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Vom Rechtsbeuger zum Rechtsanwalt - Die Karriere von DDR-Juristen | Kontraste - Auf den Spuren einer Diktatur | bpb.de

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Vom Rechtsbeuger zum Rechtsanwalt - Die Karriere von DDR-Juristen Sendung vom 7. August 1990

/ 6 Minuten zu lesen

Hier finden Sie das Sendungsmanuskript zum "Kontraste"-Beitrag vom 7. August 1990.

Wetzenstein

„Was ist Recht und was ist Recht zu welchen Zeiten? Denn diese Rechtsstandpunkte wandeln sich und werden bestimmt durch die Gesellschaft, in der Sie existieren.“

Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger. Er weiß, von was er spricht. Heute Rechtsanwalt du Notar mit eigener Praxis in Ostberlin. Bis kurz vor der Wende war er Richter in politischen Strafprozessen in der DDR. Hier im Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg sprach Wetzenstein-Ollenschläger seine Urteile.

Vom Justizministerium zugelassen zum Rechtsanwalt wurden jetzt viele der ausgeschiedenen Richter und Staatsanwälte. Sogar 30 ehemalige Mitarbeiter der Stasi dürfen nun als Anwalt des Rechts wirken.

Wolfgang Schönian, Vereinigung der Opfer des Stalinismus

„Wir als ehemalige politische Häftlinge empfinden es als einen Skandal, dass der Personenkreis, der dieses Unrechtsystem unterstützt hat und Tausende in die Gefängnisse gebracht hat, heute Anwaltspraxen eröffnet.“

Frage: „Warum?“

„Weil dieser Personenkreis ja letztendlich dafür verantwortlich ist, dass eine Rechtsbeugung im großen Stil stattgefunden hat. Und aus dem Grunde kann man heute nicht ein Anwaltsbüro eröffnen.“

Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger, Rechtsanwalt und Notar

Frage: „Kann man denn von einem Werkzeug der SED-Justiz zum Rechtsanwalt werden?“

„Aus welchen Gründen sollte man das nicht werden? Wir haben das ja nicht als Verbrecher getan, sondern wir haben das in der Erwägung getan, dass wir das Richtige wollen. Denn der Wille der Partei, auch wenn viele heute davon nichts mehr wissen wollen, war eben der maßgebende Wille, der auch anerkannt wurde.“

Der Wille der Partei war Ruhe und Ordnung. Friedensdemonstranten wurden festgenommen und wegen „Herabwürdigung des Staates“ verurteilt.“

Ausreisewillige, die versuchten, ihr Anliegen in Diplomatischen Vertretungen vorzutragen, sperrte man wegen „Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit“ ins Gefängnis.

Hier, nahe der Grenze, machte sich der Arbeiter Frank Grothe als Spaziergänger verdächtig. Das Urteil: 9 Monate Gefängnis. Der Richter: Jürgen Wetzenstein- Ollenschläger.

Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger, Rechtsanwalt und Notar

Frage: „Menschen, die einen ganz normalen Spaziergang am Brandenburger Tor machen, werden von Ihnen verurteilt wegen Störung der Öffentlichkeit.“

„Warum machen Sie mich für Straftatbestände verantwortlich? Ich habe sie nicht ins Strafgesetzbuch lanciert. Das war nicht ich. Aber ich habe als Richter, und wenn ich mich als solcher, wenn ich eben als solcher arbeite, habe ich diese Verpflichtung, den Straftatbestand anzuwenden und zu einem Ergebnis zu kommen.“

Zu einem Ergebnis kam der jetzige Rechtsanwalt auch im Fall des Bernd Ettel. Der Architekt beteiligte sich 1984 an einem Wettbewerb in Westberlin.

Die Aufgabe: Die Überreste der Folterkammern der GESTAPO zu einer Gedenkstätte des Terrors umzugestalten. Die Beteiligung an diesem Wettbewerb bedeutete für die SED-Führung die Infragestellung ihres Monopols in Sachen Antifaschismus.

