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Den Bock zum Gärtner? - Der neue DDR-Justizminister Wünsche | Kontraste - Auf den Spuren einer Diktatur | bpb.de

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Den Bock zum Gärtner? - Der neue DDR-Justizminister Wünsche Sendung vom 29. Mai 1990

/ 5 Minuten zu lesen

Hier finden Sie das Sendungsmanuskript zum "Kontraste"-Beitrag vom 29. Mai 1990.

Dr. Kurt Wünsche, LDP, DDR-Justizminister

Frage: Sie haben kein schlechtes Gewissen, was Ihre politische Vergangenheit anbetrifft?“

„Ich möchte den sehen, ich möchte den sehen, der, wo auch immer, unter welchen Verhältnissen auch immer, politisch wirkt, ohne, wenigstens partiell, schlechtes Gewissen ist.“

Kurt Wünsche, DDR-Justizminister. Jeden Morgen geht er diesen Weg. Gleich an beim Pförtner wird er durch Karl Marx daran erinnert, dass er hier schon einmal als Minister tätig war.

Rückblick: 1968.

Aktuelle Kamera 1968

„Heute in der Berliner Kongresshalle. Das Hauptreferat hielt der stellvertretende Vorsitzendes des Ministerrates, Dr. Kurt Wünsche:

Kurt Wünsche:

„Die 9. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands hat die überragenden Führungsqualitäten der Partei der Arbeiterklasse erneut deutlich gemacht.“

Er redet wie ein SED-Politiker – von der überragenden Führungsqualitäten der „Partei der Arbeiterklasse“. Und genau dort sind seine Weggefährten Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre: Walter Ulbricht und Willi Stoph, Erich Honecker und Paul Werner, Margot Honecker, Hermann Axen und schon damals immer im Hintergrund: hier rechts neben Kurt Wünsche der Stasi-Chef Erich Mielke.

Aber Wünsche war kein SED-Politiker. Er war und ist Liberal-Demokrat. Damals Justizminister – und heute wieder.

Als Abgeordneter – bis in die Volkskammer – hat er es nicht geschafft. Er wollte kandidieren, aber ein Teil der Liberalen in der DDR hat das verhindert. Justizminister wurde er trotzdem, ungeachtet seiner Vergangenheit.

Volkskammer der DDR

„Minister der Justiz: Dr. Kurt Wünsche.“

Von 1967 bis 1972 reicht Wünsches erste Amtszeit. Das Erbe, das er damals hinterlassen hat: Jahr für Jahr landeten Tausende politische Häftlinge in den Gefängnissen der DDR. Die Verantwortung für diese Klassenjustiz lehnt der Minister von einst heute ab.

Dr. Kurt Wünsche

„Sie müssen sicherlich davon ausgehen, dass es hier deutlich unterschiedliche Kompetenzen gibt, die, das Ministerium der Justiz hatte zu diesem Zeitpunkt meiner früheren Amtsführung keinerlei Kompetenzen im Hinblick auf die Rechtsprechung.“

Prag, 1968. Weltweit gibt es Proteste gegen den Einmarsch des Warschauer Paktes. Auch in der DDR. Aber wer in der DDR öffentlich protestiert, wandert in den Knast. Mit solcher Rechtsprechung will Kurt Wünsche nichts zu tun gehabt haben, doch die Gesetze dafür wurden geschaffen, als er Justizminister war. Im Januar 1968. Ein paar der schlimmsten Paragraphen: „Staatsfeindliche Hetze“, „Staatsverleumdung“, „Zusammenrottung“.

Dr. Kurt Wünsche

Frage: „Gerade die Strafgesetzgebung 1968, die Sie als Minister mit zu verantworten haben, haben doch die Grundlage einer Gesinnungsjustiz gebildet.“

„Ich möchte hier keine Schuldzuweisung etwa im einzelnen vornehmen, aber dieses Strafgesetzbuch von 1968 ist gewissermaßen außerhalb des Justizministeriums unter der Leitung der früheren Justizministerin Hilde Benjamin entstanden und wurde auch von ihr in die Volkskammer begründet und vorgelegt und begründet.“

Frage: „Aber Sie haben doch gemeinsam mit Frau Benjamin dieses Strafgesetz propagiert?“

„Nein, das ist nicht zutreffen.“

Frage: „Hagen Sie das vergessen?“

„Das ist nicht zutreffend.“

Frage: „Wollen Sie das vergessen?“

„Das politische Strafrecht habe ich als solches nicht propagiert. Und es ist nicht zufällig gewesen, dass ich von dieser Mitwirkung an der Schaffung des politischen Strafrechts faktisch ausgeschlossen gewesen bin.“

Wünsche lügt. Ausschnitte aus dem DDR-Fernsehen von 1968 beweisen das. Dies ist Hilde Benjamin. Doch nicht sie allein verteidigt öffentlich das damals neue Strafrecht. Mit dabei: der Chef-Ankläger und Generalstaatsanwalt Josef Streit und – mittendrin – Justizminister Wünsche.

