. März 1990, lassen sich hingegen drei Phasen unterscheiden, in denen die Staatssicherheit nach Funktion und Methoden jeweils eine unterschiedliche Rolle spielte.
1. Machtdurchsetzung im Stalinismus (1945-1956)
Die erste Phase war geprägt von der Rolle der Staatssicherheit als stalinistischer Geheimpolizei. Sie durchsetzte und sicherte die Herrschaft der SED durch unmittelbare Verfolgung ihrer Gegner und vermeintlicher Oppositioneller. Diese Phase begann bereits weit vor dem offiziellen Gründungstermin mit dem sowjetischen Vormarsch und der Besetzung des östlichen Teils Deutschlands. Mit der Sowjetarmee kam auch die Geheimpolizei NKGB (Volkskommissariat für Staatssicherheit) in die Sowjetische Besatzungszone. Sie verhaftete deutsche Zivilisten, die sie für Nazis oder "Werwölfe" (also fanatische jugendliche Hitler-Anhänger) hielt und errichtete große Internierungslager. Es traf bald auch Demokraten aller Richtungen, die sich gegen den Kurs zur Übertragung des sowjetischen Systems auf Deutschland stellten.
Aus dem Gesetzblatt der DDR vom 21.2.1950. Ganz offiziell wurde mit Wirkung vom 8.2.1950 aus der bisherigen Hauptverwaltung im Innenministerium "zum Schutz der Volkswirtschaft" das "selbstständige Ministerium für Staatssicherheit" gebildet. Mehr Details erfuhren DDR-Bürger nicht. (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V. )
Aus dem Gesetzblatt der DDR vom 21.2.1950. Ganz offiziell wurde mit Wirkung vom 8.2.1950 aus der bisherigen Hauptverwaltung im Innenministerium "zum Schutz der Volkswirtschaft" das "selbstständige Ministerium für Staatssicherheit" gebildet. Mehr Details erfuhren DDR-Bürger nicht. (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V. )
Die SED-Führung war stark daran interessiert, sich eine eigene Machtbasis zu schaffen, und drängte seit 1948 darauf, eine eigenständige Geheimpolizei einzurichten. Der eigentliche Startschuss zum Aufbau des Staatssicherheitsdienstes erfolgte dann ab Mai 1949 durch Ausgliederung des politischen Zweiges der Kriminalpolizei (genannt K 5) als eigene "Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft", die dann im Februar 1950 zum Ministerium für Staatssicherheit ausgerufen wurde.
Die wichtigste Vorgehensweise des MfS lag darin, unliebsame Personen zu verhaften und von Strafgerichten wegen angeblicher Spionage oder Sabotage zu langjährigen Haftstrafen, in schweren Fällen auch zum Tode verurteilen zu lassen. Bis 1955 wirkten daran auch sowjetische Militärtribunale mit mehreren tausend Urteilen mit. Die Verfolgung traf in dieser Phase auch Angehörige der SED-Führung (wie Politbüro-Mitglied Paul Merker) und Minister der DDR-Regierung (wie Außenminister Georg Dertinger), aber auch Zeugen Jehovas oder private Unternehmer. Die härteste Phase dieser Verfolgung reichte von der 2. Parteikonferenz im Juli 1952 bis zum Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin im März 1953. Danach kam es zum Aufstand des 17. Juni 1953, der Partei und Geheimpolizei vor Augen führte, dass sie den Bogen überspannt hatten. Ihre Machtbasis ließ sich nur noch mit Gewalt und Zwang aufrechterhalten. Der erste Minister für Staatssicherheit, Wilhelm Zaisser, wurde vom Parteiführer Walter Ulbricht nach der Niederschlagung des Juni-Aufstands abgelöst und aus der SED ausgeschlossen. Er beschuldigte Zaisser, angeblich nicht rechtzeitig vor dem Aufstand gewarnt zu haben, der wider besseren Wissens als "faschistischer Putsch" abgetan wurde. (Mehr dazu in einem Themenschwerpunkt des BStU über die Externer Link: Stasi und den 17. Juni).
