Die Reaktion des Westens | Der Aufstand des 17. Juni 1953 | bpb.de

Die Reaktion des Westens

/ 4 Minuten zu lesen

Zunächst füllten Schlagzeilen, Bilder und Filmaufnahmen des Volksaufstands die Medien des Westens. Vor dem Schöneberger Rathaus wurde der Opfer gedacht - in der DDR war das verboten. Schnell ernannte der Bundestag den 17. Juni zum Gedenktag und Straßen wurden umbenannt. Im Laufe der Jahre nahm die Empathie jedoch immer mehr ab.

Bundespräsident Theodor Heuss (l.) am 16. Juni 1954 in Bonn bei der Benennung einer Straße auf den Namen Berliner Freiheit im Gedenken an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953.

Bundespräsident Theodor Heuss (l.) am 16. Juni 1954 in Bonn bei der Benennung einer Straße auf den Namen "Berliner Freiheit" im Gedenken an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953. (© Bundesarchiv, B 145 Bild-00015678)

Der Westen ist vom Volksaufstand in der DDR überrascht. Niemand hatte mit einer solchen Kraft und Zivilcourage gerechnet, niemand hatte diesen Aufstand in der SED-Diktatur für möglich gehalten. Zunächst erscheint im Westen sogar eine Inszenierung der Sowjets glaubhaft. Das Medienecho ist zunächst groß, der RIAS berichtet am 17. Juni 1953 durchgängig, seine Live-Reportagen von der Sektorengrenze zu Ost-Berlin lassen die RIAS-Hörer in West und Ost gewissermaßen direkt am Aufstandsgeschehen teilhaben. Schlagzeilen zum Volksaufstand bestimmen die Tagespresse, zahlreiche Fotos erscheinen, die durch Berichte und Erzählungen der in den Westen geflüchteten Streikführer ergänzt werden.

Die in den Kinos ausgestrahlten Wochenschauen zeigen die zwar nur spärlich vorhandenen, aber eindringlichen Filmsequenzen vom Aufstand. Obwohl auf wenige Schauplätze beschränkt, können sie der westdeutschen Bevölkerung die Brisanz und Dramatik dieses Tages zumindest ansatzweise vermitteln. Marion Gräfin Dönhoff vergleicht in der "Zeit" vom 25. Juni 1953 den Volksaufstand in der DDR mit der Französischen Revolution und folgert: "Der 17. Juni wird einst und vielleicht nicht nur in die deutsche Geschichte eingehen als ein großer, ein symbolischer Tag." In Ermangelung von Handlungsoptionen des Westens gewinnt die symbolische Dimension schon bald ein großes Gewicht, das sich bis zum Ende des Kalten Krieges fortsetzt.

Für die Opfer des Volksaufstandes, derer in der DDR nicht gedacht werden darf, findet am 21. Juni 1953 im Bundestag ein Trauerakt statt. Bundespräsident Theodor Heuss erklärt im Gedenken an die Opfer: "Ihr Blut hat den Mörtel mit gefestigt für das neue Haus einer deutschen staatlichen Einheit und Freiheit, das, im Vollzug der Verpflichtung durch das Grundgesetz, zu errichten der Sinn unseres gemeinsamen Auftrages ist."

Externer Link: Rede von Bundespräsident Theodor Heuss in der Gedenkstunde des Bundestages am 21.6.1953 (RIAS)

Zwei Tage später versammeln sich vor dem Schöneberger Rathaus in West-Berlin rund 125.000 Menschen zu einer Trauerfeier. Vor dem Rathaus sind die Särge von sieben Opfern aufgestellt. Einer der Särge ist leer und steht symbolisch für den am 18. Juni 1953 hingerichteten Westberliner Willy Göttling. Es sprechen Bundeskanzler Adenauer, der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter. Im ganzen Bundesgebiet und in West-Berlin werden an diesem Tag zwischen 15.00 und 15.05 Uhr Gedenkminuten für die Opfer des 17. Juni 1953 eingelegt.

Externer Link: Reden von Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter vor dem Rathaus Schöneberg in West-Berlin am 23. Juni 1953 (RIAS)

Bundeskanzler Konrad Adenauer schickte diese Telegramme an die westlichen Alliierten, 21. Juni 1953

Bundeskanzler Konrad Adenauer schickte diese Telegramme an die westlichen Alliierten, 21. Juni 1953 (© Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 23.6.1953, S. 977)

Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 überrascht auch die Westalliierten. Insbesondere Großbritannien und Frankreich hoffen auf eine Entspannung des Ost-West-Verhältnisses. "Der Status quo schien der westeuropäischen Sicherheit eher zu dienen als eine von den Ostdeutschen erzwungene Wiedervereinigung mit ungewissen Konsequenzen", schreibt Marianne Howarth 2003 in einem Beitrag für die Interner Link: APuZ

. In diesem Sinne verurteilt der britische Premierminister Winston Churchill zwar die Niederschlagung des Aufstandes, darüber hinaus sieht er jedoch keinen Handlungsbedarf. Externer Link: Churchills Antwort auf die Botschaft der Bundesregierung wird am 24. Juni 1953 im britischen Unterhaus bekannt gegeben.

