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Der XX. Parteitag der KPdSU | DDR kompakt | bpb.de

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Der XX. Parteitag der KPdSU

Sonja Hugi

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Der erste Parteitag der Externer Link: KPdSU nach dem Tod Josef Stalins markiert eine Zäsur in der Geschichte der Sowjetunion. Der Erste Sekretär des ZK der KPdSU Nikita Chruschtschow hielt in der Nacht vom 24. zum 25. Februar 1956 eine geheime, fünfstündige Rede, in der er die Verbrechen Stalins offenlegte. Er leitete damit die offizielle Entstalinisierung im gesamten Ostblock ein.

Der drei Jahre zuvor verstorbene sowjetische Führer war bis zu jenem Parteitag wie ein Heiliger verehrt worden. Dieses Bild begann nun zu bröckeln. Chruschtschow prangerte in seiner Rede den Personenkult um Stalin an und verurteilte den brutalen Führungsstil des Diktators. Er berichtete von Verfolgung, Mord, Straflagern und Säuberungsaktionen. Seine Ausführungen beinhalteten jedoch keine Systemkritik, sie machten Stalin mit seinem skrupellosen Machthunger alleine verantwortlich für die begangenen Verbrechen. Chruschtschow ließ seine eigene Rolle als Zögling Stalins ebenso unerwähnt wie die Taten anderer Parteifunktionäre.

Eine Zusammenfassung der Rede wurde als Broschüre parteiintern verbreitet. Sie enthielt die Aufforderung, „Kritik und Selbstkritik“ zu üben, um den Personenkult zu überwinden. Vor einer Diffamierung von Staat und Partei wurde dagegen ausdrücklich gewarnt. Chruschtschow ließ mehrere Personen verhaften, die den Bericht als Anlass zur offenen Systemkritik genommen hatten.

QuellentextChruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag vom 25. Februar 1965

Genossen! Im Bericht des Zentralkomitees der Partei an den XX. Parteikongreß, in einer Anzahl von Reden der Parteitkongreßdelegierten und schon zuvor auf Plenarsitzungen des ZK der KPdSU ist vieles über den Persönlichkeitskult und seine schädlichen Folgen gesagt worden.

Nach dem Tode Stalins leitete das ZK der Partei eine Aufklärungspolitik ein, um mit zwingender Konsequenz nachzuweisen, daß es unzulässig und dem Geiste des Marxismus-Leninismus zuwider ist, eine Person herauszuheben und sie zu einem Übermenschen zu machen, der gottähnliche, übernatürliche Eigenschaften besitzt, zu einem Menschen, der angeblich alles weiß, alles sieht, für alle denkt, alles kann und in seinem ganzen Verhalten unfehlbar ist. Ein solcher Glaube an einen Menschen, und zwar an Stalin, ist bei uns viele Jahre lang kultiviert worden. [...]

Stalins Eigenmächtigkeit gegenüber der Partei und ihrem Zentralkomitee trat nach dem XVII. Parteitag, der 1934 abgehalten wurde, voll und ganz in Erscheinung. Das ZK [...] hat eine Parteikommission […] beauftragt, Untersuchungen darüber anzustellen, wieso Massenunterdrückungen gegen die Mehrheit der Mitglieder und Kandidaten des ZK, die auf dem XVII. Parteitag der KPdSU (B) gewählt worden waren, möglich gewesen sind.

Die Kommission hat [...] festgestellt, daß Anklagen gegen Kommunisten konstruiert, falsche Anschuldigungen erhoben und schamlose Mißbräuche mit der sozialistischen Gesetzlichkeit geduldet wurden – was zum Tode unschuldiger Menschen führte. Es hat sich erwiesen, daß viele Aktivisten der Partei, der Sowjets und der Wirtschaft, die in den Jahren 1937 bis 1938 zu „Volksfeinden“ gestempelt worden waren, in Wirklichkeit niemals Feinde, Spione, Schädlinge und so weiter waren, sondern immer nur aufrechte Kommunisten. Sie wurden nur als Feinde gebrandmarkt und bezichtigten sich oft selbst, weil sie die barbarischen Folterungen nicht länger ertragen konnten (nach den Weisungen der Untersuchungsrichter – und Wahrheitsverfälscher), aller möglichen schweren und unwahrscheinlichen Verbrechen. Die Kommission hat dem Präsidium des Zentralkomitees umfangreiches Dokumentenmaterial über Massenrepressalien gegen die Delegierten des XVII. Parteitags und gegen Mitglieder des Zentralkomitees, die auf diesem Parteitag gewählt worden waren, unterbreitet. [...]

Es wurde festgestellt, daß von den auf dem XVII. Parteitag gewählten 139 Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees der Partei 98 Personen, das sind 70 Prozent, in den Jahren 1937 und 1938 verhaftet und liquidiert wurden. (Entrüstung im Saale.) Wie war die Zusammensetzung der Delegierten des XVII. Parteitags? Es ist bekannt, daß 80 Prozent der stimmberechtigten Delegierten dieses Parteitags in den Jahren der Verschwörung vor der Oktoberrevolution und während des Bürgerkriegs, also vor 1921, der Partei beigetreten waren. Nach der gesellschaftlichen Herkunft handelt es sich bei der Masse der Delegierten des XVII. Parteitags um Arbeiter (60 Prozent der Stimmberechtigten).