Gerade Streit und Wünsche sind es, die das neue Strafrecht propagieren und ihre Gegner sogar damit bedrohen.

Josef Streit, Generalstaatsanwalt, 1968

„Aber wir sagen Ihnen, nein, man muss doch sogar sagen, wir sagen Ihnen. Wer die DDR angreift, riskiert Kopf und Kragen.“

Dr. Kurt Wünsche

„Genau dieselben Leute, die sich jetzt am meisten erregen, zwingen uns praktisch dazu, auch mit solchen drastischen Maßnahmen die Souveränität unseres Staates zu schützen. Das ist doch, also, wenn Sie sich jetzt so erregen, nicht, dann zeigt das eigentlich, dass wir auch insofern ein sehr gutes Gesetz geschaffen haben, denn genau die Leute, die sich getroffen fühlen sollen, fühlen sich getroffen.“

Josef Streit

„Es wäre schlecht, wenn sie uns zum ersten Kapitel (des Strafgesetzbuches) loben würden.“

1972 geht Wünsches Amtszeit zu Ende. Der Grund, so sagt er selbst: Er ist gegen die weitere Verstaatlichung von Privatbetrieben in der DDR.

Wirklich in Ungnade fällt er aber nicht. Er wird – als Ersatz für sein Ministeramt – ordentlicher Professor an der Humboldt Universität in Berlin.

Richtig ernst kann die Kritik an der Wirtschaftspolitik der SED auch nicht gewesen sein. Vor Parteifreunden spricht er 1988 voller Stolz von der ‚Festigung und Weiterentwicklung der zum Siege geführten sozialistischen Produktionsverhältnisse – unter tatkräftiger Mitwirkung unserer Partei‘; gemeint sind die Liberalen.

Im Archiv der Parteizeitung der LPD lässt sich das nachlesen. Aufsätze und Reden Wünsches, der aus dem Zentralvorstand der DDR-Liberalen niemals zurückgetreten war – und der immer fest mit beiden Beinen auf dem Boden des real existierenden Sozialismus stand.

Zum Beispiel: 1977.

„Gedanken zu unserem Demokratieverständnis.“

„... wir Liberalen wissen nur zu gut, dass die sozialistische Demokratie allein dort gedeihen kann, wo die Konterrevolution keine Chance hat.“

Die Volkspolizei im Einsatz gegen die sogenannte ‚Konterrevolution‘.

1988. Die Menschenrechtsfrage war inzwischen immer wichtiger geworden in der DDR. Immer mehr Bürger wollten das Land verlassen. Es gab laute Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen – in der DDR selbst und im Westen.

In jenen Tagen bezieht auch Kurt Wünsche Position: „... in schon überfälliger, deutlicher Zurückweisung derer, die aus ihrem dünnen Glashaus Steine werfen und in unseren aufblühenden Garten, um uns bei den weiteren Kultivierungsarbeiten zu stören.“

So sah er aus, der aufblühende Garten DDR. Dies waren die Kultivierungsarbeiten, die Kurt Wünsche noch 1988 nicht gestört haben wollte.

Kurt Wünsche

„Das ist eine, ich sage das mal so, eine Art Gratwanderung zwischen Konformismus und Nonkonformismus gewesen.“

Die DDR-Liberalen bei ihrer Wende – Februar 1990 in Dresden. Ein neuer Vorstand wird gewählt – und Kurt Wünsche ist ganz vorne mit dabei, stehend bejubelt von den Delegierten. Auch Graf Lambsdorff gratuliert und gibt seinen Segen.

In Bonn jedoch gibt es auch Kritik an Wünsche bis hin zu einem Vergleich mit der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, als ein prominenter Nazi-Jurist höchster Beamter im Bundeskanzleramt war.

Minister Wünsche heute, Staatssekretär Globke damals...

Burkhard Hirsch, FDP Bundestagsabgeordneter

„Ein Globke in unserer Geschichte reicht uns.“

Frage: „Wie würden Sie das Unrecht einschätzen, das er über die DDR-Bevölkerung gebracht hat oder zumindest mit gebracht hat?“.

„Er hat daran mitgewirkt, dass 16 Millionen Menschen um ihre Lebenschancen gebracht wurden. Gut, das ist keine Straftat. Wenn Sie einen Menschen um 16 Mark betrügen, ist es eine Straftat. Wenn Sie 16 Millionen Menschen um ihre Chance betrügen, eine ganze Generation, ist es keine Straftat. Aber das ist es ja gerade, dass man sagen muss, wenn wir schon keine neue Entnazifizierung machen wollen für diese Burschen, und das wollen wir nicht, dann muss es eben ein normaler Prozess sein, dass die Repräsentanten dieses Regimes von sich aus sagen: ‚Danke das war’s, wir ziehen uns zurück, wir empfinden Scham.‘ Und dass Herr Wünsche als ein Liberaler zu einer solchen aufrichtigen Reaktion nicht in der Lage ist, bestürzt mich, beschämt mich und ekelt mich an.“

Mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin-Brandenburg

Fussnoten

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