Anfang Juli 1953 beschließt der Deutsche Bundestag in Bonn, den 17. Juni fortan als "Tag der deutschen Einheit" und gesetzlichen Feiertag zu begehen. Bundeskanzler Konrad Adenauer fordert in einer Regierungserklärung als Voraussetzung der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands die Abhaltung freier Wahlen. Vorbedingung dafür seien die Öffnung aller Zonenübergänge, die Aufhebung des Sperrstreifens, generelle Freizügigkeit, Presse- und Versammlungsfreiheit, Zulassung der Parteien, Schaffung demokratischer Rechtsformen zum Schutz der Menschen gegen Willkür und Terror. Der Tag des Aufstandes in der DDR wird damit zum Nationalfeiertag der Bundesrepublik, der nunmehr alljährlich als "Tag der deutschen Einheit“ begangen und gefeiert wird.

Externer Link: Der Deutsche Bundestag beschließt, den 17. Juni 1953 als Nationalfeiertag zu begehen, 3. Juli 1953 (RIAS)

Neben den Gedenkfeiern und Erinnerungsreden sind die ersten Jahre nach dem Aufstand auch von anderen Veranstaltungsformen wie Demonstrationen, Schweigemärschen, Stafettenläufen zur "Zonengrenze" und Mahnfeuern als Zeichen eines nationalen Gemeinschaftsgefühls geprägt. Straßenumbennungen gehören ebenfalls zum symbolischen Gedenkkanon.

Zwei Arbeiter tauschen das Straßenschild der Charlottenburger Chaussee gegen ein Schild mit der Aufschrift Straße des 17. Juni um. Die Umbenennung fand als Reaktion auf den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 statt.

Am 22. Juni 1953 beschließt der Senat von West-Berlin, einen Abschnitt der Charlottenburger Chaussee in "Straße des 17. Juni" umzubenennen. (© AdsD der FES)

Das 1954 gegründete, überparteiliche Kuratorium "Unteilbares Deutschland" verantwortet zahlreiche Großveranstaltungen zum Gedenken an den 17. Juni und setzt sich für eine breite Zustimmung zur Wiedervereinigung ein. Besonders erfolgreich ist die im Januar 1959 gestartete bundesweite Aktion "Macht das Tor auf!" Das Kuratorium verkauft Abzeichen in Form des Brandenburger Tores, mit dem die Käufer symbolisch ihren Willen zur Wiedervereinigung ausdrücken können. Zu einem Verkaufspreis von 20 Pfennig pro Stück werden bis zum Ende des Jahres 1959 mehr als zwölf Millionen Abzeichen verkauft. Die Reden am "Tag der deutschen Einheit" konzentrieren sich stark auf den Verlust respektive auf die Wiedererlangung der deutschen Einheit. Der Historiker Theodor Schieder spricht 1964 im Bundestag vom 17. Juni als dem "Tag unserer geschichtlichen Rehabilitation als Nation". Je weiter das Ereignis selbst jedoch zurückliegt, desto stärker wird der Feiertag in der Bundesrepublik zu Ausflügen ins Grüne genutzt. Erste Anzeichen davon zeigen sich bereits 1958 in der sarkastischen Überschrift "Ein Feiertag sucht seinen Sinn" in der Süddeutschen Zeitung. Immer wieder wenden sich Politiker aller Parteien in verschiedenen Reden und Veranstaltungen gegen dieses Vergessen, ihre Wirkung bleibt bis zum Ende des Kalten Krieges begrenzt.

Nach dem Mauerfall im Herbst 1989 erinnern am 17. Juni 1990 Abgeordnete beider deutscher Parlamente im Ostberliner Schauspielhaus gemeinsam an den Volksaufstand. Als am 3. Oktober 1990 der Einigungsvertrag unterzeichnet wird, ist der 17. Juni als Feiertag abgeschafft. Den neuen "Tag der Deutschen Einheit" feiern die Deutschen nun am 3. Oktober. Lediglich eine Geste bleibt: Jährlich beflaggt der Bund am 17. Juni seine Dienstgebäude. Das gesellschaftliche und wissenschaftliche Interesse hingegen nimmt zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes im Jahr 2003 eine neue Dimension an. Zahlreiche Publikationen, Filme und Ausstellungen entstehen. Obwohl der 17. Juni kein Feiertag mehr ist, wird an seinem 50. Jahrestag so umfassend an ihn erinnert, wie selten zuvor an ein historisches Ereignis worden ist.

Fussnoten

Weitere Inhalte