Schon aus diesem Grunde mußte es unfaßbar scheinen, daß ein Parteitag mit einer solchen gesellschaftlichen Struktur ein Zentralkomitee gewählt haben soll, daß in der Mehrheit aus Parteifeinden bestand. Der einzige Grund, warum 70 Prozent aller Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees als Feinde der Partei und des Volkes angeprangert wurden, war der, daß man Verleumdungen gegen sie vorbrachte, falsche Anschuldigungen gegen sie konstruierte und die revolutionäre Gesetzlichkeit in unzulässiger Weise aushöhlte.

Das gleiche Schicksal ereilte nicht nur die Mitglieder des Zentralkomitees, sondern auch die Mehrzahl der Delegierten des XVII. Parteitags. Von 1966 Stimmberechtigten oder beratenden Delegierten wurden 1108 Personen, also über die Hälfte aller Delegierten, unter der Beschuldigung gegenrevolutionärer Verbrechen verhaftet. Allein diese Tatsache beweist, wie absurd, fantastisch und widersinnig die Beschuldigungen wegen gegenrevolutionärer Verbrechen waren, die, wie wir jetzt sehen können, der Mehrheit der Delegierten des XVII. Parteitags zur Last gelegt wurden. (Entrüstung im Saale.) [...]

Dies war das Ergebnis des Machtmißbrauchs Stalins, der […] mit den Mitteln des Massenterrors gegen die Parteikader vorzugehen begann. [...]

Viele Tausende ehrlicher und unschuldiger Kommunisten kamen infolge dieser ungeheuerlichen Rechtsbeugung ums Leben, weil jedes noch so verleumderische „Geständnis“ akzeptiert wurde und weil man Selbstbeschuldigungen und Beschuldigungen anderer Personen durch Gewaltanwendung erpreßte. [...]

Dem NKVD wurde die niederträchtige Praxis gestattet, Listen von Personen zusammenzustellen, für deren Fälle das oberste Militärgericht zuständig war und bei denen die Urteile im voraus feststanden. [...] In den Jahren 1937 bis 1938 wurden 383 solcher Listen mit den Namen vieler Tausender von Tausenden Partei-, Sowjet-, Komsomol-, Armee- und Wirtschaftsfunktionären Stalin zugesandt. Und diese Listen wurden von ihm gebilligt.

Ein großer Teil dieser Urteile wird gegenwärtig überprüft und ein großer Teil von ihnen aufgehoben, weil sie unbegründet sind und auf Fälschungen beruhen. Ich brauche hier nur zu erwähnen, daß seit 1954 der Militärsenat des Obersten Gerichts 7679 Personen rehabilitiert hat, die zum großen Teil erst nach ihrem Tode rehabilitiert werden konnten. [...]

Die Tatsachen zeigen, daß Mißbräuche auf Stalins Befehl und unter Mißachtung der Parteinormen und der sowjetischen Gesetzlichkeit erfolgten. […] Da er eine unbegrenzte Macht besaß, war er in höchstem Maße selbstherrlich und drückte jedermann physisch und moralisch an die Wand. So entstand eine Situation, in der man seinen eigenen Willen nicht mehr zum Ausdruck bringen konnte. [...]

Genossen! Wir müssen den Persönlichkeitskult entschlossen abschaffen, ein für allemal; wir müssen die entsprechenden Konsequenzen ziehen, und zwar sowohl hinsichtlich der ideologisch-theoretischen als auch der praktischen Arbeit. […]

Genossen! Der XX. Parteikongreß der KPdSU (B) war ein erneuter kraftvoller Beweis für die unerschütterliche Einheit unserer Partei, ihrer Verbundenheit mit dem Zentralkomitee, ihres entschlossenen Willens, die große Aufgabe des Aufbaus des Kommunismus zu vollbringen. (Tosender Beifall.) Und die Tatsache, daß wir die mit der Überwindung des dem Marxismus-Leninismus fremden Persönlichkeitskults verbundenen Grundprobleme in all ihren Formen und auch das Problem der Liquidierung seiner lästigen Folgen dargelegt haben, ist ebenfalls ein Beweis für die große moralische und politische Kraft unserer Partei.

Chruschtschow gegen Stalin, Heft 5 der Hessischen Landeszentrale für Heimatdienst, Wiesbaden o. J. (1956); zit. nach Reinhard Crusius / Manfred Wilke (Hg.), Entstalinisierung. Der XX. Parteitag der KPdSU und seine Folgen, Frankfurt am Main 1977, Seite 487, 497-499, 508 f., 536 f.

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Sonja Hugi, M.A. Public History, studierte Geschichte, Kommunikationswissenschaften und Grafikdesign. Als Historikerin, Autorin, Illustratorin und Grafikerin betätigt sie sich in verschiedenen Bereichen der Geschichtsvermittlung. Ihr Fokus liegt auf Themen der jüngeren deutschen Geschichte.