Der Wechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker an der Spitze der Partei am 3. Mai 1971 signalisiert auf den ersten Blick Kontinuität. War doch Honecker ein enger Gefolgsmann Ulbrichts und seit Jahren schon Kronprinz. Doch bald schon zeigen sich wichtige Unterschiede. Auf der einen Seite wird das Treueverhältnis zur Sowjetunion noch enger. Gegen jede wirtschaftliche Vernunft werden die Privatbetriebe enteignet und dadurch das Warenangebot im Einzelhandel weiter verschlechtert. Die Reformen der Ulbricht-Zeit wurden abgebrochen und wieder auf Zentralisierung gesetzt. Auf der anderen Seite wird die restriktive Kulturpolitik gelockert. Einige bis dahin verbotene Bücher dürfen nun erscheinen. Die Rundfunksender der DDR spielen wieder die westliche Popmusik und die begehrten Blue Jeans werden verkauft, teils die importierten Originale, teils Kopien aus der DDR-Produktion. Die Weltfestspiele im Sommer 1973 sind eine Art Generalprobe dieser neuen Jugendpolitik und für die Führung ein voller Erfolg, der auch internationale Anerkennung brachte.
Wandel durch Annäherung
Die Politik des Ausgleichs mit dem Osten, die seit 1969 von der Bundesregierung betrieben wird, trägt nun erste Früchte. Wichtig für die DDR war das Grundlagenabkommen, dass am 21. Dezember 1972 unterzeichnet wird. In Ost-Berlin wird eine ständige Vertretung der BRD eröffnet. Reisen von Westbürgern werden erleichtert und westliche Korrespondenten berichten nun direkt aus der DDR. Vor allem aber öffnet sich für die DDR das Tor zur internationalen Anerkennung als souveräner Staat. Beide deutsche Staaten werden Mitglied der UNO. An der Teilung Deutschlands in zwei Staaten ist offenbar nicht mehr zu rütteln. Doch die Normalität, die nun einzieht, hat für das SED-Regime eine bedenkliche Seite. Viele DDR-Bürger fragen sich, wenn wir ein normaler Staat sind, warum gelten bei uns nicht die normalen Freiheits- und Menschenrechte, wie das Recht auf Ausreise? Die Grenzanlagen wurden technisch immer perfekter und politisch immer anachronistischer. Solange an der innerdeutschen Grenze Flüchtlinge durch Selbstschussanlagen und Tretminen zerfetzt oder an der Berliner Mauer erschossen wurden, stellt sich die Frage nach der Legitimität des Staates.
Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik
Um die innere Stabilität zu wahren, beginnt die SED-Führung eine Politik umfangreicher Sozialgeschenke. Dazu gehören das Babyjahr für Mütter, zinslose Warenkredite für junge Ehen, der Ausbau der Kinderbetreuung und vor allem das Wohnungsbauprogramm, in dessen Verlauf bis 1989 rund 1,8 Millionen Neubauwohnungen entstehen. Diese Maßnahmen sind nicht unpopulär, doch sie sind nicht ausreichend gegenfinanziert. Besonders verhängnisvoll ist der Grundsatz der Preisstabilität, der zu einer wachsenden Subventionierung von Grundnahrungsmitteln, Kinderkleidung und -schuhen, Gas, Strom, Wasser, Fahrpreisen in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Mieten führt. Da gleichzeitig die Bruttogehälter kontinuierlich steigen, wird der Geldüberhang bzw. der Mangel an Waren und Dienstleistungen aller Art immer größer. Die niedrigen Mieten führen dazu, dass sich trotz des umfassenden Neubaus am Wohnungsmangel nichts ändert. Da weder private Hausbesitzer noch die Kommunale Wohnungsverwaltung in der Lage sind, mit den anfallenden Mieten Instandhaltungsarbeiten durchzuführen, halten sich Verfall und Neubau ungefähr die Waage.
Die DDR gerät zudem in eine Schuldenfalle. Nur neuerliche Milliardenkredite westliche Geldgeber retten die DDR vor der Zahlungsunfähigkeit. Um die politische Stabilität zu wahren, ist die DDR gezwungen, den westlichen Erwartungen entgegen zu kommen und gerade dadurch die Existenz des Staates zu gefährden. Sie unternimmt nun verzweifelte, allerdings teilweise erfolgreiche Versuche, mit allen Mitteln ihre Zahlungsfähigkeit zu bewahren. Streng finanzpolitisch gesehen war die DDR 1989 entgegen der allgemeinen Meinung also nicht pleite. Allerdings ist der technische Standard, die Infrastruktur, die Umwelt und der Zustand der Städte in einem erbarmungswürdigen Zustand.