Als im Mai 1989 zahlreiche DDR-Bürger wegen des Verdachtes der Wahlfälschung das staatlich vermeldete Ergebnis der Kommunalwahlen anzweifelten und juristisch anfechten wollten, gab die SED durch den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, am 19. Mai landesweit eine Weisung heraus. Anzeigen seien zunächst kommentarlos entgegenzunehmen und dann folgendermaßen zu bearbeiten: "Nach Ablauf der vorgesehenen Fristen für die Anzeigenbearbeitung ist von den zuständigen Organen zu antworten, dass keine Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat vorliegen". Auf diese plumpe Weise wurde die Justiz zur Farce. Auch Rechtsanwälte konnten da nichts ausrichten. Gregor Gysi nahm als Anwalt vorsichtshalber ein Mandat des oppositionellen Pfarrers Rainer Eppelmann wegen des Wahlbetruges gar nicht erst an. Denn in Rechtsfragen von derartiger politischer Relevanz gaben Partei und Stasi der Justiz die Linie vor.
Was er als der Verteidiger vorbrächte, würde "zwar erfolglos sein, …aber belanglos war es nicht.", resümierte im Rückblick der bekannte ehemalige DDR-Anwaltsfunktionär Friedrich Wolff die Lage der Verteidiger in politischen Verfahren. Diese verquaste Bewertung zeigt, wie schwierig es selbst für einen Anwalt war, der der Staatspartei SED nahe stand, seine Rolle im Mandanteninteresse auszufüllen.
Rechtsfragen waren Machtfragen, das hatte schon der sowjetische Revolutionär und Staatsgründer Wladimir Iljitsch Lenin definiert. Gemäß dieser Maxime war in sowjetisch geprägten Staaten der Handlungsraum für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte stark eingeengt, das letzte Wort hatte die Partei. Auch im Rechtsalltag der DDR hatte das Folgen: Parteiführung und Geheimpolizei nahmen zumindest in politischen Verfahren starken Einfluss auf ein Verfahren. Dies ließ von vornherein wenig Raum für Zwischentöne wie das Recht auf Verteidigung. Geradezu augenfällig für die geringe Bedeutung der Anwaltschaft ging die Zahl der Anwälte in Ostdeutschland aufgrund dieses Bedeutungsverlusts stark zurück: von über 3.000 zu Beginn der DDR-Geschichte auf rund 600 im Jahr 1989.
Schauprozesse sollten einschüchtern
Vor allem nach 1945 und in den 1950er Jahren wurde die Justiz von den kommunistischen Machthabern in der SBZ bzw. DDR missbraucht, um Feinde des sozialistischen Umbruchs aus dem Wege zu räumen und die Bevölkerungsmehrheit durch drakonische Urteile einzuschüchtern. In Schauprozessen, die von Medienkampagnen begleitet waren, prangerten Justizfunktionäre wirkliche oder vermeintliche NS-Verbrecher Spione und Saboteure, Unternehmer, Bauern, politische Abweichler, Rebellierende und andere an, um die Eingriffe der Staatspartei SED in das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben mit exemplarischen Prozessen vorzubereiten oder die Reformen von oben durch Abschreckung abzusichern. Die Prozesse waren von der Geheimpolizei und der linientreuen Staatsanwaltschaft vorbereitet und mit der SED abgestimmt worden. Überzeugte Kommunisten wie Hilde Benjamin oder Goetz Berger fällten als Oberste Richter in politischen Prozessen erwartungsgemäße Urteile.
Bei einem derart abgekarteten Spiel konnte ein Anwalt wenig bewirken. Dennoch engagierten sich Anwälte gelegentlich auf bemerkenswerte Weise. Der ehemalige DDR-Anwaltsfunktionär Friedrich Wolff forderte beispielsweise 1957 für den Verleger Walter Janka Freispruch, obwohl dieser auf Grund seiner kritischen Haltung gegenüber der SED-Führung wegen Hochverrates angeklagt worden war. An der Verurteilung zu einer hohen Haftstrafe änderte dies nichts, aber dem bekennenden Kommunisten Wolff schadete sein Plädoyer auch nicht.