Einschnitt für SED und Stasi: Demonstranten am 17. Juni 1953 neben sowjetischem Panzer in Leipzig (© BStU, MfS, BV Lpz, AP 809-64, Seite 30, Bild 16)
Einschnitt für SED und Stasi: Demonstranten am 17. Juni 1953 neben sowjetischem Panzer in Leipzig (© BStU, MfS, BV Lpz, AP 809-64, Seite 30, Bild 16)
Das Ministerium wurde für zwei Jahre zu einem Staatssekretariat im Ministerium des Innern herabgestuft. Der Nachfolger Ernst Wollweber versuchte, durch öffentlichkeitswirksame Verhaftungen die Behauptung zu untermauern, dass die Feinde der DDR vom Westen gesteuert würden. Andererseits strahlte die Unsicherheit über den künftigen Kurs in der sowjetischen Führung auf die DDR und ihre Geheimpolizei aus. 1955 setzte Wollweber mit sowjetischer Unterstützung erstmals durch, dass körperliche Folter nicht mehr regelmäßig zur Erpressung von Geständnissen in Verhören zum Einsatz kam. Nach dem Entstalinisierungs-Parteitag der KPdSU im Februar 1956 kam es auch in der DDR zur Entlassung von tausenden politischen Gefangenen aus der Haft.
Die Entstalinisierung war in der SED-Parteiführung heftig umstritten. Der Minister für Staatssicherheit Wollweber zählte zu den innerparteilichen Gegnern des Ersten Sekretärs Walter Ulbricht und wurde 1957 aus dem Amt gedrängt. Sein Nachfolger ab November 1957 war der langjährige zweite Mann im Ministerium, Erich Mielke, der sich als treuer Gefolgsmann Ulbrichts gab.
2. Ausbau zur präventiven Überwachungsbürokratie (1957 bis 1975)
Die Aufstände von 1956 in Polen und Ungarn hatten aus seiner Sicht gezeigt, welche Risiken die kommunistischen Führungen eingingen, wenn sie innenpolitische Lockerungen zuließen. Dies galt ganz besonders für die DDR, die direkt an der Nahtstelle des Kalten Krieges und mit dem anderen deutschen Staat als Nachbarn "feindlichen" Einflüssen besonders stark ausgesetzt war. Erich Mielke, setzte erneut auf einen harten innenpolitischen Kurs. Die Gefängnisse füllten sich schnell wieder mit politischen Häftlingen. Er arbeitete in den folgenden Jahren daran, die Tätigkeit über die direkte Verfolgung und Verhaftung politischer Gegner hinaus aus das weite Feld der vorbeugenden Überwachung des gesellschaftlichen Lebens auszudehnen. Mielke entwickelte dafür den Begriff der "politisch-ideologischen Diversion" (PID), also des negativen geistigen Einflusses des Westens in die sozialistische Gesellschaft hinein – auch jenseits der angeblichen Spionage oder Sabotage durch westliche Geheimdienste. Unter die PID fielen der Wunsch nach Reisefreiheit und Demokratie, oder auch westliche Jugendkultur wie Beat- und Popmusik, oder das Verlangen nach westlichen Konsumgütern.
Solche geistigen Einflüsse konnte es überall geben, und folglich begann Mielke den Ausbau des MfS zu einem geheimen Überwachungsapparat, der sich in alle Teile der Gesellschaft ausbreitete. Nach Schließung der innerdeutschen Grenze und dem Bau der Berliner Mauer mit einer anschließenden Verhaftungswelle 1961 geriet die Staatssicherheit für dieses ausgreifende Überwachungs- und Kontrollprogramm in die Kritik von Seiten der Parteiführung. Der "Kreis der Bürger, über die von den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit Ermittlungen geführt werden", sei "sehr groß" und habe "in vielen Fällen nichts mit der Aufdeckung und Liquidierung der Feindtätigkeit zu tun", hieß es in einem Papier des SED-Zentralkomitees Ende 1962.