Die latente Dauerkrise der DDR entwickelt sich im Sommer 1989 zur finalen Existenzkrise. Paradoxerweise tragen gerade jene Menschen zum Zusammenbruch der DDR am meisten bei, die an eine Änderung der Verhältnisse zu ihren Lebzeiten nicht mehr glauben. Sie wollen nicht auf vage Aussichten einer möglichen Reform nach Honeckers Ableben warten, sondern sofort und radikal ihre persönliche Situation ändern. Sie überqueren die Grenz von Ungarn nach Österreich, klettern über die Zäune der BRD-Botschaft in in Prag und produzieren Fernsehbilder, die um die Welt gehen. Junge Leute, die in der DDR aufgewachsen waren, fliehen vor diesem Staat wie vor einer Naturkatastrophe.
Herbstrevolution
Diese dramatischen Vorgänge ruft endlich auch die DDR-Opposition auf den Plan. Der Gründungsaufruf des „Neuen Forum“ vom 10. November 1989, der aus heutiger Perspektive eher zaghaft wirkt, wird zum Fanal. Überall, meist in kirchlichen Räumen, bilden sich Initiativgruppen, die Kontakt miteinander aufnahmen. Das Land ist im Aufbruch. Neben dem „Neuen Forum“ entstehen der „Demokratische Aufbruch“, „Demokratie Jetzt“ und die Sozialdemokratische Partei (SDP).
Währenddessen dröhnt aus allen Medien der DDR die Propaganda in Vorbereitung des 40. Jahrestages der DDR, der am 7. Oktober 1989 mit einer Militärparade, Massenaufmärschen und Volksfesten begangen werden sollte. Beim Besuch des sowjetischen Parteichefs Michail S. Gorbatschow werden die Differenzen zwischen Moskau und Ost-Berlin wenigstens angedeutet. Das Wort Gorbatschows „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, das er so nie gesagt hat, macht die Runde und wird als Absage an die altersstarre Führungsriege der SED verstanden. So wird die Jubelfeier des 40. Jahrestages zur Totenfeier der DDR. Erstmals seit 1953 kommt es am 7. Oktober 1989 zu offenen Demonstrationen in Berlin, Potsdam, Leipzig, Plauen und anderen Städten. Zwei Tage später fielen in Leipzig die Würfel. Die Staatsmacht wagte es nicht, gegen die Demonstranten vorzugehen. Es waren einfach zu viele. Damit hatte die Diktatur sich selbst aufgegeben. Der Mauerfall am 9. November 1989 war nur der Vollzug einer Bewegung, gegen die sich keine stabilisierenden Gegenkräfte mehr mobilisieren ließen. Da die sowjetischen Panzer anders als 1953 in den Kasernen bleiben, ist der Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unumkehrbar.
Wiedervereinigung
Die logische Folge der Demokratiebewegung in der DDR konnte nichts anderes sein, als die Vereinigung Deutschlands. Sie stand auf westlicher Seite durch das Gebot des Grundgesetzes ohnehin außer Frage und entsprach auf östlicher Seite dem Willen einer großen Mehrheit. Bei den ersten demokratischen Wahlen der DDR am 18. März 1990 errang die von der CDU geführte Allianz für Deutschland fast die absolute Mehrheit. Dieses Ergebnis war ein eindeutiges Votum für eine schnelle Wiedervereinigung, die nun in die Wege geleitet wurde. Am 1. Juli 1990 trat die Wirtschaft-, Sozial- und Währungsunion in Kraft. Damit hielt die D-Mark Einzug, aber es begannen sich auch die Folgen von vierzig Jahren sozialistischer Misswirtschaft zu zeigen. Falsch ist mit Sicherheit die Wahrnehmung, dass sich die Menschen in der DDR Illusionen über die ökonomischen Schwierigkeiten gemacht hätten. Es war klar, dass der Aufholprozess lange dauern würde. Bei allen Problemen war der Weg zu einer schnellen Einheit, der von beiden deutschen Regierungen eingeschlagen und von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges und den Nachbarn Deutschlands akzeptiert wurde, richtig.