Anwälte unter Pauschalverdacht
Andere, ‚bürgerliche‘ Anwälte wurden für ihr Engagement angefeindet, diszipliniert, aus der Anwaltschaft ausgeschlossen oder sogar eingesperrt und angeklagt, wie Herbert Schmidt aus Gera. Der Vorsitzendes des Geraer Rechtsanwaltskollegiums hatte sich 1955 bei der Verteidigung eines Mandanten erlaubt, Erkenntnisse des MfS durch eine Zeugenaussage anzuzweifeln zu lassen. Wegen "Boykotthetze" gegen den Staatssicherheitsdienst und die Gerichte der DDR wurde er daraufhin verhaftet und selbst zu acht Jahren Zuchthaushaft verurteilt.
Viele Anwälte erhielten wegen wirklicher oder vermeintlicher NS-Belastungen keine Zulassungen. Andere mussten befürchten, sie aus politischen Gründen zu verlieren oder wie Schmidt selbst juristisch verfolgt zu werden. Ausrichten konnten sie in vielen Fällen ohnehin nichts. Vor dem Mauerbau 1961 flohen daher Anwälte zu Hunderten in den Westen. Die traditionellen Anwälte galten den führenden SED-Funktionären als ‚bürgerlich‘, sie wurden pauschal verdächtigt, als Mitläufer oder sogar Handlanger den Nationalsozialismus unterstützt zu haben. Aus diesem Grund wurden keine Einzelanwälte mehr zugelassen und ab 1953 Anwaltskollegien in den (mit Ostberlin) 15 Bezirken gegründet, in denen die Anwälte nach sowjetischem Vorbild genossenschaftsähnlich zusammengeschlossen wurden. Das Kollegium wurde, anders als Anwaltskammern im Westen, stark vom Justizministerium kontrolliert und angeleitet. Der Einfluss der SED war groß, allein schon weil die meisten Vorsitzenden der Kollegien der dominierenden Partei angehörten. Doch auch wenn diese Organisationsform das Verhalten der Anwälte beeinflusste, blieb die Bearbeitung des Mandates grundsätzlich Sache des einzelnen Anwaltes. Im Gegensatz zu den Richtern und Staatsanwälten, die schon in den Anfangsjahren der DDR überwiegend ausgetauscht und durch SED-Justizfunktionäre ersetzt worden waren, verlief der Wandel bei den Anwälten langsamer und nicht so drastisch. Allerdings steigerte auch hier die Partei, insbesondere in der Ära Honecker, ihren Einfluss, so dass schließlich mit durchschnittlich fast 70% die SED-Mitglieder die Kollegien dominierten.
Überprüfte Jurastudenten
Auch die DDR-Geheimpolizei, das MfS, kontrollierte die Kollegien von Anfang an. In der Ära Honecker überprüfte die Stasi Jurastudenten und Kandidaten für den Anwaltsberuf. Ein inoffizieller Spitzel der ersten Stunde war Wolfgang Vogel, der später als Anwalt für Agentenaustausch, Häftlingsfreikäufe und Ausreiseverhandlungen in der DDR eine beispiellose Karriere machte. Wer in der Ära Honecker aus der DDR-Haft in von der Bundesrepublik freigekauft werden wollte, kam an Vogel nicht vorbei. Der Ostberliner Anwalt wurde zur Schlüsselstelle des MfS für den Häftlingsfreikauf, ohne dass seine Mandanten von seiner MfS-Beziehung wussten.
Nach der Besetzung von Stasidienststellen während der Friedlichen Revolution und der Sichtung erster Aktenfunde kamen auch andere prominente Anwälte in Verdacht, zu große Nähe zur Stasi gehabt zu haben, darunter aus der Ost-CDU der letzte DDR-Ministerpräsident, Lothar de Maiziere, und der Vorsitzende der zur PDS transformierten SED, Gregor Gysi. Doch nur bei dem ehemaligen Kirchenanwalt Wolfgang Schnur sind noch so viele eindeutige Akten übrig geblieben, dass sein Engagement für das MfS präzise nachgewiesen werden kann und er in den 1990er Jahren sogar wegen Mandantenverrates verurteilt wurde. Schnur bespitzelte Mandanten für das MfS, versuchte ihre "Hintermänner" und "Komplizen" zu ermitteln und ihr Verhalten im Ermittlungsverfahren und Prozess zu beeinflussen. Der Fall Schnur war allerdings auch ein Extremfall. Schnur war, wie die Akten nahelegen, auch emotional stark vom MfS abhängig und von daher besonders willig, Informationen über seine Mandanten preiszugeben und Weisungen seiner Führungsoffiziere zu folgen. Das war besonders prekär, weil Schnur viele junge Wehrdienstverweigerer und Mandaten aus dem staatskritischen kirchlichen Milieu vertrat, das der Stasi in den 1980er Jahren immer mehr zu schaffen machte.