Richter Wetzenstein verurteilte Bernd Ettel zu 2 Jahren 9 Monaten Gefängnis.

Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger, Rechtsanwalt und Notar

„Ich habe Gesetze angewandt. Ich kann es nur noch mal sagen: Ich habe Gesetze angewandt und zwar dem Buchstaben getreu und der mir vorgegebenen Direktive in der Rechtsprechung durch die mir vorgeordneten Behörden. Ich war ja schließlich einer der letzten, kleinsten Richter. Es ist ja nun mal so.“

Januar 1988. Große Demonstration zu Ehren von Luxemburg und Liebknecht. Bürgerrechtler wollen mit eigenen Losungen daran teilnehmen. Sie werden verhaftet. Es gibt Proteste dagegen im ganzen Land. Die Krise in der DDR spitzt sich zu.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit findet der Prozess gegen Vera Wollenberger statt, hier im Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg.

Vera Wollenberg wollte an der SED-Demonstration teilnehmen. Mit einem eigenen Plakat, auf dem zu lesen war: „Artikel 27 der Verfassung: Recht auf freie Meinung.“ Das Gericht wertete dies als eine „versuchte Beteiligung an einer Zusammenrottung“.

Das Urteil: 6 Monate Freiheitsstrafe.

Ausgesprochen von Richter Wetzenstein-Ollenschläger.

Vera Wollenberger, Bürgerrechtlerin

„Ja, also, ich habe dieses Urteil ja nie anerkannt, auch nicht in dem Augenblick, als es verlesen wurde. Weil mir schon vorher klar war und auch während der Verhandlung hat sich das bestätigt, dass dieses Urteil auch nach den damaligen Gesetzen nicht hätte gefällt werden dürfen. Und der Richter eigentlich gegen seinen Amtsethos verstoßen hat, indem er dieses Urteil gefällt hat. Und er hat meiner Meinung nach Gesetzesbruch begangen, indem er es ausgesprochen hat.“

Nach der Wende kam auch das Oberste Gericht der DDR zu dem Schluss: Der Richterspruch stellte eine Gesetzesverletzung dar.

Vera Wollenberger, Bürgerrechtlerin

„Es ist eine klare Rechtsbeugung gewesen und deshalb ist also die Haft, die ich erleiden musste, auch Freiheitsberaubung gewesen.“

Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger, Rechtsanwalt und Notar

Frage: „Haben Sie nicht damals Recht gebeugt? Werden Sie nicht jetzt vom Rechtsbeuger zum Rechtsanwalt?“

„Das ist eine demagogische Frage. Das Oberste Gericht hat die Entscheidung aufgehoben mit der Behauptung, dass hier das Recht falsch angewandt worden sei. Das Oberste Gericht war früher anderer Auffassung, denn im Vorfeld dieses Verfahrens gab es auch Anleitungen und es gab auch Hinweise hinsichtlich der Anwendung des Straftatbestandes.“

Das Oberste Gericht versucht vieles vergessen zu machen. Einzelne Urteile, vorwiegend gegen die politische Prominenz, werden und wurden aufgehoben. Bis vor kurzem Präsident des Obersten Gerichts: Dr. Günther Sarge. Auch er wurde jetzt als Rechtsanwalt zugelassen. Sein Rechtsverständnis ist in Aufsätzen nachzulesen:

‚Jeder, der gegen die Arbeiter- und Bauernmacht zu Felde zieht, soll wissen, dass gegen ihn das sozialistische Recht als eine scharfe Waffe angewendet wird.‘

Unter der Verantwortung von Sarge erschien sogenannte ‚Informationen für alle Richter‘. Nur für den Dienstgebrauch, persönlich, wurden die politischen Richtlinien ausgegeben. Darin heißt es:

‚Eine der Bestrebungen des Klassenfeindes besteht in der Schaffung einer inneren Opposition oder anderer Formen konterrevolitionärer Zusammenschlüsse in den sozialistischen Staaten. Je nach der politischen Situation erfolgt eine Tarnung als Menschenrechtsbewegung, Arbeiteropposition oder in anderer Weise. Derartige verfassungsfeindliche Zusammenschlüsse sollen im frühesten Stadium erkannt und konsequent bekämpft werden.‘

In den 60er und 70er Jahren war Sarge vorwiegend als Militärrichter in fragwürdigen Spionageprozessen tätig. Hier links im Bild.