Regelrecht zusammenarbeiten mussten in der DDR Anwälte mit dem MfS nicht . Das MfS war zwar in politischen Verfahren offizielle Ermittlungsbehörde, wie im § 88 der Strafprozessordnung festgeschrieben. Ein Anwalt konnte sich aber auf rein technische Kontakte, etwa beim Besuch seiner Mandanten in einer Untersuchungshaftanstalt des MfS, beschränken. Für juristische Fragen stand ihm der Staatsanwalt zur Verfügung, der laut Strafprozessordnung de jure das Verfahren leitete und in der Regel treues SED-Parteimitglied war.
Wenn Anwälte Stasikontakte zu anderen MfS-Diensteinheiten als den Hauptabteilungen IX und XIV pflegten, die für die Untersuchungszeit verantwortlich waren, ist dies, abgesehen von Spionagefällen, in der Regel kaum aus Prozessnotwendigkeiten abzuleiten.
Politische Verfahren im Mittelpunkt des Stasi-Interesses
Der unmittelbare Einfluss des MfS auf Anwälte in einzelnen Prozessen sollte insbesondere in den späten 1970er und 1980er Jahren nicht überschätzt werden. Nur in besonderen Verfahren wie gegen SED-Dissidenten vom Schlage des Hochschulprofessoren Robert Havemann oder gegen den ehemaligen SED-Funktionär Rudolf Bahro wurde die strafrechtliche Verfolgung von der Geheimpolizei minutiös vorbereitet und mit der SED-Führung detailliert abgestimmt. Hier hegte das MfS offenbar auch gegenüber dem Verteidiger besondere Erwartungen. In Szenarien des MfS wurde im Fall Havemann drehbuchartig festgehalten, wie der Anwalt seinen Mandanten in bestimmten Situationen nach den Vorstellungen des MfS beraten sollte.
Die typischen Prozesse der späten 1970er und der 1980er Jahre waren dagegen Prozesse gegen DDR-Bürger, die die DDR verlassen wollten. Sie liefen relativ stereotyp ab. Da Republikflucht oder das Beharren auf dem Ausreisewunsch klischeehaft beurteilt und immer ein ähnliches Strafmaß verhängt wurde, konnte ein Anwalt hier wenig ausrichten. Unter kritischeren Anwälten galten solche Verfahren als "Anzugsache", da sie alternativ auch ihren Anzug vor Gericht hätten auftreten lassen können. Allerdings zeigten auch die strenge Auswahl der Anwälte, die ideologisch ausgerichtete Ausbildung, die starke Bindung an die Partei, die restriktive Prozessführung und die Kontrolle der Anwälte ihre Wirkung. Viele passten sich den gegebenen Verhältnissen an oder verdrängten die Verhältnisse in den Stasi-ermittelten Prozessen. In der DDR wurden pro Jahr durchschnittlich ca. 3.000 Personen durch das MfS eingesperrt. Dennoch machten diese politischen Verfahren nur einen geringen Anteil der anwaltlichen Tätigkeit in der DDR aus.
Die Strafverfahren wegen allgemeiner Kriminalität, ZFA-Verfahren (Zivil-, Familien- und Arbeitsrecht) waren zumeist ergebnisoffener und eröffneten auch den Anwälten größere Spielräume. Aber selbst in diesen Bereichen konnte es zu politischen und geheimpolizeilichen Interventionen kommen, wenn Herrschaftsinteressen der SED berührt waren. Insofern kam es keineswegs ausschließlich im Bereich der politischen Justiz der DDR zu einer "erheblichen Rechtsunsicherheit mit dem Abbau von Rechten und zu einer massiven Behinderung der Arbeit der Rechtsanwaltschaft". Rechtsstaatlichkeit herrschte nicht.
Mehr zum Thema: Die Stasi unterhielt eine eigene "Juristische Hochschule" in Potsdam-Golm. Einen 140-seitigen Überlick über die dort produzierten Dissertationen hat Günter Förster 1997 erstellt. Externer Link: Hier das PDF.