Dr. Sarge war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Der verantwortliche Staatssekretär im DDR-Justizministerium:

Manfred Walther, Staatssekretär DDR-Justizministerium

„Hier geht es ja darum, ob man also dem Präsidenten des Obersten Gerichts eine Tätigkeit hier vorwerfen kann, die also zum Beispiel Rechtsbeugung darstellt. Wenn das der Fall wäre, dann würde das also einen strafrechtlichen Charakter haben und in der Folge also auch Konsequenzen für das anwältliche Tätigsein. Aber das hat es ganz offensichtlich nicht.“

Rechtsbeugung, eine Straftat begeht, wer vorsätzlich Unrecht spricht oder dazu anstiftet. Die Staatsanwaltschaft der DDR ermittelt gegen keinen einzigen Richter der vielen tausend Prozesse. So auch nicht gegen Sarge oder Wetzenstein-Ollenschläger.

KONTRASTE wollte wissen, warum nicht. Doch die Staatsanwaltschaft verweigerte ein Interview.

Die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter. Hier lagern Tausende von Anzeigen wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung. Gestellt von ehemaligen politischen Häftlingen gegen ihre Richter und Staatsanwälte in der DDR.

Dr. Hans-Jürgen Grasemann, Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter

„Also ich meine, dass ermittelt werden muss aufgrund der Kenntnisse, die wir hier in Salzgitter haben. Was dann dabei herauskommt, welches Urteil, ob man sagt, aus Rechtsgründen z. B. ein Freispruch, das ist ja eine Entscheidung, die kann erst am Ende getroffen werden. Aber ich meine, dass in einer Vielzahl von Fällen überhaupt erst mal ermittelt werden muss: Was war denn. Ich glaube, es ist ein Gedanke, der hier wichtig ist: Die Opfer, die ja zum Teil getreten worden sind, die zertreten worden sind, auch von einer solchen politischen Justiz, gerade von dieser, da sie ein Recht darauf haben, dass ihre Fälle noch einmal, auch unter diesem Gesichtspunkt aufgerollt werden. Ob denn zu ihrem Nachteil wirklich nicht Recht, sondern eben Unrecht gesprochen ist.“

Die Opfer demonstrieren vor dem Justizministerium in Ostberlin. Sie wollen, dass die Schreibtischtäter zur Verantwortung gezogen werden. Keiner solle ihnen begegnen können als Minister, Staatsanwalt, Richter oder Rechtsanwalt.

Jürgen Wetzenstein-Ollenschläger, Rechtsanwalt und Notar

Frage: „Wenn ein Betroffener, ein Bürger, zu Ihnen kommt und will seine Rehabilitierung betreiben, würden Sie ihn als Mandanten annehmen?“ „Aber selbstverständlich würde ich das tun.“

Frage: „Haben Sie dabei nicht ein schlechtes Gewissen, früher Unrecht gesprochen zu haben, Leute ins Gefängnis gebracht zu haben und jetzt Rehabilitierung auch betreiben zu wollen?“

„Ich habe insofern ein schlechtes Gewissen. Das ist völlig richtig. Aber fragen Sie: Wer hat denn kein schlechtes Gewissen? Wer hat denn den Mut besessen? Und insofern ist natürlich Frau Wollenberger zu bewundern. Bloß, Sie müssen das unter den heutigen Gesichtspunkten betrachten und Sie müssen es unter den damaligen Gesichtspunkten betrachten.“

Mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin-Brandenburg

Fussnoten

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